L 7 AS 2052/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 50 AS 1368/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2052/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.11.2018 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte dem Kläger nach einem Umzug von März 2018 bis Juni 2018 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung oder nur die auf die Höhe der Aufwendungen für die frühere Wohnung beschränkten Kosten zu zahlen hat. Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil, mit dem das Sozialgericht dem Kläger weitere Leistungen in Höhe der tatsächlichen Kosten seiner Wohnung zugesprochen hat.

Der 1960 geborene, alleinstehende Kläger lebt in I. Er bezieht vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Kläger bewohnte ursprünglich die Wohnung I1-Str. 00 in I. Mit Bescheid vom 29.06.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen von Juli 2017 bis Juni 2018. Er berücksichtigte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für diese Wohnung iHv insgesamt 297,48 EUR (Grundmiete iHv 208 EUR, Betriebskosten iHv 37,20 EUR und Heizkosten iHv 52,28 EUR). Der Beklagte verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht über ein schlüssiges Konzept und legte für einen Ein-Personen-Haushalt als Angemessenheitsgrenze eine Bruttokaltmiete iHv 386,10 EUR zugrunde, die sich aus dem Höchstbetrag für Gemeinden der Mietenstufe 2 gemäß § 12 WoGG in der vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2019 gültigen Fassung vom 02.10.2015 (351 EUR) zuzüglich eines Sicherheitszuschlags iHv 10 % (35,10 EUR) ergibt. In der Fachbereichsverfügung der Stadt I "Angemessene Kosten der Unterkunft für Leistungsbezieher nach dem SGB II/SGB XII und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)", Stand 29.10.2015, heißt es, in I sei auf die Werte des § 12 WoGG zuzüglich eines angemessenen Sicherheitszuschlags als Angemessenheitsobergrenze abzustellen, weil die für die Erstellung eines schlüssigen Konzepts für erforderlich gehaltenen Daten auch unter Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nicht ermittelt werden könnten. Mit Bescheid vom 25.11.2017 bewilligte der Beklagte ab dem 01.01.2018 die erhöhte Regelleistung iHv 416 EUR monatlich.

Die Vermieterin des Klägers erhöhte ab dem 01.01.2018 die monatlichen Betriebskostenabschläge von 37,20 EUR auf 60 EUR. Die Heizkostenabschläge wurden auf 52,20 EUR abgesenkt. Mit Bescheid vom 27.12.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2018 daher Kosten der Unterkunft und Heizung iHv monatlich 320,20 EUR.

Am 28.12.2017 schloss der Kläger einen Mietvertrag über die Wohnung X-Ring 00 in I ab. Diese ist etwa einen Kilometer von der bisherigen Wohnung entfernt. Mietbeginn war der 01.01.2018. Die monatlichen Gesamtkosten für die neue Wohnung beliefen sich auf insgesamt 390 EUR (270 EUR Kaltmiete zuzüglich Vorauszahlungen für die Betriebs- und Heizkosten iHv jeweils 60 EUR). Der Kläger einigte sich mit seiner bisherigen Vermieterin über eine Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.01.2018 und gab dieser am 03.01.2018 die Schlüssel für die alte Wohnung zurück. Er übergab dem Beklagten am 04.01.2018 das Mietangebot für die neue Wohnung und beantragte eine Zusicherung für die Übernahme der diesbezüglichen Kosten. Der Beklagte lehnte die Erteilung der Zusicherung am 12.01.2018 bestandskräftig ab, weil der Kläger den Mietvertrag schon vor der Antragstellung abgeschlossen habe. Der Kläger zog anschließend in die neue Wohnung.

Mit Bescheid vom 06.02.2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen vom 01.03.2018 bis zum 30.06.2018 iHv insgesamt 736,20 EUR. Er berücksichtigte die Kosten der Unterkunft der Heizung weiterhin iHv 320,20 EUR, teilte diese jedoch anders auf (Grundmiete 200,20 EUR zuzüglich Neben- und Heizkosten iHv jeweils 60 EUR). Einen Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung berücksichtigte er nicht mehr. Er hob die Bescheide vom 29.06.2017, 25.11.2017 und 27.12.2017 im Umfang der Änderung auf. In der Begründung heißt es: "Der Mehrbedarf für Warmwasser wird nicht mehr berücksichtigt, gemäß eingereichter Anlage KdU".

