L 1 RA 81/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 RA 347/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 81/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente bzw. Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle einer Berufsunfähigkeitsrente.

Sie ist im Februar 1948 geboren, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung als Zahntechnikerin und arbeitete in diesem Beruf bis September 1999. Im November 2000 stellte sie einen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation. Diesen Antrag sah die Beklagte später als Rentenantrag an gemäß § 116 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und bewilligte mit Bescheid vom 30. April 2002 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, zunächst für die Zeit vom 28. Januar 2001 bis 31. Oktober 2003. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bestehe hingegen nicht.

In ihrem Widerspruch vom 24. Mai 2002 verwies die Klägerin auf ihre Krankheiten und Beeinträchtigungen. Sie leide an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelsäulenfehlhaltung, Seelenleiden, Beschwerden des rechten Kniegelenkes bei Meniskopie, Epicondylitis humero radialis (Tennisarm), Reizmagen, Bluthochdruck und anderem. Sie habe auch unerträgliche Schmerzen im Bereich der Lendenwirbel. Bei all diesen Beschwerden sei ihr eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zuzumuten. Im Auftrag der Beklagten erstellte der Chirurg Dr. H am 12. Juli 2002 ein sozialmedizinisches Gutachten. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin aus Sicht seines Fachgebietes den bisherigen Beruf weiterhin vollschichtig ausüben könne. In einem weiteren Gutachten hielt die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G die Klägerin zwar für nicht mehr fähig, ihren letzten Beruf auszuüben. Leichte körperliche Arbeiten könnten aus nervenärztlicher Sicht jedoch vollschichtig geleistet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 2 SGB VI in der Fassung bis 31. Dezember 2000 (künftig: alte Fassung = a. F.) liege nicht vor. Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und darauf hingewiesen, mittlerweile an einer sehr schmerzhaften Fibromyalgie zu leiden. Im Auftrag des Sozialgerichts (SG) hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B ein sozialmedizinisches Gutachten erstellt. Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig auszuüben.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 31. März 2004 (GA Bl. 160) den angefochtenen Bescheid abgeändertund der Klägerin ab 01. November 2000 einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit auf unbestimmte Zeit bewilligt. Der Gutachter B hat sich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31. Juli 2004 speziell mit dem Einwand der Klägerin auseinandergesetzt, mittlerweile an Fibromyalgie zu leiden. Er hält eine wesentliche Befundverschlechterung im Vergleich zu seinem Begutachtungszeitraum für nicht gegeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 25. Oktober 2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit noch auf Rente wegen Erwerbsminderung im Sinne des aktuellen § 43 SGB VI (künftig: neue Fassung= n. F.). Trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen sei nicht erkennbar, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen gehindert sei, überhaupt noch irgendeine leichte Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben. Außer Streit sei dabei, dass die Klägerin durch ihre Schmerzen und Reizerscheinungen beeinträchtigt sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung vom 08. Dezember 2004 (GA Bl. 198 ff.). Die Klägerin hat zur Begründung ausgeführt, das SG habe verkannt, dass sie auch noch an einer sehr schmerzhaften rheumatoiden Arthritis leide, wodurch sich ihr Gesundheitszustand in der letzten Zeit erheblich verschlechtert habe. Aufgrund ihrer Rheumaerkrankung könne sie die rechte Hand kaum noch bewegen (GA Bl. 227). Der Senat hat daraufhin Prof. Dr. G mit einer rheumatologisch-orthopädischen Untersuchung der Klägerin beauftragt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2005 zu den Diagnosen -somatoforme Schmerzstörung in multilokulärer Ausprägung, -neurologisch-psychiatrisch festgestellte Anpassungsstörungen mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, -klinisch, radiologisch und paraklinisch nicht zu belegende rheumatoide Arthritis, leichtgradige Fingerpolyarthrose, klinisch und radiologisch nicht zu belegende Spondylarthropatie, lumbales Pseudoradikulärsyndrom bei bekannten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit Spinalkanalstenose, Spondylarthrose und Bandscheibendegeneration in den unteren Lendenwirbelsäulensegmenten sowie im lumbosakralen Übergang, -Chondropathia patellae beiderseits (Kniescheibengelenkknorpeldegeneration), -Hallux valgus (Ballengroßzehe) beidseitig bei Senk-Spreizfuß - inkomplettes metabolisches Syndrom gelangt. Hinsichtlich der Schmerzen geht der Gutachter von einem Mischbild von degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und einer sich überlagernden multilokulären Schmerzsymptomatik in Projektion auf den Weichteilapparat aus. Eine Schmerzchronifizierung sei erkennbar, entzündliche rheumatische Erkrankungen jedoch auszuschließen. Er ist zu dem Schluss gelangt, die Klägerin könne leichte Arbeiten im Freien wie in geschlossenen Räumen unter Wechsel der verschiedenen Haltungsarbeiten durchführen ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten. Arbeiten unter Zeitdruck sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten seien zu vermeiden. Der Klägerin sei ein Arbeiten am Computer möglich, ebenso Tätigkeiten, welche die Fingerbeweglichkeit förderten. Die festgestellten Leiden hätten keinen Einfluss auf das Hör- und Sehvermögen, auf das Reaktionsvermögen sowie die Lese- und Schreibgewandtheit. Die Arbeit im Publikumsverkehr sei nicht beeinflusst. Die Klägerin könne auch noch viermal täglich einen Fußweg von mehr als 500 m in jeweils 20 Minuten zurücklegen. Sie könne täglich zwischen 6 und 8 Stunden tätig sein.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie könne aufgrund ihrer erheblichen Rheumaschübe nicht mehr regelmäßig vollschichtig arbeiten. Sie hat dazu eine ärztliche Stellungnahme der Frau Dr. K vom 19. Januar 2006 eingereicht (GA Bl. 257 ff.), auf die ergänzend verwiesen wird.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 30. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2002 und des Bescheides vom 31. März 2004 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist der Auffassung, dass sich relevante Leistungsverschlechterungen im Berufungsverfahren nicht gezeigt hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Auf den geltend gemachten Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente findet hier über §§ 300 Abs. 1, 302b Abs. 1 SGB VI n. F. primär § 44 SGB VI a. F. Anwendung. Der Antrag auf Rehabilitationsleistungen im November 2000 gilt als Rentenantrag nach § 116 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI a. F., weil die Rehabilitationsmaßnahmen die Berufs- bzw. die etwaige Erwerbsunfähigkeit nicht verhindert haben. Er ist vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I 1827) zum 1. Januar 2001 gestellt worden (§ 300 Abs. 2 SGB VI n. F.). Der Anspruch soll nach dem Begehren der Klägerin auch schon bis 31. Dezember 2000 entstanden sein (§ 300 Abs. 2, 302b Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 SGB VI n. F.). Die ab 01. Januar 2001 geltende Neuregelung mit der Umstellung auf die neuen Renten wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung wäre für den Fall maßgeblich, dass der begehrte Rentenanspruch am 31. Dezember 2000 nicht bestand, aber für die nachfolgende Zeit in Betracht kommt (vgl. § 300 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 SGB VI n. F.).

Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abs. 2 SGB VI a. F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in einer gewissen Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt (Satz 1 Halbsatz 1). Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 2 Nr. 2). Von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ist bei einem täglichen (genauer: werktäglichen) Leistungsvermögen von 8 Stunden auszugehen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n. F. sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senates fest, dass die Klägerin sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung im November 2000 als auch bis heute über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für zumindest körperlich leichte Tätigkeiten verfügt. Er folgt insbesondere den Ausführungen des zeitlich jüngsten Gutachtens des Prof. Dr. G, das im Ergebnis mit der Auffassung sämtlicher vorangegangener Gutachten übereinstimmt. An der Richtigkeit dieser sachverständigen Aussagen zu zweifeln, besteht kein Anlass: Das SG hat bereits zutreffend ausgeführt, die chronifizierten und die Klägerin ständig beeinträchtigenden Schmerzen seien vom Gutachter B berücksichtigt und gewürdigt worden. Der Sachverständige G geht in seiner Begutachtung ebenfalls von einer Schmerzchronifizierung aus. Er wendet sich lediglich - überzeugend - gegen die Annahme einer entzündlichen rheumatischen Erkrankung. Auch die Fachärztin für Innere Medizin Kgeht in ihrem von der Klägerin neu eingereichten ärztlichen Attest von einem Rückgang der früher von ihr festgestellten Gelenkentzündung aus. Ein Widerspruch zum Gutachten G kann somit nicht angenommen werden.

Weil die Klägerin noch 8 Stunden täglich arbeiten kann, scheiden sowohl eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie auch eine wegen voller Erwerbsminderung aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen. Ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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