L 8 SO 132/20 B ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 23 SO 34/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 8 SO 132/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. August 2020 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Gewährung eines persönlichen Budgets einschließlich einer Budgetassistenz im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens.

Die 1973 geborene Antragstellerin leidet seit ca. 18 Jahren unter Multipler Sklerose, die inzwischen sekundär progredient verläuft, und choreatisch-athetotischen Bewegungsstörungen mit spastischen Paresen. Sie hat vier Kinder aus einer früheren Beziehung, von denen 2010 zwei zu ihrem geschiedenen Ehemann gezogen sind. Die Antragstellerin lebt zusammen mit ihrem Ehemann und ihrem volljährigen Sohn in einem 180 qm großen, noch mit zwei Darlehen belasteten Eigenheim in D ... Bei ihr besteht ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen B, aG, G und H sowie der Pflegegrad 5. Die Pflege wird vom Ehemann der Antragstellerin bewerkstelligt, der nach derzeitigem Kenntnisstand Arbeitslosengeld I bezieht und zugleich als ihr Betreuer bestellt ist. Die Antragstellerin erhält neben ihrer Rente in Höhe von 1.020,04 EUR Pflegegeld von 901,00 EUR monatlich sowie Entlastungsleistungen durch die Pflegeversicherung von 208,00 EUR, die als Kostenbeitrag zu der von ihr grundsätzlich werktäglich besuchten Tagespflege (bei Kosten von 1.995,00 EUR monatlich) in der Zeit von 8.30 Uhr bis 16.00/16.30 Uhr bzw. aktuell 15.30 Uhr eingesetzt werden. Daneben wird - je nach Bedarf - Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege in Anspruch genommen.

Am 20.6.2019 beantragte die Antragstellerin erstmalig bei dem Antragsgegner die Gewährung eines persönlichen Budgets zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und einer Budgetassistenz durch die E. Budgetassistenz mit der Begründung, der Ehemann, der ihre Pflege, soweit sie nicht die Tagespflege besuche, vollständig allein bewerkstellige, sei am Ende seiner Kräfte. Beide würden ein Stück Normalität benötigen. Sie würden sich wünschen, gemeinsam Freunde und Familie besuchen zu können. Er benötige jemanden, der sie umsorge, damit er sich dann mit anderen Sozialkontakten unterhalten könne.

Am 3.7.2019 fand ein gemeinsames Gespräch zwischen dem Antragsgegner und dem Ehemann der Antragstellerin unter ihrer zeitweiligen Anwesenheit in der Tagespflege des "F." zur Besprechung des Hilfebedarfs statt. Mit Bescheid vom 29.8.2019 lehnte der Antragsgegner den Antrag vom 20.6.2019 ab. Den hiergegen am 2.10.2019 eingegangenen Widerspruch der Antragstellerin verwarf der Antragsgegner mit Widerspruchbescheid vom 4.10.2019 als unzulässig.

Daraufhin beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.10.2019, bei dem Antragsgegner eingegangen am 6.11.2019, erneut die Bewilligung eines persönlichen Budgets in Form von werktäglich vier Stunden für eine Freizeitassistenz und 16 Stunden am Wochenende zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, da der vorausgegangene Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid leider zu spät bei dem Antragsgegner eingegangen sei. Ferner beantragte sie eine Budgetassistenz durch die Firma E. Budgetassistenz. Bevor sie zur Tagespflege gebracht werde, übernehme ihr Ehemann die Grundpflege. Nach ihrer Rückkehr aus der Tagespflege betreue er sie vollumfänglich. Dies beanspruche ihn psychisch und physisch sehr stark. Für eigene Sozialkontakte benötige er eine Betreuung der Antragstellerin. Sie solle auch die Möglichkeit erhalten, einen Spaziergang mit einer Begleitperson zu machen oder verschiedene Veranstaltungen besuchen zu können, um selbstbestimmt leben zu können.

Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag, den er als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X wertete, mit Bescheid vom 11.11.2019 ab, da Grund des Antrages nach dem Eindruck aus dem Gespräch vom 3.7.2019 der Wunsch auf Entlastung in der häuslichen Pflegesituation sei, was keinen Eingliederungshilfebedarf darstelle. Dieser Bedarf sei durch Leistungen der Pflegeversicherung und ggf. ergänzend durch Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu decken. Eingliederungshilfebedarfe seien nicht geäußert worden, so dass der Abschluss einer Zielvereinbarung, die Voraussetzung für die Gewährung eines persönlichen Budgets sei, nicht möglich sei. Zwar sei im Rahmen der Antragstellung der Bedarf durch Unternehmung von Spaziergängen und Teilnahme an Veranstaltungen präzisiert worden, im Gespräch vom 3.7.2019 seien solche Bedarfe aber verneint worden. Im Übrigen gehöre die reine Begleitung bei Spaziergängen oder zu Veranstaltungen zu den Leistungen der Pflege. Zudem sei in einem Antrag auf Zuschuss zu einem behindertengerechten Pkw angegeben worden, dass der Ehemann die Antragstellerin zu Veranstaltungen mitnehmen wolle, so dass eine Assistenz nicht erforderlich sei. Hinsichtlich der Möglichkeiten der Unterstützung im Rahmen der Hilfe zur Pflege werde empfohlen, sich an die dort zuständige Sachbearbeiterin zu wenden. Mit ihrem am 3.12.2019 eingelegten Widerspruch wandte die Antragstellerin ein, dass es im Rahmen des Gesprächs am 3.7.2019 zu einem Missverständnis gekommen sei. Es gehe vor allem darum, dass sie bei Besuchen von Freunden und Bekannten dabei sein könne. Dies könne ihr Ehemann nicht alleine leisten. Zudem wolle sie auch ohne ihren Ehemann - wie in einer normalen Ehe - Kontakte zu Nachbarn pflegen und an Veranstaltungen sowie am Dorfleben teilnehmen können. Insbesondere der Kontakt zu ihren Kindern solle ohne ihn möglich sein. Auch würden sich beide wünschen, auf Augenhöhe an Veranstaltungen teilnehmen zu können, ohne dass der Ehemann sich in der Versorgerrolle befinde. Zudem seien die Entlastungsleistungen der Tagespflege verbraucht. Während der Unterbringung in der Tagespflege müsse ihr Ehemann dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bislang seien Besuche kultureller Veranstaltungen nicht möglich gewesen. Auch müsse Berücksichtigung finden, dass sich Einladungen oder Verabredungen sowie Ausfälle der Tagespflege oft nicht so lange im Voraus planen lassen. Daher würde sie ein Netzwerk an Assistenz benötigen. Eine Weiterleitung im Hinblick auf Möglichkeiten der Hilfe zur Pflege nach § 14 SGB IX sei unterblieben.

Der Antragsgegner hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.4.2020 zurückgewiesen. Der geltend gemachte Bedarf während der Woche umfasse die Überbrückungszeit von Morgenpflege und dem Abholen zum Besuch der Tagespflegestätte bzw. den Zeitraum nach dem Nachhausekommen bis zur Abendpflege. Auch der für die Wochenenden geltend gemachte Zeitraum lasse darauf schließen. Die begehrten Aktivitäten könnten kaum einen entsprechenden Umfang einnehmen, die der Antragstellerin in diesem Umfang auch nicht zumutbar seien. Soweit Unterstützung für Spaziergänge oder Familien- bzw. Veranstaltungsbesuche begehrt werde, bestünde eine Deckungsmöglichkeit im Rahmen von Entlastungsleistungen (§ 45b SGV XI) nach dem Pflegeversicherungsrecht. Der selbst anderweitig bestimmte Verbrauch begründe keinen Eingliederungshilfeanspruch. Möglichkeiten der Hilfe zur Pflege seien bereits aufgezeigt worden, aufstockende Pflegegeldleistungen - wie begehrt - gebe es nach dem SGB XII aber nicht. Ergänzende Pflegesachleistungen nach voller Ausschöpfung der Leistungen nach § 36 SGB XII würden von der Antragstellerin abgelehnt. Unterstützung für eine privat gesuchte Hilfskraft gebe es jedoch nicht.

Am 30.4.2020 hat die Antragstellerin Klage vor dem SG Oldenburg (- S 23 SO 86/20 -) erhoben. Zudem hat sie beim SG am 2.7.2020 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem sie ein persönliches Budget und Budgetassistenz durch die Firma E. Budgetassistenz in einem zeitlichen Umfang von vier Stunden werktäglich und 16 Stunden an den Wochenenden begehrt. Ihr Ehemann habe keinerlei Erholungsphasen aus seiner aufopfernden Tätigkeit und leide an starker Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Antriebsverlust. Durch das persönliche Budget möchte sie selbst Personal in Zusammenarbeit mit der Firma E. Budgetassistenz beschäftigen und ihren Ehemann so entlasten können. Eine schriftliche Vereinbarung des Dienstes sei nach § 123 Abs. 2 SGB IX nicht erforderlich, da der Antragsgegner der Antragstellerin nicht vorschreiben könne, wie sie ihr persönliches Budget verwende. Im Übrigen sei sie bereit, einen Dienst zu wählen, der eine solche Vereinbarung abgeschlossen hat. Gleichzeitig möchte sie die Möglichkeit erhalten, unabhängig von der Hilfe ihres Ehemannes Spaziergänge vorzunehmen, Kontakt mit ihren vier Kindern aufzunehmen, Ärzte aufzusuchen, an Veranstaltungen teilzunehmen, Geburtstagseinladungen folgen zu können oder Verabredungen mit eigenen Freunden zu treffen oder Veranstaltungen auf Augenhöhe mit dem Ehemann zu besuchen. Der Antragsgegner habe den Antrag vom 25.10.2019 fehlerhaft lediglich als Überprüfungsantrag gewertet, da dieser auch als neuer, auf die Zukunft gerichteter Antrag zu verstehen gewesen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sich die Rechtslage ab dem 1.1.2020 durch das BTHG erheblich geändert habe, aus dem sich ein unmittelbarer Anspruch ergebe. Ihr müsse ermöglicht werden, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Leistungen zur sozialen Teilhabe seien umfassend, so dass sie nicht auf den Leistungskatalog der Pflegeversicherung verwiesen werden könne, zumal eine Weiterleitung nach § 14 SGB IX unterblieben sei. Ein Antrag bei der Pflegekasse sei mangels Erfolgsaussicht nicht gestellt worden, da sie von dort bereits alle verfügbaren Leistungen erhalte. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass der Ehemann am Ende sei und sich nicht mehr so aufopferungsvoll wie bisher um sie kümmern könne.

