L 21 AS 753/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 1066/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 753/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 28.04.2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

1. Im Beschwerdeverfahren ist - wie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht - allein die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe des monatlichen Regelbedarfes ab dem 12.12.2019 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) streitig. Denn mit Schriftsatz vom 17.04.2020 hat der Antragsteller seinen Antrag im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Regelbedarf beschränkt.

2. Die Beschwerde des Antragstellers ist zum Teil unzulässig (vgl. hierzu a.) und im Übrigen unbegründet (vgl. hierzu b.).

a. Die Beschwerde ist mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit sie auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 15.07.2020 gerichtet ist.

Für die Zulässigkeit eines Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes müssen die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, wozu auch das Rechtsschutzbedürfnis gehört, erfüllt sein. Gleiches gilt für das Beschwerdeverfahren. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Keller in: Meyer/Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 42). Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt unter anderem dann, wenn sich das Rechtsschutzziel bereits erledigt hat (Keller in: Meyer/Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage 2017, § 86b Rn. 26b).

Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt für die Zeit ab dem 15.07.2020 nicht mehr vor. Mit Schriftsatz vom 28.10.2020 in Verbindung mit dem an den Antragsteller gerichteten Schreiben vom 26.10.2020 hat der Antragsgegner seine Bereitschaft erklärt, für den Zeitraum ab dem 15.07.2020 bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis zum 30.06.2021, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht (vorläufig) einen monatlichen Betrag in Höhe von 432 EUR an den Antragsteller zu zahlen. Dies entspricht der Höhe nach dem ab dem 01.01.2020 maßgeblichen monatlichen Regelbedarf für alleinstehende Erwachsene gemäß der Regelbedarfsstufe 1 (§ 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1a Satz 1 SGB II i.V.m. der Anlage zu § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -). Für den Monat Juli 2020 hat der Antragsgegner eine anteilige Auszahlung der Leistungen angekündigt. Telefonisch hat der Antragsgegner am 12.11.2020 bestätigt, dass am 27.10.2020 Zahlungen von 432 EUR (Regelbedarf für November 2020) und 1.540,80 EUR (Regelbedarf für die Zeit vom 15.07.2020 - 31.10.2020) angewiesen worden sind. Für die Zeit ab dem 15.07.2020 ist eine gerichtliche Entscheidung somit nicht mehr erforderlich.

b. Im Hinblick auf die begehrte SGB II-Leistungsgewährung für die Zeit vom 12.12.2019 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) bis zum 14.07.2020 ist die Beschwerde unbegründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGB II setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iV.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der im Beschwerdeverfahren gebotenen summarischen Prüfung bildete er bis zum 14.07.2020 eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau, der Zeugin C (vgl. hierzu aa.). Dass er als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig gewesen ist, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (vgl. hierzu bb.).

aa. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft waren bei summarischer Prüfung bis einschließlich 14.07.2020 erfüllt.

Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a) SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte.

Ein Getrenntleben liegt bei dem Antragsteller und der Zeugin C erst seit dem 15.07.2020 vor, auch wenn der Senat zur Kenntnis genommen hat, dass eine räumliche Trennung innerhalb der gemeinsam genutzten Wohnung vollzogen worden ist. Zur Beurteilung der Frage, ob Ehegatten nicht dauerhaft getrennt leben, sind die familienrechtlichen Grundsätze zum Gegenbegriff Getrenntleben heranzuziehen. Neben einer räumlichen Trennung setzt ein Getrenntleben einen Trennungswillen voraus (Bundessozialgericht, Urteil vom 18.02.2010 - B 4 AS 49/09 R - Rn. 13 juris). Erforderlich ist ein nach außen erkennbarer Wille zumindest eines Ehegatten, die Ehe - in der individuell gewählten Gestaltungsform - auf Dauer aufzulösen (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 215). Ein Getrenntleben kann grundsätzlich auch in der ehelichen Wohnung vollzogen werden (vgl. § 1567 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Leben die Ehegatten dort - wie der Antragsteller und die Zeugin C - weiterhin zusammen, bedarf es allerdings einer vertieften Prüfung, ob die Eheleute tatsächlich getrennt leben (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 216). Erforderlich ist jedenfalls eine Trennung der wesentlichen ökonomischen Gemeinsamkeiten und der nach außen erkennbare Wille mindestens eines der Ehegatten, mit dem anderen Ehegatten nicht mehr zusammenleben zu wollen (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 216). Getrenntes Schlafen und getrenntes Essen reichen insoweit regelmäßig nicht aus, wenn die Ehegatten nach der behaupteten Trennung weiterhin in der Ehewohnung leben (OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.11.1987 - 4 B 352/87 - juris). Auch für die Anwendung von § 7 Abs. 3a) SGB II kommt es insoweit neben dem Fehlen oder der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft darauf an, dass wenigstens ein Partner das Eheband lösen will (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.02.2013 - L 15 AS 139/09 -, Rn. 23 juris). Nicht das Getrenntleben, sondern der nach außen erkennbare Trennungswille fehlt, wenn die Ehegatten nach vollzogener Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft auf Dauer gemeinsam in der Ehewohnung verbleiben, ohne dass mindestens einer von ihnen erkennbar die Scheidung anstrebt (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.02.2013 - L 15 AS 139/09 -, Rn. 24).

Das Amtsgericht B (Familiengericht) hat mit Schreiben vom 06.08.2020 mitgeteilt, dass Frau C die Scheidung am 15.07.2020 beantragt hat. Erst mit diesem Scheidungsantrag hat sich der Trennungswille eines Ehegatten - hier der Zeugin C - nach außen hin manifestiert. In diesem Zusammenhang wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in dem Beschluss des Sozialgerichts vom 28.04.2020 Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG), denen zu entnehmen ist, warum es zum Entscheidungszeitpunkt an einem nach außen erkennbaren Willen zumindest eines Ehegatten, die Ehe auf Dauer aufzulösen, fehlte.

Auf folgende Umstände sei konkret hingewiesen:

Sowohl der Antragsteller als auch Frau C haben im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 09.04.2020 angegeben, jedenfalls seit April 2019 getrennt zu sein. Nach Angaben von Frau C "war die Trennung eigentlich schon im November/Dezember 2018", d.h. vor fast ca. zwei Jahren. Dennoch bewohnen der Antragsteller und Frau C bis heute gemeinsam die Wohnung D 00 in B; dies, obwohl der Antragsteller bereits am 07.08.2019 im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei dem Antragsgegner erklärt hat, sich "umgehend" eine neue Wohnung zu suchen. Vor diesem Hintergrund ist eine vertiefte Prüfung angezeigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller den SGB II-Leistungsantrag am 15.07.2019 gestellt hat. Zu diesem Zeitpunkt waren er und die Zeugin C nach übereinstimmenden Angaben bereits getrennt. Dennoch hat die Zeugin C - wie mit Schriftsatz vom 29.04.2020 vorgetragen worden ist -, den Antragsteller am 30.09.2019, 04.11.2019, 20.11.2019 und 23.12.2019 mit Darlehen über jeweils 50 EUR finanziell unterstützt. Dies deutet auf eine noch bestehende Verbundenheit hin. Hierfür spricht auch der von dem Antragsgegner am 26.08.2020 durchgeführte Kontenabruf. Diesem ist zu entnehmen, dass noch bis zum 22.04.2020 eine Verfügungsbefugnis des Antragstellers über das Konto der Frau C bei der C1 Bank (DEXXX) bestanden hat. In diesem Zusammenhang hat das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 28.04.2020 ausgeführt: "( ) Zwar konnten der Antragsteller und die Zeugin die Verfügungsbefugnis für 2 Konten plausibel dahingehend erklären, dass diese Konten im Zusammenhang mit der "mb-concept" stehen und der Antragsteller Liquidator der "mb-concept" ist, so dass ihm Verfügungsbefugnis über die beiden gekoppelten Konten einzuräumen war. Nicht zu erklären vermochten hingegen sowohl der Antragsteller als auch die Zeugin die nach wie vor bestehende Verfügungsbefugnis des Antragstellers über ein Konto der Zeugin bei der C1 Bank eK, Kontonummer DEXXX." Noch bis zum 22.04.2020 war der Antragsteller demnach über ein Privatkonto der Frau C verfügungsbefugt. Von einer Trennung der wesentlichen ökonomischen Gemeinsamkeiten konnte daher noch nicht die Rede sein. Schließlich hat die Zeugin C im Erörterungstermin am 09.04.2020 auf die Frage des Gerichts, ob die Ehe mit dem Antragsteller möglicherweise noch gerettet werden kann, zu Protokoll erklärt: "( ) Ich möchte mich zum jetzigen Zeitpunkt da auf nichts festlegen." Auch dies spricht dafür, dass die endgültige Entscheidung zugunsten einer Ehescheidung von Frau C jedenfalls erst nach dem 09.04.2020 getroffen worden ist und schließlich ihren Niederschlag in dem Scheidungsantrag vom 15.07.2020 gefunden hat. Bei einer Gesamtwürdigung der vorgenannten Umstände hält es der Senat für angezeigt, für die Bestimmung des Zeitpunktes der Trennung auf das Datum der Einreichung des Scheidungsantrags abzustellen.

bb. Bestand bei summarischer Prüfung zwischen dem Antragsteller und der Zeugin C somit noch bis zum 14.07.2020 eine Bedarfsgemeinschaft, ist im Rahmen der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers für die Zeit vom 12.12.2019 - 14.07.2020 auch das Vermögen und Einkommen der Zeugin C zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dann fehlt es allerdings an der Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers. Der erforderliche Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht, solange konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Antragsteller über ausreichende Mittel verfügt, um sein menschenwürdiges Existenzminimum, insbesondere was den Regelbedarf betrifft, sicherzustellen (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.01.2014 - L 9 AS 2290/13 B ER, L 9 AS 2291/13 B - , juris).

In der Verwaltungsakte des Antragsgegners befinden sich Lohnabrechnungen der Zeugin C für die Monate November 2018 - Januar 2019, wonach diese ein monatliches Nettoeinkommen aus Erwerbstätigkeit zwischen 1.949,04 EUR und 1.989,53 EUR erzielt hat. In dem in der Verwaltungsakte ebenfalls enthaltenen Schreiben der Rechtsanwälte Q vom 28.01.2020 ist von einem Nettoeinkommen der Zeugin C in Höhe von 2.070 EUR monatlich die Rede. Bei dieser Ausgangslage ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner im Verwaltungsverfahren von der fehlenden Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang wird zunächst auf die Bedarfsberechnung des Antragsgegners, die im sozialgerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 02.04.2020 übersandt worden ist, sowie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 04.05.2020 Bezug genommen. Ist dem SGB II-Leistungsträger z.B. die Berufstätigkeit des Partners bekannt, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass er im Rahmen einer Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommt, eine Hilfebedürftigkeit sei zu verneinen, sofern eine Bedarfsunterdeckung der Bedarfsgemeinschaft weder (substantiiert) vorgetragen noch sonst ersichtlich ist (Blüggel in: Eicher, SGB II, 4. Auflage 2017, § 60 Rn. 61). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner die Zeugin C mit Auskunftsersuchen vom 19.02.2020 gemäß § 60 SGB II zu Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen angefordert hat. Diese Auskunft hat die Zeugin C mit Schreiben vom 15.03.2020 verweigert und dies damit begründet, dass sie nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers sei. Da nach Ausschöpfung der möglichen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen somit ungeklärt geblieben ist, ob die Zeugin C - neben dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit - ggf. über weiteres Einkommen oder über zu berücksichtigenden Vermögen im Sinne des § 12 SGB II verfügt, ist eine Entscheidung auf der Grundlage der Verteilung der materiellen Beweislast zu treffen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.01.2014 - L 9 AS 2290/13 B ER, L 9 AS 2291/13 B -, Rn. 14 juris). Diese fällt - einstweilen - zu Lasten des Antragstellers aus, der die materielle Beweislast (Feststellungslast) bezüglich des Bestehens und des Umfangs seiner Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungsberechtigung zu tragen hat (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.01.2014 - L 9 AS 2290/13 B ER, L 9 AS 2291/13 B -, Rn. 14 juris).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Hierbei berücksichtigt der Senat, dass die maßgebliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen (Scheidungsantrag) erst im laufenden Beschwerdeverfahren eingetreten ist und der Antragsgegner sich sodann im Beschwerdeverfahren zur Gewährung von SGB II-Leistungen ab dem 15.07.2020 bereit erklärt hat.

4. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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