S 15 P 452/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 15 P 452/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 4/07 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Leistungen nach der Pflegestufe III für den Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 sowie nach einem Härtefall bei vollstationärer Pflege ab dem 01.02.2005.

Die am 22.07.1912 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert. Seit 1982 lebt sie im Marienhaus in E. und erhält seit dem 01.08.1998 Leistungen nach der Pflegestufe I bei vollstationärer Pflege. Seit dem 01.07.2000 werden Leistungen nach der Pflegestufe II gewährt. Die Klägerin leidet im wesentlichen an einer schwergradigen Demenz mit vollständiger Desorientierung, Wahrnehmungsstörungen, Apraxie, kompletter Harn- und Stuhlinkontinenz, Gang- und Standstörungen, Sprachstörungen sowie einer Rumpfinstabilität; degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen sowie an einer Osteoporose der Wirbelsäule und Schwerhörigkeit.

Am 22.02.2005 stellte die Klägerin einen Höherstufungsantrag. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK). Der MDK ermittelte in seinem Gutachten vom 06.04.2005 einen Hilfebedarf in der Grundpflege von insgesamt 198 Minuten täglich.

Mit Bescheid vom 06.05.2005 lehnte die Beklagte den Höherstufungsantrag der Klägerin ab. Die Voraussetzungen der Pflegestufe III lägen mit einem täglichen Hilfebedarf von 198 Minuten in der Grundpflege nicht vor.

Hiergegen erhob die Klägerin am 17.05.2005 Widerspruch, welchen sie im wesentlichen damit begründete, dass der tatsächliche Hilfebedarf deutlich höher sei als vom MDK ermittelt. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere MDK-Begutachtung. In seinem Gutachten vom 01.08.2005 ermittelte der MdK einen Hilfebedarf in der Grundpflege von 200 Minuten täglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Nach den Feststellungen des MDK lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe III noch nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 21.12.2005 Klage erhoben.

Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, dass der Hilfebedarf deutlich höher sei als vom MDK ermittelt. Die Voraussetzungen der Pflegestufe III nebst Härtefall lägen seit dem 01.02.2005 vor. Dies ergäbe sich insbesondere auch aus der Pflegedokumentation der Einrichtung.

Das von der Beklagten am 22.05.2006 abgegebene Teilanerkenntnis, Leistungen nach der Pflegestufe III ab dem 01.01.2006 zu gewähren, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 21.06.2006 angenommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2005 zu verurteilen, der Klägerin auch für den Zeitraum vom 01.02.2005 bis 31.12.2005 Leistungen nach der Pflegestufe III nebst Härtefall bei vollstationärer Pflege und ab dem 01.01.2006 Leistungen nach dem Härtefall bei vollstationärer Pflege zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Klage, soweit sie über das Teilanerkenntnis vom 22.05.2006 hinausgeht, im Hinblick auf das Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme unbegründet ist.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin, Dr. B., Dr. K., Dr. I. und Dr. S. eingeholt. Des weiteren hat das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme ein Sachverständigengutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme des Dr. L. vom 05.05.2006 bzw. 21.08.2006 eingeholt.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die eingeholten Befundberichte sowie auf das Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungnahme des Dr. L. Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf der Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Pflegedokumentation der Klägerin Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide, soweit diese nach dem angenommenen Teilanerkenntnis noch streitig sind, nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Beklagte hat zu Recht die Leistungen nach der Pflegestufe III nebst Härtefall für den Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 abgelehnt.

Die Klägerin war im vorgenannten Zeitraum nicht schwerstpflegebedürftig nach der Pflegestufe III.

Nach § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 11. Buch (SGB XI) sind pflegebedürftig im Sinne des SGB XI solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Zu berücksichtigen ist hierbei ausschließlich der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, die Abs. 4 der Vorschrift in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie in den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt.

Gemäß § 15 Abs. 1 Ziffer 3 SGB XI sind Pflegebedürftige der Pflegestufe III zuzuordnen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Es ist für Leistungen nach der Pflegestufe III erforderlich, dass der wöchentliche Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für alle für die Versorgung des Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden beträgt, wobei auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden entfallen.

Die Klägerin benötigt für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Grundpflege sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung zwar erhebliche Hilfen, im Zeitraum vom 01.02.2005 bis 31.12.2005 lag jedoch eine Schwerstpflegebedürftigkeit nicht vor.

Das Gericht stützt sich dabei auf die Feststellungen im Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 05.05.2006 und hält es für schlüssig und nachvollziehbar, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe III erst ab Beginn des Jahres 2006 bei der Klägerin vorgelegen haben. Der Sachverständige hat nach gründlicher Untersuchung und Anamnese unter sorgfältiger Auswertung der vorliegenden Befunde und der Pflegedokumentation der Klägerin die Einschätzung ihres Hilfebedarfs vorgenommen.

Aufgrund der auch nach den Angaben der zuständigen Pflegekraft seit ca. Anfang des Jahres 2006 eingetretenen massiven Verschlechterung des Zustandes der Klägerin, besteht seit diesem Zeitpunkt ein Hilfebedarf in der Grundpflege von 329 Minuten täglich. Seit diesem Zeitpunkt liegt bei der Klägerin ein massives Abwehrverhalten hinsichtlich der Durchführung aller Verrichtungen in der Grundpflege vor. Sie beginnt bei jeder Berührung zu schreien. Auch führt sie Abwehrbewegungen der Arme und/oder Festkrallen an den Pflegepersonen durch. Aufgrund des erheblichen Widerstandes der Klägerin bei der Durchführung der Verrichtungen der Grundpflege sind hierfür mehrere Pflegepersonen erforderlich. Dass seit dem 01.01.2006 die Voraussetzungen der Pflegestufe III bei der Klägerin gegeben sind und bei der Durchführung der grundpflegerischen Verrichtungen mehrere Pflegepersonen benötigt werden, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es wird daher bezüglich der Ermittlung des Zeitaufwandes für die Durchführung der jeweiligen Einzelverrichtungen der Grundpflege für den Zeitraum ab dem 01.01.2006 auf die Ausführungen im Gutachten des Dr. L. vom 05.05.2006 Bezug genommen.

Im Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 lagen die Voraussetzungen der Pflegestufe III bei der Klägerin nicht vor. Ausweislich der Feststellungen des MDK in seinem Gutachten vom 06.04.2005 und 01.08.2005 sowie auch aus der Pflegedokumentation zu dem streitgegenständlichen Zeitraum lässt sich entnehmen, dass bei der Klägerin im Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 noch kein ständiges Abwehrverhalten gegeben war. Zwar stand die Klägerin auch damals den Pflegehandlungen ablehnend gegenüber, ließ diese aber weitgehend zu. Sie konnte auch noch mit Unterstützung stehen und kurze Strecken zurücklegen. Teilweise war sie auch in der Lage, den Rollstuhl selbständig fortzubewegen sowie alleine zu Essen und zu Trinken. Des weiteren konnte sie teilweise auch alleine die Toilette aufsuchen. Im Gegensatz zum Jahr 2006 war die Klägerin im Jahre 2005 auch noch stuhlkontinent gewesen. Ein aktives Abwehrverhalten der Klägerin lag im streitgegenständlichen Zeitraum regelmäßig lediglich bei der nächtlichen Inkontinenzversorgung vor. Im Gegensatz zur Feststellung des MDK in seinem Gutachten vom 01.08.2005 ist aufgrund des Abwehrverhaltens der Klägerin bei der nächtlichen Inkontinenzversorgung jedoch ein zusätzlicher Zeitaufwand zu berücksichtigen. Die Kammer hält es für angemessen, hierfür statt der berücksichtigten sieben Minuten für den Windelwechsel nach Wasserlassen weitere neun Minuten aufgrund der zusätzlichen Erschwernis zu berücksichtigen. Ferner hält es die Kammer für angemessen, beim Richten der Bekleidung anlässlich der nächtlichen Inkontinenzversorgung weitere zwei Minuten zusätzlich statt der vom MDK ermittelten zwei Minuten zu berücksichtigen. Es besteht daher ein zusätzlicher Hilfebedarf aufgrund des aktiven Abwehrverhaltens der Klägerin bei der nächtlichen Inkontinenzversorgung von elf Minuten, so dass der Hilfebedarf in der Grundpflege im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dr. L. in seinem Gutachten vom 05.05.2006 sowie des MdK-Gutachtens vom 01.08.2005 insgesamt 211 Minuten täglich in der Grundpflege beträgt (anstatt 200 Minuten täglich). Die Voraussetzungen der Pflegestufe III werden damit jedoch nicht erreicht.

Die Kammer hält es auch für schlüssig und nachvollziehbar, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Zeitraum der letzten MDK-Begutachtung am 01.08.2005 bis zur Begutachtung durch Dr. Lux am 04.05.2006 derart rapide verschlechtert hat, dass der Hilfebedarf in der Grundpflege in diesem Zeitraum um über 100 Minuten angestiegen ist. Die Pflegekraft der Klägerin gab eine deutliche Verschlechterung des Zustandes der Klägerin innerhalb der letzten sechs Monate vor Durchführung der Begutachtung durch Dr. L. an. Des weiteren teilte die Betreuerin der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.02.2007 mit, dass sich seither der Zustand der Klägerin wiederum erheblich verschlechtert habe, so dass nun für die Durchführung für die Verrichtung der Grundpflege drei bis vier Personen erforderlich seien. Es ist daher von einem sich rapide verschlechternden Zustandsbild aufgrund der fortschreitenden Demenz der Klägerin auszugehen.

Den Ausführungen des Gerontopsychiaters Dr. Sch. vom 18.09.2006 bzw. 27.11.2006 vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Entgegen der Auffassung des Dr. Sch. hat der gerichtliche Sachverständige Dr. L. sehr wohl die schwere Demenz der Klägerin und das daraus folgende massive Abwehrverhalten sorgfältig beschrieben und in die Bewertung der Pflegezeiten einfließen lassen. Dass bei der Klägerin seit Anfang des Jahres 2006 ein permanentes Abwehrverhalten vorliegt, hat Dr. L. in seinem Gutachten vom 05.05.2006 eindrucksvoll beschrieben.

Da die Voraussetzungen für die Pflegestufe III für den Zeitraum vom 01.02.2005 bis zum 31.12.2005 nicht vorlagen, ist für diesen Zeitraum schon aus diesem Grunde kein Härtefall gegeben.

Zwar liegen seit dem 01.01.2006 die Voraussetzungen der Pflegestufe III vor und es sind für die Durchführung der Verrichtungen der Grundpflege überwiegend mindestens zwei Pflegepersonen erforderlich, jedoch kann die Beklagte aufgrund der Maßgaben des Bundessozialgerichts im Urteil vom 30.10.2001 (B 3 KR 27/01 R) nicht zur Gewährung von Leistungen nach einem Härtefall nach vollstationärer Pflege verurteilt werden.

Nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XI können die Pflegekassen in besonderen Ausnahmefällen zur Vermeidung von Härten bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III im stationären Bereich die pflegebedingten Aufwendungen (einschließlich der Aufwendungen für die soziale Betreuung und bis zum 31.07.2007 für die medizinische Behandlungspflege) bis zum Gesamtbetrag von 1.688,00 Euro übernehmen, wenn ein außergewöhnlich hoher und intensiver Pflegeaufwand erforderlich ist, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise bei Apallikern, schwerer Demenz oder im Endstadium von Krebserkrankungen.

Was unter einem außergewöhnlich hohen und intensiven Pflegeaufwand zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht selbst definiert, sondern dies den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen (§ 17 SGB XI) überlassen. Nach den gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 SGB XI von den Spitzenverbänden der Pflegekassen unter Beteiligung des MDK erlassenen Härtefallrichtlinien vom 03.07.1996 werden die Merkmale für einen außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand wie folgt definiert:

Der Pflegeaufwand wird bestimmt durch die Art, die Dauer und den Rhythmus der erforderlichen Pflegemaßnahmen. Dieser kann sich aufgrund der individuellen Situation des Pflegebedürftigen als außergewöhnlich hoch bzw. intensiv darstellen, wenn die täglich durchzuführenden Pflegemaßnahmen das übliche Maß der Grundversorgung im Sinne von Ziffer 4.1.3 der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien qualitativ und quantitativ weit übersteigen. Das ist der Fall, wenn die Grundpflege für den Pflegebedürftigen auch des Nachts nur von mehreren Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht werden kann (1. Alternative) oder Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder Mobilität mindestens 7 Stunden täglich, davon wenigstens 2 Stunden in der Nacht, erforderlich ist (2. Alternative). Zusätzlich muss ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein.

Das zeitgleiche Erbringen der Grundpflege des Nachts durch mehrere Pflegekräfte ist nach den Pflegebedürftigkeits-Richtlinien so zu verstehen, dass wenigstens bei einer Verrichtung tagsüber und des nachts neben einer professionellen mindestens eine weitere (auch nicht professionelle) Pflegekraft tätig werden muss.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.10.2001, Az. B 3 P 27/01 R soll die Härtefallregelung ihrem Sinn und Zweck nach im stationären Bereich insbesondere den erhöhten Aufwand an Behandlungspflege abdecken, wie sich an den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Beispielsfällen der Apalliker sowie der Patienten mit schwerer Demenz oder im Endstadium von Krebs zeigt. Zwar steigt in diesen Fällen vielfach auch der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege an, von größerer Bedeutung dürfte aber der Anstieg des Hilfebedarfs im Bereich der medizinischen Behandlungspflege sein. Nach der Intention des Gesetzgebers soll der Schwerstpflegebedürftige in Härtefällen diesen zusätzlichen Bedarf an Behandlungspflege, der im häuslichen Bereich von der gesetzlichen Krankenversicherung ohne Kostenobergrenze nach § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abgedeckt wird und deshalb im Rahmen der Härtefallregelung naturgemäß nicht zu berücksichtigen ist, im stationären Bereich, in dem die Krankenversicherung erst ab dem 01.08.2007 hierfür zuständig sein wird, jedenfalls teilweise, nämlich im Wert von 256 EUR, ebenso wie den Mehrbedarf bei der Grundpflege abdecken können, so lange die Behandlungspflege im Pflegeheim von der sozialen Pflegeversicherung zu leisten ist. Dies haben die Spitzenverbände der Pflegekassen bei der Formulierung der Härtefallrichtlinien nicht in Rechnung gestellt. Die Härtefallrichtlinien sind insoweit lückenhaft. Die Lücke ist für die Zeit bis zum 31.07.2007 dahingehend auszufüllen, dass bei stationärer Pflege die Behandlungspflege der Grundpflege gleichgestellt wird. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts ist dabei jedoch zu beachten, dass Schwerstpflegebedürftige in stationärer Pflege nur den normalen Pflegesatz der Pflegeklasse III zu zahlen haben, selbst wenn sie einen die Kriterien der Härtefallrichtlinien erfüllenden außergewöhnlich hohen Pflegebedarf aufweisen. Der Pflegebedarf wird auch bei ihnen durch die Heimpflege gedeckt, ohne dass sie deswegen einen höheren Pflegesatz zu entrichten hätten. Die Bestimmungen über die Bemessungsgrundsätze nach § 84 SGB XI sehen nur drei Pflegeklassen vor (angelehnt an die drei Pflegestufen). Schwerstpflegebedürftige fallen also auch dann in die Pflegeklasse III, wenn ihr Pflegeaufwand außergewöhnlich hoch ist. Der Gesetzgeber hat - bewusst oder versehentlich - darauf verzichtet, die Härtefallregelung des § 43 SGB XI um eine Vorschrift über eine gesonderte Pflegeklasse für Härtefälle in § 84 SGB XI zu ergänzen. Daraus folgt, dass Schwerstpflegebedürftige in Heimen zur Deckung eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwands in der Regel keine erhöhten Kosten aufzubringen haben. Sie unterfallen der Pflegeklasse III und werden trotzdem entsprechend dem Versorgungs- und Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen umfassend gepflegt. Damit entfällt aber die Rechtfertigung für eine Anerkennung des Härtefalls, denn diese soll den Schwerstpflegebedürftigen in den Stand versetzen, sich weitere, sonst durch die Pflegekassen wegen der Wertobergrenzen nicht mehr zu erbringenden Pflegekosten zu beschaffen. Es können daher nur solche stationär versorgten Schwerstpflegebedürftigen mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand als Härtefall anerkannt werden, die zur Deckung des Pflegebedarfs tatsächlich zusätzliche Kosten aufbringen mussten.

Dass der Klägerin höhere Kosten von der Pflegeeinrichtung in Rechnung gestellt wurden, ist nicht dargelegt worden. Die Klägerin lebt nicht in einem Heim, welches sich konzeptionell auf einen Personenkreis mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand spezialisiert hat (z.B. Spezialheime für Apalliker oder Beatmungspatienten) und deshalb einen Pflegesatz der Pflegeklasse III berechnete, der den damit verbundenen personellen Mehraufwand von vornherein einkalkuliert hat und deutlich über den Pflegesätzen der Pflegeklasse III liegt, die in einem nicht spezialisierten Pflegeheim üblicherweise verlangt werden. Ferner ist nicht dargelegt worden, dass der Heimträger eine wirtschaftlich getrennt geführte selbständige Abteilung für Schwerstpflegebedürftige mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand und eigenständigem, gegenüber dem außerhalb dieser Abteilung berechneten Satz, erhöhten Pflegesatz der Pflegestufe III eingerichtet hat.

Auch aus § 3 Abs. 3 des Heimvertrages der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, dass sie bei der Einstufung als Härtefall einen höheren Pflegesatz als nach der Pflegeklasse III zu zahlen hat. Der Regelung lässt sich lediglich entnehmen, dass bei einem Wechsel im Grad der Hilfsbedürftigkeit der entsprechende Pflegesatz gilt. Dass es sich bei diesem "entsprechenden Pflegesatz" um einen gegenüber dem Pflegesatz der Pflegeklasse III erhöhten Pflegesatz handelt, ist nicht dargelegt worden und lässt sich dem Heimvertrag nicht entnehmen.

Das Gericht ist der Auffassung, dass die vorgenannten Kriterien des Bundessozialgerichts für die Anerkennung von Härtefällen in stationären Einrichtungen nicht erst ab dem Inkrafttreten der ab dem 01.09.2006 gültigen Härtefallrichtlinien gelten sollten. Vielmehr dürften sie auch für Zeiträume vor dem 01.09.2006 Anwendung finden. Das Bundessozialgericht hat in seiner o.g. Entscheidung ausgeführt, dass die bisherige Anerkennungspraxis der Pflegekassen bezüglich der Härtefälle im stationären Bereich unrechtmäßig erfolgte, soweit die o.g. Voraussetzungen eines höheren Kostenaufwandes nicht vorliegen. Die Fortsetzung einer vom Bundessozialgericht als unrichtig erkannten Anerkennungspraxis der Pflegekassen bis zur Neufassung der Härtefallrichtlinien dürfte nicht der Intention des Bundessozialgerichts entsprechen und lässt sich dem Wortlaut der o.g. Entscheidung auch nicht entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da die Beklagte ihr Teilanerkenntnis vom 22.05.2006, welches vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 21.06.2006 angenommen wurde, ohne hinreichenden Grund bisher nicht ausführte und des weiteren die Klägerin im vorliegenden Klageverfahren zumindest teilweise obsiegte, waren der Beklagten die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit hat das Gericht die Sprungrevision zugelassen (§ 161 Abs. 1, Abs. 2, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved