Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 245/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 175/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Aus der Entfernung des Unfallorts vom eigentlichen Arbeitsort kann nicht ohne weiteres eine eigenwirtschaftliche und unversicherte Unterbrechung der versicherten Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls abgeleitet werden. Gerade auf einer großräumigen Baustelle ist es nämlich durchaus möglich und üblich, dass zur Ausführung der eigentlichen Tätigkeit an einem eng umgrenzten Ort vielfältigste Verrichtungen vorbereitender oder unterstützender Natur auch an anderen Orten ausgeübt werden müssen.
2. Steht fest, dass der Versicherte an seinem Arbeitsplatz verunglückt ist, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen ist, dass er die versicherte Tätigkeit für eine private Tätigkeit unterbrochen hat.
2. Steht fest, dass der Versicherte an seinem Arbeitsplatz verunglückt ist, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen ist, dass er die versicherte Tätigkeit für eine private Tätigkeit unterbrochen hat.
I. Auf die Berufung der Kläger werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 04. September 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 24. April 2003 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 06. August 2003 aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 08. November 2002 ein Arbeitsunfall war.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger trägt für beide Instanzen die Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin zu 1) ist die Ehefrau, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des verstorbenen F. (nachfolgend: Versicherter). Die Kläger begehren die Feststellung, dass der Versicherte am 08. November 2002 einen bei der Beklagten versicherten tödlichen Arbeitsunfall erlitten hat.
Am 08. November 2002 war der Versicherte als Elektriker auf einer Baustelle in W. eingesetzt. Ausweislich der polizeilichen Ermittlungsunterlagen, insbesondere des Todesermittlungsberichts des Polizeipräsidiums W. vom 08. November 2002, habe der Versicherte den Auftrag gehabt, im 3. Obergeschoss der Stirnseite eines U-förmigen Gebäudetraktes Elektrokabel im Bereich der Decke zu befestigen. Beim 3. Obergeschoss habe es sich um eine U-förmig angelegte ca. 2200 qm große Betonfläche in etwa 20 – 25 Metern Höhe gehandelt, welche durch mehrere Säulen im gesamten Bereich unterbrochen sei. Die Etage sei von außen her offen, jedoch voll eingerüstet und teilweise mit Planen verhangen gewesen. Das obere Ende des Gerüstes an der Stirnseite sei unverplant gewesen. In diesem Bereich hätten sich fünf Gerüststangen befunden, die als Gitterschutz quer an die Träger befestigt gewesen seien. Der Vorarbeiter J. habe auf Befragen der Polizei erklärt, er habe sich zuletzt mit dem Versicherten im 3. Obergeschoss getroffen, wo dieser auf einer Leiter Stromleitungen unter die Decke gebohrt habe. Herr J. habe nach unten gehen wollen, um sein Handy im Containerbüro aufladen zu können. Als er anschließend zurückgekommen sei, habe er gesehen, wie sein Kollege rücklings in Höhe des 3. Obergeschosses abseits des Gerüstes nach unten gestürzt sei. In der linken Hand habe er eine Bohrmaschine gehalten. Der Versicherte sei rücklings mit dem Kopf zuerst auf dem Boden aufgeschlagen; die Bohrmaschine sei aus der Hand nach hinten weggeschleudert worden. Herr J. habe nicht sehen können, wie die Person von dem Gerüst gestürzt sei, sondern habe ihn erst entdeckt, als er sich bereits kurz unterhalb des Gerüstes des 3. Obergeschosses in der Luft im Fallen befunden habe. Um 10.00 Uhr habe der Versicherte einen Termin beim Urologen Dr. M1. gehabt. Der Versicherte sei in den letzten Tagen sehr still gewesen und habe Herrn J. gefragt, ob die Todesstrafe in Deutschland noch existent sei und ob Herr J. in der Kirche sei. Auch sei der Versicherte nach Angaben von Herrn J. sehr grüblerisch gewesen. Der Unfall selbst habe sich gegen 12.15 Uhr ereignet, die Verständigung der Polizei sei um 12.20 Uhr erfolgt. Der Fundort der Leiche sei im Innenhofbereich des U-förmigen Traktes ca. 4 m von der rückwärtigen abgedeckten Rückwand, seitlich rechts versetzt und mit einem Abstand von der rechten Seitenwand von 1,5 m an den Füßen und 1 m im Schulterbereich entfernt gewesen. Oberhalb der linken Schulter ca. 5 m entfernt habe die Bohrmaschine gelegen, welche mit dem Bohrkopf zum Versicherten hin gerichtet gewesen sei. Im Bereich des linken Fußes ungefähr 2 m nach links habe ein rotfarbener Schraubendreher auf dem Boden gelegen. Im mittleren Bereich des U-förmigen Gebäudes im 3. Obergeschoss auf der linken Seite habe sich eine aufgestellte Trittleiter befunden, an welcher ein roter Helm aufgehängt gewesen sei. In diesem Bereich seien von der Decke mehrere Stromleitungen heruntergehangen, die noch nicht voll verlegt gewesen seien. An dieser Stelle solle der Versicherte zuletzt gearbeitet haben. Nach Angaben des Bauleiters Z. habe sich der Arbeitsplatz des Versicherten nicht auf dem Außengerüst, sondern im Südflügel des Rohbaus befunden.
Nach einem Vermerk der Polizei W. vom 11. November 2002 erklärte der Vorarbeiter J. , der Versicherte sei am Unfalltag gegen 12.00 Uhr auf der Baustelle erschienen, habe sich sofort umgezogen, die Bohrmaschine geschnappt und sei nach oben gegangen, obwohl Herr J. ihm mitgeteilt habe, dass er heute nicht mehr arbeiten brauche. Der Versicherte habe erzählt, er sei bei einem Urologen gewesen, der ihn zu einem Orthopäden überwiesen habe. Herr J. habe wiederholt, das Verhalten des Versicherten sei in der letzten Woche total verändert gewesen; er habe einen sehr traurigen und zurückhaltenden Eindruck gemacht. Er selber und auch die anderen Arbeitskollegen hätten den Versicherten darauf angesprochen, aber keinen Grund von ihm erfahren. Die ebenfalls am 11. November 2002 telefonisch befragte Klägerin zu 1) gab an, der Versicherte habe ihr am Morgen des Unfalltages von Blasenschmerzen berichtet und mitgeteilt, er wolle einen Arzt aufsu-chen.
