S 45 AS 2070/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
45
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 45 AS 2070/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 327/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Krankenbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 967,26 EUR aus dem Jahr 2015, die aufgrund eines Selbstbehalts von der privaten Krankenversicherung nicht ersetzt worden sind.

Der 1994 geborene Kläger steht seit 18.12.2013 beim Beklagten im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge sind die Eltern des Klägers, C. und D., zu Betreuern bestellt. Herr B. ist für weitere Aufgabenkreise zum Betreuer bestellt. Bei dem Kläger wurde eine Schwerbehinderung mit einem Grad von 70 vom Hundert anerkannt.

Der Kläger ist beim M. privat krankenversichert. Der Kläger ist für die ambulante Krankenbehandlung im Tarif 704 mit einem Selbstbehalt in Höhe von 1.008 EUR jährlich versichert. Die monatlichen Beiträge zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 94,47 EUR übernahm der Vater des Klägers bis einschließlich Dezember 2014. Nachdem laut Versicherungsschein vom 01.11.2014 der Monatsbeitrag wegen Vollendung des 21. Lebensjahres des Klägers zum 01.01.2015 auf 288,84 EUR angehoben wurde, beantragte der Betreuer Herr B. mit Schreiben vom 19.01.2015 die Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung ab 01.01.2015 durch den Beklagten. Der Vater des Klägers sei angesichts der massiven Beitragserhöhung nicht mehr in der Lage, die laufenden Beitragszahlungen aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

Der M. informierte den Vater des Klägers mit Schreiben vom 03.02.2015 mit verschiedenen Rechenbeispielen darüber, dass der Basistarif für den Kläger 319,69 EUR im Monat betragen würde. Nachdem eine Familienversicherung über die Mutter des Klägers sowie eine Pflichtversicherung bei der D. BKK nicht möglich waren, teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 24.03.2015 mit, dass der aktuelle Tarif beim M. die kostengünstigste Variante sei und diese daher beibehalten werde. Mit Änderungsbescheid vom 23.04.2015 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 01.01.2015 bis 30.06.2015 einen monatlichen Zuschuss zu den Beiträgen der privaten Krankenversicherung in Höhe von 288,84 EUR und zahlte den Betrag direkt an den Vater des Klägers aus. Mit Bescheid vom 19.06.2015 bewilligte der Beklagte auch für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis 31.12.2015 einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 288,84 EUR monatlich.

Mit Schreiben vom 22.12.2015 informierte der Beklagte den Betreuer des Klägers, Herrn B., darüber, dass bei Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II als Zuschuss höchstens der halbierte Basistarif, d.h. für das Jahr 2016 monatlich höchstens 332,65 EUR, übernommen werden könnten.

Mit Schreiben vom 11.01.2016 reichten die Eltern des Klägers beim Beklagten Rechnungen für ambulante Krankenbehandlungen aus dem Jahr 2015 in Höhe von insgesamt 967,26 EUR ein und baten um Überweisung auf ihr Konto. Die Kosten würden von der Krankenversicherung im Rahmen des vereinbarten Selbstbehalts in Höhe von 1.008 EUR nicht übernommen und seien daher von den Eltern des Klägers verauslagt worden. Mit Schreiben vom 18.01.2016 trugen die Eltern des Klägers ergänzend vor, dass aus dem beim Beklagten eingereichten Versicherungsschein des M. eindeutig hervorgehe, dass der ambulante Versicherungsschutz im Tarif 704 einen Selbstbehalt in Höhe von 1.008 EUR beinhalte. Dieser Selbstbehalt sei direkter Bestandteil des Krankenversicherungsschutzes, dessen Übernahme durch den Beklagten ausdrücklich zugesagt worden sei.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 03.02.2016 erhob der Vater des Klägers mit Schreiben vom 29.02.2016 Widerspruch und trug vor, dass im jeweiligen Entstehungsmonat ein Mehrbedarf in jeweiliger Höhe entstanden sei. Dies gelte umso mehr, als es der Beklagte bislang versäumt habe, den Kläger über die Möglichkeit des Wechsels in den Basistarif ohne Selbstbehalt aufzuklären und hierüber entsprechende Ermittlungen einzuholen.

Mit Schreiben vom 06.07.2016 übersandte der Beklagte dem Vater des Klägers das Merkblatt zum Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen der Kranken- und Pflegeversicherung und bat um Mitteilung, wenn ein Antrag auf Wechsel des Tarifs für den Kläger bei der Krankenkasse gestellt werde.

Im ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 10.08.2016 führte der Beklagte aus, dass die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht vorliegen würden, da es sich zum einen nicht um einen laufenden Bedarf handele, zum anderen die erst im Januar 2016 beim Beklagten eingereichten Rechnungen durch den Vater des Klägers bereits beglichen worden seien. Zwar sei das Merkblatt zum Zuschuss nach § 26 SGB II erst am 06.07.2016 übermittelt worden, auf den Basistarif und den möglichen Wechsel in den Basistarif sei aber bereits mit Schreiben des Beklagten vom 04.12.2015 und 22.12.2015 und mit Schreiben des M. vom 03.02.2015 hingewiesen worden.

Mit der am 30.08.2016 beim Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Dem Beklagten sei spätestens mit Erhalt des Schreibens des M. vom 03.02.2015 bekannt gewesen, dass dem Kläger die im Rahmen des Tarifs für die ambulante Krankenbehandlung aufgrund des vereinbarten Selbstbehalts in Höhe von 1.008 EUR verbleibenden Eigenanteile als zusätzlich Kosten entstehen würden. Eine weitergehende Beratung durch den Beklagten sei in Kenntnis der bestehenden Versicherungsbedingungen nicht für erforderlich gehalten worden. Der Kläger habe den überdurchschnittlich hohen Mehrbedarf nicht aus eigenen Mitteln decken können. Die vom Vater des Klägers verauslagten Kosten seien bislang nicht vom Kläger zurückgefordert worden, da dieser finanziell dazu nicht in der Lage sei und außerdem von einer Verpflichtung des Beklagten zur Kostentragung ausgegangen worden sei.

Der Beklagte führte demgegenüber aus, dass der Kläger aufgrund einer ehrenamtlichen Tätigkeit über einen Betrag von ca. 100 EUR monatlich verfüge, mit dem die Rechnungen hätten beglichen werden können. Da dem Beklagten die Rechnungen erst Anfang des Folgejahres vorgelegt worden seien, habe der Beklagte nicht erkennen können, dass diese hohen Kosten entstehen würden und es einer weiteren Aufklärung hinsichtlich des Wechsels in den Basistarif bedürfe.

In der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2018 trug der Vater des Klägers vor, dass bis heute kein Wechsel in den Basistarif der privaten Krankenversicherung erfolgt sei. Dies sei auch nie in Betracht gekommen angesichts der Schwerbehinderung des Klägers, der ambulante Krankenbehandlung z. B. vom Heilpraktiker benötige, die nicht vom Leistungskatalog im Basistarif umfasst sei.

Der gesetzliche Vertreter des Klägers beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 03.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2016 zu verurteilen, die Krankenbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 967,26 EUR zu erstatten.

Die Beklagtenvertreterin beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Der Kläger begehrt die Übernahme der Krankenbehandlungskosten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 03.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2016. Statthafte Klageart ist daher die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG.

Dem zulässigen Klagebegehren steht nicht entgegen, dass es sich bei dem in Betracht kommenden Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II ebenso wie bei dem Anspruch auf einen Zuschuss nach § 26 SGB II nicht um einen abtrennbaren, eigenständigen Streitgegenstand handelt, sondern hinsichtlich der Höhe der zu bewilligenden Leistungen im Bewilligungszeitraum geltend zu machen ist. Nachdem der Antrag auf Kostenerstattung am 11.01.2016 beim Beklagten eingegangen ist, kann dieser als Antrag auf Überprüfung des Änderungsbescheides vom 23.04.2015 für die Zeit vom 01.01.2015 bis 30.06.2015 und des Bewilligungsbescheides vom 19.06.2015 für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.12.2015 nach § 40 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 SGB X ausgelegt werden, mit dem Ziel, höhere Leistungen für das Jahr 2015 zu erhalten.

Die Klage ist jedoch unbegründet und war daher abzuweisen. Der Bescheid vom 03.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlungskosten in Höhe von insgesamt 967,26 EUR.

Der Zuschuss zum Versicherungsbeitrag der privaten Krankenversicherung nach § 26 SGB II erstreckt sich nicht auf Aufwendungen zur medizinischen Versorgung, die in den Selbstbehalt fallen (vgl. Urteil des BSG vom 29.04.2015, B 14 AS 8/14 R in juris, Rn. 13). Nachdem die Versicherungsbeiträge im Jahr 2015 in Höhe von monatlich 288,84 EUR unstreitig in voller Höhe vom Beklagten nach § 26 SGB II übernommen wurden, kommt als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Krankenbehandlungskosten nur ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II in Betracht.

Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. a.a.O. Rn. 20) ist bei unter den Selbstbehalt der privaten Krankenversicherung fallenden Krankenbehandlungskosten ausnahmsweise, solange es an einer ausreichenden Beratung des zuständigen Grundsicherungsträgers über die Möglichkeiten des Wechsels in den Basistarif gefehlt hat und der Wechsel deshalb zunächst unterblieben ist und soweit in der gesetzlichen Krankenversicherung Kosten in entsprechender Höhe angefallen wären, eine Übernahme als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II möglich. Die Anerkennung als unabweisbarer Mehrbedarf setzt allerdings voraus, dass ein Wechsel in den Basistarif wegen einer fehlenden Beratung und nicht aus anderen Gründen, wie etwa bessere Leistungen im vereinbarten Tarif, unterblieben ist.

Kosten der medizinischen Versorgung sind nicht mehr unabweisbar ab dem Zeitpunkt, ab dem einem privat krankenversicherten Leistungsberechtigten der Wechsel in den Basistarif ohne Selbstbehalt zumutbar möglich ist. Nach der laufenden Rechtsprechung des BSG ist Leistungsbeziehern nach dem SGB II grundsätzlich der Wechsel in den Basistarif der privaten Krankenversicherung zumutbar (vgl. Urteil des BSG vom 16.10.2012, B 14 AS 11/12 R). Der Basistarif entspricht in seinen Leistungen denen der gesetzlichen Krankenversicherung, in der etwa 90 % der Bevölkerung versichert sind. Diese deckt alle medizinisch notwendigen Leistungen ab.

Vorliegend ist der Beklagte nach Auffassung des Gerichts jedenfalls bis zur Übermittlung des Merkblatts zum Zuschuss nach § 26 SGB II mit Schreiben vom 06.07.2016 seiner Beratungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Wie aus dem Schreiben des Beklagten vom 24.03.2015 hervorgeht, hat der Beklagte die tatsächlichen Beiträge zur privaten Krankenversicherung übernommen, weil es sich dabei um die günstigste Variante handele. Dass es sich dabei um die günstigste Variante für den Beklagten handelte, wurde dem Kläger nicht mitgeteilt. Es wäre in diesem Zusammenhang erforderlich gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass auch die (für den Beklagten) ungünstigere Übernahme des Basistarifs ohne Selbstbehalt in Höhe von 319,69 EUR monatlich vom Beklagten hätte übernommen werden müssen. Es hätte allerdings auch der Hinweis darauf erfolgen müssen, dass die Leistungen im Basistarif nur denen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen und damit der Leistungsumfang unter Umständen für den Kläger ungünstiger wäre.

Nachdem hier aber, wie vom Vater des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2018 vorgetragen, ein Wechsel in den Basistarif angesichts der Schwerbehinderung des Klägers und der dann ausgeschlossenen Leistungen, beispielsweise eines Heilpraktikers, nie in Betracht gezogen wurde, fehlt es an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen fehlender Beratung durch den Beklagten und einem deshalb unterbliebenen Wechsel in den Basistarif. Nachdem ein Wechsel in den Basistarif auch im Jahr 2015 wegen des schlechteren Leistungsumfangs nicht in Betracht gekommen wäre, ist davon auszugehen, dass auch eine entsprechende Beratung durch den Beklagten nicht zu einem Wechsel in den Basistarif ohne Selbstbehalt geführt hätte. Da ein solcher, wie bereits dargelegt, in jedem Fall zumutbar und auch möglich gewesen wäre, ist vorliegend nicht von einem unabweisbaren Mehrbedarf im Jahr 2015 auszugehen.

Ein Anspruch auf Kostenübernahme ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Beklagte mit Schreiben vom 24.03.2015 erklärt hat, dass der aktuelle Tarif, weil am günstigsten, beibehalten werde. Aufgrund des Änderungsbescheides vom 23.04.2015 war für den Kläger eindeutig ersichtlich, dass aufgrund der Zusage lediglich die monatlichen Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 288,84 EUR übernommen und direkt an den Vater des Klägers überwiesen werden würden.

Soweit darüber hinaus gehende Leistungen begehrt werden, hätten diese dem Beklagten gegenüber mit der Rechnungstellung geltend gemacht werden müssen. Der Bedarf in Höhe der aufgrund des Selbstbehalts nicht gedeckten Krankenbehandlungskosten entsteht nicht bereits mit Vereinbarung eines Selbstbehalts, sondern jeweils erst mit der jeweiligen Rechnungstellung. In dem Zeitpunkt, in dem die Rechnungen beim Beklagten eingereicht wurden, war der Bedarf des Klägers aufgrund der unter dem Selbstbehalt liegenden Rechnungen in Höhe von 967,26 EUR jedoch bereits gedeckt, da der Vater des Klägers die Rechnungen jeweils zeitnah beglichen hat. Es ist weder vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich, dass die Rechnungen lediglich darlehensweise mit einer Rückzahlungsverpflichtung versehen, beglichen worden wären. Es ist vielmehr nach den Umständen davon auszugehen, dass der Vater des Klägers die Rechnungen laufend freiwillig beglichen hat, so wie er dies bereits mit den laufenden Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von 94,47 EUR monatlich bis einschließlich Dezember 2014 getan hat. Im Übrigen wäre für eine entsprechende wirksame Darlehensvereinbarung die Einwilligung des Betreuers für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Herrn B., erforderlich gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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