Der Kläger erhob am 22.02.2018 Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.02.2018. Der Umzug sei notwendig gewesen. In dem Haus habe sich eine Dauerbaustelle befunden und der Hausflur sei ständig verschmutzt gewesen. Diese Umstände seien vom Vermieter trotz wiederholter Aufforderung nicht beseitigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Die Kosten der Unterkunft seien nicht Regelungsgegenstand dieses Bescheides gewesen. Der Bescheid habe sich nur auf den Wegfall des Mehrbedarfs für dezentrale Warmwassererzeugung bezogen.

Am 16.05.2018 hat der Kläger beim Sozialgericht Gelsenkirchen Klage gegen den Bescheid vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2018 erhoben. Da es sich bei dem Bescheid vom 06.02.2018 um den ersten Bescheid nach seinem Umzug handele, treffe dieser eine Regelung zu den Kosten der Unterkunft und Heizung. In der bisherigen Wohnung seien durch eine Dauerbaustelle permanent Lärm und Schmutz verursacht worden. Die Bruttokaltmiete seiner neuen Wohnung sei angemessen, denn sie bewege sich innerhalb der Angemessenheitsgrenzen des Beklagten.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Änderungsbescheides vom 06.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2018 zu verurteilen, ihm für die Zeit von März 2018 bis einschließlich Juni 2018 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung für die aktuell bewohnte Unterkunft (270 EUR Grundmiete zuzüglich 120 EUR Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung) zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Die vom Sozialgericht in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommene frühere Vermieterin des Klägers, Frau S Z, hat ausgesagt, der Kläger habe ihr um Weihnachten 2017 mitgeteilt, die Großmutter seiner Freundin sei verstorben und er könne in deren möblierte bisherige Wohnung einziehen. Der Kläger habe sie gebeten, ihm die Kündigung zu erklären. Sie habe ihm dann mitgeteilt, er solle die Kündigung mit einer Frist von drei Monaten selbst aussprechen. Im Januar 2018 sei der Kläger dann mit einer Sozialarbeiterin erschienen. Man habe sich auf den Kündigungstermin 31.01.2018 geeinigt und ein entsprechendes Schreiben unterzeichnet. Der Kläger habe ihr gesagt, er benötige dieses Schreiben für den Beklagten. Eine Dauerbaustelle mit Lärm habe es nicht gegeben. Nach Hochzeitsfeiern ihrer Tochter 2014 seien zwar Renovierungen durchgeführt worden, dabei habe es jedoch keine erheblichen Belästigungen oder Verschmutzungen gegeben. Der Kläger habe sich hierüber auch nicht beschwert.

Mit Urteil vom 06.11.2018 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2018 verurteilt, dem Kläger für März 2018 bis Juni 2018 Leistungen unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen. Regelungsgegenstand des Bescheides vom 06.02.2018 seien auch die Kosten der Unterkunft und Heizung, was sich insbesondere aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Einreichung des Mietvertrages und dem Erlass des Bescheides ergebe. Der Kläger habe einen Anspruch auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung X-Ring 00. Der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, eine Deckelung der Bedarfe auf die bisherigen Kosten der Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorzunehmen. Es könne dahinstehen, ob der Umzug erforderlich gewesen sei. Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift sei ein schlüssiges Konzept, über das der Beklagte nicht verfüge. Für die Anwendung der bis zum 31.07.2016 gültigen Fassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, die bereits ihrem Wortlaut nach nur Fälle einer Erhöhung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erfasse, sei nach ständiger Rechtsprechung des BSG die zutreffende Ermittlung einer Angemessenheitsgrenze Voraussetzung gewesen. Die vom Beklagten praktizierte Orientierung der Angemessenheitsgrenzen an den Höchstwerten des § 12 WoGG stelle keine zutreffende Ermittlung in diesem Sinne dar, weil diese nur eine Ausweichlösung beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts und im Falle der Unmöglichkeit eines Rückgriffs auf andere Erkenntnisquellen darstelle. Auch nach der Gesetzesänderung zum 01.08.2016, mit der der Begriff der "Angemessenheit" in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II gestrichen worden sei, sei eine anderweitige Beurteilung nicht geboten. Der Gesetzgeber habe ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich klarstellen wollen, dass die Vorschrift auch bei einem Umzug von einer angemessenen in eine unangemessene Wohnung greife.