Ausweislich des Schlussvermerks der Polizei W. vom 14. November 2002 ergab eine Nachfrage bei dem Urologen Dr. M1 , dass der Versicherte dort als Patient nicht bekannt war; Recherchen über die Krankenkasse hätten ergeben, dass der Versicherte zuletzt vor fünf Jahren bei einem Arzt, nämlich einem Zahnarzt in Behandlung gewesen sei. Der Arbeitskollege J. habe zudem berichtet, er sei vom Versicherten gefragt worden, ob er ihm kurzfristig 20.000,00 EUR leihen könne.
Nachdem die Beklagte vom Tod des Versicherten informiert worden war, teilte ihr ein Herr K. (Firma B ) telefonisch mit, bei dem Versicherten sei eine Aids-Erkrankung festgestellt worden. Spätere Nachfragen bei einem Vertreter des Arbeitgebers, Herrn H. , ergaben, dass die Information von einer Aids-Erkrankung des Versicherten von Herrn J. stammte, dem der Versicherte diese Erkrankung anvertraut habe.
Ausweislich des Obduktionsberichtes von 13. November 2002 war todesursächlich ein schwerstes Polytrauma mit komplettem Schädeltrümmerbruch, Trümmerbruch der Lendenwirbelsäule, des Kreuzbeins und Steißbeins mit massiven Einblutungen. Die Verlet-zungen seien sämtlich mit einem Sturz aus großer Höhe in Einklang zu bringen. Die Befunde sprächen dafür, dass der Versicherte mit dem Rücken, d.h. mit dem Lendenbereich auf den Boden aufgekommen sei. Weiterhin dürfte ein Hauptanstoß im Bereich des linken Hinterhauptes/Schläfenbereiches am Kopf gewesen sein. Die Verletzungen an der Stirn (mehrere Platzwunden, in der Stirnmitte mehrere parallel nebeneinander verlaufende und bis 2,5 cm lange strichförmige glattrandige Verletzungen wie oberflächliche Hautein-schnitte mit deutlicher Rötung der Umgebung; kleine bogenförmige Platzwunde von etwa 2 cm bis auf den Schädelknochen hinabreichend, fleckige Rötungen im gesamten Stirnbereich) könne sich der Versicherte ebenfalls bei dem Sturz zugezogen haben, beispielsweise indem er während des Sturzes mit dem Kopf an einem Gerüstteil angeschlagen sei. Eindeutige Hinweise für sturzfremde Gewalteinwirkungen hätten nicht erlangt werden können.
Die Blutuntersuchung zur Ermittlung einer HIV-Infektion erbrachte einen negativen Befund, wobei nach Auskunft der untersuchenden Stelle die Standarduntersuchung kein eindeutiges Ergebnis erbracht habe und aus diesem Grunde zwei weitere Untersuchungen mit dem Ergebnis eines Ausschlusses einer HIV-Infektion hätten durchgeführt werden müssen.
Die vom Technischen Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (TAD) durchgeführten Ermittlungen ergaben keinen Anhalt für sicherheits-technische Mängel. Die Gerüste seien in ordnungsgemäßem Zustand gewesen; es habe keine Möglichkeit zum Absturz bestanden. Aufgrund der Aufschlagstelle müsse der Versicherte mit Schwung vom Dach oder Gerüst abgesprungen sein.
Mit Bescheiden vom 24. April 2003 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) Hinterbliebenenleistungen ab, weil nicht voll bewiesen sei, dass der Versicherte im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt habe. Insbesondere sei Arbeitsort des Versicherten der Innenteil des Rohbaus gewesen und ein Aufenthalt auf dem Gerüst aus betrieblichen Gründen somit nicht erforderlich. Die Überprüfung des bautechnischen Zustandes des Gerüstes habe keine sicherheitstechnischen Mängel ergeben. Auch sei im Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen festgestellt worden, dass die Entfernung zwischen Gerüst und Fundstelle gegen ein ungewolltes Abstürzen spreche. Auch nach Würdigung der vorliegenden Zeugenaussagen und des Ergebnisses aller polizeilichen Ermittlungen habe nicht geklärt werden können, welche Gründe ursächlich zum Absturz des Versicherten geführt hätten.
Die hiergegen von den Klägern erhobenen Widersprüche wurden damit begründet, dass der Versicherte sich zumindest in unmittelbarer Nähe seines Tätigkeitsbereiches aufgehalten haben müsse. Es erscheine daher nicht fern liegend, dass er bei Ausübung seiner Tätigkeit auch das Baustellengerüst betreten habe. Gegen einen Suizid spreche auch, dass der Versicherte offensichtlich rückwärts und mit einer Bohrmaschine in der Hand gefallen sei. In der Ermittlungsakte fehle eine förmliche Vernehmung des Herrn J. ; vielmehr fänden sich nur Berichte der ermittlungsführenden Polizeibeamten über Gespräche mit dem Zeu-gen. Die Angaben des Zeugen J. hinsichtlich angeblich benötigter 20.000,00 EUR ließen sich damit erklären, dass die Klägerin zu 1) den Versicherten angerufen habe und ihn um Überweisung von 2.000,00 EUR zur Begleichung einer Autowerkstattrechnung gebeten habe. Auch die festgestellten Verletzungen im Stirn- und Nasenbereich passten nicht zu dem von der Beklagten unterstellten Geschehensablauf.
Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 06. August 2003 unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem tödlichen Absturz nicht angenommen werden könne. Die Widerspruchsbescheide gingen dem Bevollmächtigten der Kläger am 07. August 2003 zu.
Mit den am 08. September 2003 (Montag) erhobenen Klagen haben die Kläger ihr Begehren weiter verfolgt. Mit Beschluss vom 11. September 2003 hat das SG die Verfahren der Kläger zu 1) bis 3) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren haben die Kläger darauf hingewiesen, der von der Beklagten aus dem Fundort der Leiche gezogene Schluss auf die fehlende Unfreiwilligkeit des Sturzes lasse außer Betracht, dass die mögliche Absturzstelle wie ein Balkon aus dem übrigen Gerüstaufbau herausrage. Im Übrigen sei der Versicherte mit einer Körpergröße von 1,90 m so groß gewesen, dass auch ein Absturz über die oberste Geländerstrebe möglich gewesen sei. Zwar sei nicht zu bestreiten, dass der Versicherte an der wahrscheinlichen Absturzstelle keine Arbeiten auszuführen gehabt habe, gleichwohl sei das Gerüst häufig in Pausenzeiten aufgesucht worden, da dies die einzige nahe liegende Stelle gewesen sei, an der Tageslicht geherrscht habe. Der Gerüstbereich, der als wahrscheinliche Absturzstelle gelte, sei darüber hinaus auch genutzt worden, um zum tatsächlichen Arbeitsort ins Gebäude zu gelangen.
