L 2 AS 2481/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 2264/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 2481/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Aufrechnung von Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen mit Mietforderungen durch den Vermieter lässt den Bedarf für Kosten der Unterkunft nicht entfallen. Vielmehr ist auch in diesem Fall das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II als Einkommen nach § 22 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. Juni 2018 insoweit aufgehoben, als der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 18. Mai 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2017 für den Monat September 2016 aufgehoben worden ist, und wird die Klage insoweit abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem der Beklagte insgesamt 760,41 Euro von der Klägerin zurückfordert.

Die 1959 geborene Klägerin bezieht vom Beklagten seit 01.03.2015 (wieder) Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Klägerin lebt in einer 53 qm großen 3- Zimmer- Wohnung in H ... Vermieterin ist die Stadtsiedlung H. GmbH (im folgenden Vermieterin). Für die Wohnung fielen im streitgegenständlichen Zeitraum monatliche Mietkosten in Höhe von 453,00 Euro an (313,00 Euro Grundmiete zzgl. 70,00 Euro Heizkosten und 70,00 Euro Nebenkosten).

Der Beklagte gewährte der Klägerin auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 14.01.2016 hin mit Bescheid vom 18.01.2016 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03.2016 bis 28.02.2017. Bei der Berechnung der Leistungen wurden neben dem Regelbedarf (404,00 Euro) Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 405,00 Euro (339,00 Euro angemessene Bruttokaltmiete [297,00 Grundmiete plus 42,00 Euro Nebenkosten] plus 66,00 Euro für Heizkosten) berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 13.06.2016 informierte die Vermieterin die Klägerin über die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2015. Die Klägerin habe insgesamt Vorauszahlungen in Höhe von 1.680,00 Euro geleistet. Zu zahlen seien allerdings nur 823,86 Euro, so dass ein Guthaben in Höhe von 856,14 Euro entstanden sei. Im Monat August sei daher keine Miete zu zahlen, die restliche Gutschrift werde in den kommenden Monaten verrechnet. Diese Abrechnung legte die Klägerin der Beklagten erst am 19.01.2017 vor.

Der Beklagte hörte die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 24.01.2017 zu einer Überzahlung an. Die Gutschrift aus der Betriebskostenabrechnung in Höhe von 856,14 Euro sei mindernd auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzurechnen. Man beabsichtige daher die Leistungsgewährung für den Monat Juli 2016 in Höhe von 405,00 Euro und für August 2016 in Höhe von 355,14 Euro aufzuheben und die Erstattung von insgesamt 760,14 Euro zu verlangen. Man beabsichtige ferner, diese Summe im Wege der Aufrechnung in Höhe von 30 Prozent des maßgeblichen Regelsatzes monatlich einzubehalten. Die Klägerin teilte im Rahmen der Anhörung mit, dass sie das Geld für dringende Sachen wie eine Brille, Zahnreparatur und Schulden verwendet habe.

Mit Bescheid vom 09.02.2017 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 19.01.2016 teilweise auf. Für den Monat Juli 2016 habe die Klägerin keinen Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung und im Monat August 2016 nur noch in Höhe von 49,86 Euro. Die Bewilligung sei daher in Höhe von insgesamt 760,14 Euro aufzuheben, wobei 405,00 Euro auf den Monat Juli 2016 und 355,14 Euro auf den Monat August 2016 entfielen. Die Aufhebung erfolge, weil die Klägerin grob fahrlässig die Gutschrift aus der Betriebskostenabrechnung nicht gemeldet habe. Gutschriften minderten aber nach § 22 Abs. 3 SGB II den Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung ab dem Folgemonat der Gutschrift. Die Klägerin habe ihre Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt. Die zu erstattenden Leistungen rechne man ihn Höhe von monatlich 30 Prozent der Regelleistung auf. Ab 01.03.2017 würden daher 122,70 Euro einbehalten.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und begehrte im Wesentlichen eine niedrigere Rückzahlungsrate.