Am 06.12.2018 hat der Beklagte Berufung gegen das ihm am 03.12.2018 zugestellte Urteil erhoben. Er trägt vor, mit der Neufassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei die Rechtsprechung des BSG nicht mehr anwendbar. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dieser mit der Streichung des Wortes "angemessen" bewusst die Grundlage habe entziehen wollen. Eine Dynamisierung habe erst ab dem 01.01.2020 zu erfolgen, weil erst zu diesem Zeitpunkt die Tabellenwerte der Wohngeldtabelle erhöht worden seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.11.2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich maßgeblich auf das erstinstanzliche Urteil.

Mit Beschluss vom 29.04.2019 ist über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beklagten zur Übernahme weiterer Kosten der Unterkunft des Klägers für März 2018 bis Juni 2018 verurteilt.

Streitgegenstand des Verfahrens ist ein höherer Anspruch des Klägers auf Kosten der Unterkunft und Heizung von März 2018 bis Juni 2018 unter entsprechender Änderung des Bescheids vom 06.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2018.

Das Verfahren ist trotz der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers nicht gemäß §§ 202 SGG, 240 Abs.1 Satz 1 ZPO unterbrochen, weil die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht die Insolvenzmasse betreffen. Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Nur im Umfang ihrer Pfändbarkeit gehören dem Schuldner zustehende Sozialleistungen zur Insolvenzmasse (Hessisches LSG Urteil vom 03.08.2016 - L 5 R 123/15, Bayerisches LSG Urteil vom 23.04.2013 - L 20 R 819/09). Die streitgegenständlichen Leistungen können gem. § 42 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der ab 01.08.2016 gF nicht gepfändet werden.

Die Klage ist zulässig. Das hierfür erforderliche Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ist durchgeführt worden. Entgegen der Auffassung des Beklagten trifft der Bescheid des Beklagten vom 06.02.2018 eine Regelung über die streitigen Kosten der Unterkunft. Zwar bleibt die Gesamtsumme der bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung im Vergleich zu den mit den Bescheiden vom 29.06.2017 und 27.12.2017 bewilligten Leistungen gleich. Der Bescheid ist in Anbetracht der Umstände bei seinem Erlass aber als Teilablehnung der geltend gemachten höheren Kosten der Unterkunft und Heizung aufzufassen, denn es handelt sich um den ersten Bescheid nach dem Umzug des Klägers und seiner Vorsprache im Januar 2018. Der eigenständige Regelungscharakter des Bescheides ergibt sich auch daraus, dass der Beklagte Bestandteile der Unterkunfts- und Heizkosten in der Darstellung anders aufgeteilt und insbesondere die Kaltmiete auf den Betrag von 200,20 EUR reduziert.

Die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Zutreffend bewilligt der Beklagte mit diesem Bescheid Unterkunfts- und Heizkosten weiterhin iHv 320,20 EUR. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs. Er ist erwerbsfähiger Leistungsberechtigter iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, hatte im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht vollendet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), war erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Leistungsausschlussgründe liegen nicht vor. Deshalb steht ihm ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Leistungen umfassen den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der ab 01.08.2016 gF des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - vom 26.07.2016 (BGBl I 1824) wird nur der bisherige Bedarf anerkannt, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.

Der Beklagte hat gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu Recht die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für die vom Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum bewohnte Wohnung X-Ring 00 auf die Kosten der zuvor bewohnten Wohnung I1-Str. 00 beschränkt.

Der Umzug war nicht erforderlich. Es lag kein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund für den Wohnungswechsel vor, von dem sich ein Nichthilfebedürftiger liegen lassen würde (vgl. hierzu BSG Urteil vom 17.02.2016 - B 4 AS 12/15 R). Lärm und Verschmutzung im Hausflur durch eine Baustelle sind ohne hinzutretende, hier nicht ersichtliche Umstände wie besondere Intensität, lange Zeitdauer und den vergeblichen Versuch einer Behebung kein entsprechender Grund. Die Vermieterin hat den diesbezüglichen Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht überdies nicht bestätigt. Vielmehr habe der Kläger selbst auf die Kündigung gedrängt, weil er die Absicht gehabt habe, in die möblierte Wohnung der verstorbenen Großmutter seiner Freundin einzuziehen. Es besteht kein Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage zu zweifeln. Die von der Zeugin benannte schriftliche Vereinbarung über die Kündigung findet sich in der Verwaltungsakte des Beklagten. Es ergibt sich auch kein Anhalt dafür, dass der Kläger vor seinem Auszug beim Beklagten Probleme mit seiner früheren Wohnung angesprochen oder einen Umzugswunsch geäußert hat.