Das SG hat den seit dem 03. Februar 2006 unter Betreuung stehenden Zeugen J. schriftlich zum Unfallhergang befragt. Dieser gab an, am 08. November 2002 seien er und der Versicherte um 7.00 Uhr auf der Baustelle gewesen. Um 10.00 Uhr habe sich der Versicherte zum Arzt begeben und sei gegen 12.00 Uhr zurück gewesen. Befragt nach dem Arbeitsauftrag des Versicherten für den 08. November 2002 gab der Zeuge an, die Baustelle sollte wegen des Wochenendes vom Versicherten beräumt werden. Der Arbeitsbereich sei nur durch die Treppe im Inneren zu erreichen gewesen; Arbeitspausen seien im Büro gemacht worden. Weisungsbefugt gegenüber dem Versicherten sei nur er, der Zeuge J. , gewesen.
In ihrer Stellungnahme hierzu haben die Kläger darauf hingewiesen, der Zeuge J. habe bereits zuvor nicht beweisbare Theorien präsentiert und sei auch kurz nach dem Unfall geistig verwirrt gewesen. Trotz der sich insbesondere aus dem Obduktionsbericht aufdrängenden Ansätze für ein alternatives Sturzgeschehen seien sowohl von der Polizei als auch der Beklagten diesbezügliche Ermittlungen frühzeitig abgebrochen worden.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 04. September 2006 die Klagen abgewiesen. Der Aufenthalt auf dem Gerüst habe nicht im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Elektriker gestanden. Der Arbeitsauftrag des Versicherten habe darin bestanden, im 3. Obergeschoss an der Stirnseite des Gebäudekomplexes Elektroleitungen an der Decke anzubringen, wozu er die Einrüstung des Hauses nicht habe betreten müssen. Es könne daher offen bleiben, zu welchem sonstigen Zweck der Versicherte das Gerüst betreten habe. Daher komme auch den von den Obduzenten beschriebenen Platzwunden an der Stirn keine Bedeutung zu.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 26. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 27. November 2006 (Montag) Berufung eingelegt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass SG habe die in der Akte enthaltenen Unstimmigkeiten und Widersprüche zulasten der Kläger ignoriert. Insbesondere die Beklagte habe sämtliche Ermittlungen im Lichte der Erstaussagen des Zeugen J. durchgeführt und anders gerichtete Ermittlungsansätze vernachlässigt. Denkbar sei auch, dass der Versicherte das Gerüst betreten habe, um seinen Kollegen J. , auf dessen Rückkehr er gewartet habe, etwas zuzurufen – möglicherweise eine Material- oder Werkzeuganforderung. Möglicherweise habe sich der Versicherte bei seiner Arbeit verletzt (Wunde an der Stirn) und versucht, Hilfe herbeizurufen. Dabei habe er möglicherweise das Bewusstsein verloren, was den Sturz über das Geländer erklären könne. Denkbar sei auch, dass das Gerüst zu dem Zweck betreten worden sei, Material herbeizuholen, einen Pausenraum oder eine Toilette aufzusuchen oder um seinen Arbeitsplatz aus anderen Gründen zu verlassen.
Der Senat hat den Urologen Dr. M1 schriftlich zu seiner Behandlung des Klägers befragt. Dieser hat angegeben, der Kläger habe ihn am 08. November 2002 wegen eines Ziehens im Rücken, Prickeln auf der Zunge und eines Kribbelns am Oberschenkel aufgesucht. Die vorläufige Diagnose "benigne Prostatahyperplasie" habe beim einmaligen Kontakt am 08. November 2002 nicht gesichert werden können. Hierzu wären weitere Untersuchungen, jedoch keine Biopsie, notwendig gewesen. Hinweise auf HIV/Aids hätten nicht vorgelegen. Der Versicherte habe weder psychisch dekompensiert gewirkt, noch Suizidgedanken geäußert.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 04. September 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 24. April 2003 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 06. August 2003 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 08. November 2002 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster Instanz vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG und die Beklagte haben zu Unrecht das Vorliegen eines vom Versicherten am 08. November 2002 erlittenen Arbeitsunfalls verneint.
1. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).
Der vorliegend allein problematische innere oder sachliche Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit ist gegeben. Bei der Feststellung dieser sachlichen Verknüpfung geht es nicht um die Frage der Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne. Vielmehr ist der innere Zusammenhang wertend zu ermitteln, wobei es darauf ankommt, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 05. Mai 1994 - 2 RU 26/93 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 19 m.w.N.). Die Zurechnung von Verrichtungen zur versicherten Tätigkeit erfolgt im Regelfall durch die wertende Feststellung der Handlungstendenz des Betroffenen, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Maßgebliche Frage ist dabei, ob die zum Unfall führende Verrichtung wesentlich dazu bestimmt war, dem Unternehmen zu dienen, wobei alle entscheidenden Einzelheiten in der Person des Handelnden und im Arbeitsvorgang sowie das sich daraus ergebende Gesamtbild in Betracht zu ziehen sind (vgl. etwa BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 Rn. 13-15 m.w.N.).
Vorliegend ist ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls und der versicherten Tätigkeit zu bejahen, weil der Versicherte unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hat, verunglückt ist, und ungeklärt bleibt, ob er im Unfallzeitpunkt diese versicherte Tätigkeit für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen hat.