Mit Bescheid vom 27.03.2017 änderte der Beklagte den Bescheid vom 09.02.2017 dahingehend ab, dass im August 2016 noch ein Anspruch auf KdU in Höhe von 113,86 Euro bestanden habe. Es seien daher für diesen Monat 291,14 Euro zurückzuerstatten. Für den Monat Juli 2016 bleibe es bei der Aufhebung aus dem Bescheid vom 09.02.2017. Die Aufrechnung beginne nun am 01.04.2017.

Mit Bescheid vom 24.04.2017 hob der Beklagte den Bescheid vom 09.02.2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 27.03.2017 auf. Der bereits einbehaltene Betrag in Höhe von 245,40 Euro (März und April 2017) werde der Klägerin umgehend ausbezahlt.

Der Beklagte hörte die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 25.04.2017 erneut an. Man beabsichtige aufgrund der Gutschrift aus der Betriebskostenabrechnung die Leistungsgewährung für die KdU für die Zeit vom 01.08.2016 bis 30.09.2016 (teilweise) aufzuheben. Für den Monat August 2016 bestehe kein Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung mehr, für September 2016 nur noch in Höhe von 49,86 Euro. Insgesamt seien daher 760,14 Euro zu erstatten. Hinsichtlich einer möglich Einziehung durch Aufrechnung erhalte die Klägerin ggf. einen gesonderten Bescheid. Mit Bescheid vom 18.05.2017 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 19.01.2016 nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGBII in der Verbindung mit § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise auf. Für den Monat August 2016 habe die Klägerin keinen Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung und im Monat September 2016 nur noch in Höhe von 49,86 Euro. Die Bewilligung sei daher in Höhe von insgesamt 760,14 Euro aufzuheben, wobei 405,00 Euro auf den Monat August 2016 und 355,14 Euro auf den Monat September 2016 entfielen. Die Aufhebung erfolge, weil die Klägerin grob fahrlässig die Gutschrift aus der Betriebskostenabrechnung nicht gemeldet habe. Gutschriften minderten aber nach § 22 Abs. 3 SGB II den Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung ab dem Folgemonat der Gutschrift. Die Klägerin habe ihre Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt. Die zu erstattenden Leistungen rechne man ihn Höhe von monatlich 30 Prozent der Regelleistung auf. Ab 01.06.2017 würden daher 122,70 Euro einbehalten.

Auch gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch. Der Beklagte setzte daraufhin die Aufrechnung aus.

Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2017 als unbegründet zurück. Durch die Verrechnung der Gutschrift mit den Mietzahlungen für August und September 2016 reduziere sich der Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung der Klägerin nach § 22 Abs. 1 SGB II für diese Monate. Damit sei eine Änderung gegenüber der ursprünglichen Bewilligung im Bescheid vom 19.01.2016 eingetreten. Ihrer Verpflichtung zur Mitteilung dieser Gutschrift sei die Klägerin auch grob fahrlässig nicht nachgekommen. Der Klägerin sei durchaus bekannt gewesen, dass eine solche Gutschrift zu melden sei. So habe sie den Beklagten über die Betriebskostenabrechnung für 2014 zeitnah informiert. Auch der Vortrag der Klägerin im Rahmen der Anhörung lasse nicht erkennen, dass ihr die Verpflichtung zur Meldung nicht bekannt gewesen sei. Damit seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X gegeben. Auch gegen die Aufrechnung in Höhe von 30 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs bestünden keine Bedenken. Die Klägerin habe hierzu im Widerspruch vom 29.05.2017 keine weiteren Angaben gemacht. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich.

Die Klägerin hat hiergegen am 17.07.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) H. erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsgewährung für die Vergangenheit nicht vorlägen. Die Klägerin sei nicht grob fahrlässig gewesen, so dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht gegeben seien. Es liege auch kein Fall des § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vor, da die Klägerin kein Einkommen oder Vermögen erzielt habe. Das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung sei ohne das Wissen der Klägerin mit den zukünftigen Mietzahlungen verrechnet worden und habe somit den Bedarf für Unterkunft und Heizung gemindert, stelle aber kein Einkommen dar. Zudem sei die im Bescheid erklärte Aufrechnung in Höhe von 30 % des Regelsatzes rechtwidrig.