Der Beschränkung der Kosten der Unterkunft und Heizung auf den Betrag von 320,20 EUR steht nicht entgegen, dass der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht über ein schlüssiges Konzept zur Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung verfügt, sondern sich an den Höchstbetragen gemäß § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlags iHv 10% orientiert.

Die auf Wortlaut und Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II gestützte Rechtsprechung des BSG, wonach die Anwendung der Norm ein schlüssiges Konzept des Trägers zur Ermittlung des angemessenen Bedarfs für die Unterkunft voraussetzt (vgl. hierzu BSG Urteile vom 17.02.2016 - B 4 AS 12/15 R und vom 29.04.2015 - B 14 AS 6/14 R), ist auf die zum 01.08.2016 in Kraft getretene, hier einschlägige Fassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht mehr anwendbar (so auch Lau in: Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, Stand der Ergänzungslieferung Oktober 2017, § 22 Rn. 94, Berlit in: Münder, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn. 107; in diesem Sinne auch Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 22 Rn. 116; für eine Anwendbarkeit dagegen Lauterbach in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand der Ergänzungslieferung März 2019, § 22 SGB II Rn. 84 ff.). Vielmehr ist bei fehlender Erforderlichkeit des Umzugs auf einen reinen Vergleich zwischen den Kosten der alten und der neuen Wohnung abzustellen.

Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG Urteil vom 19.03.2013 - 2 BvR 2628/10 Rn. 66 f). In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien finden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen. Die Beachtung des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers ist Ausdruck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit. Dies trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung. Das Gesetz bezieht seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mit bestimmt. Jedenfalls darf der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht übergangen oder verfälscht werden (BVerfG Beschluss vom 06.08.2018 - 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 Rn. 74 f.).

Die Auffassung, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II setze ein schlüssiges Konzept des zuständigen Trägers voraus, lässt sich aus dem insoweit offenen Wortlaut der Norm nicht mehr ableiten. Die Argumentation, die Vorschrift fordere eine Erhöhung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung und zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit müsse unter Berücksichtigung von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II der anzuerkennende Mietpreis unter Berücksichtigung der örtlichen Besonderheiten zutreffend ermittelt worden sein (vgl. hierzu BSG Urteile vom 17.02.2016 - B 4 AS 12/15 R und vom 29.04.2015 - B 14 AS 6/14 R), findet nach der Streichung des Begriffs "angemessenen" in der Neufassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II keine Stütze mehr.

Die Erforderlichkeit eines schlüssigen Konzepts ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck der Vorschrift. Soweit ausgeführt wird, mit der Regelung sollten die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen, was eine Feststellung zutreffender Angemessenheitsgrenzen voraussetze (vgl. auch hierzu BSG Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 6/14 R, so auch ausdrücklich niedergelegt in BT-Drs. 16/1410 vom 09.05.2006 S. 23 zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Erstfassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II) lässt sich dies nicht mehr mit der am 01.08.2016 in Kraft getretenen Neufassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Übereinstimmung bringen. Die Norm soll sowohl Umzüge in angemessene als auch in unangemessene Wohnungen erfassen (BT-Drs. 18/8041 S. 40). Werden von der Vorschrift auch Umzüge in unangemessene Wohnungen erfasst, wird eine zutreffende Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen für ihre Anwendung entbehrlich.

Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht aus der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch &8210; Rechtsvereinfachung (BT-Drucks. 18/8041) ableiten. Dort wird zur hier maßgeblichen Änderung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit der Streichung des Wortes "angemessenen" ausgeführt: "Zieht eine leistungsberechtigte Person ohne Zusicherung von einer angemessenen Wohnung in eine ebenfalls angemessene, aber teurere Wohnung, werden nach dem bisherigen Wortlaut des § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II nur die bisherigen Aufwendungen als Bedarf anerkannt. Sofern eine leistungsberechtigte Person hingegen aus einer angemessenen in eine unangemessene Wohnung umzieht, bestehen Unsicherheiten, ob mangels anderslautender Regelung die (vollen) angemessenen Aufwendungen als Bedarf anzuerkennen sind, sich also der anzuerkennende Bedarf erhöht. Die Änderung stellt klar, dass der Bedarf auch dann nur in Höhe der bisherigen Aufwendungen anerkannt wird, wenn ein Umzug innerhalb eines Wohnungsmarktes ohne Zusicherung von einer angemessenen in eine unangemessene Wohnung erfolgt." Zu der Frage, ob hiermit auch der Rechtsprechung des BSG zur Notwendigkeit eines schlüssigen Angemessenheitskonzepts für die Anwendung der Deckelungsvorschrift entgegen getreten werden soll, äußert sich die Gesetzesbegründung nicht. Allein hieraus kann jedoch - abweichend zur angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts - nicht geschlossen werden, dass diese Rechtsprechung unberührt bleiben soll. Zwar kommt den Gesetzesmaterialien - wie ausgeführt - bei offenem Wortlaut der Vorschrift eine erhebliche Bedeutung für die Auslegung zu. Vorliegend enthalten die Materialien aber gerade keinen artikulierten, klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Sie verhalten sich zu der Frage, ob trotz der Veränderung des Wortlauts der Vorschrift weiterhin eine Deckelung nur bei Vorliegen eines schlüssigen Konzepts zulässig sein soll, überhaupt nicht. Aus dem bloßen Schweigen von Gesetzesmaterialien lässt sich - anders als ggfs bei ausdrücklichen Ausführungen des Gesetzgebers zu einer beabsichtigten Regelungswirkung einer Norm - keine Auslegung ableiten, die sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht einmal im Ansatz ergibt.