a) Der Senat geht aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zunächst davon aus, dass der Versicherte unmittelbar vor dem Absturz das unverplante Gerüst an der Stirnseite des Gebäudes oberhalb des 3. Obergeschosses betreten hat. Ein anderer Absturzort lässt sich angesichts der im Bereich des Fundortes des Versicherten nach allen Seiten und nach oben hin ansonsten bestehenden Verplanung des Gerüstes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Arbeitsaufgabe des Versicherten im engeren Sinne entsprechend den ursprünglichen Angaben des Vorarbeiters J. und des Bauleiters Z. gegenüber der Polizei in der Durchführung von Elektroarbeiten im Inneren des 3. Obergeschosses der Baustelle bestanden hat. Nach Auffassung des Senats wäre es allerdings verfehlt, jedes Verlassen des hierdurch beschriebenen räumlich begrenzten Bereiches von vornherein als nicht mehr der Arbeitsaufgabe zugehörig zu bewerten. Gerade auf einer großräumigen Baustelle ist es nämlich durchaus möglich und üblich, dass zur Ausführung der eigentlichen Tätigkeit an einem eng umgrenzten Ort vielfältigste Verrichtungen vorbereitender oder unterstützender Natur auch an anderen Orten ausgeübt werden müssen. Dies betrifft etwa die von den Klägern angesprochenen denkbaren Verrichtungen der Materialbeschaffung oder der Kommunikation mit Kollegen, wofür u.U. auch das Betreten des Gerüstes an der Absturzstelle erforderlich gewesen sein kann. Für eine Kommunikation mit sich außerhalb des Gebäudes befindlichen Kollegen, etwa dem Vorarbeiter J. , war es sogar nach den örtlichen Gegebenheiten zwingend erforderlich, den unverplanten Teil des Gerüstes zu betreten, da nur von dort ein visueller oder akustischer Kontakt nach unten herstellbar war. Aus der Entfernung des Unfallorts vom eigentlichen Arbeitsort kann daher nicht ohne weiteres eine eigenwirtschaftliche und unversicherte Unterbrechung der versicherten Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 24/03 R -, Rn. 18, 19, zitiert nach Juris; vgl. hierzu auch die Besprechung des Urteils von Köhler, SGb 2005, 655, 658: " wäre es auch völlig wirklichkeitsfremd, irreal und ein Zeichen von mangelnder Praxisnähe, wenn man von einem grundsätzlich Versicherten, insbesondere einem Beschäftigten, verlangen würde, sich zur Erhaltung seines Unfallversicherungsschutzes stets unmittelbar am Förderband, neben der Werkbank, am Schreibtisch usw. aufzuhalten").
Unabhängig hiervon hat der Zeuge J. in seiner schriftlichen Befragung durch das SG in Abweichung von seinen vorherigen Angaben mitgeteilt, die Arbeitsaufgabe des Versicherten habe nach seiner Rückkehr auf die Baustelle um 12.00 Uhr darin bestanden, diese wegen des bevorstehenden Wochenendes zu beräumen. Eine solche Arbeitsaufgabe, die der Vorarbeiter J. dem Versicherten aufgrund seiner Vorgesetztenfunktion zuweisen konnte, würde den räumlichen Arbeitsbereich des Versicherten ganz erheblich erweitern. Ein Beräumen der Baustelle schließt u. a. ein, innerhalb eines großräumigen Bereiches nach liegen gebliebenen Werkzeugen oder Material zu suchen und dieses an sich zu nehmen oder zu ordnen. Hierzu kann durchaus auch ein Betreten des Gerüstes erforderlich gewesen sein.
Zwar besteht keine "Rechtsvermutung" des Inhalts, dass ein Versicherter, wenn er auf der Betriebsstätte tot aufgefunden wird und die Todesursache nicht einwandfrei zu ermitteln ist, aber eine Betriebseinrichtung als mitwirkende Todesursache in Betracht kommt, einem Arbeitsunfall erlegen sei (BSG, Urteil vom 29. März 1963 – 2 RU 75/61, BSGE 19, 52, 53). Das Gericht kann jedoch im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung die vorhandenen Indizien daraufhin bewerten, ob der Versicherte an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hat, verunfallt ist. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob einem etwaigen Beweisnotstand dadurch Rechnung getragen werden kann, dass an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsache weniger hohe Anforderungen gestellt werden (BSG, a.a.O., 56) oder die mangelnde Feststellung eines genauen Unfallvorgangs der Annahme eines Arbeitsunfalls als nicht entgegenstehend anzusehen ist, wenn die überwiegenden Umstände auf einen Arbeitsunfall hinweisen und andere Ursachen mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. September 1981 – l § U 154/80, SozVers 1982, 307, 308; Hessisches LSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – L 3 U 139/05 – zitiert nach Juris).
Auch ohne diese Beweiserleichterungen zu Gunsten der Kläger steht nach Auffassung des Senats aufgrund hinreichender Anhaltspunkte tatsächlicher Art im Vollbeweis fest, dass der Versicherte unmittelbar vor dem Unfallgeschehen eine betriebliche Tätigkeit verrichtet hat. Neben den bereits erwähnten besonderen Arbeitsbedingungen auf einer Großbaustelle und der (möglichen) Erweiterung der räumlichen Aufgabenbereiches durch eine Weisung zur Beräumung der Baustelle ist insoweit insbesondere noch darauf hinzuweisen, dass der Versicherte beim Absturz eine Bohrmaschine (möglicherweise auch einen Schraubenzieher) in den Händen hielt. Dies deutet auf eine Verwendung unmittelbar vor oder beabsichtigte Verwendung unmittelbar nach dem Absturz hin. Auch das vom Zeugen J. beobachtete rückwärtige Stürzen des Versicherten, das durch die Feststellungen des Obduktionsberichts bestätigt wird, spricht nach Ansicht des Senats - insbesondere in der Zusammenschau mit der Mitführung von Werkzeug - dafür, dass der Versicherte aus seiner betrieblichen Tätigkeit durch das Unfallgeschehen überraschend herausgerissen wurde.
In der zusammenfassenden Bewertung all dieser Umstände ist der Senat daher davon ausgegangen, dass der Unfallort zum Arbeitsplatz des Klägers gehörte.
b) Steht somit fest, dass der Versicherte an seinem Arbeitsplatz verunglückt ist, so entfällt der Versicherungsschutz in Abweichung von der üblichen Beweislastverteilung nur dann, wenn bewiesen ist, dass er die versicherte Tätigkeit für eine private Tätigkeit unterbrochen hat (BSG, Urteile vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 24/03 R – und 04. September 2007 – B 2 U 28/06 R).
Derartige Anhaltspunkte für eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit bestehen nicht. Insbesondere lässt sich keine Selbsttötungsabsicht nachweisen. Alle diesbezüglichen Indizien sind entkräftet: Eine schwerwiegende Erkrankung, wie wohl vom Zeugen J. in Gestalt einer HIV-Infektion bzw. Aids-Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber geäußert, bestand nicht. Insoweit hat der im Rahmen der Obduktion angeordnete Bluttest keinen Befund erbracht. Auch die Ermittlungen des Senats beim am Unfalltag behandelnden Urologen haben keine Erkenntnisse zum Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung erbracht, die einen Suizid als denkbare Reaktion hierauf erscheinen lassen könnten. Der Urologe Dr. M1 hat lediglich eine benigne Prostatahyperplasie diagnostiziert und die Frage nach einer psychischen Dekompensation sowie Suizidabsichten des Versicherten verneint. Belastbare Erkenntnisse über die vom Zeugen J. gegenüber der Polizei angedeuteten Geldsorgen des Versicherten liegen ebenso wenig vor. Mangels näherer Erkenntnisse zum konkreten Unfallgeschehen, insbesondere zur Absturzstelle und zur Absturzmechanik kann auch aus dem Fundort der Leiche entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ohne weiteres geschlussfolgert werden, es habe sich um einen Absprung und nicht um einen Absturz ge-handelt.
Es ist daher nicht bewiesen, dass der Versicherte seine versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass neben der bereits ausreichenden Verunfallung am Arbeitsplatz durchaus einige weitere Gesichtspunkte für den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sprechen. So lassen sich die verschiedenen Gesichts- und Stirnverletzungen des Versicherten nicht alleine mit dem Unfallgeschehen erklären. Die im Obduktionsbericht aufgeführte Hypothese, der Versicherte sei möglicherweise im Fallen an Gerüstteile geschlagen, hält einer Überprüfung anhand der örtlichen Gegebenheiten (voll verplantes Gerüst) nicht stand. Von daher hat der Hinweis der Kläger auf ein möglicherweise vorhergehendes Unfallgeschehen – wofür auch die mitgeführte Bohrmaschine sprechen könnte – durchaus einiges für sich. Hingewiesen sei auch darauf, dass sich aus den in der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Lichtbildern die im Todesermittlungsbericht der Polizei enthaltene Aussage, am obersten Ende des Gerüstes hätten sich fünf Gerüststangen befunden, die als Gitterschutz quer an den Trägern befestigt seien, eindeutig widerlegen lässt. Wie nämlich schon im Bericht der Polizeiinspektion W. vom 08. November 2002 vermerkt, fehlte im linken Bereich des Gerüstes eine Mittelstrebe (Bl. 43 der Verwaltungsakte). Dies ist auf den Aufnahmen Bl. 30 oben sowie Bl. 59 der Verwaltungsakte nachvollziehbar, wobei aus dem Vorhandensein einer leeren Schelle geschlussfolgert werden kann, dass sich die die dort ursprünglich befindende Querstrebe entfernt oder die dort vorgesehene Querstrebe nicht angebracht wurde. Zumindest an dieser Stelle gab es daher einen ungesicherten Bereich, der den auf Bl. 30 oben der Verwaltungsakte mit abgebildeten Personen von der Schulter bis zum Knie reichte. Entgegen der Auffassung der Beklagten kam daher sehr wohl ein unwillentlicher Absturz in Betracht.
2. Der Gerichtsbescheid des SG war daher aufzuheben und das Vorliegen eines Arbeitsunfalls festzustellen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung lagen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
II. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger trägt für beide Instanzen die Beklagte.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin zu 1) ist die Ehefrau, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des verstorbenen F. (nachfolgend: Versicherter). Die Kläger begehren die Feststellung, dass der Versicherte am 08. November 2002 einen bei der Beklagten versicherten tödlichen Arbeitsunfall erlitten hat.
Am 08. November 2002 war der Versicherte als Elektriker auf einer Baustelle in W. eingesetzt. Ausweislich der polizeilichen Ermittlungsunterlagen, insbesondere des Todesermittlungsberichts des Polizeipräsidiums W. vom 08. November 2002, habe der Versicherte den Auftrag gehabt, im 3. Obergeschoss der Stirnseite eines U-förmigen Gebäudetraktes Elektrokabel im Bereich der Decke zu befestigen. Beim 3. Obergeschoss habe es sich um eine U-förmig angelegte ca. 2200 qm große Betonfläche in etwa 20 – 25 Metern Höhe gehandelt, welche durch mehrere Säulen im gesamten Bereich unterbrochen sei. Die Etage sei von außen her offen, jedoch voll eingerüstet und teilweise mit Planen verhangen gewesen. Das obere Ende des Gerüstes an der Stirnseite sei unverplant gewesen. In diesem Bereich hätten sich fünf Gerüststangen befunden, die als Gitterschutz quer an die Träger befestigt gewesen seien. Der Vorarbeiter J. habe auf Befragen der Polizei erklärt, er habe sich zuletzt mit dem Versicherten im 3. Obergeschoss getroffen, wo dieser auf einer Leiter Stromleitungen unter die Decke gebohrt habe. Herr J. habe nach unten gehen wollen, um sein Handy im Containerbüro aufladen zu können. Als er anschließend zurückgekommen sei, habe er gesehen, wie sein Kollege rücklings in Höhe des 3. Obergeschosses abseits des Gerüstes nach unten gestürzt sei. In der linken Hand habe er eine Bohrmaschine gehalten. Der Versicherte sei rücklings mit dem Kopf zuerst auf dem Boden aufgeschlagen; die Bohrmaschine sei aus der Hand nach hinten weggeschleudert worden. Herr J. habe nicht sehen können, wie die Person von dem Gerüst gestürzt sei, sondern habe ihn erst entdeckt, als er sich bereits kurz unterhalb des Gerüstes des 3. Obergeschosses in der Luft im Fallen befunden habe. Um 10.00 Uhr habe der Versicherte einen Termin beim Urologen Dr. M1. gehabt. Der Versicherte sei in den letzten Tagen sehr still gewesen und habe Herrn J. gefragt, ob die Todesstrafe in Deutschland noch existent sei und ob Herr J. in der Kirche sei. Auch sei der Versicherte nach Angaben von Herrn J. sehr grüblerisch gewesen. Der Unfall selbst habe sich gegen 12.15 Uhr ereignet, die Verständigung der Polizei sei um 12.20 Uhr erfolgt. Der Fundort der Leiche sei im Innenhofbereich des U-förmigen Traktes ca. 4 m von der rückwärtigen abgedeckten Rückwand, seitlich rechts versetzt und mit einem Abstand von der rechten Seitenwand von 1,5 m an den Füßen und 1 m im Schulterbereich entfernt gewesen. Oberhalb der linken Schulter ca. 5 m entfernt habe die Bohrmaschine gelegen, welche mit dem Bohrkopf zum Versicherten hin gerichtet gewesen sei. Im Bereich des linken Fußes ungefähr 2 m nach links habe ein rotfarbener Schraubendreher auf dem Boden gelegen. Im mittleren Bereich des U-förmigen Gebäudes im 3. Obergeschoss auf der linken Seite habe sich eine aufgestellte Trittleiter befunden, an welcher ein roter Helm aufgehängt gewesen sei. In diesem Bereich seien von der Decke mehrere Stromleitungen heruntergehangen, die noch nicht voll verlegt gewesen seien. An dieser Stelle solle der Versicherte zuletzt gearbeitet haben. Nach Angaben des Bauleiters Z. habe sich der Arbeitsplatz des Versicherten nicht auf dem Außengerüst, sondern im Südflügel des Rohbaus befunden.
