Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KR 10/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 276/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 20/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 26. August 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Berechnung von Zuzahlungen für das Jahr 2004.
Der.1957 geborene Kläger ist wegen des Bezugs von Rente wegen Berufsunfähigkeit bei der Beklagten pflichtversichert. Die Rentenhöhe betrug ab 01.07.2003 655,52 Euro brutto. Abgesehen von Zinseinnahmen von 0,20 Euro im Jahr 2003 bezieht die Familie des verheirateten Klägers keine Einkünfte. Die Kinder des Klägers sind 2000 und 2002 geboren. Der Kläger hat am 22.03.2004 die Befreiung von Zuzahlungen über der Belastungsgrenze beantragt. Die Beklagte hat ein anrechenbares Einkommen von 3.444,00 Euro angenommen und die maßgebliche Belastungsgrenze mit 34,44 Euro festgesetzt. Nachdem der Kläger bereits Quittungen für das laufenden Kalenderjahr von insgesamt 40,00 Euro vorgelegt hatte, hat die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.2004 unter Berücksichtigung der Belastungsgrenze von 34,44 Euro einen erstattungsfähigen Betrag von 5,56 Euro errechnet. Die Bevollmächtigten des Klägers legten hiergegen mit Schreiben vom 28.07.2004 Widerspruch ein. Nach Abzug der Freibeträge für die Familienangehörigen stellten sie für den Kläger kein anrechenbares Einkommen fest und kamen zu dem Ergebnis, die Zuzahlungen seien nicht zu leisten. Der Vergleich mit einem Sozialhilfeempfänger könne nicht nachvollzogen werden, der Kläger beziehe keinerlei Leistungen nach dem BSHG und habe auch auf keine dieser Leistungen verzichtet. Die Beklagte bezog sich dagegen auf die Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 19.01.2004, wonach es gerechtfertigt erscheine, generell die Einnahmen des Haushaltsvorstandes nach der Regelsatzverordnung anzusetzen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2004 zurückgewiesen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage beantragten die Bevollmächtigten des Klägers, ihn sowie alle mit ihm Familienversicherten für das Kalenderjahr 2004 von Zuzahlungen zu befreien. Es gehe im Verfahren um die Rechtsfrage, ob gemäß § 62 SGB V ein Mindesteinkommen bei den Berechnungen anzusetzen sei, auch wenn keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG oder vergleichbaren Gesetzen bezogen werde. In § 62 SGB V ergebe sich keine Regelungslücke. Die Verlautbarungen der Spitzenverbände hätten keine gesetzliche Bindungswirkung. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.08.2005 gab der Kläger an, seine Familie und er lebten nur von seiner Rente. Zum Glück habe er eine Eigentumswohnung. Ein altes Haus in Bad B. , das er früher vermietet hatte, stehe seit längerem leer. Bisher sei es ihm nicht gelungen, es zu verkaufen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 26.08.2005 die streitgegenständlichen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2004 weitere 34,44 Euro zu erstatten. Die Belastungsgrenze sei nach § 62 Abs.1 SGB V zu berechnen. Dabei seien die Familienangehörigen mit zu berücksichtigen. Für den Kläger ergebe sich dabei kein anrechenbares Einkommen, es bestehe keine Zuzahlungspflicht. Eine analoge Anwendung von § 62 Abs.2 Satz 5 SGB V auf den Kläger sei nicht zulässig. Es fehle bereits an einer Regelungslücke. Zwar habe der Gesetzgeber durch die Neuordnung der Regelung zur Belastungsgrenze bei Zuzahlungen generell eine Belastungsgrenze vorgesehen, so dass grundsätzlich jeden Versicherten eine Zuzahlungspflicht treffe, die näheren Ausführungen in § 62 Abs.2 Satz 1 bis 3 SGB V zeigten jedoch, dass Familien durch die Einräumung von Freibeträgen für Angehörige einen besonderen Schutz erfahren sollten. Die Anwendung des § 62 SGB V auf Familien ergebe, dass keine Zuzahlungspflicht besteht, wenn das Gesamteinkommen der Familie unterhalb der Freibeträge liege. Dass dies ungewollt war, lasse sich aus § 62 SGB V und der BT-Drs.15/1525 S.77 nicht entnehmen. Eine analoge Anwendung des § 62 Abs.2 Satz 5 SGB V sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Gleichbehandlung geboten. Einkommensschwache Familien seien nicht mit Familien zu vergleichen, die Sozialhilfe beziehen. Die Berufung wurde zugelassen, weil aufgrund der Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen in der Verwaltungspraxis in einer Vielzahl von Fällen wie im vorliegenden Fall verfahren werde. Die am 29.09.2005 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung begründet die Beklagte damit, der Begründung zum Gesundheits-Modernisierungs-Gesetz sei zu entnehmen, dass für alle Versicherten einschließlich der Sozialhilfeempfänger künftig gleichermaßen eine Belastungsgrenze für Zuzahlungen von 2 % des Bruttoeinkommens, für chronisch Kranke 1 % gelten solle. Der Gesetzgeber habe erkennbar das Ziel verfolgt, die Möglichkeit einer vollständigen Zuzahlungsbefreiung auszuschließen und allenfalls eine Reduktion auf 1 % des Bruttoeinkommens zuzulassen. Es wäre grob unbillig, einerseits darauf abzustellen, dass dem Kläger und seiner Familie de facto ein geringeres Jahreseinkommen zur Verfügung stehe als einer Sozialhilfe beziehenden Familie, woraus sich ein Recht auf vollständige Zuzahlungsbefreiung ergebe, wie wohl ein Anspruch des Klägers auf Sozialhilfe aus dem Grund nicht gegeben sei, dass gemäß § 2 Abs.1 SGB XII i.V.m. § 90 SGB XII das zu berücksichtigende Vermögen des Klägers einem Sozialhilfebezug entgegen stehe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.08.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Bevollmächtigten des Klägers beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie beziehen sich auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die das Sozialgericht zugelassen hat, ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass den Kläger keine Zuzahlungspflicht trifft.
Gemäß § 62 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten. Gemäß § 62 Abs.1 Satz 2 SGB V beträgt die Belastungsgrenze 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, für chronisch Kranke beträgt sie nur 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Zwischen den Beteiligten ist unbestritten, dass die Belastungsgrenze beim Kläger 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen beträgt. Nach § 62 Abs.2 Satz 1 SGB V werden die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet. Das Sozialgericht hat zutreffend die jährliche (2004) Renteneinnahme des Klägers mit 7.866,24 Euro errechnet und gemäß § 62 Abs.2 Satz 2 SGB V wesentlich höhere Freibeträge abgezogen. Aktenkundig erzielten die mit dem Kläger im gemeinsamen zusammenlebende Ehefrau und seine Kinder im Jahr 2004 keine Einnahmen, so dass sich die Bruttoeinnahmen aus der Höhe der Rente zuzüglich Zinseinnahmen von 0,20 Euro in Höhe von insgesamt 7.866,44 Euro berechnen. § 62 Abs.2 Satz 2 SGB V regelt weiter, dass von diesen jährlichen Bruttoeinnahmen für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen 15 v.H. der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV abzuziehen sind. Die Bezugsgröße betrug 2004 28.980,00 Euro. Entsprechend hat die Beklagte für die Ehefrau des Klägers einen Familienabschlag von 4.347,00 Euro errechnet. Der gemäß § 62 Abs.2 Satz 3 SGB V im Jahr 2004 geltenden Freibetrag für Kinder belief sich auf 3.648,00 Euro, also erfolgte durch die Beklagte ein weiterer Abzug für die beiden Kinder in Höhe von 7.296,00 Euro. Damit ergibt sich für den Kläger ein negatives Einkommen. Aus einem negativen Einkommen lassen sich keine positiven Zuzahlungen errechnen. Da der Kläger keine der in § 62 Abs.2 Satz 5 Nr.1 SGB V genannten Leistungen bezieht und auch nicht zum in § 264 Abs.1 SGB V (geltende Fassung 2004) genannte Personenkreis gehört, fehlt auch eine gesetzliche Regelung dafür, mindestens den Eckregelsatz für den Haushaltsvorstand nach dem Bundessozialhilfegesetz als Bruttoeinnahme anzusetzen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht ist auch eine analoge Anwendung des § 62 Abs.2 Satz 5 SGB V nicht möglich. § 62 Abs.2 SGB V in der 2004 geltenden Fassung enthält diesbezüglich keine ungewollte Regelungslücke. Die Regelung des § 62 SGB V in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung wurde durch das Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S.2190) mit Wirkung vom 01.10.2004 eingeführt. Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, ergibt durch diese Regelung für Familien mit mehreren Angehörigen ein besonderer Schutz, der dazu führen kann, dass die Freibeträge das tatsächliche Bruttoeinkommen übersteigen, somit also keine Zuzahlungen zu leisten sind. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dies nicht gesehen haben sollte. Er hat nämlich § 62 SGB V zwischenzeitlich mehrmals geändert, zuerst mit Gesetz vom 31.03.2005 (BGBl I S.818) mit Wirkung vom 30.03.2005. Eine Änderung im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten wurde nicht vorgenommen, ebensowenig durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007, in Kraft seit 01.04.2007 (BGBl I S.378). Durch dieses Gesetz wurde § 62 SGB V geändert, allerdings nur dessen Abs.1. Damit muss davon ausgegangen werden, dass die von der Beklagten beanstandete Rechtsfolge vom Gesetzgeber gesehen und nicht geändert wurde. Die zur Berufungsbegründung vorgetragene Argumentation der Beklagten, es sei unbillig, wenn das zu berücksichtigende Vermögen des Klägers zwar einem Sozialhilfebezug entgegenstehe, ihm aber nicht das Recht auf vollständige Zuzahlungsbefreiung nehme, findet damit keine Stütze im geltenden Recht.
Selbst wenn der Kläger grundlos auf Leistungen der Sozialhilfe für sich und seine Familie verzichten würde, kann ihn die Beklagte nicht so behandeln, als ob er diese Leistungen beziehen würde. Die Folgen eines Verzichts sind in § 46 Abs.2 SGB I eng begrenzt. Dessen Abs.1 ist auch tatbestandlich nicht erfüllt.
Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 und entspricht dem Verfahrensausgang.
Der Senat lässt gemäß § 160 SGG die Revision zu. Es ist nicht nur von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Beitragserstattung bei den Einnahmen zum Lebensunterhalt nach § 62 Abs.2 Satz 4 SGB V zu berücksichtigen ist (hierzu die anhängige Revision B 1 KR 1/07 R), sondern ebenfalls, ob der Eckregelsatz nach dem SGB XII als fiktives Mindesteinkommen heranzuziehen ist, wenn die Berücksichtigung der Angehörigen und Kinder des Versicherten gemäß § 62 Abs.2 Satz 2 und 3 SGB V zu keinem positiven Einkommen führt.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Berechnung von Zuzahlungen für das Jahr 2004.
Der.1957 geborene Kläger ist wegen des Bezugs von Rente wegen Berufsunfähigkeit bei der Beklagten pflichtversichert. Die Rentenhöhe betrug ab 01.07.2003 655,52 Euro brutto. Abgesehen von Zinseinnahmen von 0,20 Euro im Jahr 2003 bezieht die Familie des verheirateten Klägers keine Einkünfte. Die Kinder des Klägers sind 2000 und 2002 geboren. Der Kläger hat am 22.03.2004 die Befreiung von Zuzahlungen über der Belastungsgrenze beantragt. Die Beklagte hat ein anrechenbares Einkommen von 3.444,00 Euro angenommen und die maßgebliche Belastungsgrenze mit 34,44 Euro festgesetzt. Nachdem der Kläger bereits Quittungen für das laufenden Kalenderjahr von insgesamt 40,00 Euro vorgelegt hatte, hat die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.2004 unter Berücksichtigung der Belastungsgrenze von 34,44 Euro einen erstattungsfähigen Betrag von 5,56 Euro errechnet. Die Bevollmächtigten des Klägers legten hiergegen mit Schreiben vom 28.07.2004 Widerspruch ein. Nach Abzug der Freibeträge für die Familienangehörigen stellten sie für den Kläger kein anrechenbares Einkommen fest und kamen zu dem Ergebnis, die Zuzahlungen seien nicht zu leisten. Der Vergleich mit einem Sozialhilfeempfänger könne nicht nachvollzogen werden, der Kläger beziehe keinerlei Leistungen nach dem BSHG und habe auch auf keine dieser Leistungen verzichtet. Die Beklagte bezog sich dagegen auf die Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 19.01.2004, wonach es gerechtfertigt erscheine, generell die Einnahmen des Haushaltsvorstandes nach der Regelsatzverordnung anzusetzen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2004 zurückgewiesen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage beantragten die Bevollmächtigten des Klägers, ihn sowie alle mit ihm Familienversicherten für das Kalenderjahr 2004 von Zuzahlungen zu befreien. Es gehe im Verfahren um die Rechtsfrage, ob gemäß § 62 SGB V ein Mindesteinkommen bei den Berechnungen anzusetzen sei, auch wenn keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG oder vergleichbaren Gesetzen bezogen werde. In § 62 SGB V ergebe sich keine Regelungslücke. Die Verlautbarungen der Spitzenverbände hätten keine gesetzliche Bindungswirkung. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.08.2005 gab der Kläger an, seine Familie und er lebten nur von seiner Rente. Zum Glück habe er eine Eigentumswohnung. Ein altes Haus in Bad B. , das er früher vermietet hatte, stehe seit längerem leer. Bisher sei es ihm nicht gelungen, es zu verkaufen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 26.08.2005 die streitgegenständlichen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2004 weitere 34,44 Euro zu erstatten. Die Belastungsgrenze sei nach § 62 Abs.1 SGB V zu berechnen. Dabei seien die Familienangehörigen mit zu berücksichtigen. Für den Kläger ergebe sich dabei kein anrechenbares Einkommen, es bestehe keine Zuzahlungspflicht. Eine analoge Anwendung von § 62 Abs.2 Satz 5 SGB V auf den Kläger sei nicht zulässig. Es fehle bereits an einer Regelungslücke. Zwar habe der Gesetzgeber durch die Neuordnung der Regelung zur Belastungsgrenze bei Zuzahlungen generell eine Belastungsgrenze vorgesehen, so dass grundsätzlich jeden Versicherten eine Zuzahlungspflicht treffe, die näheren Ausführungen in § 62 Abs.2 Satz 1 bis 3 SGB V zeigten jedoch, dass Familien durch die Einräumung von Freibeträgen für Angehörige einen besonderen Schutz erfahren sollten. Die Anwendung des § 62 SGB V auf Familien ergebe, dass keine Zuzahlungspflicht besteht, wenn das Gesamteinkommen der Familie unterhalb der Freibeträge liege. Dass dies ungewollt war, lasse sich aus § 62 SGB V und der BT-Drs.15/1525 S.77 nicht entnehmen. Eine analoge Anwendung des § 62 Abs.2 Satz 5 SGB V sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Gleichbehandlung geboten. Einkommensschwache Familien seien nicht mit Familien zu vergleichen, die Sozialhilfe beziehen. Die Berufung wurde zugelassen, weil aufgrund der Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen in der Verwaltungspraxis in einer Vielzahl von Fällen wie im vorliegenden Fall verfahren werde. Die am 29.09.2005 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung begründet die Beklagte damit, der Begründung zum Gesundheits-Modernisierungs-Gesetz sei zu entnehmen, dass für alle Versicherten einschließlich der Sozialhilfeempfänger künftig gleichermaßen eine Belastungsgrenze für Zuzahlungen von 2 % des Bruttoeinkommens, für chronisch Kranke 1 % gelten solle. Der Gesetzgeber habe erkennbar das Ziel verfolgt, die Möglichkeit einer vollständigen Zuzahlungsbefreiung auszuschließen und allenfalls eine Reduktion auf 1 % des Bruttoeinkommens zuzulassen. Es wäre grob unbillig, einerseits darauf abzustellen, dass dem Kläger und seiner Familie de facto ein geringeres Jahreseinkommen zur Verfügung stehe als einer Sozialhilfe beziehenden Familie, woraus sich ein Recht auf vollständige Zuzahlungsbefreiung ergebe, wie wohl ein Anspruch des Klägers auf Sozialhilfe aus dem Grund nicht gegeben sei, dass gemäß § 2 Abs.1 SGB XII i.V.m. § 90 SGB XII das zu berücksichtigende Vermögen des Klägers einem Sozialhilfebezug entgegen stehe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.08.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Bevollmächtigten des Klägers beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie beziehen sich auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die das Sozialgericht zugelassen hat, ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass den Kläger keine Zuzahlungspflicht trifft.
Gemäß § 62 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten. Gemäß § 62 Abs.1 Satz 2 SGB V beträgt die Belastungsgrenze 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, für chronisch Kranke beträgt sie nur 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Zwischen den Beteiligten ist unbestritten, dass die Belastungsgrenze beim Kläger 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen beträgt. Nach § 62 Abs.2 Satz 1 SGB V werden die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet. Das Sozialgericht hat zutreffend die jährliche (2004) Renteneinnahme des Klägers mit 7.866,24 Euro errechnet und gemäß § 62 Abs.2 Satz 2 SGB V wesentlich höhere Freibeträge abgezogen. Aktenkundig erzielten die mit dem Kläger im gemeinsamen zusammenlebende Ehefrau und seine Kinder im Jahr 2004 keine Einnahmen, so dass sich die Bruttoeinnahmen aus der Höhe der Rente zuzüglich Zinseinnahmen von 0,20 Euro in Höhe von insgesamt 7.866,44 Euro berechnen. § 62 Abs.2 Satz 2 SGB V regelt weiter, dass von diesen jährlichen Bruttoeinnahmen für den ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen 15 v.H. der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV abzuziehen sind. Die Bezugsgröße betrug 2004 28.980,00 Euro. Entsprechend hat die Beklagte für die Ehefrau des Klägers einen Familienabschlag von 4.347,00 Euro errechnet. Der gemäß § 62 Abs.2 Satz 3 SGB V im Jahr 2004 geltenden Freibetrag für Kinder belief sich auf 3.648,00 Euro, also erfolgte durch die Beklagte ein weiterer Abzug für die beiden Kinder in Höhe von 7.296,00 Euro. Damit ergibt sich für den Kläger ein negatives Einkommen. Aus einem negativen Einkommen lassen sich keine positiven Zuzahlungen errechnen. Da der Kläger keine der in § 62 Abs.2 Satz 5 Nr.1 SGB V genannten Leistungen bezieht und auch nicht zum in § 264 Abs.1 SGB V (geltende Fassung 2004) genannte Personenkreis gehört, fehlt auch eine gesetzliche Regelung dafür, mindestens den Eckregelsatz für den Haushaltsvorstand nach dem Bundessozialhilfegesetz als Bruttoeinnahme anzusetzen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht ist auch eine analoge Anwendung des § 62 Abs.2 Satz 5 SGB V nicht möglich. § 62 Abs.2 SGB V in der 2004 geltenden Fassung enthält diesbezüglich keine ungewollte Regelungslücke. Die Regelung des § 62 SGB V in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung wurde durch das Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S.2190) mit Wirkung vom 01.10.2004 eingeführt. Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, ergibt durch diese Regelung für Familien mit mehreren Angehörigen ein besonderer Schutz, der dazu führen kann, dass die Freibeträge das tatsächliche Bruttoeinkommen übersteigen, somit also keine Zuzahlungen zu leisten sind. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dies nicht gesehen haben sollte. Er hat nämlich § 62 SGB V zwischenzeitlich mehrmals geändert, zuerst mit Gesetz vom 31.03.2005 (BGBl I S.818) mit Wirkung vom 30.03.2005. Eine Änderung im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten wurde nicht vorgenommen, ebensowenig durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007, in Kraft seit 01.04.2007 (BGBl I S.378). Durch dieses Gesetz wurde § 62 SGB V geändert, allerdings nur dessen Abs.1. Damit muss davon ausgegangen werden, dass die von der Beklagten beanstandete Rechtsfolge vom Gesetzgeber gesehen und nicht geändert wurde. Die zur Berufungsbegründung vorgetragene Argumentation der Beklagten, es sei unbillig, wenn das zu berücksichtigende Vermögen des Klägers zwar einem Sozialhilfebezug entgegenstehe, ihm aber nicht das Recht auf vollständige Zuzahlungsbefreiung nehme, findet damit keine Stütze im geltenden Recht.
Selbst wenn der Kläger grundlos auf Leistungen der Sozialhilfe für sich und seine Familie verzichten würde, kann ihn die Beklagte nicht so behandeln, als ob er diese Leistungen beziehen würde. Die Folgen eines Verzichts sind in § 46 Abs.2 SGB I eng begrenzt. Dessen Abs.1 ist auch tatbestandlich nicht erfüllt.
Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 und entspricht dem Verfahrensausgang.
Der Senat lässt gemäß § 160 SGG die Revision zu. Es ist nicht nur von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Beitragserstattung bei den Einnahmen zum Lebensunterhalt nach § 62 Abs.2 Satz 4 SGB V zu berücksichtigen ist (hierzu die anhängige Revision B 1 KR 1/07 R), sondern ebenfalls, ob der Eckregelsatz nach dem SGB XII als fiktives Mindesteinkommen heranzuziehen ist, wenn die Berücksichtigung der Angehörigen und Kinder des Versicherten gemäß § 62 Abs.2 Satz 2 und 3 SGB V zu keinem positiven Einkommen führt.
Rechtskraft
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