Dem Auslegungsergebnis steht nicht entgegen, dass an der Beschränkung der Anwendung der Deckelungsvorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nur auf Umzüge innerhalb des Vergleichsraums (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.04.2010 - B 4 AS 60/09 R, Luik in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 22 Rn. 119) auch nach der Neufassung der Norm festzuhalten ist. Denn eine solche Beschränkung der Regelungswirkung gründet sich nach der Rechtsprechung des BSG nicht nur auf die Verwendung des Wortes "angemessenen", sondern ist hiernach auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 GG iVm Art. 11 Abs. 1 GG geboten. Eine Anwendung von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf vergleichsraumübergreifende Umzüge würde nach dieser Rechtsprechung zu einer Benachteiligung von Hilfebedürftigen führen, die in einem durch ein niedriges Mietpreisniveau geprägten Vergleichsraum leben. Diese wären im Gegensatz zu in Vergleichsräumen mit einem hohen Mietniveau lebenden Leistungsbeziehern an einer freien Wohnortwahl gehindert. Eine hinreichende Rechtfertigung für eine solche Ungleichbehandlung sei nicht vorhanden (vgl. hierzu ausführlich BSG Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 60/09 R; zur freien Wohnortwahl von Empfängern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R). An diesen Erwägungen ändert sich (ungeachtet der Frage, ob sie nicht auch auf Umzüge innerhalb von Vergleichsräumen anwendbar sind und eine entsprechende Differenzierung daher nur schwer zu begründen vermögen) durch die Neufassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nichts.

Zudem folgt eine entsprechende Beschränkung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nunmehr auch aus § 22 Abs. 4 SGB II in der ab 01.08.2016 gF. Die Erforderlichkeit des Umzugs ist für die Zusicherung des nunmehr für die neue Unterkunft zuständigen kommunalen Trägers zur Übernahme der Unterkunftskosten seit der Neufassung der Vorschrift ebenfalls durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch &8210; Rechtsvereinfachung nicht mehr Voraussetzung. Ausreichend ist, dass die Kosten für die neue Unterkunft nach den dortigen Kriterien angemessen sind. Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, dass die Deckelungsvorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II bei nicht erforderlichen Umzügen nur auf Umzüge innerhalb des Zuständigkeitsbereichs eines Trägers Anwendung findet (BT-Drs. 18/8041 S. 40).

Der Umzug des Klägers ist innerhalb des Vergleichsraums erfolgt. Der Vergleichsraum ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (vgl. nur BSG Urteil vom 30.01.2019 - B 14 AS 24/18 R). An der Zuordnung beider Wohnungen des Klägers zu einem einheitlichen Vergleichsraum besteht angesichts der Entfernung von nur etwa einem Kilometer und der Lage im Innenstadtbereich von I kein Zweifel.

Der Beklagte hat als bisherigen Bedarf iSd § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zutreffend die letzten Kosten der alten Unterkunft des Klägers iHv insgesamt 320,20 EUR berücksichtigt. Eine Anpassung der Kosten im Wege einer Dynamisierung (hierzu BSG Urteile vom 17.02.2016 - B 4 AS 12/15 R und vom 29.04.2015 - B 14 AS 6/14 R) hat nicht zu erfolgen, denn der Beklagte hat bei seiner Bewilligung die für die alte Wohnung gerade erst zum 01.01.2018 erhöhten Kosten der Unterkunft zugrunde gelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved