S 35 AS 107/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 107/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 08. März 2005 gegen den Bescheid vom 01.03.2005 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 23.12.2004 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II für Januar 2005. Der Bescheid enthält den Vermerk, dass bei Überweisungen für Folgemonate von unveränderten Verhältnissen ausgegangen werde. Für Februar 2005 erhielt die Antragstellerin daher gleiche Leistungen wie im Januar 2005.

Mit Bescheid vom 01.03.2005 stellte die Antragsgegnerin die Leistungen ab 01.03.2005 ein. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, die Antragstellerin sei seit 01.03.2005 bei Herrn U in der Wohnung F-P-Straße 00 in 00000 I gemeldet. Es sei daher von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen. Außerdem habe sich herausgestellt, dass – laut Mietvertrag – die Antragstellerin schon seit dem 01.04.2003 mit Herrn U in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebe.

Hiergegen hat die Antragstellerin unter dem 08. März 2005 Widerspruch eingelegt. Sie hat ausgeführt, sie lebe mit Herrn U nur in einer Wohngemeinschaft zusammen. Herr U sei nicht gewillt, der Antragstellerin Unterhalt zu gewähren.

Über den Widerspruch ist bislang nicht entschieden worden.

Unter dem 00.00.0000 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt. Sie hat vorgetragen, durch die Nichtzahlung von Leistungen in eine akute Notlage geraten zu sein und nicht krankenversichert zu sein.

Die Antragstellerin beantragt,

1.Über den 28.02.2005 hinaus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von mindestens 80 von Hundert von 311,00 Euro,

2.die hälftigen Wohnkosten in Höhe von 275,00 Euro,

3.über den 28.02.2005 hinaus den Krankenversicherungsbeitrag bei der Barmer Ersatzkasse als Pflichtversicherte in Höhe von 125,00 Euro jeweils bis zur Entscheidung über die Hauptsache zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, die Antragstellerin habe eingeräumt in einer "Wohngemeinschaft" zu leben. Es könne dann unterstellt werden, dass dies eine eheähnliche Lebensgemeinschaft sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat im tenorierten Umfange Erfolg.

Das Gericht geht davon aus, dass die mit Bescheid vom 23.12.2004 bewilligte Leistung einen Dauerverwaltungsakt darstellt. Mit dem Bescheid vom 01.03.2005 wird dieser Dauerverwaltungsakt zurückgenommen. Das Begehren der Antragstellerin ist daher in der Hauptsache auf Beseitigung des Bescheides vom 01.03.2005 gerichtet (Anfechtungssituation).

Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist vorliegend die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den angefochtenen Bescheid anzuordnen.

Der Antrag ist in der Sache begründet, weil der Verwaltungsakt vom 01.03.2005 - nach der hier gebotenen summarischen Prüfung – rechtswidrig ist. Es bestehen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin in "eheähnlicher Gemeinschaft" mit Herrn U lebt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt Beschluss des 1. Senats vom 02. September 2004, Az.: 1 BvR 1962/04) ist eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" allein die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die weitere Lebensgemeinschaften gleicher Art nicht zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen.

Der Schluss der Antragsgegnerin, bei Bestehen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sei vom Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen, ist schon deshalb erkennbar nicht gerechtfertigt.

Im Übrigen erfüllt das Zusammenleben der Antragstellerin mit Herrn U schon deswegen nicht die Voraussetzungen für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft, weil es an einem entsprechenden Zeitablauf fehlt, der den Rückschluss zulässt, es handele sich um eine auf Dauer angelegte Beziehung. Nach der Rechtsprechung der Kammer kommt die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft in der Regel nur in Betracht, wenn die Partner dieser Lebensgemeinschaft mindestens drei Jahre lang zusammenleben. Die Antragsgegnerin hat hier jedoch ein allenfalls zweijähriges Zusammenleben ermittelt, wobei die Antragstellerin bis vor kurzem daneben noch eine eigene Wohnung besessen hat.

Das Gericht hat im Übrigen erhebliche Bedenken, ob sich die Frage, ob eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt, anhand von vordergründigen, objektiven Kriterien – wie hier dem Zusammenleben - ermitteln lässt. Dies wird auch im vorliegenden Fall deutlich. Die Antragstellerin soll – nach dem Willen der Antragsgegnerin – auf (Unterhalts-)Zahlungen des Herrn U verwiesen werden. Auch diese Zahlungen hat die Antragstellerin jedoch keinen Rechtsanspruch, d.h. die Antragstellerin kann derartige Zahlungen von Herrn U nicht verlangen und schon gar nicht einklagen. Insoweit hat sie auch vorgetragen, Herr U sei nicht bereit, sie zu unterhalten. Kommt also die Antragsgegnerin – entgegen der Angaben der "Partner" – zu der Erkenntnis, es liege eine "eheähnliche Gemeinschaft" vor, so ist der vermögenslose Partner dieser Gemeinschaft völlig rechtlos gestellt. Er hat keinen Anspruch gegen die Behörde und keinen Anspruch gegen den vermeintlichen Partner.

Dieser Konflikt lässt sich sachgerecht nur lösen, wenn den Stellungnahmen der Partner zur Frage der "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" entscheidende Bedeutung zukommt. Eine "eheähnliche Gemeinschaft" kann daher nur angenommen werden, wenn die Partner ausdrücklich bestätigen (finanziell) – auch in Zukunft – füreinander einstehen zu wollen, denn nur dann ist das Kriterium der "Eheähnlichkeit", das in Anlehnung an § 1360 BGB ein gegenseitiges "Unterhalten" fordert, erfüllt (BverwG NDV-RD 1996,38 = N JW 1995,2802; Münder ZfSH/SGB 1986,198ff; LK-Kommentar zum BSHG,6. Aufl. § 122 Anm 8 m.w.N). Es kann nämlich nicht angehen, dass ein Hilfebedürftiger auf Leistungen eines Dritten verwiesen wird, die dieser tatsächlich nicht erbringt und auch rechtlich nicht erbringen muss.

Damit wird die gesetzliche Regelung keineswegs als absurdum geführt, denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II hat auch derjenige keinen Anspruch auf Leistungen, der von einem anderen tatsächlich unterhalten wird. Ob dies der Fall ist, lässt sich sehr viel einfacher ermitteln (gemeinsames Konto etc.) als die komplexe Frage, ob eine "eheähnliche Gemeinschaft" besteht. Die Behörden hätten damit weiterhin die Möglichkeit, "Bedarfsgemeinschaften" zwischen nicht Verheirateten anzunehmen, wenn das im Übrigen auch für "eheähnliche Lebensgemeinschaften" unbedingt erforderliche Kriterium des tatsächlich "gegenseitigen füreinander Einstehens" erfüllt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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