Der Beklagte ist dem Begehren der Klägerin entgegengetreten und hat ausgeführt, dass man nach wie vor davon ausgehe, dass die Klägerin bösgläubig gewesen sei. Zudem gehe man auch hinsichtlich der Aufrechnung davon aus, dass diese zu Recht in Höhe von 30 % erfolgt sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.05.2018 schlossen die Beteiligten einen widerruflichen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete den streitgegenständlichen Beschied für August 2016 aufzuheben und die Rückforderungssumme damit auf 355,14 Euro zu reduzieren. Diese sollte in monatlichen Raten von 10 % der maßgebenden Regelleistung einbehalten werden. Der Beklagte hat den Vergleich innerhalb der ihm eingeräumten Frist mit Schreiben vom 25.05.2018 widerrufen.

Das SG hat daraufhin mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und mit Urteil vom 14.06.2018 den Bescheid vom 18.05.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2018 aufgehoben. Beim vorliegenden Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom 13.06.2016 handle es sich entgegen der Beteiligten um eine nach § 22 Abs. 3 SGB II anzurechnende Einnahme, da keinerlei Anhaltspunkte gegeben seien, dass die Klägerin dieses Guthaben nicht realisieren hätte können. Der Beklagte habe aber dann das Guthaben erst ab dem Folgemonat, nämlich dem September 2016 anrechnen dürfen und nicht schon ab August 2016. Der Bescheid sei daher aufzuheben.

Gegen das ihm am 21.06.2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.07.2018 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung wird vorgetragen, dass man nach wie vor davon ausgehe, dass eine Anrechnung des Guthabens hier nicht nach § 22 Abs. 3 SGB II zu erfolgen habe, sondern im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu einer unmittelbaren Minderung des KdU- Bedarfes geführt habe. Durch die einseitige Aufrechnungserklärung durch den Vermieter habe das Guthaben nicht in der Verfügungsgewalt der Klägerin gestanden. Man gehe auch weiterhin von einer groben Fahrlässigkeit der Klägerin aus. Sollte das LSG – wie das SG H. davon ausgehen, dass die Anrechnung des Guthabens über § 22 Abs. 3 SGB II zu erfolgen habe, so dürfte aber zumindest die Anrechnung im Monat September 2016 rechtmäßig sein und der Bescheid hätte nur teilweise aufgehoben werden dürfen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts H. vom 14. Juni 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

In einem am 18.09.2018 durchgeführten Erörterungstermin hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie bei Erhalt der Betriebskostenabrechnung nicht bei ihrer Vermieterin nachgefragt habe, ob die Möglichkeit der Erstattung des Guthabens anstatt der unmittelbaren Verrechnung mit laufenden Mietzinsforderungen bestehe. Ob dies möglich gewesen sei, wisse sie nicht.

Daraufhin ist die Vermieterin der Klägerin mit Schreiben vom 19.09.2018 befragt worden. Sie hat in ihrem Antwortschreiben vom 25.09.2018 mitgeteilt, dass für Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung sowie die Fälligkeit eines Guthabens die gesetzlichen Vorschriften gelten würden. Separate Regelungen im Mietvertrag gebe es nicht. Ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung werde automatisch mit der künftigen Miete verrechnet. Ein Hinweis hierzu erfolge im Rahmen der Betriebskostenabrechnung. Sofern ein Mieter eine vorzeitige Auszahlung wünsche, werde eine separate Überweisung von der Vermieterin getätigt. Die Klägerin habe eine solche vorzeitige Auszahlung im konkreten Fall nicht begehrt.

Die Klägerin und der Beklagte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat im Eiverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist auch zum Teil begründet. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid vom 18.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2017 auch für den Monat September 2016 aufgehoben. Soweit mit den angefochtenen Bescheiden die Leistungsgewährung für den Monat August 2016 teilweise aufgehoben und Leistungen in Höhe von 405,00 Euro zurückgefordert worden sind, hat das SG zu Recht entschieden, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid insoweit aufzuheben ist. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen.

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 18.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.07.2017 beurteilt sich nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X i.V.m. § 40 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 19.01.2016, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 S 2 Nr. 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X soll der Verwaltungsakt ebenso mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wegen § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend.

Zur Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, sind die objektiven Umstände zum Zeitpunkt der Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II und die Umstände im Zeitpunkt der Neufeststellung zu vergleichen.

Hierbei geht der Senat - wie auch das SG - davon aus, dass durch die von der Vermieterin ab 01.08.2016 vorgenommene Gutschrift aus der Nebenkostenabrechnung vom 13.06.2016 die Klägerin ihre Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (teilweise) decken konnte. Diese Zahlung ist hierbei aufgrund der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II allerdings nicht bereits ab August 2016, sondern erst ab September 2016 zu berücksichtigen.

Nach dieser Vorschrift mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen bleiben außer Betracht. Bei dem Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung vom 13.06.2013 i.H.v. 856,14 Euro handelt es sich nach Überzeugung des Senats auch um ein Guthaben im Sinne von § 22 Abs. 3 SGB II.

Das in einer Heiz- und Betriebskostenabrechnung ausgewiesene Guthaben ist grundsätzlich als Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. der Sonderregelung des § 22 Abs. 3 SGB zu berücksichtigen, wenn es nach Antragstellung entsteht. Insoweit stellt § 22 Abs. 3 SGB II eine die allgemeinen Vorschriften über die Einkommensanrechnung (§§ 11 ff. SGB II) verdrängende Sonderregelung, einschließlich zu der Frage, nach welchem Modus und demnach in welcher Höhe den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnende Rückzahlungen und Guthaben sich mindernd auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung auswirken, dar (BSG, Urteile vom 12.12.2013 - B 14 AS 83/12 R - und vom 22.03.2012 - B 4 AS 139/11 R -). Vorliegend ist das Nebenkostenguthaben mit der Abrechnung der Vermieterin im Juni 2016 und der erstmals im August 2016 seitens der Vermieterin vorgenommenen Verrechnung, also nach Antragstellung der Klägerin beim Beklagten, als Forderung der Klägerin entstanden. Von dem in der Abrechnung vom 13.06.2016 ausgewiesenen Guthaben sind keine Absetzbeträge nach § 11b SGB II abzuziehen. Das Guthaben stellt ein berücksichtigungsfähiges Einkommen dar. Denn ein Nebenkostenguthaben, das einem Leistungsempfänger nicht ausgezahlt wird, sondern mit aufgelaufenen oder künftigen Forderungen der Vermieterin von dieser verrechnet wird, bewirkt bei ihm einen "wertmäßigen Zuwachs", weil es wegen der damit ggf. verbundenen Schuldbefreiung oder Verringerung anderweitiger Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit einen bestimmten, in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B AS 132/11 R -). Die Tatsache, dass die Klägerin wegen der seitens der Vermieterin erklärten Aufrechnung mit zukünftigen Mietzahlungen keine tatsächliche Verfügungsgewalt über das Guthaben hatte, es ihr also nicht zugeflossen ist, steht einer Berücksichtigung als Einkommen nicht entgegen. Die bedarfsmindernde Berücksichtigung eines Nebenkostenguthabens ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Auszahlung des einbehaltenen Betriebskostenguthabens aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisierbar ist (vgl. LSG Nordrhein-Westphalen, Urteil vom 08.11.2018 - L 19 AS 240/18 - Rdn. 29 ff).

Unabhängig davon, ob eine von einer Vermieterin in einer Nebenkostenabrechnung erklärte Aufrechnung mit Mietzahlungsverpflichtungen nach § 388 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen des Aufrechnungsverbot gegen unpfändbare Forderungen aus § 394 S. 1 BGB überhaupt wirksam zum Erlöschen der Forderung des Mieters - Auszahlung eines Nebenkostenguthabens - nach § 389 BGB führen kann (vgl. hierzu ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., welches dies verneint), ist im vorliegenden Fall nach den im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen bei der Vermieterin der Klägerin gerade nicht davon auszugehen, dass das Guthaben nicht realisierbar gewesen wäre. Vielmehr hat die Vermieterin auf Anfrage mitgeteilt, dass ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung zwar automatisch mit der künftigen Miete verrechnet werde. Ein Hinweis hierzu erfolge im Rahmen der Betriebskostenabrechnung. Sofern ein Mieter eine vorzeitige Auszahlung wünsche, werde aber eine separate Überweisung von der Vermieterin getätigt.

Eine Anrechnung des Guthabens aus der Nebenkostenabrechnung als Einkommen war demnach grds. möglich. Entgegen der Ansicht des Beklagten führte also die Verrechnung des Guthabens mit den laufenden Mietzahlungen hier nicht zu einer Minderung des Bedarfs für Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II, sondern dieser wurde (teilweise) durch erzieltes Einkommen gedeckt. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine Aufrechnung – wie sie hier von der Vermieterin vorgenommen wurde – nach § 387 BGB fällige Forderungen voraussetzt. Die Vermieterin konnte also demnach mit dem Anspruch der Klägerin auf Auszahlung des Nebenkostenguthabens nur deshalb aufrechnen, weil eine fällige Forderung auf Bezahlung des Mietzinses bestanden hat.

Diese Einkommensanrechnung hat hier dann nach der die allgemeinen Vorschriften über die Einkommensanrechnung (§§ 11 ff. SGB II) verdrängende Sonderregelung des § 22 Abs. 3 SGB II zu erfolgen. Neben der Tatsache, dass die Anrechnung ohne Abzug von Freibeträgen (s.o.) erfolgt, ändert die Vorschrift auch den Zeitpunkt der Anrechnung des Einkommens. Die Anrechnung erfolgt nämlich nicht im Monat des Zuflusses selbst, sondern erst in dem Monat nach der Rückzahlung oder der Gutschrift. Vorliegend ist das Guthaben der Klägerin mit der erstmals am 01.08.2016 erfolgten Verrechnung mit den laufenden Mietzahlungen zugeflossen, eine Anrechnung als Einkommen war daher noch nicht im August 2016, sondern erstmals im September 2016 möglich. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 19.01.2016 war demnach im August 2016 nicht durch eine Änderung rechtwidrig geworden. Die vom Beklagten auch für August 2016 vorgenommene Aufhebung der Leistungsgewährung in Höhe von 405,00 Euro ist daher rechtswidrig und das SG hat den angefochtene Bescheid insoweit zu Recht aufgehoben.

Entgegen den Ausführungen des SG gilt dies jedoch nicht für die vom Beklagten vorgenommene Aufhebung der Leistungen für den Monat September 2016. Diese ist nicht zu beanstanden. Für diesen Monat sind die Voraussetzungen für eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 SGB X i.V.m. § 40 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III erfüllt. Wie ausgeführt führt die erstmals im August 2016 vorgenommene Verrechnung der Gutschrift aus der Nebenkostenabrechnung für 2015 nach § 22 Abs. 3 SGB II dazu, dass diese Gutschrift ab dem Folgemonat - hier also ab September 2016 - als Einkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist.

Nicht entscheiden musste der Senat hierbei, ob aufgrund der von der Vermieterin in zwei Monaten vorgenommenen Verrechnung der Forderung aus dem Nebenkostenguthaben, die Gutschrift im Sinne des § 22 Abs. 3 SGB II vollständig mit Beginn der Verrechnung im August 2016 erfolgt ist oder ob auch die Gutschrift auf zwei Monate verteilt (d.h. 453,00 Euro im August und 403,14 Euro im September 2016) erfolgt ist. Denn auch wenn von einer Gutschrift von lediglich 453,00 Euro im August 2016 ausgegangen wird, ist die Entscheidung des Beklagten die Leistungsgewährung für den Monat September 2016 die Leistungsgewährung in Höhe von 355,14 Euro aufzuheben nicht zu beanstanden. Hierbei kann sogar zusätzlich berücksichtigt werden, dass der Beklagte der Klägerin nicht die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, sondern lediglich angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt hat. Nach § 22 Abs. 3 SGB II in der ab 01.08.2016 gültigen Fassung bleiben neben den Rückzahlungen, die sich auf Kosten für Haushaltsenergie beziehen, nämlich auch jene außer Betracht, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen. Mindert man vorliegend also die Gutschrift um den von der Klägerin selbst getragenen Anteil der Kosten für Unterkunft und Heizung (453,00 Euro minus 405,00 Euro = 48,00 Euro) verbleibt immer noch eine anzurechnende Einnahme in Höhe von 405,00 Euro, so dass die Aufhebung in der vorgenommenen Höhe nicht zu beanstanden ist.

Ob und wenn ja in welcher Höhe im Oktober 2016 eine weitere Einkommensanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II möglich gewesen wäre, ist nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides und daher nicht zu prüfen.

Der Zufluss der Gutschrift aus der Nebenkostenabrechnung hat demnach (erstmals) im September 2016 zu einer wesentlichen Änderung geführt, da diese als Einkommen zu berücksichtigen war, welches zur Minderung des Leistungsanspruchs geführt hat. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X sind demnach für den Monat September 2016 erfüllt.

Nach Überzeugung des Senates konnte der Beklagte die ursprüngliche Bewilligung zusätzlich auch nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X für den Monat September 2016 aufheben, da die Klägerin ihrer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Durch den Erhalt der Nebenkostenrückzahlung war eine wesentliche Änderung in den der Leistungsbewilligung zugrundeliegenden wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin eingetreten. Die Klägerin hätte der Beklagten jedenfalls mitteilen müssen, dass sie eine Nebenkostenerstattung erhalten hatte (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]). Der Klägerin musste bekannt sein, dass Nebenkostenabrechnungen und der Erhalt entsprechender Guthaben dem Beklagten umgehend mitzuteilen sind. Hierauf wird im Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit zum SGB II ausdrücklich hingewiesen (abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/datei/merkblatt-algii ba015397.pdf, Seite 19). Die Klägerin hat dies in der Vergangenheit auch getan, so hat sie die am 17.06.2015 erhaltene Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2014 am 30.06.2015 dem Beklagten vorgelegt (vgl. Verwaltungsakte Band I, Teil "KdU". Bl. 30). Die Verpflichtung zur Vorlage war der Klägerin demnach bekannt.

Die wegen der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zu beachtende Jahresfrist hinsichtlich der Einarbeitung der Änderung ist durch den Beklagten eingehalten. Die Gutschrift der Nebenkostenabrechnung war erstmals am 13.06.2016 bekannt geworden, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wurde innerhalb eines Jahres am 18.05.2017 erlassen.

Da die Voraussetzungen wie soeben dargelegt für eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung für den Monat September 2016 vorliegen, war der Beklagte auch berechtigt, den Überzahlungsbetrag in Höhe von 355,14 Euro gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern.

Nicht zu beanstanden ist ferner die vom Beklagten im Bescheid vom 17.05.2017 erklärte Aufrechnung der zu viel gezahlten Leistungen in Höhe von 30 % des monatlichen Regelbedarfs. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II können die Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X. Nach § 43 Abs. 2 SGB II beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die auf den § 41a SGB II oder auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 50 SGB X beruhen, 10 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs, in den übrigen Fällen 30 % (Satz 1). Vorliegend beruhten die Erstattungsansprüche des Beklagten gegen die Klägerin (auch) auf einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wegen grob fahrlässig nicht mitgeteilten Einkommens und damit nicht (nur) auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, sondern (auch) auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 iVm § 50 SGB X (s.o.). Die Höhe einer Aufrechnung ist danach mit 30 % des für die Klägerin maßgebenden Regelbedarfs gesetzlich bindend vorgegeben und knüpft daran an, dass die der Aufrechnung zugrundeliegende Aufhebungsentscheidung auf einem dem Leistungsberechtigten vorwerfbaren Verhalten beruht (BSG, Urteil vom 09.03.2016 - B 14 AS 20/15 R -, BSGE 121, 55-69, SozR 4-4200 § 43 Nr. 1, Rn. 28 mit Verweis auf BT-Drucks 17/3404 S 116).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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