L 9 B 115/06 EG PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 EG 36/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 B 115/06 EG PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin vom 23. Januar 2006 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die 1978 geborene Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, beantragte am 21.03.2005 für ihren 2005 geborenen Sohn O. M. Bundeserziehungsgeld für das erste Lebensjahr. Mit Bescheid vom 29.03.2005 bewilligte der Beklagte Bundeserziehungsgeld in Höhe von EUR 300,00 monatlich.

Mit Schreiben vom 14.02.2005 teilte die AOK Bayern dem Beklagten mit, dass gegen die Klägerin eine einziehbare, nicht verjährte Forderung in Höhe von EUR 1.687,64 besteht. Es handelt sich hierbei um die Rückforderung zu Unrecht erhaltener Kassenleistungen aufgrund Leistungsbezugs ohne bestehende Mitglied- schaft. Die AOK bat, die Forderung gegen die Leistung "Erziehungsgeld" zu verrechnen. Mit Schreiben vom 16.06.2005 hörte der Beklagte die Klägerin zu seiner Absicht an, die Forderung der AOK Bayern durch Abzug monatlicher Raten von EUR 150,00 vom Erziehungsgeld einzuziehen. Die Klägerin teilte darauf mit, dass dies aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage nicht möglich sei, und sie allenfalls auf EUR 50,00 vom Monat verzichten könne.

Mit Bescheid vom 21.07.2005 stellte der Beklagte fest, dass die Forderung der AOK in Höhe von EUR 1.697,64 im Wege der Verrechnung durch Einbehaltung monatlicher Raten i.H.v. EUR 150,00 vom Bundeserziehungsgeld eingezogen wird. Im Rahmen der vorzu- nehmenden Ermessensausübung seien außergewöhnliche soziale oder finanzielle Gründe, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, dem Interesse der Klägerin den Vorzug zu geben, nicht ersichtlich.

Mit Schreiben vom 27.07.2005 teilte die AOK eine weitere offene Restforderung in Höhe von EUR 70,00 aus nicht entrichteten Zu- zahlungen mit.

Am 19.08.2005 legte die Klägerin Widerspruch ein. Das Erzie- hungsgeld sei nicht pfändbar und könne daher auf andere offene Forderungen nicht verrechnet werden. Das Erziehungsgeld in Höhe von EUR 300,00 stelle das einzige Einkommen der Klägerin dar. Dieses liege damit unter dem Regelsatz des SGB II, so dass Hil- febedürftigkeit eintrete.

Bereits mit der Erziehungsgeldzahlung für August 2005 verrech- nete der Beklagte die erste Rate in Höhe von EUR 150,00. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2005 wies der Beklagte den Rechtsbehelf als unbegründet zurück. Der Beklagte habe nach pflichtgemäßem Ermessen die von der AOK mitgeteilten Forderungen im Wege der Verrechnung eingezogen. Die Rechtmäßigkeit der Forderung sei hierbei nicht zu überprüfen gewesen. Da das Bun- deserziehungsgeld kein Einkommen im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes sei, könne durch die Verrechnung auch keine Bedürftigkeit eintreten.

Am 04.11.2005 beantragte die Klägerin Bundeserziehungsgeld für das zweite Lebensjahr ihres Sohnes. Diesem Antrag legte sie einen Bescheid der Arge N. vom 09.08.2005 bei, wonach sie ab 01.09.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von EUR 943,00 monatlich bezog. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24.11.2005 Bundeserziehungsgeld bis 15.04.2006, da der Aufenthaltstitel der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt befristet war. In dem Bescheid wurde weiter mitgeteilt, dass die Forderung der AOK weiterhin in Raten vom Erziehungsgeld einbehalten werde.

Bereits am 28.10.2005 hatten die Bevollmächtigten der Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass eine Aufrechnung gegen Ansprüche auf Erziehungsgeld nur möglich sei, soweit der Leistungsberechtigte nicht nachweise, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne des SGB II wird. Dies sei bei der Klägerin der Fall, da sie lediglich das Erziehungsgeld als Einkommen beziehe, welches unter dem Regelsatz des SGB II liege. Zudem habe der Widerspruch der Klägerin aufschiebende Wirkung, so dass der Beklagte schon aus diesem Grund das volle Erziehungsgeld zu leisten habe.

Mit Beschluss vom 21.12.2005 lehnte das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei im Rahmen der Aufrechnung mit zu Unrecht erhaltenen Sozialleistungen nicht auf die Pfändbarkeit der Hauptforderung abzustellen. Die Regelungen über die Un- pfändbarkeit des Anspruchs auf Erziehungsgeld sowie dessen Nichtanrechnung auf einkommensabhängige Sozialleistungen stehe damit einer Aufrechnung auch dann nicht entgegen, wenn der Be- troffene Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfe- gesetz oder dem SGB II beziehe. Die Sozialleistungsträger seien insoweit bei der Verrechnung privilegiert.

Gegen diese Entscheidung legten die Bevollmächtigten der Kläge- rin am 23.01.2006 Beschwerde ein. Das Sozialgericht habe in seinem Beschluss nicht berücksichtigt, dass die Klägerin durch die Aufrechnung hilfebedürftig werde.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt, §§ 172 Abs.1, 173, 176 sowie § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 127 Abs.2 Satz 2 Zivilpro- zessordnung (ZPO).

Die Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Nach § 114 ZPO, der wie alle Vorschriften über die Prozesskostenhilfe gemäß § 73a SGG entsprechend auf das Sozialgerichtsverfahren anzuwenden ist, erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist hierbei gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält. Hierbei ist eine summarische Prüfung vorzunehmen (Meyer-Ladewig, Rdnr.7a, b zu § 73 a SGG).

Unter diesen Voraussetzungen kann die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht erkannt werden. Nach der hier gebotenen summarischen Prüfung hat der Beklagte zu Recht den Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld in Höhe von EUR 150,00 monatlich mit den Ansprüchen des Krankenversicherungsträgers auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen verrechnet. Gemäß § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprü- che gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Durch diese Vorschrift wird unter Verzicht auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit von Forderungen die Auf- bzw. Verrechnung auch mit Forderungen anderer Sozialleistungsträger ermöglicht. Vorliegend wurde der Beklagte durch die AOK Bayern mit Schreiben vom 14.02.2005 ausdrücklich zur Verrechnung der Forderung ermächtigt.

Die Verrechnung scheitert auch nicht an den Voraussetzungen des § 51 SGB I. Nach dessen Abs.1 kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs.2 und 4 SGB I pfändbar sind. Nach § 51 Abs.2 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des XII. Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem II. Buch wird. Zwar handelt es sich beim Bundeserziehungsgeld nach § 54 Abs.3 Nr.1 SGB I um eine unpfändbare Leistung, dies steht jedoch einer Aufrechnung nach § 51 Abs.2 SGB I nicht entgegen. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 27.03.1996 (Az.: 14 REg 10/95) klar gestellt, dass es mit Sinn und Zweck des Erziehungsgeldes als familienpolitische Sozialleistung auch nach dem Willen des Gesetzgebers vereinbar ist, wenn dieses wegen bestehender Erstattungs- und Beitragsansprüche bis zur Hälfte der Auf- bzw. Verrechnung unterliegt. Nach dem BSG ist die Privilegierung der Erstattungs- und Beitragsansprüche durch einen besonderen Abs.2 und dessen Formulierung hinreichend klar zum Ausdruck gekommen und als Ausnahme von § 51 Abs.1 SGB I hervorgehoben. Hätten die Einschränkungen des Abs.1 auch - und zwar dann zusätzlich - bei Anwendung des Abs.2 gelten sollen, so wäre es erforderlich und unschwer möglich gewesen, dies gesetzestechnisch kenntlich zu machen (BSG a.a.O.).

Die Voraussetzungen der Verrechnung gem. §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I sind vorliegend erfüllt. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob auch die von der AOK Bayern begehrte Verrechnung von nicht entrichteten Zuzahlungen in Höhe von EUR 70,00 unter § 52 Abs.2 SGB I fällt, da diese Forderung von den angegriffenen Be- scheiden noch nicht erfasst wurde. Bei der hier maßgeblichen Gegenforderung in Höhe von EUR 1.697,64 handelt es sich jedenfalls unstreitig um die Rückforderung zu Unrecht bezogener Sozialleistungen. Der Verrechnung steht auch nicht entgegen, dass die Aufrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen nur zulässig ist, soweit der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne des SGB II bzw. XII wird. Hilfebedürftigkeit kann durch eine Verrechnung von Erziehungsgeld schon deswegen ausnahmslos nicht eintreten, weil das Erziehungsgeld nach § 8 Abs.1 BErzGG als Einkommen bei Sozialleistungen unberücksichtigt bleibt. Die Frage, ob und in welcher Höhe die Klägerin Erziehungsgeld erhält ist damit für die Frage der Hilfebedürftigkeit völlig unerheblich. Eine Kürzung des Erziehungsgeldes infolge Verrechnung hat damit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Auswirkungen auf die Voraussetzungen für die Gewährung für Hilfe zum Lebensunterhalt. Weder kann kraft Gesetzes dadurch Hilfebedürftigkeit eintreten noch eine bestehende Hilfebedürftigkeit verstärkt werden. Dementsprechend hat das BSG im dritten Leitsatz seiner Entscheidung vom 27.03.96 (a.a.O.) ausdrücklich klargestellt, dass die Regelungen über die Unpfänd- barkeit des Anspruchs auf Erziehungsgeld sowie dessen Nichtan- rechnung auf einkommensabhängige Sozialleistungen eine Aufrech- nung auch dann nicht hindern, wenn Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen wird.

Der Verrechnung steht auch nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 25.03.1982 (Az.: 10 RKg 2/81) entgegen, wonach eine Aufrechnung nach § 51 Abs.2 SGB I gegen Ansprüche auf Kindergeld nicht möglich ist. Das BSG hat hierbei ausgeführt, dass es sich bei dem Kindergeld um eine Sozialleistung besonderer Art handelt, weil sie "für" die Kinder bezahlt wird. Das Kindergeld stehe dem Kindergeldberechtigten für die Familie, in der das Kind dauernd lebt zwar formell, nicht aber seinem materiellen Gehalt nach zu. Es fehle insoweit an der materiellen Gegenseitigkeit bzw. Gleichartigkeit der gegenüberstehenden Forderungen. In seiner Entscheidung vom 27.03.1996 (a.a.O.) hat das BSG ausdrücklich klar gestellt, dass diese Erwägungen zum Verbot der Aufrechnung gegen Kindergeldansprüche mit Blick auf die notwendige Gegenseitigkeit der Ansprüche nicht auf das Erziehungsgeld übertragbar sind. Das Erziehungsgeld stellt insoweit im Gegensatz zum Kindergeld keine Leistung für das Kind dar, die dem Unterhalt des Kindes dient und nur formell einem Elternteil zugeordnet ist. Aus dem Zweck des Erziehungsgeldes, die Hinwendung zum Kind zu fördern, die Betreuungs- und Erziehungsleistung anzuerkennen und die Wahlfreiheit zwischen Berufsausübung und Einkommensverzicht zu sichern, folgt, dass es dem das Kind betreuenden Elternteil formell wie materiell alleine zusteht. Die Gegenseitigkeit der Forderungen ist daher gewahrt.

Weiter begründet auch die Tatsache, dass die Beklagte die Verrechnung mittels Verwaltungsakt vorgenommen hat, keine Erfolgsaussichten der Klage. Im Gegensatz zur Aufrechnung, welche mittels Aufrechnungserklärung als Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechtes in Form einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung erfolgt, handelt es sich bei der Verrech- nungserklärung um eine vom ersuchten Leistungsträger in eigenem Namen und in eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffenden Entscheidung. Es handelt sich insoweit um eine hoheitliche Maßnahme gegenüber dem Leistungsberechtigten, welche mittels Verwaltungsakt vorzunehmen ist (vgl. BSGE 53, 208). Die zuletzt klägerseits gerügte Nichtbeachtung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 19.08.2005 ist jedenfalls mit Erlass des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2005 entfallen. Die Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid hat gem. § 86b Abs. 2 Nr.3 SGG keine aufschiebende Wirkung mehr.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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