Der Antragsgegner hat eingewandt, dass kein eingliederungshilferechtlicher Anspruch der Antragstellerin bestehe, der sich insbesondere nicht aus dem BTHG herleiten lasse, da dies als Artikelgesetz keine Rechtsgrundlage darstelle. Die Schwerstpflegebedürftigkeit und die umfassende Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin werde nicht in Abrede gestellt. Die erforderlichen Hilfen seien jedoch der Hilfe zur Pflege zuzuordnen, zumal seit der Pflegerechtsreform auch niederschwellige Angebote zur Teilhabe am Leben zur Pflege zählen würden. Hierfür würden Entlastungsbeiträge durch die Pflegeversicherung geleistet. Ohne vollständigen Verbrauch der Leistungen der Pflegekasse, was von der Antragstellerin wegen des weiter begehrten Bezugs des Pflegegeldes abgelehnt würde, würde Hilfe zur Pflege ausscheiden. Ein Eingliederungshilfebedarf, der eine bloße Betreuung/Pflege/Begleitung übersteige, sei nie geltend gemacht worden. Der Pflegebedarf stehe im Vordergrund. Eine Budgetassistenz zusätzlich zu einem persönlichen Budget sei zudem nicht vorgesehen, diese Nebenkosten würden in das Budget mit eingerechnet. Leistungen für einen solchen Dienst können auch nur dann übernommen werden, wenn der Dienst eine Vereinbarung mit dem zuständigen Eingliederungshilfeträger - seit dem 1.1.2020 das Land Niedersachsen - geschlossen hat, an der es fehle.

Das SG Oldenburg hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 6.8.2020 abgelehnt, da der streitige Bedarf der Hilfe zur Pflege zuzuordnen sei. Eine Aufstockung der Pflegeversicherungsleistungen über die Hilfe zur Pflege sei jedoch nur möglich, wenn die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung vollständig verbraucht seien. Ein entsprechender Antrag sei bei der Pflegekasse - soweit ersichtlich - bislang nicht gestellt. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens sei völlig offen.

Mit der hiergegen am 28.8.2020 eingelegten Beschwerde wendet die Antragstellerin ein, allein der Antragsgegner sei als erstangegangener Träger zuständig, eine Antragstellung bei der Pflegekasse sei nicht erforderlich. Nicht nachvollziehbar sei, auf welcher Grundlage das SG davon ausgehe, dass Ansprüche nach dem SGB IX dem BTHG vorgehen würden. Die benötigten spezifischen Leistungen würden allein von der Firma E. Budgetassistenz angeboten.

Mit Beschluss vom 9.9.2020 ist die zuständige Pflegekasse zu dem Beschwerdeverfahren beigeladen worden, die vorträgt, bereits alle verfügbaren Leistungen zu gewähren. Im Übrigen habe der Antragsgegner nach § 14 SGB XII als erstangegangener Rehabilitationsträger zu entscheiden. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass die bislang gewährten Leistungen nach dem SGB XI in ein persönliches Budget umgewandelt werden sollten.

Der Antragsgegner wendet ein, das SG habe zutreffend erkannt, dass eine Aufstockung von Pflegeversicherungsleistungen nicht in Betracht komme, soweit solche nicht vollständig erbracht wurden. Eine Verpflichtung aus § 14 SGB IX auf Weiterleitung des Antrages an die Pflegekasse habe sich nicht ergeben, da diese kein Rehabilitationsträger im Sinne der Vorschrift sei. Eine Verpflichtung des Antragsgegners nach den Vorschriften des Pflegeversicherungsrechts ergebe sich mithin nicht.

Die Firma E. Budgetassistenz hat auf gerichtliche Nachfrage mit Schreiben vom 22.10.2020 unter Vorlage ihres Konzeptes mitgeteilt, dass Budgetbeauftragter der Eingliederungshilfeträger sei. Durch die Protokollierung etwaiger Leistungen werde nachvollzogen werden können, welchem Leistungskomplex die erbrachte Leistung zuzuordnen sei. Der Bedarf der Antragstellerin an Pflege (etwa 2/3) sei größer als der Bedarf an Eingliederungshilfe (etwa 1/3), der täglich mit zwei bis drei Stunden, an freien Tagen noch höher zu bewerten sei. Es sei der Wunsch, die Antragstellerin auch mal mit zum Einkaufen zu nehmen oder Shopping-Ausflüge und Familienbesuche machen zu können. Eine Leistungsvereinbarung bestehe nicht. Die Budgetassistenzleistungen müssten in das persönliche Budget reingerechnet werden.

Der Antragsgegner hat daraufhin eine Liste der zugelassenen Entlastungsdienste in seinem Kreisgebiet (Bl. 96 ff. Gerichtsakte) vorgelegt. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass eine Vergütungsvereinbarung mit dem Land Niedersachsen zu schließen wäre. Sollte die Firma E. Budgetassistenz auch Leistungen nach § 45b SGB XI anbieten wollen, müsse insoweit eine Vereinbarung mit der Pflegekasse geschlossen werden.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Hauptsacheverfahrens S 23 SO 86/20 und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Das streitige Rechtsverhältnis liegt in dem bei dem SG Oldenburg anhängigen Klageverfahren (- S 23 SO 86/20 -) gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 11.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.4.2020 begründet. Da dieser vom Antragsgegner und damit von einem (seit dem 1.1.2020) unzuständigen Träger erlassen wurde, ist er rechtswidrig (dazu gleich). Angemerkt sei, auch wenn dies für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren, mit dem keine Kostenübernahme für die Vergangenheit begehrt wird, keine Relevanz hat, dass die Antragstellerin, soweit der Antragsgegner den Antrag vom 25.10.2019 zugleich als Überprüfungsantrag im Sinne des § 44 SGB X ausgelegt hat, hierdurch nicht benachteiligt ist, da der Antragsgegner daneben über einen aktuellen Anspruch auf ein persönliches Budget entschieden hat. Die Beteiligtenstellung des Antragsgegners ändert sich durch das Inkrafttreten von Teil 2 des SGB IX zum 1.1.2020 nicht, da er für die begehrten Leistungen seit dem 1.1.2020 die sog. Wahrnehmungszuständigkeit besitzt. Sachlich zuständiger Leistungsträger (vgl. § 94 Abs. 1 SGB IX i.V.m. §§ 4 Abs. 2 Nr. 1, 6 Abs. 4 Nds. AG SGB IX/XII vom 24.10.2019 - Nds. GVBl. Nr. 18/2019, S. 300 -) für die begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des persönlichen Budgets ist das Land Niedersachsen, das als überörtlicher Träger der Eingliederungshilfe den Antragsgegner als örtlichen Träger (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nds. AG SGB IX/XII) im Rahmen der sog. Wahrnehmungszuständigkeit herangezogen hat (§ 6 Abs. 4 Nds. AG SGB IX/XII -), der damit über die Leistungen im eigenen Namen entscheidet. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, die Antragstellerin lebt seit der ersten Antragstellung im Kreisgebiet des Antragsgegners. Allerdings liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 11.11.2019 bei dem Land Niedersachsen, vertreten durch das Nds. Landesamt für Soziales, Jugend und Familie, und hätte mithin nicht durch den Antragsgegner erfolgen dürfen. So entscheidet gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG die nächsthöhere Behörde, wenn dem Widerspruch nicht abgeholfen wird. Eine landesgesetzliche Regelung zur Wahrnehmung der Widerspruchszuständigkeit durch die örtlichen Träger ist in Niedersachsen im Eingliederungshilferecht, anders als im Sozialhilferecht (nach § 99 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 6 Abs. 6 Nds. AG SGB IX/SGB XII), nicht getroffen worden. Auf das vorliegende Verfahren hat dieser Wechsel der Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde jedoch keine Auswirkungen, da das einstweilige (und das Hauptsache-) Verfahren von Vornherein gegen den Antragsgegner gerichtet worden ist, der die Wahrnehmungszuständigkeit besitzt. Auch im Hauptsacheverfahren bleibt der Antragsgegner richtiger Beteiligter, da er sowohl den Ausgangs- als auch den Widerspruchsbescheid erlassen hat und der Erlass des Ausgangsbescheides für die Frage der Beteiligtenstellung entscheidend ist (vgl. Rechtsgedanken des § 78 Abs. 1 VwGO). Die Änderungen zum 1.1.2020 führen lediglich dazu, dass der Antragsgegner auch die neue Rechtslage nach dem SGB IX bei Erlass des Widerspruchsbescheides hätte prüfen müssen.

Die im Hauptsacheverfahren (u.a.) angefochtene Ablehnung des Leistungsantrags vom 25.10.2019, eingegangen am 6.11.2019, hat sich nicht durch das Inkrafttreten des Rechts der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX zum 1.1.2020 und den Wegfall der Zuständigkeit des Antragsgegners als örtlicher Träger der Sozialhilfe auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 25.6.2020 - B 8 SO 36/20 B - juris Rn. 9; Siefert, ZAP 2020, 359, 360 f.; Groth, jurisPR-SozR 19/2020 Anm. 5 und Eicher in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2020, Anhang zu § 19 SGB XII Rn. 2, 2.2.). Die Einführung der neuen Leistungen der Eingliederungshilfe mit einer neuen Trägerschaft berührt grundsätzlich nicht eine bereits nach § 14 SGB IX (in der Zeit bis 31.12.2019) begründete Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers, der (im Außenverhältnis) gegenüber dem Menschen mit Behinderung umfassend für die erforderlichen Rehabilitationsleistungen zuständig geworden ist (vgl. zur sog. "aufgedrängten" Zuständigkeit Ulrich in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 39 m.w.N.). Für ein Fortwirken der bereits nach § 14 SGB IX begründeten Zuständigkeit bei einem Wegfall der Eigenschaft als Rehabilitationsträger i.S. des § 6 SGB IX reicht es damit aus, dass der (bislang zuständige) Rechtsträger - wie hier (dazu gleich) - weiterhin Rehabilitationsträger i.S. des § 6 SGB IX ist. § 14 SGB IX regelt die Zuständigkeitserklärung zwischen verschiedenen Rehabilitationsträgern, wobei die Bezeichnung "Träger", die im Sinne einer rechtsfähigen juristischen Person zu verstehen ist, deutlich macht, dass es sich um unterschiedliche juristische Personen des öffentlichen Rechts handeln muss, damit von einem Zuständigkeitskonflikt im Sinne der Vorschrift die Rede sein kann (so schon Senatsurteil vom 29.10.2015 - L 8 SO 122/12 - juris Rn. 28). Abgesehen von Fällen der zielgerichteten Zuständigkeitsanmaßung genügt es für die Anwendung des § 14 SGB IX, dass der Rechtsträger überhaupt Träger von Leistungen zur Teilhabe und damit ein Rehabilitationsträger i.S. des § 6 SGB IX ist (in diese Richtung wohl auch BSG, Urteil vom 4.4.2019 - B 8 SO 11/17 R - juris Rn. 13; vgl. auch § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, der allein auf den Antrag auf "Leistungen zur Teilhabe" abstellt). Die Änderung oder das Inkrafttreten eines für einen (neuen) Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzes i.S. des § 7 Abs. 1 SGB IX führt insoweit nur dazu, dass der nach § 14 SGB IX bereits zuvor zuständig gewordene Rehabilitationsträger ggf. auch nach diesen Rechtsgrundlagen über die beantragte Teilhabeleistung zu entscheiden hat (s.o).

Anders als bei einer möglichen Zäsur bei der Abschaffung einer Sozialleistung und der Einführung einer anderen (zur Ablösung der Alhi durch das SGB II vgl. etwa BSG, Urteile vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - juris Rn. 18 und - B 11b AS 3/06 R - juris Rn. 13 f.) bewirkt § 14 SGB IX im Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zugunsten des Menschen mit Behinderung eine Kontinuität (im rechtlichen Sinn) durch die verbindlich festgelegte Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers (im Ergebnis ebenso Groth, a.a.O.). Auf das Inkrafttreten des SGB IX zum 1.1.2020 hat der Antragsgegner als örtlicher Träger der Eingliederungshilfe entschieden. Damit ist eine Übernahme des Falles durch die Fachbehörde des Antragsgegners als Träger der Eingliederungshilfe, der zugleich auch Träger der Sozialhilfe ist (Trägeridentität), erfolgt, der nach neuem Recht (vgl. § 103 Abs. 2 SGB IX) die Sache vollumfänglich zu beurteilen und dabei auch über Hilfen zur häuslichen Pflege nach dem SGB XII zu entscheiden hat, zumal der Bezug von Pflegegeld aufstockende Hilfen zur Pflege nach dem SGB XII nicht ausschließt (vgl. Meßling in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 63b Rn. 13-16).

Im Rahmen des § 14 SGB IX sind Feststellungen dazu zu treffen, ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht, welche konkreten Auswirkungen die Behinderung hat und welche Ziele, Art und Umfang die erforderlichen Leistungen haben müssen, wobei der gesamte individuelle Bedarf festzustellen ist (Ulrich in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 107). Diese Grundsätze gelten auch, wenn und soweit eine Leistungsgewährung über ein persönliches Budget erfolgen soll (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SGB IX; Ulrich, a.a.O., Rn. 110). Es erfolgt eine Konzentration von Teilhabe- und sonstigen budgetfähigen Leistungen in einer trägerübergreifenden Komplexleistung (Ulrich, a.a.O.), die im Wege eines Maßnahmebündels aufeinander aufbauen oder ggf. miteinander kombiniert werden müssen (Ulrich, a.a.O., Rn. 113).

Die Beiladung der zuständigen Pflegekasse ist im Hinblick darauf erfolgt, dass eine Abgrenzung von Leistungen der Pflege zu den begehrten Eingliederungshilfeleistungen nicht zwingend trennscharf möglich ist, da sich die Bedarfe überlagern können. Daher ist bei der Ausführung eines persönlichen Budgets, das trägerübergreifend als Komplexleistung erbracht wird, die Beteiligung der Pflegekasse vorgesehen (§ 29 Abs. 1 Satz 2, 3 SGB IX; vgl. auch § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB XI), die schon im Rahmen der Bedarfsermittlung zu beteiligen ist, angehört und um Stellungnahmen zum Bedarf des Berechtigten und ggf. zur Frage der Budgetierung ersucht werden muss (O’Sullivan, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 29 Rn. 36). Deren Äußerung soll binnen zwei Wochen erfolgen. Über Pflegeleistungsansprüche nach dem SGB XI hat der Antragsgegner nicht nach § 14 SGB IX - allenfalls im Rahmen eines persönlichen Budgets als einheitliche Leistung - zu entscheiden, da der Pflegeversicherungsträger kein Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 Abs. 1 SGB IX ist.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, wenn also eine Vorausbeurteilung der Hauptsacheklage nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist.

Die Antragstellerin hat im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens einen Anordnungsanspruch aktuell nicht glaubhaft machen können, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 99 SGB IX i.V.m. § 53 SGB XII und §§ 1 bis 3 Eingliederungshilfeverordnung (jeweils in der am 31.12.2019 geltenden Fassung) i.V.m. § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 5, 6, 9 SGB IX als Teil eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets im Sinne des § 105 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (bis 31.12.2019: nach §§ 53, 57 Satz 1, 2 SGB XII i.V.m. § 29 SGB IX) derzeit - aus formalen Gründen - nicht vorliegen.

Das persönliche Budget soll Menschen mit Behinderung ermöglichen, Betreuungsleistungen selbst zu organisieren und zu bezahlen mit der Folge, dass Leistungsberechtigte Vereinbarungen mit den Leistungserbringern treffen, ohne dass diese in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis mit den Leistungsträgern stehen (BSG, Urteil vom 11.5.2011 - B 5 R 54/10 R - juris Rn. 27). Rechtsgrundlage für die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen als Teil eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets ist § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, nach dem diese Leistungen Leistungsberechtigten auf Antrag gewährt werden. Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten nach § 99 SGB IX Personen nach § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII und den §§ 1-3 der Eingliederungshilfe-Verordnung in der am 31.12.2019 geltenden Fassung. Nach § 29 Abs. 2 Satz 6 SGB IX muss das persönliche Budget den individuell (nach §§ 14 Abs. 2, 13 SGB IX) festgestellten Rehabilitationsbedarf des Leistungsberechtigten decken und die erforderliche Beratung und Unterstützung sicherstellen. Dabei soll die Höhe des persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten, ohne das persönliche Budget zu erbringenden Leistungen nicht überschreiten (§ 29 Abs. 2 Satz 7 SGB IX). Die Ausführung von Leistungen in Form eines persönlichen Budgets, der Inhalt, das Verfahren und die Zuständigkeit der beteiligten Leistungsträger richten sich (nun) nach § 29 Abs. 2-4 SGB IX. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 3 SGB IX wird das persönliche Budget trägerübergreifend als Komplexleistung erbracht. Das Verfahren zur Bedarfsermittlung bei einer Komplexleistung regelt § 29 Abs. 1 SGB IX: danach beteiligt der nach § 14 SGB IX zuständige Träger (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SGB IX) die weiteren Rehabilitationsträger, Pflegekassen und ggf. Integrationsämter (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Er muss sie anhören und um Stellungnahmen zum Bedarf des Berechtigten und ggf. zur Frage der Budgetierung (budgetfähige Leistungen, Höhe, als Geldleistung oder durch Gutschein etwa hinsichtlich Pflegeleistungen -, Inhalt der Zielvereinbarung, Beratungs- und Unterstützungsbedarf) ersuchen (vgl. §§ 14, 15, 29 Abs. 2 Satz 1, 2, Abs. 4 SGB IX). Die anderen Träger sollen sich binnen zwei Wochen äußern (vgl. § 15 Abs. 2 SGB IX). Auch der Antragsteller ist einzubeziehen, so muss ihm vor allem Gelegenheit zur (Gegen-)Äußerung zu den Stellungnahmen der Rehabilitationsträger gegeben werden. Vorgesehen ist ein trägerübergreifendes Bedarfsermittlungsverfahren, das in der Regel im Abstand von zwei Jahren wiederholt wird (§ 29 Abs. 2 Satz 4 SGB IX). Nach § 29 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist zwischen dem Antragsteller und dem angegangenen Leistungsträger der Abschluss einer Zielvereinbarung vorgeschrieben, die mindestens Regelungen über die Ausrichtung der individuellen Förder- und Leistungsziele (Satz 2 Nr. 1), die Erforderlichkeit eines Nachweises für die Deckung des festgestellten individuellen Bedarfs (Satz 2 Nr. 2), die Qualitätssicherung (Satz 2 Nr. 3) sowie die Höhe der Teil- und des Gesamtbudgets (Satz 2 Nr. 4) enthält. Die Zielvereinbarung kann nur unter den Voraussetzungen des § 29 Abs. 4 Satz 4-6 SGB IX außerordentlich gekündigt werden, der Verwaltungsakt wird dann aufgehoben (§ 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX).

Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen als Teil eines persönlichen Budgets dem Grunde nach - nach summarischer Prüfung - vor, nicht aber in formaler Hinsicht.

Die Antragstellerin, bei der insbesondere eine MS-Erkrankung vorliegt, erfüllt unstreitig die personenbezogenen Voraussetzungen des § 99 SGB IX i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und der §§ 1-3 Eingliederungshilfeverordnung (jeweils in der am 31.12.2019 gültigen Fassung). Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Antragstellerin hat insbesondere im Rahmen des einstweiligen Verfahrens denkbare Eingliederungshilfebedarfe unter Verweis darauf, wie ein normales Ehepaar leben zu wollen, dargelegt. Für den Senat ist es grundsätzlich nachvollziehbar, dass die Antragstellerin auch unabhängig von ihrem Ehemann Unternehmungen machen und Freunde treffen sowie insbesondere ihre Kinder besuchen möchte. Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern (vgl. auch § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Nach § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB IX soll die Leistung sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können (vgl. auch § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Besondere Aufgabe der sozialen Teilhabe ist es, die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 90 Abs. 5 SGB IX).

In welchem genauen zeitlichen Umfang die Antragstellerin neben den ihr von der Pflegeversicherung gewährten Pflegeleistungen einen ergänzenden Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets hat, vermag der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Einem Anspruch steht bereits entgegen, dass wesentliche Verfahrensvorgaben zur Ermittlung des persönlichen Budgets nicht beachtet wurden. So fehlt es an der Durchführung des zwingend durchzuführenden trägerübergreifenden Bedarfsermittlungsverfahrens unter Beteiligung der Beigeladenen und dem Abschluss einer Zielvereinbarung im Sinne des § 29 Abs. 4 SGB IX zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner (der vom Land Niedersachsen zur Aufgabenwahrnehmung herangezogen worden ist - s.o.). Zwar kann nach § 29 Abs. 1 Satz 4 SGB IX das persönliche Budget auch von einem einzelnen Träger - etwa bezogen auf eine einzelne budgetfähige Leistung - erbracht werden. Auch dann ist jedoch zunächst die Durchführung eines Bedarfsermittlungsverfahrens erforderlich (so zur bisherigen Rechtslage bereits Senatsbeschluss vom 10.4.2014 - L 8 SO 506/13 B ER - juris Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 31.1.2012 - B 2 U 1/11 R - juris Rn. 34 ff.; vgl. auch O’Sullivan in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 29 Rn. 36), in dem sich ergeben kann, dass keine weiteren Träger an dem persönlichen Budget zu beteiligen sind. Ein solches Bedarfsermittlungsverfahren lässt sich den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners aber nicht entnehmen. Bislang sind lediglich die Basisdaten der Antragstellerin (nach dem Bedarfsermittlungsverfahren Niedersachsen - kurz: B.E.Ni) erfasst worden. Auch das Gespräch vom 3.7.2019 stellt kein Verfahren in diesem Sinne dar, zumal hieran die Beigeladene nicht beteiligt war. Daher wird der Antragsgegner das erforderliche Bedarfsermittlungsverfahren zunächst nachzuholen haben. Dabei wird im Einzelnen zu klären sein, welcher Bedarf bei der Antragstellerin besteht und ob bzw. inwieweit dieser teilweise durch die Leistungen der Beigeladenen abgedeckt ist, die - insbesondere aufgrund der oft nicht trennscharfen Abgrenzungsmöglichkeit zwischen Pflegeversicherungs- und Eingliederungshilfeleistungen - sich teilweise überlagern können.

Ohne Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorgaben (vgl. § 29 Abs. 4 SGB IX) kann die Antragstellerin ein persönliches Budget nicht erfolgreich beanspruchen. Dies folgt schon aus der notwendigen, hier aber nicht von den Beteiligten geschlossenen Zielvereinbarung, da diese Voraussetzung für eine rechtmäßige Leistungsentscheidung über ein persönliches Budget ist (§ 29 Abs. 4 Satz 1 SGB IX; zur bisherigen Rechtslage: entsprechende Senatsentscheidung vom 10.4.2014, a.a.O.). Die erforderliche Zielvereinbarung kann nicht durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt werden, weil sie ein von den Beteiligten zu schließender öffentlich-rechtlicher Vertrag (§ 53 Abs. 1 SGB X) ist (vgl. O’Sullivan in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 29 Rn. 42). Dabei kann offen bleiben, wie zu verfahren wäre, wenn die Behörde sich willkürlich oder aus sachfremden Gründen weigert, eine Zielvereinbarung abzuschließen, da ein solcher Fall hier nicht vorliegt; der Antragsgegner hat bislang eine solche noch nicht in Erwägung gezogen, da er - irrig - davon ausging, dass ein Eingliederungshilfebedarf der Antragstellerin nicht besteht. Dies wird unter Beteiligung der Pflegekasse im Bedarfsermittlungsverfahren im Einzelnen zu klären sein.

Der begehrte Anspruch ergibt sich auch nicht als pauschalierte Leistung nach § 116 SGB IX. Gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB IX können Leistungen der Assistenz zur Übernahme von Handlungen der Alltagsbewältigung sowie Begleitung des Leistungsberechtigten, zur Förderung der Verständigung und zur Beförderung im Rahmen von Leistungen zur Mobilität mit dessen Zustimmung als pauschale Geldleistung nach § 105 Abs. 3 SGB IX erbracht werden. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensleistung, auf die der Leistungsberechtigte keinen Anspruch hat (Luthe in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 116 Rn. 11). Für eine Ermessensreduktion auf Null ist vorliegend nichts ersichtlich, da der Antragstellerin das Abwarten der Bedarfsermittlung grundsätzlich zumutbar erscheint, zumal durch die Covid-19-Pandemie aktuell externe Besuche, Einkäufe und Kontakte außerhalb des eigenen Haushaltes ohnehin nur noch sehr eingeschränkt möglich sind.

Soweit die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch als Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII beansprucht, muss sie auch insoweit zunächst das Bedarfsermittlungsverfahren abwarten. So ist der Träger der Eingliederungshilfe im Verhältnis zur Hilfe zur Pflege vorrangig vor dem Sozialhilfeträger zuständig (Wehrhahn in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 103 Rn. 18) und auch die Leistungen der Pflegeversicherung gehen den Fürsorgeleistungen zur Pflege nach dem SGB XII grundsätzlich vor (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB IX und § 63b Abs. 1 SGB XII; Meßling in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 61 Rn. 27). Dies folgt auch aus § 103 Abs. 2 SGB IX, der in seiner durch das BTHG konzipierten Fassung das Verhältnis von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege für den häuslichen Bereich neu regelt, wonach bis zum Eintritt ins Rentenalter zukünftig die Leistungen der Eingliederungshilfe auch die häusliche Hilfe zur Pflege nach den §§ 64a bis 64f, 64i und 66 SGB XII umfassen, solange die Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplanes (§ 121 SGB IX) erreicht werden können, es sei denn, der Leistungsberechtigte hat vor Vollendung des für die Regelaltersgrenze erforderlichen Lebensjahres keine Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten; wer also Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege beanspruchen kann, bezieht unter diesen Voraussetzungen nur noch Eingliederungshilfe, die die Hilfe zur Pflege umfasst (Meßling, a.a.O., § 61 Rn. 42). Hierdurch wurde jedoch keine Neuregelung im Verhältnis zur Pflegeversicherung getroffen. § 91 Abs. 3 SGB IX i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB IX ist daher weiterhin maßgeblich, so dass eine Differenzierung zwischen Pflege und Eingliederungshilfe als Ziel der Maßnahme nach wie vor erforderlich und hierzu die Durchführung des Bedarfsermittlungsverfahrens notwendig ist (Meßling, a.a.O., § 61 Rn. 47). Sofern sich ein Aufstockungsbedarf im Hinblick auf die der Höhe nach gedeckelten Leistungen der als Teilkaskoversicherung konzipierten Pflegeversicherung zur Deckung des vollen Pflegebedarfs ergeben sollte, ist auch der Sozialhilfeträger zu beteiligen (vgl. auch § 13 Abs. 4 Satz 4 SGB IX).

Eine vorläufige Gewährung von Sachleistungen erscheint schon deshalb nicht angezeigt, da eine solche von der Antragstellerin im Hinblick auf eine womöglich befürchtete Kürzung des Pflegegeldes nicht gewollt ist und unter Abwägung der Umstände - bislang - nicht zwingend erforderlich erscheint.

Ein vorläufiger Zuspruch der begehrten Budgetassistenz durch die Firma E. Budgetassistenz kann derzeit gleichfalls nicht erfolgen, da die für die Budgetassistenz anfallenden Kosten Teil des Teilhabebedarfs sind und in das persönliche Budget einfließen, für dessen Bemessung jedoch zunächst die Durchführung des Bedarfsermittlungsverfahrens erforderlich ist. In diesem Zusammenhang weist der Senat - ohne dass es für die gerichtliche Entscheidung von Belang ist - darauf hin, dass die für die Budgetassistenz anfallenden Kosten so zu bemessen sind, dass die erforderliche Beratung und Unterstützung der Antragstellerin erfolgen kann (§ 29 Abs. 2 Satz 6 und 7 SGB IX). Die Kosten für eine Budgetassistenz sind als Fachberatung einzuordnen, da sie eine erhebliche Spezialisierung und fachliche Kompetenz erfordern und im Regelfall mindestens dann zu übernehmen sind, wenn die Inanspruchnahme des Budgets anders nicht ermöglicht werden kann (Welti, BtPrax 2009, 64, 66). Werden diese Aufwendungen nicht durch die Betreuung des Ehemannes tatsächlich erbracht und gedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 30.6.2016 - B 8 SO 7/15 R - juris Rn. 22), stellen sie Eingliederungshilfeleistungen dar, die bei der zweckentsprechenden Verwendung des persönlichen Budgets berücksichtigt werden können. Dies bedingt grundsätzlich, dass sich die für die Beschäftigung externer Kräfte zur Verfügung stehenden Mittel entsprechend reduzieren (vgl. hierzu insb. BSG, Urteil vom 31.1.2012 - B 2 U 1/11 R - juris Rn. 42 ff.). Eine Ausnahme kommt bei atypischen, also außergewöhnlichen Bedarfen (aufgrund der "Soll"-Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 7 SGB IX), in Betracht, etwa, wenn die Einrichtung eines persönlichen Budgets einen erheblichen Aufwand an Arbeitszeit und Qualifikation erfordert, die vom ehrenamtlich betreuenden Ehemann (vgl. § 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB) wohl nicht wird erwartet werden können.

Für die Zukunft könnte sich vorliegend eine erneute Antragstellung durch die Antragstellerin anbieten, da sie zukunftsoffen Leistungen begehrt. Als Alternative ist es denkbar, dass das SG in der Hauptsache das Verfahren gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG an den Antragsgegner zurückverweist, da die 6-Monats-Frist des § 131 Abs. 5 Satz 5 SGG noch nicht abgelaufen sein dürfte. Bislang scheinen in dem Hauptsacheverfahren die Unterlagen des Fachbereichs, betreffend die Hilfe zur Pflege, zu fehlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt nicht allein das Unterliegen der Antragstellerin, sondern auch den Umstand, dass der Antragsgegner Anlass für die Einleitung des gerichtlichen Eilverfahrens gegeben hat, indem er wesentliche Fragestellungen des Eingliederungshilfebedarfs und der Leistungsbemessung nicht schon durch ein Bedarfsermittlungsverfahren geklärt hat.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Wessels Frerichs von Wehren
Rechtskraft
Aus
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