L 1 KR 168/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 143 KR 340/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 168/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger begehrt die Versorgung mit Cannabis(blüten).

Er stellte am 17. Oktober 2017 formlos auf einem kleinen Zettel einen Antrag auf Kostenübernahme für Cannabis. Ihm würden wegen eines Systemversagens keine Antidepressiva in ausreichender Form und andere Mittel verabreicht.

Die Beklagte lehnte die begehrte Kostenübernahme durch Bescheid vom 6. November 2017 ab. Die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor.

Der Kläger erhob Widerspruch: Nach dem Gesetz dürfe die Kasse nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Er beantrage die Kostenübernahme für pharmazeutisches Cannabis (Cannabisblüten) (der Marken) b und/oder p, weil er Schlafstörungen und Ängste habe. Er habe eine Phobie gegen Spritzen und könne daher keine anderen Präparate nehmen, da hierfür immer Laborwerte ermittelt werden müssten. Auch leide er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2018 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe nicht – wie erforderlich – eine begründete Einschätzung eines behandelnden Arztes vorgelegt. Es gäbe keine ärztliche Beschreibung, für welche Indikationen Cannabis eingesetzt werden solle. Es sei auch nicht dargelegt, dass eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe oder diese begründet nicht zur Anwendung kommen könne.

Hiergegen hat der Kläger am 23. Februar 2018 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgebracht, er wolle seine Depressionen mit Cannabis behandeln lassen. Er habe auch eine anerkannte Behinderung von 30 % wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Von drei Antidepressiva habe er zwei nicht vertragen. Zudem habe er seine "Potenz verloren". Drei Mittel könne er nicht mehr verordnet erhalten, da man ihm aufgrund seiner posttraumatischen Erlebnisse kein Blut abnehmen könne. Er brauche keine weitere ärztliche Einschätzung. Es müsse ausreichen, wenn er privatärztliche Verordnungen vorlege. Er hat u. a. eine "individuelle Patienteninformation zur ambulanten psychotherapeutischen Sprechstunde" des MVZ P eingereicht, wonach bei ihm die Verdachtsdiagnosen einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typ sowie Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden vorliege.

Das SG hat die auf Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der bisher entstandenen und künftig zu erwartenden Kosten für Cannabis gerichteten Klage mit Urteil vom 16. Mai 2018 abgewiesen. Ein Anspruch auf Versorgung bestehe ausschließlich zu dem Zwecke, eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Krankheitssymptome eines Menschen zu erreichen, § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Im Falle des Klägers lasse sich nicht feststellen, dass die Versorgung mit Cannabis eine solche positive Einwirkung besitze. Er habe lediglich ärztliche Privatrezepte für Cannabis zur Einsichtnahme vorgelegt. Eine ärztliche Begründung, aus welchen Gründen ihm Cannabis verordnet worden sei, enthielten diese Rezepte jedoch nicht. Er selbst vertrete zwar die Auffassung, dass die Einnahme von Cannabis eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besitze. Die von ihm eingereichten Unterlagen besagten jedoch das Gegenteil. So habe die Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie Dr. G in der Patienteninformation vom 15. August 2017 den Diagnoseschlüssel F 12.9 G eingetragen, also psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabionide, gesicherte Diagnose. Zum selben Ergebnis sei der Diplom-Psychologe K in der Patienteninformation vom 8. September 2017 gekommen (psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabionide: Abhängigkeitssyndrom). Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. O habe in seinem ärztlichen Bericht vom 4. August 2017 den Begriff des Cannabis-Abusus gebraucht. Er empfehle THC-Karenz.

Gegen dieses ihm am 23. Mai 2018 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers mit Fax vom 23. Mai 2018. Er hat u. a. ein privatärztliches Attest der Fachärzte für Allgemeinmedizin H u. a. vom 25. Juni 2018 eingereicht, wonach der Kläger an chronischen Schlafstörungen leide und ein Behandlungsversuch mit Cannabisblüten erfolgreich gewesen sei. Die Cannabistherapie sei gegenüber der Behandlung mit Z-Drogen oder Benzodiazepinen aufgrund des geringeren Abhängigkeitspotentials vorzuziehen. Die ihn behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B hat ihm mit Attest vom 15. Juni 2018 bescheinigt, dass sich der Kläger bei ihr in nervenärztlicher Behandlung befinde. Er leide an einer Depression einer PTBS, einer ADHS kombinierten Typs sowie einer Persönlichkeitsstörung. Er berichte von Flashbacks, Panikattacken, Gereiztheit, Insomnie und Albträumen. Er bekomme keine Medikamente, da er eine Spritzenphobie habe und panische Angst vor der Blutentnahme im Rahmen einer medikamentösen Therapie. Er sei im November 2017 überfallen worden und leide seither unter Schlafstörungen, innere Unruhe und Konzentrationsstörungen. Der Facharzt für Psychotherapie Dr. Fhat unter dem vom 25. Juli 2018 attestiert, dass aus psychotherapeutischer Sicht eine Psychotherapie zur besseren Impulskontrolle und Erarbeitung einer individuellen Lebensperspektive indiziert sei. Zur Behandlung mit einem pflanzlichen Arzneimittel erschienen Cannabisblüten am erfolgversprechendsten, zumal der Patient schon positive Erfahrungen mit Cannabis gemacht habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2018 aufzuheben und die Beklagte zur Übernahme der bisher entstandenen und künftig zu erwartenden Kosten für die Versorgung mit Cannabisblüten zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Es konnte im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 24. Januar 2019 hingewiesen worden.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat derzeit keinen Anspruch auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis auf der Grundlage von § 31 Abs. 6 SGB V. Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol (= &916;9-Tetrahydrocannabinol = THC) oder Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid), wenn 1.) a) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist (Satz 2). Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt, die oder der die Leistung nach Satz 1 verordnet, übermittelt die für die Begleiterhebung erforderlichen Daten dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in anonymisierter Form; über diese Übermittlung ist die oder der Versicherte vor Verordnung der Leistung von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt zu informieren (Satz 5). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es reicht nicht aus, dass die Behandlung mit Cannabioniden beim Kläger durchaus sinnvoll sein könnte und die Behandler ihm – ausweislich der eingereichten Kopien – bereits vereinzelt Privatrezepte für Cannabisblüten zum Verdampfen ausgestellt haben. Hier fehlt es nämlich bereits an einer vertragsärztlichen Verordnung. Den vom Kläger eingereichten Attesten kann nicht entnommen werden, dass die Aussteller dem Kläger im Falle der Genehmigung durch die Beklagte vertragsärztliche Verordnungen ausstellen wollen. Es liegt auch keine begründeten Einschätzung einer behandelnden Vertragsärztin oder eines Vertragsarztes zu dem erforderlichen Genehmigungsantrag vor, in welcher unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes die Verordnung für sinnvoll erachtet wird im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V. Auch dieses Erfordernis muss erfüllt sein, da von vornherein keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass für die Leiden des Klägers keine allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung stehen könnten.

Der Kläger hat zwar im Berufungsverfahren weitere Atteste in Kopieform zur Akte gereicht. Darin wird aber durch die Fachärzte für Allgemeinmedizin Hu. a. nur vage die Cannabistherapie als vorzugswürdig gegenüber Z-Drogen – gemeint wohl bestimmte Medikamente zur Behandlung von Schlafstörungen – und Benzodiazepinen (Schlaf- und Beruhigungsmittel) angesehen. Dieselben Ärzte teilen in ihrem weiteren Attest vom 17. Oktober 2018 nur mit, dass es dem Kläger nach seinen eigener Aussage unter Cannabis-Medikamentation deutlich leichter falle, sich sozial adäquat zu verhalten. Der Facharzt für Psychotherapie Dr. Fäußert sich nur zu pflanzlichen Arzneimitteln. Die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Bnimmt zu einer Therapie mit Cannabioniden nicht Stellung.

Soweit der Kläger bereits in erster Instanz Atteste eingereicht hat, hat sich bereits das SG damit auseinandergesetzt. Auf dessen Ausführungen wird ergänzend nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Mangels Sachleistungsanspruch scheidet damit auch ein Anspruch auf Kostenerstattung aus: Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1, Zweite Alternative SGB V als einzig möglicher Anspruchsgrundlage reicht nämlich nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur, als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Dies ist hier –wie ausgeführt- nicht der Fall.

Die Klage muss damit erfolglos bleiben. Der Kläger irrt in der Annahme, es reiche aus, wenn er privatärztliche Verordnungen vorlege.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved