L 8 AY 10/20 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AY 62/20 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 10/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz dürfen nur zeitlich begrenzt und jedenfalls nicht langjährig verhängt werden. Einschränkungen des Leistungsanspruchs sind im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in jeder Hinsicht eng zu handhaben unter strengen Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im konkreten Einzelfall. Die gesetzliche Anordnung in § 1a Abs. 1 Satz 2 Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungsberechtigten das soziokulturelle Existenzminimum vorzuenthalten, erscheint verfassungsrechtlich zweifelhaft
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 22. Oktober 2020 wird auf-gehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, dem Antragsteller ungekürzte Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz ab dem 11. September 2020 bis zum 28. Februar 2021 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu ge-währen. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt ungekürzte Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsge-setz (AsylbLG), hilfsweise ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG.

Der 2000 geborene Antragsteller ist gambischer Staatsbürger. Er reiste illegal über Italien in das Bundesgebiet ein und wurde als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling vom Sächsi-schen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz in die Obhut des Antrags-gegners überwiesen (Schreiben vom 2. Februar 2017 – Az.:.). Der mit Beschluss des Amtsgerichts Z ... vom 8. Februar 2017 (Az.:.) bestellte Vormund stellte am 2. März 2017 für den Antragsteller einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 20. Juni 2017). Zugleich erkannte es weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) lägen nicht vor. Der Antrag-steller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Ansonsten werde er nach Gambia abgescho-ben. Das Verwaltungsgericht Y ... wies die dagegen erhobene Klage ab (Urteil vom 12. Dezember 2018). Die Entscheidung ist seit dem 12. Februar 2019 rechtskräftig. Die Ab-schiebungsandrohung ist seit dem 15. März 2019 vollziehbar. Der Aufenthalt des Antrag-stellers wird seither geduldet, da er nicht über die erforderlichen Dokumente zur Rückreise nach Gambia verfügt.

Mit Schreiben vom 23. April 2019 erläuterte der Antragsgegner dem Antragsteller, dass in der Bundesrepublik grundsätzlich die Passpflicht bestehe. Ausnahmen seien nur unter en-gen Voraussetzungen möglich, sofern es dem Ausländer nicht möglich sei, einen Pass in zumutbarer Weise zu erlangen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, bis zum 23. Mai 2019 einen gültigen Pass, einen Passersatz oder ein Rückreisedokument vorzulegen bzw. entsprechende Bemühungen nachzuweisen. Daraufhin zeigte sich Frau Rechtsanwältin S ... aus Y mit Schreiben vom 16. Mai 2019 beim Antragsgegner an. Der Antragsgeg-ner informierte die Anwältin per Mail vom 17. Juni 2019 darüber, dass die Landesdirektion Sachsen – Zentrale Ausländerbehörde – ein Formular übermittelt habe, mit welchem der Antragsteller die Ausstellung von Passersatzpapieren beantragen möge. Deshalb solle die-ser bis zum 5. Juli 2019 beim Antragsgegner vorsprechen.

Schließlich wandte sich der Antragsgegner mit Schreiben vom 25. Juli 2019 und vom 18. August 2020 persönlich an den Antragsteller und erinnerte ihn unter nochmaligem Hin-weis auf die Passpflicht daran, nunmehr bis zum 24. August 2019 bzw. bis zum 17. Sep-tember 2020 daran mitzuwirken, ein zur Ausreise geeignetes Dokument durch die Behör-den seines Herkunftsstaates erstellen zu lassen. Im Falle fehlender oder unzureichender Mitwirkung könnten Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG erfolgen.

Der Antragsgegner hatte dem Antragsteller zunächst Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt von November 2018 (256 Euro) bis April 2019 (ab Dezember 2018: jeweils 320 Euro monatlich). Da der Antragsteller in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht ist, wurden insoweit Sachleistungen gewährt. Von Januar 2019 bis Juni 2019 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller sodann sogenannte "Analogleistungen" nach § 2 AsylbLG in Höhe von 353,55 Euro monatlich (Bescheid vom 13. Dezember 2018).

Mit Bescheid vom 23. April 2019 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 13. Dezember 2018 auf und bewilligte für Mai 2019 lediglich Grundleistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 320 Euro. In der Begründung wies der Antragsgegner abschließend auf § 1a Abs. 3 AsylbLG hin. Erläuterungen dazu, auf welcher Rechtsgrundlage die Entscheidung über die Bewilligung von Analogleistungen aufgehoben worden sein könnte, finden sich hingegen nicht. Im Anhörungsschreiben vom 23. April 2019 informierte der Antragsgegner den An-tragsteller darüber, dass Ansprüche auf Leistungen nach §§ 2, 3 und 6 AsylbLG endeten, sofern bei vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern aus Gründen, die sie selbst zu vertre-ten hätten, aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Der An-tragsteller erhielt die Gelegenheit, sich dazu bis zum 24. Mai 2019 zu äußern. Darauf rea-gierte der Antragsteller nicht. Der Antragsgegner erließ sodann den Bescheid vom 27. Mai 2019. Damit bewilligte er lediglich Leistungen in Höhe von 151,11 Euro für die Zeit von Juni 2019 bis November 2019. Weil aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen nicht vollzogen werden könnten, die der Antragsteller zu vertreten habe, erhalte er ab dem 1. Juni 2019 nur noch eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG zur Deckung seines Bedarfs an Ernährung, Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Ge-sundheitspflege. Gemäß § 14 Abs. 1 AsylbLG sei diese Maßnahme auf sechs Monate befristet. Bei fortbestehender Pflichtverletzung werde die Anspruchseinschränkung aller-dings gemäß § 14 Abs. 2 AsylbLG fortgesetzt, so lange die Voraussetzungen dafür vorlä-gen.

Diese sah der Antragsgegner offenbar für gegeben an, denn er bewilligte dem Antragstel-ler mit Bescheid vom 9. März 2020 auch von Dezember 2019 bis Mai 2020 lediglich einge-schränkte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG (164 Euro für Dezember 2019, für die weiteren Monate jeweils 167 Euro). Für die Zeit von Juni 2020 bis August 2020 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller ohne nähere Erläuterung sodann ungekürzte Grund-leistungen nach § 3 AsylbLG (Bescheid vom 25. Mai 2020) und hörte den Antragsteller am selben Tag zur erneut beabsichtigten Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG an. Daraufhin teilte der Antragsteller im Schreiben vom 29. Mai 2020 mit, dass er keinerlei Dokumente besitze, nicht einmal eine Geburtsurkunde. Im ländlichen Bereich seines Hei-matstaates sei es nicht üblich, solche Dokumente auszustellen. Reisen nach Gambia seien derzeit pandemiebedingt nicht möglich. Gleichwohl beabsichtige der Antragsteller, einen Termin beim Honorarkonsul in Berlin zu vereinbaren (Schreiben vom 16. Juli 2020). Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller daraufhin von September 2020 bis Februar 2021 wiederum lediglich eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG in Höhe von 167 Euro monatlich (Bescheid vom 17. August 2020). Nach wie vor verfüge der Antragsteller über kein gültiges Rückreisedokument. Nachvollziehbare Gründe habe der Antragsteller nicht vorgebracht.

Dagegen hat der Antragsteller am 31. August 2020 Widerspruch eingelegt. Nach der Mit-teilung des Honorarkonsuls für Gambia im Schreiben vom 16. Juli 2020 sei es nicht mög-lich, einen Nationalpass zu beantragen. Da die Staatsgrenzen und der internationale Flug-hafen geschlossen seien, sei es auch nicht möglich, nach Gambia einzureisen. Zudem hat sich der Antragsteller am 11. September 2020 mit einem Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung an das Sozialgericht Dresden gewandt. Unter Bezugnahme auf das Schreiben des Honorarkonsuls vom 16. Juli 2020 sei es dem Antragsteller nicht möglich, durch eine Änderung seines Verhaltens zu ungekürzten Leistungen zu gelangen. Da ihm der Antragsgegner lediglich gekürzte Leistungen zur Deckung seines physischen Lebens-bedarfs gewähre, sei sein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ver-letzt. Außerdem erhalte der Antragsteller während dieser Zeit keine Gesundheitsleistungen, die über eine Notfallversorgung hinausgingen. Auf Anfrage des Sozialgerichts erläuterte der für Gambia zuständige Honorarkonsul in Köln, dass Nationalpässe nur noch in Gambia ausgestellt würden. Allerdings sei es möglich, in Deutschland einen "Emergency Passport" zu erhalten oder sich von Verwandten, Freunden oder Rechtsanwälten einen herkömmli-chen, nicht-biometrischen Pass ausstellen zu lassen. Für die Bearbeitung des "Emergency Passports" in Deutschland sei eine Bearbeitungsgebühr von 440 Euro zu entrichten. Flüge von Brüssel nach Banjul seien jederzeit buchbar. Das Sozialgericht hat den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 22. Oktober 2020). Der An-tragsteller könne sich auf keinen Anordnungsanspruch berufen. Ein Anspruch auf Ana-logleistungen nach § 2 AsylbLG bestehe nicht. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft ge-macht, die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich selbst be-einflusst zu haben. Vielmehr habe er die Aufenthaltsdauer rechtsmissbräuchlich selbst be-einflusst, indem er keine ausreichenden Anstrengungen dafür unternommen habe, um die notwendigen Rückreisedokumente zu erlangen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Antrag-steller überhaupt jemals Kontakt zu einer Auslandsvertretung seines Heimatstaates aufge-nommen habe. Der konkreten Aufforderung, das von der Landesdirektion übermittelte Formular auszufüllen, um auf diese Weise ein Rückreisedokument zu erhalten, sei der Antragsteller ebenfalls nicht nachgekommen, obwohl dieses seinerzeit an seine von ihm bevollmächtigte Rechtsanwältin gerichtet gewesen sei. Das Verhalten seiner Bevollmäch-tigten habe sich der Antragsteller zurechnen zu lassen. Darüber hinaus bestehe auch kein Anspruch auf ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, da im Falle des Antragstel-lers die Voraussetzungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG vorlägen. Dieser sei vollziehbar aus-reisepflichtig. Ferner sei ihm die Abschiebung nach Gambia angedroht worden. Die Grün-de dafür, dass die Ausreise des Antragstellers bisher nicht erfolgt sei, habe dieser selbst zu vertreten, da er nicht hinreichend daran mitgewirkt habe, sich ein Rückreisedokument ausstellen zu lassen. Im Hinblick auf die erwähnte Bearbeitungsgebühr habe der Antrag-steller beim Antragsgegner nicht um die Übernahme dieser Kosten nachgesucht.

Gegen den ihm am 22. Oktober 2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der am 26. November 2020 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde. Der Antragsteller meint, es obliege dem Antragsgegner, ein gegebenenfalls rechtsmissbräuchliches Beeinflussen der Aufenthaltsdauer darzulegen und glaubhaft zu machen. Ein solches Verhalten sei dem Antragsteller jedoch nicht vorzuwerfen. Darüber hinaus seien Leistungskürzungen über 30 Prozent hinaus nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 22. Oktober 2020 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, unge-kürzte Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren, hilfs-weise ungekürzte Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz. Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beige-zogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind. II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) erweist sich als begründet. Der Antragsgegner war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlus-ses im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit vom 11. September 2020 bis zum 28. Februar 2021 unter Anrechnung erbrachter Leistungen zu erbringen. Aufgrund der in Verfahren des Eilrecht-schutzes gebotenen summarischen Prüfung geht der Senat davon aus, dass die wieder-holte Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG gegen den Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit verstoßen dürfte.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anord-nung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstel-lers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanord-nung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeu-gen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zu-standes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit des Rechtsschutzes. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anord-nung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstel-lers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanord-nung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustands vorbeu-gen. Sie dient der Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zu-standes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG; soge-nannte Regelungsanordnung).

Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den geltend gemachten mate-riellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche Dring-lichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Diese allgemeinen Anforde-rungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht [BVerfG]), Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69).

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes liegen in der Sicherung der Entschei-dungsfähigkeit und der prozessualen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nichts anderes als allein wegen der Zeitdimen-sion der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zu-künftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwicklun-gen sichern und irreparable Folgen ausschließen und der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umgehung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfahrens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab zu realisieren.

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Gewährleis-tung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt grundsätz-lich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Ent-scheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91BVerfGE 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für die Anfechtungs- als auch für Vor-nahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilver-fahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutba-re, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Haupt-sacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Be-troffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, um-so weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 – 94, 166, 216). Die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass be-steht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/96NVwZ 1997, 479). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grund-rechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Wür-de des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09NZS 2009, 674, 675 Rdnr. 11).

Gemessen daran kann sich der Antragsteller sowohl auf einen Anordnungsanspruch als auch auf einen Anordnungsgrund berufen.

Der Antragsteller ist leistungsberechtigt nach dem AsylbLG gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, da er eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzt. Daneben ergibt sich die Leistungsberechtigung aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, weil der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist (auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist). Leistungs-berechtigte nach § 1 AsylbLG erhalten gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG Leistungen zur De-ckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheit, Pflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Leistungen nach § 2 AsylbLG in der ab dem 21. August 2019 gültigen Fassung sind zu gewähren, sofern sich der Betroffene bereits seit 18 Mona-ten tatsächlich im Bundesgebiet aufhält, ohne die Dauer seines Aufenthalts selbst rechts-missbräuchlich beeinflusst zu haben.

Unzutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem AsylbLG während des tenorierten Zeitraums zum wiederholten Male einzuschränken (gewesen) ist nach § 1a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AsylbLG.

Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG – zu denen der Antragsteller zählt – erhalten ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Voll-ziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur noch Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG, sofern aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von ihnen selbst zu vertre-tenden Gründen nicht vollzogen werden können (§ 1 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG). Ihnen wer-den dem gemäß bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Hei-zung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (vgl. § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Weil § 1a AsylbLG als Sanktionsnorm zu verstehen ist, ist sie auch mit Blick auf die Ge-währleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG restriktiv auszulegen (Cantzler, AsylbLG, 2019, § 1a Rn. 9; Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 7). Die Sanktionsnorm des § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft an die Verletzung asyl- bzw. auslän-derrechtlicher Pflichten durch den Leistungsberechtigten an. Mittelbare Folge dieses pflichtwidrigen Verhaltens ist die verlängerte Inanspruchnahme von Leistungen zur Exis-tenzsicherung nach dem AsylbLG. Die leistungsrechtliche Sanktionierung seines Verhal-tens soll den Leistungsberechtigten mittelbar dazu veranlassen, seiner Ausreisepflicht nachzukommen (Cantzler, AsylbLG, 2019, § 1a Rn. 4).

Die Voraussetzungen des § 1a Abs. 3 AsylbLG liegen im Falle des – geduldeten - Antrag-stellers nach summarischer Prüfung allerdings vor. Dass aufenthaltsbeendende Maßnah-men nicht vollzogen werden konnten, da dieser nicht daran mitgewirkt habe, einen Pass, Passersatz oder ein sonstiges Rückreisedokument zu beschaffen, ist bezogen auf den hier relevanten Leistungszeitraum offensichtlich. Damit hat der Antragsteller die Vollziehung der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung (§ 58 AufenthG) verhindert. Darin liegt ein Verstoß gegen § 48 Abs. 3 AufenthG. Danach ist der Ausländer dazu verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Diese fehlende Mitwirkung stellt ein typi-sches rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG dar (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 15). Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist ein Ausländer dazu verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, sofern er keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung des AufenthG betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Der Mitwirkungspflicht wird unter anderem dadurch entsprochen, dass eine Mitwirkung an der Feststellung und Sicherung der Identität erfolgt oder die für die Beschaffung von Heimreisedokumenten nötigen Erklärungen abge-geben werden (§ 49 Abs. 2 AufenthG). Identitätspapiere sind auch sämtliche für die Rück-reise benötigten Papiere. Der Pflicht wird zunächst durch Beantragung genügt (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsverordnung [AufenthV]).

Erfasst sind aber auch alle weiteren Handlungen, die für die Ausstellung des Papiers erfor-derlich sind und nur von dem Ausländer persönlich vorgenommen werden können. Dazu gehört die Vorlage eines Fotos, die persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung des Heimatstaates bei Antragstellung bzw. Abholung des Dokuments, wenn dies gefordert wird (OVG Münster, Beschluss vom 9. Februar 2004 – 18 B 811/03 - NVwZ-RR 2004, 689 f), sich eventuell der Mithilfe geeigneter Dritter, z.B. Angehöriger, zu bedienen (BayObLG, Beschluss vom 7. November 2000 – 3Z BR 335/00 - InfAuslR 2001, 176 f), die Abgabe benötigter Fingerabdrücke (OVG Münster, Beschluss vom 12. Oktober 2005, 18 B 1526/05, 18 E 1150/05 - InfAuslR 2006, 136) sowie alle Urkunden und sonstigen Unterla-gen, die relevant sein können, der zuständigen Stelle vorzulegen, auszuhändigen, zu über-lassen bzw. zu beantragen. Dass Erklärungen des Ausländers im Rahmen der Beschaf-fung von Heimreisedokumenten mit dem deutschen Recht in Einklang stehen müssen, ergibt sich aus § 49 Abs. 2 AufenthG.

Dabei besteht grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse an einer baldigen Auf-enthaltsbeendigung der von öffentlichen Mitteln lebenden vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern (OVG Münster, Beschluss vom 12. Oktober 2005 – 18 B 1526/05, 18 E 1150/05InfAuslR 2006, 136). Der BayVGH geht ferner davon aus, dass es dem be-troffenen Ausländer neben seiner Mitwirkungspflicht nicht freisteht, "ansonsten völlig untä-tig und passiv zu bleiben und nur darauf zu warten, welche weiteren Handlungen die Be-hörde noch von ihm verlangt". Der betroffene Ausländer kann sich demnach nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten stützen, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden. Er ist vielmehr daneben dazu gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte einzuleiten, um das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen (sog. "Initiativpflicht"). Die Erfüllung der dem Ausländer obliegenden Pflichten – seiner Mitwirkungspflicht, aber auch der Initiativpflicht – hat dieser zu belegen und nach-zuweisen. Gelingt ihm dies nicht, spricht vieles für die Annahme, er habe das Ausreisehin-dernis verschuldet oder zumutbare Anforderungen jedenfalls nicht erfüllt (Beschluss vom 27. Juli 2010 – 10 ZB 10.276 – juris Rn. 12).

§ 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verlangt daher von dem Ausländer, es nicht bei der Einrei-chung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen, sondern darüber hinaus weitere Angaben zu machen, die seine Identifikation ermöglichen (VG Würzburg, Urteil vom 8. Dezember 2014 – W 7 K 14.26). Kommt der Ausländer seiner Pflicht zur Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht nach, so hat er das Abschiebungshindernis zu vertreten (vgl. Weichert/Stoppa in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 18a).

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG ob-liegt es allein dem Ausländer, sich zur Auslandsvertretung seines Herkunftslandes zu be-geben, um dort einen Reisepass, Passersatzpapiere oder einen Antrag auf Nachregistrie-rung zu stellen, dabei wahrheitsgemäße Angaben zu machen und sich die entsprechenden Vorsprachen bescheinigen zu lassen. Bei der Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG handelt es sich um eine Obliegenheit, die den Antragsteller selbst trifft, und zwar ungeachtet aller Möglichkeiten, die den deut-schen Ausländerbehörden zur Verfügung stehen könnten. Sofern der Antragsteller Geld für seine Anreise zu den Auslandsvertretungen benötigen sollte, wäre er dazu verpflichtet, den Antragsgegner darüber zu informieren. Keinesfalls darf er sich untätig darauf zurück-ziehen, nicht über die erforderlichen Mittel zu verfügen und deshalb die geforderten An-strengungen zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG unterlassen. Von dem Ausländer kann ferner verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erfor-derlichen Unterlagen und einer Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaa-tes zu belassen, sondern darüber hinaus, falls ihm das Identitätspapier nicht in angemes-sener Zeit ausgestellt wird, regelmäßig nachzufragen, sich nach den Gründen für die Be-arbeitungsdauer zu erkundigen und beharrlich um die Ausstellung des Papiers nachzusu-chen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Oktober 2018 – OVG 3 B 4.18 – juris Rn. 22).

Allerdings dürfen dem Ausländer keine Handlungen abverlangt werden, die von vornherein ohne Einfluss auf die Möglichkeit der Ausreise oder erkennbar aussichtslos sind. Unterhalb dieser Schwelle besteht hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der Verletzung von Mitwirkungspflichten und der Erfolglosigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen, der im-mer nur hypothetisch beurteilt werden kann, eine tatsächliche widerlegbare Vermutung zu Lasten des Ausländers (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 26. Oktober 2010 – 1 C 18.09 – juris Rn. 20; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Februar 2017 – OVG 3 B 9.16 – juris Rn. 24).

Verlangt die zuständige Behörde des Heimatstaats zum Zwecke der Ausstellung eines Reisedokuments von dem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Erklärung, dass er bereit sei, freiwillig auszureisen, so ist ihm die Abgabe dieser Erklärung grundsätzlich zu-zumuten (BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 19/08 – juris Rn. 14). Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. Die gesetzliche Pflicht zur Ausreise bedeutet, dass sie freiwillig ausreisen oder sich zwangsweise abschieben las-sen müssen. Das Aufenthaltsrecht erlegt dem Ausländer primär auf, dass er seiner Ausrei-sepflicht freiwillig – und unverzüglich – nachkommt (§ 50 Abs. 2 AufenthG). Eine zwangs-weise Abschiebung kommt erst in Betracht, wenn der Ausländer seine Ausreisepflicht nicht freiwillig erfüllt bzw. die Überwachung der Ausreise erforderlich ist (§ 58 Abs. 1, Abs. 3 AufenthG). Ein ausreisepflichtiger Ausländer ist daher aufenthaltsrechtlich gehalten, das Land freiwillig zu verlassen. Die Rechtsordnung mutet dem Ausländer zu, seiner Ausreisepflicht von sich aus nachzu-kommen. Die gesetzliche Ausreisepflicht schließt die Obliegenheit für den Ausländer ein, sich auf die Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden. In diesem Rahmen ist es für einen ausreisepflichtigen Ausländer grund-sätzlich rechtlich nicht unzumutbar, zur Ausreise nicht nur willens und bereit zu sein, son-dern diese Bereitschaft auch zu bekunden und eine Erklärung dahin abzugeben, freiwillig in das Herkunftsland ausreisen zu wollen. Ein entgegenstehender innerer Wille des Aus-länders, der die Erklärung mangels Bildung eines entsprechenden Willens als unwahr emp-findet, ist aufenthaltsrechtlich regelmäßig unbeachtlich. Der Ausländer ist nicht dazu ge-zwungen, die "Freiwilligkeitserklärung" als unwahre Bekundung bzw. als "Lüge" abzuge-ben. Die Freiwilligkeit kann in dem Sinne erklärt werden, dass der betroffene Ausländer ausreisepflichtig sei und er dieser Pflicht nachzukommen gedenke, um der zwangsweisen Abschiebung zuvor zu kommen (BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 19/08 – juris Rn. 14, 16; SächsOVG, Urteil vom 3. Juli 2014 – 3 A 28/13 – juris Rn. 21).

Das BSG hat im Urteil vom 30. Oktober 2013 (Az.: B 7 AY 7/12 R) die gegenteilige Ansicht vertreten und ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Abgabe einer solchen "Ehrenerklä-rung" die Intimsphäre des betroffenen Ausländers als unantastbarem Kernbereich des Per-sönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG berühre. Näher dargelegt wird diese Auffassung allerdings nicht. Berlit hat dazu angemerkt, dass das BSG im erwähnten Urteil die differenzierte Auseinandersetzung mit der genauen Reichweite des so evozierten "unantastbaren" Kernbereichs ersetzt habe durch den eingängigen Hinweis, dass niemand zum Lügen gezwungen werden dürfe und die Verpflichtung zur Erklärung eines nicht vorhandenen Willens einem totalitären Staatsverständnis entspreche (Anmer-kung vom 30. Oktober 2014 zum Urteil des BSG vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R – juris). Auch Cantzler bezweifelt, dass die Abgabe einer "Ehrenerklärung" unzumutbar sei (in: AsylbLG, 2019, § 1a Rn. 73; a.A.: Siefert, AsylbLG, 2018, § 1a Rn. 37 unter Bezug-nahme auf die abstrakten Rechtssätze des Urteils des BSG vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R). Die Auseinandersetzung mit den zitierten abstrakten Rechtssätzen des Urteils des BVerwG vom 10. November 2009 (Az.: 1 C 19/08) erschien nach der Ansicht des BSG als nicht erforderlich, da ein anderer "Kontext" bestanden habe.

So bleibt die Frage offen, weshalb durch die Abgabe einer "Ehrenerklärung" die Intimsphä-re betroffen sein soll und ob gegebenenfalls Argumente für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung sprechen. Das Grundgesetz gewährt dem Bürger einen unantastbaren Be-reich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist. Das verfassungskräftige Gebot, diesen Kernbereich, die Intimsphäre des Einzelnen, zu achten, hat seine Grundlage in dem durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des Grund-rechts aus Art. 2 Abs. 1 GG muss berücksichtigt werden, dass nach der Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht. Selbst überwiegende Interessen der Allgemein-heit können einen Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestal-tung nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrund-satzes findet nicht statt (BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 1973 – 2 BvR 454/71 – juris Rn. 30).

Jedoch steht nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Als gemein-schaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muss vielmehr jedermann staat-liche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 1973 – 2 BvR 454/71 – juris Rn. 31; Beschluss vom 23. Mai 1980 – 2 BvR 854/79 – juris Rn. 8; Beschluss vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99 u.a. – juris Rn. 50, 51).

Das BVerwG hatte in seinem Urteil vom 10. November 2009 (Az.: 1 C 19/08 – juris Rn. 17) unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Nürnberg vom 16. Januar 2007 (Az.: 2 St OLG Ss 242/06 – juris Rn. 59) bereits erwähnt, dass an die unterbliebene Freiwilligkeitser-klärung keine strafrechtlichen Konsequenzen geknüpft werden dürften und deren Abgabe weder rechtlich erzwungen noch gegen den Willen des Ausländers durchgesetzt werden dürfe. Die Weigerung, eine solche Erklärung abzugeben, werde vom Aufenthaltsrecht al-lerdings nicht honoriert (etwa durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG). Mit dem OVG Berlin-Brandenburg ist deshalb anzunehmen, dass der unan-tastbare Kernbereich der Persönlichkeit durch die Abgabe einer Freiwilligkeitserklärung jedenfalls so lange nicht betroffen ist, wie dem Ausländer nicht über die Pflicht hinaus, sich rechtstreu zu verhalten, die Bildung eines entsprechenden inneren Willens im Sinne eines Heimreisewunsches abverlangt wird (Urteil vom 15. Februar 2017 – OVG 3 B 9.16 – juris Rn. 30). Der Senat geht daher – wie bereits der 7. Senat des SächsLSG im Beschluss vom 30. Juni 2011 (Az.: L 7 AY 8/10 B ER – juris Rn. 39) davon aus, dass dem ausreise-pflichtigen Ausländer die Abgabe der Freiwilligkeitserklärung zuzumuten ist, wie sie das BVerwG im Urteil vom 10. November 2009 (Az.: 1 C 19/08 – juris Rn. 16) ausgedeutet hat.

Die Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG sind somit - im Gegensatz zur An-sicht des Antragstellers - in der dargestellten Weise umfassend zu verstehen. Sie sind auch mit Blick auf § 1a Abs. 3 AsylbLG weder auf "eindeutige" noch auf "nachhaltige" Verstöße – was immer damit gemeint sein mag - begrenzt. Die Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG zielt darauf ab, dass der Ausländer die Passpflicht erfüllt. Nur mit einem gültigen Rückreisedokument ist es möglich, die Ausreisepflicht gegebenenfalls auch durchzusetzen in Kooperation mit den Behörden des Herkunftsstaates. Der Gesetzgeber hat mit dem "Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" vom 15. Au-gust 2019 (BGBl. I, S. 1294) seinen politischen Willen betont, die Abschiebung ausreise-pflichtiger Drittstaatsangehöriger möglichst effektiv und schnellstmöglich durchzusetzen. Dieser Wille darf nicht dadurch vereitelt werden, dass die Reichweite der Mitwirkungs-pflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG unzulässig beschränkt wird. Davon abzugrenzen ist der oben erwähnte Maßstab für die Auslegung des § 1a Abs. 3 AsylbLG, der insbesondere bei der Prüfung zum Tragen kommt, ob der Ausländer den Nichtvollzug aufenthaltsbeenden-der Maßnahmen selbst zu vertreten hat (siehe dazu unten).

Nach § 3 Abs. 1 AufenthG besteht Passpflicht, also die Pflicht zum Besitz eines gültigen und anerkannten Passes. Die Erfüllung der Passpflicht dient nicht allein der Feststellung der Identität des Passinhabers. Vielmehr gewährleistet ein gültiger Pass oder Passersatz auch die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Inhabers durch den Ausstellerstaat (BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 10 B 1/13 – juris Rn. 4). Identität und Staatsan-gehörigkeit sind daher im Regelfall durch die Vorlage eines gültigen Passes nachzuweisen (§ 3 AufenthG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Die Passpflicht erstreckt sich einerseits auf die Einreise (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und andererseits auf die Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels. Die Passpflicht sowie die Pflicht zum Besitz eines Aufenthaltstitels bestehen unabhängig voneinander (VG München, Beschluss vom 3. April 2013 – M 25 S 13.963 – juris Rn. 21). Zwar kann die Identität auch durch die Vorlage der Kopie eines abgelaufenen Passes nachgewiesen werden.

Aber nur ein gültiger Pass oder Passersatz nach Art. 28 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder nach Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtstellung der Staatenlosen (StlÜb) gewährleisten im Rahmen der Geltungsdauer auch die Verpflichtung zur Wieder-aufnahme des Betroffenen durch den Ausstellerstaat (BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2013 – 10 B 1/13 – juris Rn. 4).

Die Passpflicht besteht unabhängig von der Pflicht zur Mitführung des Passes oder Pass-ersatzes beim Grenzübertritt (§ 13 Abs. 1 AufenthG) und den ausweisrechtlichen Pflichten nach § 48 AufenthG in Verbindung mit §§ 56, 57 AufenthV. Durch den Besitz eines gülti-gen Passes wird den Behörden die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) sowie die Rückkehrberechtigung seines Inhabers ohne weiteres ermöglicht. Ein gültiger Pass, den ein Staat an seine Angehörigen ausstellt, beinhaltet die völkerrechtlich verbindliche Erklärung des ausstellenden Staates, dass der Inhaber sein Staatsangehöriger ist. Diesen Staat trifft nach allgemeinem Völkerrecht gegenüber dem Aufenthaltsstaat eine Verpflichtung zur Rücknahme des Passinhabers (Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 2 Rn. 77).

Eine Belehrung der nach dem AsylbLG zuständigen Behörden an den Leistungsberechtig-ten über das geforderte pflichtmäßige Verhalten nach § 48 Abs. 3 AufenthG und die etwai-gen Folgen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG ist – anders als in § 66 Abs. 3 Erstes Buch Sozialge-setzbuch (SGB I), der nur die Mitwirkung im Leistungsverhältnis betrifft, nicht vorgesehen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. November 2018 – L 7 AY 4468/16 – juris Rn. 46). Sie ist auch nicht erforderlich (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15. April 2009 – 1 L 229/04 – juris Rn. 28; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. August 2005 – L 7 AY 3115/05 ER-B – juris Rn. 7; a.A. SG München, Beschluss vom 31. Januar 2017 – S 51 AY 122/16 ER – juris Rn. 40; Bayerisches LSG, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – L 8 AY 31/16 B ER – juris Rn. 59). Denn primär geht es bei § 1a Abs. 3 AsylbLG nicht um die Nichterfüllung von Pflichten aus dem Leistungsverhältnis, sondern aus dem ausländer-rechtlichen Verwaltungsverfahren und deren mittelbaren Auswirkungen auf den Leistungs-bezug. Erlangt der Leistungsberechtigte im ausländerrechtlichen Verfahren keine Kenntnis von seiner Mitwirkungspflicht bei der Aufenthaltsbeendigung, so ist kein leistungsrechtlich relevanter Verstoß denkbar (Cantzler, AsylbLG, 2019, § 1a Rn. 74). Mit dem Sozialgericht ist davon auszugehen, dass der Antragsteller über seine Mitwirkungspflichten hinreichend konkret informiert worden ist. Bezogen auf Maßnahmen nach § 48 Abs. 3 AsylbLG genügt im Hinblick auf mögliche Leistungseinschränkungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG die einma-lige Information. Diese muss nicht laufend aktualisiert werden. Diese Anforderungen hat der Antragsgegner erfüllt mit seinen Schreiben vom 23. April 2019, 25. Juli 2019 und 18. August 2019).

Davon zu unterscheiden ist die Notwendigkeit einer Anhörung im konkreten Fall. Beabsich-tigt die Ausländerbehörde, den Leistungsanspruch nach § 1a Abs. 3 AsylbLG einzuschrän-ken, ist stets die vorherige Anhörung (§ 1 des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsver-fahrens- und Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen [SächsVwVfZG] in Verbindung mit § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG]) erforderlich. Gerade im hier relevanten Bereich existenzsichernder Leistungen sind die tatsächlichen Voraussetzungen beabsichtigter Einschränkungen sorgfältig und unter Wahrung rechtlichen Gehörs zu ermit-teln. Im Rahmen der Anhörung ist die von der leistungsberechtigten Person verlangte kon-krete Mitwirkungshandlung hinreichend bestimmt zu bezeichnen, damit die Person weiß, welche Obliegenheit sie zur Abwendung der Leistungsreduzierung zu erfüllen hat (Bayeri-sches LSG, Beschluss vom 13. September 2016 – L 8 AY 21/16 B ER – juris Rn. 59). Da-zu ist ihr eine angemessene Frist einzuräumen (Hohm, AsylbLG, Stand: Januar 2020, § 1a Rn. 278). Auch diese Voraussetzungen hat der Antragsgegner erfüllt (Schreiben vom 25. Juli 2019 und 18. August 2019). Damit ist dem Antragsteller mit Blick auf die Folgen auf-grund des § 1a Abs. 3 AsylbLG hinreichend deutlich vor Augen geführt worden, dass im Falle unterbleibender Mitwirkungshandlungen nach § 48 Abs. 3 AufenthG die Leistungsein-schränkung droht.

Der Antragsteller hat das Fehlen eines Passes, Passersatzes oder Rückreisedokuments bzw. die fehlende Nachregistrierung als den Grund, der seine Ausreise hindert, auch selbst zu vertreten. Darauf hat das Sozialgericht zutreffend hingewiesen. Erforderlich, aber auch ausreichend hierfür ist, dass die den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen hindern-den Gründe in den Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten fallen. Insoweit ist zumindest ein persönliches (eigenes) Fehlverhalten des Leistungsberechtigten zu verlan-gen, wie dies dem § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG ausdrücklich zu entnehmen ist. Einerseits muss also ein dem Ausländer vorwerfbares Verhalten und andererseits die Ursächlichkeit zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen vorliegen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R - BSGE 114, 302 ff Rn. 25). Die Ursächlichkeit zwischen dem vorwerfbaren Verhalten – das umfassend festzustellen ist (siehe oben) – und der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maß-nahmen ist streng zu prüfen, um dem Ausnahmecharakter des § 1a AsylbLG als Sankti-onsnorm Rechnung zu tragen. Der demnach erforderliche ursächliche Zusammenhang besteht nur, wenn allein die unterbliebene Mitwirkung des Ausländers nach § 48 Abs. 3 AufenthG dazu geführt hat, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht erfolgen konn-ten. Ist die Ausweisung oder Abschiebung aus anderen als in der Person des Ausländers liegenden Gründen nicht möglich, z.B. wegen Reiseunfähigkeit oder weil sich Botschaften weigern, politisch unliebsamen Antragstellern Reisedokumente auszustellen, oder die Be-hörde aus sonstigen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzieht, ist keine Einschränkung des Leistungsanspruchs zu rechtfertigen (Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 40).

Der Antragsteller hat nicht daran mitgewirkt, die notwendigen Rückreisedokumente zu erlangen. Es ist nicht ersichtlich, dass er überhaupt Aktivitäten mit diesem Ziel entfaltet hat. Deshalb ist die Überlegung des Antragsgegners, den Anspruch des Antragstellers (weiter-hin) einzuschränken, durchaus nachvollziehbar. Allerdings dürfte die für den streitgegen-ständlichen Zeitraum erfolgte Leistungseinschränkung gegen den Verhältnismäßigkeits-grundsatz verstoßen. Einschränkungen des Leistungsanspruchs sind im Hinblick auf das Grundrecht der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in jeder Hin-sicht eng zu handhaben unter den strengen Anforderungen des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes in jedem Einzelfall. Leistungseinschränkungen dürfen somit nur zeitlich be-grenzt verhängt werden (z.B. über drei Monate mit maximaler Verlängerung auf sechs Monate innerhalb eines Jahreszeitraums). Keinesfalls dürfen sie durch eine starre Frist oder dauerhaft und auch nicht langjährig verhängt werden (vg. Oppermann in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK, Stand: März 2020, § 1a AsylbLG Rn. 150).

Die auf den streitgegenständlichen Zeitraum bezogene Leistungseinschränkung erscheint daher bereits aufgrund ihrer Dauer unangemessen. Der Antragsteller musste sich bereits von Juni 2019 bis November 2019 sowie von Dezember 2019 bis Mai 2020 mit einge-schränkten Leistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG begnügen. Die weitere Anordnung von Leistungseinschränkungen auch für den streitgegenständlichen Zeitraum war deshalb nach der Überzeugung des Senats als übermäßig anzusehen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 5. November 2019 (Az.: 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120) betont, dass der ver-fassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums allen zusteht. Er ist dem Grunde nach unverfügbar und geht selbst durch vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Die Menschenwürde kann selbst denjenigen nicht abgesprochen werden, denen schwerste Verfehlungen vorzuwerfen sind. Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind. Diese Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums ist demnach auch durch die Erreichung anderweitiger Ziele nicht zu relativieren. Dies gilt auch mit Blick auf das oben erwähnte gesetzgeberische Motiv, den Leistungsberechtigten durch die Sanktionierung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG mittelbar dazu zu veranlassen, seiner Ausreisepflicht nachzu-kommen.

Auch der Höhe nach dürfte die Leistungseinschränkung verfassungsrechtlichen Vorgaben widersprechen. Nach § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG werden nur noch Leistungen zur Ge-währleistung des physischen Existenzminimums erbracht. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings ausgeführt, dass das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschen-würdigen Existenzminimums neben dem physischen auch das soziokulturelle Existenzmi-nimum umfasst. Die Verankerung des Gewährleistungsrechts im Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG bedeutet, dass Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (Art. 1 Abs. 3 GG) den Menschen nicht auf das schiere physische Überleben reduzieren dürfen, sondern mit der Würde mehr als die bloße Existenz und damit auch die soziale Teilhabe als Mitglied der Gesellschaft gewährleistet wird. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert hat; insbesondere lässt sich die Gewährleis-tung aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht in einen "Kernbereich" der physischen und einen "Randbereich" der sozialen Existenz aufspalten.

Der Gesetzgeber kann auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 119). Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines men-schenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus eige-ner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhal-ten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für dieses menschenwürdige Dasein zur Verfügung stehen (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120).

Es ist offensichtlich, dass die Regelung in § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG diesen verfassungs-rechtlichen Anforderungen widerspricht. Im Ergebnis folgt daraus, dass dem von der Leis-tungseinschränkung betroffenen Ausländer rund 50 Prozent seines monatlichen Regelbe-darfs vorenthalten werden. Im Bereich der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozi-algesetzbuch (SGB II) sind lediglich Leistungskürzungen von 30 Prozent des maßgebli-chen Regelbedarfs für verfassungsgemäß erachtet worden (BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R – juris Rn. 56). Das Bundesverfassungsgericht hat Sankti-onsnormen im SGB II für verfassungswidrig erklärt, die über die Höhe der Leistungsminde-rung selbst bei wiederholten Pflichtverletzungen von 30 Prozent hinausgingen; Kürzungen in Höhe von 60 Prozent hat es als unzumutbar und für verfassungswidrig beurteilt, weil mangels hinreichender empirischer Erkenntnisse nicht sicher war, ob die menschenwürdi-ge Existenz der Hilfebedürftigen tatsächlich noch gesichert war (Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 168, 189f).

Nachdem daher die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung jedenfalls nach summarischer Prüfung nicht vorliegen, ist der Antragsgegner dazu verpflichtet, einstweilen ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG unter Anrechnung bereits gewährter Leis-tungen zu gewähren. Ob dem Antragsteller Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zustehen könnten, wäre nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (Az.: 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120) im Hauptsacheverfahren zu prüfen. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass er den Ausschluss sogenannter "Analogleistungen" auf Dauer für verfassungsrechtlich problematisch erachtet (Urteil vom 26. Februar 2020 – L 8 AY 5/14). Denn Sinn und Zweck des AsylbLG ist es, den Ausländern, die noch keinen oder noch keinen verfestigten ausländerrechtlichen Status in Deutschland erlangt haben, geringere Leistungen zur Existenzsicherung zu gewähren, als dies nach dem SGB II oder SGB XII geschehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – B 7 AY 1/11 R – juris Rn. 14).

Der dauerhafte Ausschluss des Antragstellers von "Analogleistungen" hätte aber zur Folge, dass er keine Möglichkeit mehr hätte, die – nach der Vorstellung des Gesetzgebers – tat-sächlich das menschenwürdige Existenzminimum sichernden Leistungen entsprechend dem SGB XII zu erhalten. Dieses Grundrecht steht jedoch deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Will der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen, so darf er bei der kon-kreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthalts-status differenzieren. Eine Differenzierung ist nur insofern möglich, als deren Bedarf von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig und transparent anhand des tatsächlichen Bedarfs belegt werden kann. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein Ge-staltungsspielraum zu, der ihn aber nicht davon entbindet, das Existenzminimum hinsicht-lich der konkreten Bedarfe zeit- und realitätsgerecht zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 74). Zwar sollten für Ausländer nach der Kon-zeption des AsylbLG weder Anreize für die Einreise noch solche für ein Verbleiben in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden (BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 24/07 R – juris Rn. 31). Migrationspolitische Erwägungen rechtfertigen allerdings von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokultu-relle Existenzminimum, da die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 95).

Schließlich besteht auch ein Anordnungsgrund. Die Sache ist eilbedürftig, da dem Antrag-steller die Mittel fehlen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Selbst wenn sich ein Mensch tatsächlich daran gewöhnen sollte, über längere Zeit geringere Leistungen als das verfassungsrechtlich Gebotene zu erhalten, darf dies kein Maßstab sein für die hier allein maßgebliche juristische Beurteilung. Danach ist das menschenwürdige Existenzminimum zu sichern; zumal im Falle des Antragstellers – wie aufgezeigt – die ausnahmsweise Ein-schränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a Abs. 3 AsylbLG zur Durchsetzung auslän-derrechtlicher Mitwirkungspflichten nach summarischer Prüfung nicht in Betracht kommt. Das BSG geht davon aus, dass allenfalls monatliche Euro-Beträge im einstelligen Bereich und für einen nur kurzen Zeitraum von längstens sechs Monaten eine allenfalls durch-schnittliche Bedeutung für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen haben (Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 RSozR 4-1935 § 14 Nr. 2).

Diese Erwägungen sind auf Leistungen nach dem AsylbLG zu übertragen; zumal diese vom Gesetzgeber zielgerichtet niedriger ausgestaltet worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG. Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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