Nach einem Vermerk der Polizei W. vom 11. November 2002 erklärte der Vorarbeiter J. , der Versicherte sei am Unfalltag gegen 12.00 Uhr auf der Baustelle erschienen, habe sich sofort umgezogen, die Bohrmaschine geschnappt und sei nach oben gegangen, obwohl Herr J. ihm mitgeteilt habe, dass er heute nicht mehr arbeiten brauche. Der Versicherte habe erzählt, er sei bei einem Urologen gewesen, der ihn zu einem Orthopäden überwiesen habe. Herr J. habe wiederholt, das Verhalten des Versicherten sei in der letzten Woche total verändert gewesen; er habe einen sehr traurigen und zurückhaltenden Eindruck gemacht. Er selber und auch die anderen Arbeitskollegen hätten den Versicherten darauf angesprochen, aber keinen Grund von ihm erfahren. Die ebenfalls am 11. November 2002 telefonisch befragte Klägerin zu 1) gab an, der Versicherte habe ihr am Morgen des Unfalltages von Blasenschmerzen berichtet und mitgeteilt, er wolle einen Arzt aufsu-chen.
Ausweislich des Schlussvermerks der Polizei W. vom 14. November 2002 ergab eine Nachfrage bei dem Urologen Dr. M1 , dass der Versicherte dort als Patient nicht bekannt war; Recherchen über die Krankenkasse hätten ergeben, dass der Versicherte zuletzt vor fünf Jahren bei einem Arzt, nämlich einem Zahnarzt in Behandlung gewesen sei. Der Arbeitskollege J. habe zudem berichtet, er sei vom Versicherten gefragt worden, ob er ihm kurzfristig 20.000,00 EUR leihen könne.
Nachdem die Beklagte vom Tod des Versicherten informiert worden war, teilte ihr ein Herr K. (Firma B ) telefonisch mit, bei dem Versicherten sei eine Aids-Erkrankung festgestellt worden. Spätere Nachfragen bei einem Vertreter des Arbeitgebers, Herrn H. , ergaben, dass die Information von einer Aids-Erkrankung des Versicherten von Herrn J. stammte, dem der Versicherte diese Erkrankung anvertraut habe.
Ausweislich des Obduktionsberichtes von 13. November 2002 war todesursächlich ein schwerstes Polytrauma mit komplettem Schädeltrümmerbruch, Trümmerbruch der Lendenwirbelsäule, des Kreuzbeins und Steißbeins mit massiven Einblutungen. Die Verlet-zungen seien sämtlich mit einem Sturz aus großer Höhe in Einklang zu bringen. Die Befunde sprächen dafür, dass der Versicherte mit dem Rücken, d.h. mit dem Lendenbereich auf den Boden aufgekommen sei. Weiterhin dürfte ein Hauptanstoß im Bereich des linken Hinterhauptes/Schläfenbereiches am Kopf gewesen sein. Die Verletzungen an der Stirn (mehrere Platzwunden, in der Stirnmitte mehrere parallel nebeneinander verlaufende und bis 2,5 cm lange strichförmige glattrandige Verletzungen wie oberflächliche Hautein-schnitte mit deutlicher Rötung der Umgebung; kleine bogenförmige Platzwunde von etwa 2 cm bis auf den Schädelknochen hinabreichend, fleckige Rötungen im gesamten Stirnbereich) könne sich der Versicherte ebenfalls bei dem Sturz zugezogen haben, beispielsweise indem er während des Sturzes mit dem Kopf an einem Gerüstteil angeschlagen sei. Eindeutige Hinweise für sturzfremde Gewalteinwirkungen hätten nicht erlangt werden können.
Die Blutuntersuchung zur Ermittlung einer HIV-Infektion erbrachte einen negativen Befund, wobei nach Auskunft der untersuchenden Stelle die Standarduntersuchung kein eindeutiges Ergebnis erbracht habe und aus diesem Grunde zwei weitere Untersuchungen mit dem Ergebnis eines Ausschlusses einer HIV-Infektion hätten durchgeführt werden müssen.
Die vom Technischen Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (TAD) durchgeführten Ermittlungen ergaben keinen Anhalt für sicherheits-technische Mängel. Die Gerüste seien in ordnungsgemäßem Zustand gewesen; es habe keine Möglichkeit zum Absturz bestanden. Aufgrund der Aufschlagstelle müsse der Versicherte mit Schwung vom Dach oder Gerüst abgesprungen sein.
Mit Bescheiden vom 24. April 2003 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) Hinterbliebenenleistungen ab, weil nicht voll bewiesen sei, dass der Versicherte im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt habe. Insbesondere sei Arbeitsort des Versicherten der Innenteil des Rohbaus gewesen und ein Aufenthalt auf dem Gerüst aus betrieblichen Gründen somit nicht erforderlich. Die Überprüfung des bautechnischen Zustandes des Gerüstes habe keine sicherheitstechnischen Mängel ergeben. Auch sei im Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen festgestellt worden, dass die Entfernung zwischen Gerüst und Fundstelle gegen ein ungewolltes Abstürzen spreche. Auch nach Würdigung der vorliegenden Zeugenaussagen und des Ergebnisses aller polizeilichen Ermittlungen habe nicht geklärt werden können, welche Gründe ursächlich zum Absturz des Versicherten geführt hätten.
Die hiergegen von den Klägern erhobenen Widersprüche wurden damit begründet, dass der Versicherte sich zumindest in unmittelbarer Nähe seines Tätigkeitsbereiches aufgehalten haben müsse. Es erscheine daher nicht fern liegend, dass er bei Ausübung seiner Tätigkeit auch das Baustellengerüst betreten habe. Gegen einen Suizid spreche auch, dass der Versicherte offensichtlich rückwärts und mit einer Bohrmaschine in der Hand gefallen sei. In der Ermittlungsakte fehle eine förmliche Vernehmung des Herrn J. ; vielmehr fänden sich nur Berichte der ermittlungsführenden Polizeibeamten über Gespräche mit dem Zeu-gen. Die Angaben des Zeugen J. hinsichtlich angeblich benötigter 20.000,00 EUR ließen sich damit erklären, dass die Klägerin zu 1) den Versicherten angerufen habe und ihn um Überweisung von 2.000,00 EUR zur Begleichung einer Autowerkstattrechnung gebeten habe. Auch die festgestellten Verletzungen im Stirn- und Nasenbereich passten nicht zu dem von der Beklagten unterstellten Geschehensablauf.
Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 06. August 2003 unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem tödlichen Absturz nicht angenommen werden könne. Die Widerspruchsbescheide gingen dem Bevollmächtigten der Kläger am 07. August 2003 zu.
Mit den am 08. September 2003 (Montag) erhobenen Klagen haben die Kläger ihr Begehren weiter verfolgt. Mit Beschluss vom 11. September 2003 hat das SG die Verfahren der Kläger zu 1) bis 3) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren haben die Kläger darauf hingewiesen, der von der Beklagten aus dem Fundort der Leiche gezogene Schluss auf die fehlende Unfreiwilligkeit des Sturzes lasse außer Betracht, dass die mögliche Absturzstelle wie ein Balkon aus dem übrigen Gerüstaufbau herausrage. Im Übrigen sei der Versicherte mit einer Körpergröße von 1,90 m so groß gewesen, dass auch ein Absturz über die oberste Geländerstrebe möglich gewesen sei. Zwar sei nicht zu bestreiten, dass der Versicherte an der wahrscheinlichen Absturzstelle keine Arbeiten auszuführen gehabt habe, gleichwohl sei das Gerüst häufig in Pausenzeiten aufgesucht worden, da dies die einzige nahe liegende Stelle gewesen sei, an der Tageslicht geherrscht habe. Der Gerüstbereich, der als wahrscheinliche Absturzstelle gelte, sei darüber hinaus auch genutzt worden, um zum tatsächlichen Arbeitsort ins Gebäude zu gelangen.
Das SG hat den seit dem 03. Februar 2006 unter Betreuung stehenden Zeugen J. schriftlich zum Unfallhergang befragt. Dieser gab an, am 08. November 2002 seien er und der Versicherte um 7.00 Uhr auf der Baustelle gewesen. Um 10.00 Uhr habe sich der Versicherte zum Arzt begeben und sei gegen 12.00 Uhr zurück gewesen. Befragt nach dem Arbeitsauftrag des Versicherten für den 08. November 2002 gab der Zeuge an, die Baustelle sollte wegen des Wochenendes vom Versicherten beräumt werden. Der Arbeitsbereich sei nur durch die Treppe im Inneren zu erreichen gewesen; Arbeitspausen seien im Büro gemacht worden. Weisungsbefugt gegenüber dem Versicherten sei nur er, der Zeuge J. , gewesen.
In ihrer Stellungnahme hierzu haben die Kläger darauf hingewiesen, der Zeuge J. habe bereits zuvor nicht beweisbare Theorien präsentiert und sei auch kurz nach dem Unfall geistig verwirrt gewesen. Trotz der sich insbesondere aus dem Obduktionsbericht aufdrängenden Ansätze für ein alternatives Sturzgeschehen seien sowohl von der Polizei als auch der Beklagten diesbezügliche Ermittlungen frühzeitig abgebrochen worden.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 04. September 2006 die Klagen abgewiesen. Der Aufenthalt auf dem Gerüst habe nicht im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Elektriker gestanden. Der Arbeitsauftrag des Versicherten habe darin bestanden, im 3. Obergeschoss an der Stirnseite des Gebäudekomplexes Elektroleitungen an der Decke anzubringen, wozu er die Einrüstung des Hauses nicht habe betreten müssen. Es könne daher offen bleiben, zu welchem sonstigen Zweck der Versicherte das Gerüst betreten habe. Daher komme auch den von den Obduzenten beschriebenen Platzwunden an der Stirn keine Bedeutung zu.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 26. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 27. November 2006 (Montag) Berufung eingelegt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass SG habe die in der Akte enthaltenen Unstimmigkeiten und Widersprüche zulasten der Kläger ignoriert. Insbesondere die Beklagte habe sämtliche Ermittlungen im Lichte der Erstaussagen des Zeugen J. durchgeführt und anders gerichtete Ermittlungsansätze vernachlässigt. Denkbar sei auch, dass der Versicherte das Gerüst betreten habe, um seinen Kollegen J. , auf dessen Rückkehr er gewartet habe, etwas zuzurufen – möglicherweise eine Material- oder Werkzeuganforderung. Möglicherweise habe sich der Versicherte bei seiner Arbeit verletzt (Wunde an der Stirn) und versucht, Hilfe herbeizurufen. Dabei habe er möglicherweise das Bewusstsein verloren, was den Sturz über das Geländer erklären könne. Denkbar sei auch, dass das Gerüst zu dem Zweck betreten worden sei, Material herbeizuholen, einen Pausenraum oder eine Toilette aufzusuchen oder um seinen Arbeitsplatz aus anderen Gründen zu verlassen.
Der Senat hat den Urologen Dr. M1 schriftlich zu seiner Behandlung des Klägers befragt. Dieser hat angegeben, der Kläger habe ihn am 08. November 2002 wegen eines Ziehens im Rücken, Prickeln auf der Zunge und eines Kribbelns am Oberschenkel aufgesucht. Die vorläufige Diagnose "benigne Prostatahyperplasie" habe beim einmaligen Kontakt am 08. November 2002 nicht gesichert werden können. Hierzu wären weitere Untersuchungen, jedoch keine Biopsie, notwendig gewesen. Hinweise auf HIV/Aids hätten nicht vorgelegen. Der Versicherte habe weder psychisch dekompensiert gewirkt, noch Suizidgedanken geäußert.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 04. September 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 24. April 2003 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 06. August 2003 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 08. November 2002 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster Instanz vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG und die Beklagte haben zu Unrecht das Vorliegen eines vom Versicherten am 08. November 2002 erlittenen Arbeitsunfalls verneint.
1. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).
Der vorliegend allein problematische innere oder sachliche Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit ist gegeben. Bei der Feststellung dieser sachlichen Verknüpfung geht es nicht um die Frage der Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne. Vielmehr ist der innere Zusammenhang wertend zu ermitteln, wobei es darauf ankommt, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 05. Mai 1994 - 2 RU 26/93 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 19 m.w.N.). Die Zurechnung von Verrichtungen zur versicherten Tätigkeit erfolgt im Regelfall durch die wertende Feststellung der Handlungstendenz des Betroffenen, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Maßgebliche Frage ist dabei, ob die zum Unfall führende Verrichtung wesentlich dazu bestimmt war, dem Unternehmen zu dienen, wobei alle entscheidenden Einzelheiten in der Person des Handelnden und im Arbeitsvorgang sowie das sich daraus ergebende Gesamtbild in Betracht zu ziehen sind (vgl. etwa BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 Rn. 13-15 m.w.N.).
Vorliegend ist ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls und der versicherten Tätigkeit zu bejahen, weil der Versicherte unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hat, verunglückt ist, und ungeklärt bleibt, ob er im Unfallzeitpunkt diese versicherte Tätigkeit für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen hat.
a) Der Senat geht aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zunächst davon aus, dass der Versicherte unmittelbar vor dem Absturz das unverplante Gerüst an der Stirnseite des Gebäudes oberhalb des 3. Obergeschosses betreten hat. Ein anderer Absturzort lässt sich angesichts der im Bereich des Fundortes des Versicherten nach allen Seiten und nach oben hin ansonsten bestehenden Verplanung des Gerüstes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Arbeitsaufgabe des Versicherten im engeren Sinne entsprechend den ursprünglichen Angaben des Vorarbeiters J. und des Bauleiters Z. gegenüber der Polizei in der Durchführung von Elektroarbeiten im Inneren des 3. Obergeschosses der Baustelle bestanden hat. Nach Auffassung des Senats wäre es allerdings verfehlt, jedes Verlassen des hierdurch beschriebenen räumlich begrenzten Bereiches von vornherein als nicht mehr der Arbeitsaufgabe zugehörig zu bewerten. Gerade auf einer großräumigen Baustelle ist es nämlich durchaus möglich und üblich, dass zur Ausführung der eigentlichen Tätigkeit an einem eng umgrenzten Ort vielfältigste Verrichtungen vorbereitender oder unterstützender Natur auch an anderen Orten ausgeübt werden müssen. Dies betrifft etwa die von den Klägern angesprochenen denkbaren Verrichtungen der Materialbeschaffung oder der Kommunikation mit Kollegen, wofür u.U. auch das Betreten des Gerüstes an der Absturzstelle erforderlich gewesen sein kann. Für eine Kommunikation mit sich außerhalb des Gebäudes befindlichen Kollegen, etwa dem Vorarbeiter J. , war es sogar nach den örtlichen Gegebenheiten zwingend erforderlich, den unverplanten Teil des Gerüstes zu betreten, da nur von dort ein visueller oder akustischer Kontakt nach unten herstellbar war. Aus der Entfernung des Unfallorts vom eigentlichen Arbeitsort kann daher nicht ohne weiteres eine eigenwirtschaftliche und unversicherte Unterbrechung der versicherten Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 24/03 R -, Rn. 18, 19, zitiert nach Juris; vgl. hierzu auch die Besprechung des Urteils von Köhler, SGb 2005, 655, 658: " wäre es auch völlig wirklichkeitsfremd, irreal und ein Zeichen von mangelnder Praxisnähe, wenn man von einem grundsätzlich Versicherten, insbesondere einem Beschäftigten, verlangen würde, sich zur Erhaltung seines Unfallversicherungsschutzes stets unmittelbar am Förderband, neben der Werkbank, am Schreibtisch usw. aufzuhalten").
Unabhängig hiervon hat der Zeuge J. in seiner schriftlichen Befragung durch das SG in Abweichung von seinen vorherigen Angaben mitgeteilt, die Arbeitsaufgabe des Versicherten habe nach seiner Rückkehr auf die Baustelle um 12.00 Uhr darin bestanden, diese wegen des bevorstehenden Wochenendes zu beräumen. Eine solche Arbeitsaufgabe, die der Vorarbeiter J. dem Versicherten aufgrund seiner Vorgesetztenfunktion zuweisen konnte, würde den räumlichen Arbeitsbereich des Versicherten ganz erheblich erweitern. Ein Beräumen der Baustelle schließt u. a. ein, innerhalb eines großräumigen Bereiches nach liegen gebliebenen Werkzeugen oder Material zu suchen und dieses an sich zu nehmen oder zu ordnen. Hierzu kann durchaus auch ein Betreten des Gerüstes erforderlich gewesen sein.
Zwar besteht keine "Rechtsvermutung" des Inhalts, dass ein Versicherter, wenn er auf der Betriebsstätte tot aufgefunden wird und die Todesursache nicht einwandfrei zu ermitteln ist, aber eine Betriebseinrichtung als mitwirkende Todesursache in Betracht kommt, einem Arbeitsunfall erlegen sei (BSG, Urteil vom 29. März 1963 – 2 RU 75/61, BSGE 19, 52, 53). Das Gericht kann jedoch im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung die vorhandenen Indizien daraufhin bewerten, ob der Versicherte an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hat, verunfallt ist. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob einem etwaigen Beweisnotstand dadurch Rechnung getragen werden kann, dass an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsache weniger hohe Anforderungen gestellt werden (BSG, a.a.O., 56) oder die mangelnde Feststellung eines genauen Unfallvorgangs der Annahme eines Arbeitsunfalls als nicht entgegenstehend anzusehen ist, wenn die überwiegenden Umstände auf einen Arbeitsunfall hinweisen und andere Ursachen mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. September 1981 – l § U 154/80, SozVers 1982, 307, 308; Hessisches LSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – L 3 U 139/05 – zitiert nach Juris).
Auch ohne diese Beweiserleichterungen zu Gunsten der Kläger steht nach Auffassung des Senats aufgrund hinreichender Anhaltspunkte tatsächlicher Art im Vollbeweis fest, dass der Versicherte unmittelbar vor dem Unfallgeschehen eine betriebliche Tätigkeit verrichtet hat. Neben den bereits erwähnten besonderen Arbeitsbedingungen auf einer Großbaustelle und der (möglichen) Erweiterung der räumlichen Aufgabenbereiches durch eine Weisung zur Beräumung der Baustelle ist insoweit insbesondere noch darauf hinzuweisen, dass der Versicherte beim Absturz eine Bohrmaschine (möglicherweise auch einen Schraubenzieher) in den Händen hielt. Dies deutet auf eine Verwendung unmittelbar vor oder beabsichtigte Verwendung unmittelbar nach dem Absturz hin. Auch das vom Zeugen J. beobachtete rückwärtige Stürzen des Versicherten, das durch die Feststellungen des Obduktionsberichts bestätigt wird, spricht nach Ansicht des Senats - insbesondere in der Zusammenschau mit der Mitführung von Werkzeug - dafür, dass der Versicherte aus seiner betrieblichen Tätigkeit durch das Unfallgeschehen überraschend herausgerissen wurde.
In der zusammenfassenden Bewertung all dieser Umstände ist der Senat daher davon ausgegangen, dass der Unfallort zum Arbeitsplatz des Klägers gehörte.
b) Steht somit fest, dass der Versicherte an seinem Arbeitsplatz verunglückt ist, so entfällt der Versicherungsschutz in Abweichung von der üblichen Beweislastverteilung nur dann, wenn bewiesen ist, dass er die versicherte Tätigkeit für eine private Tätigkeit unterbrochen hat (BSG, Urteile vom 26. Oktober 2004 – B 2 U 24/03 R – und 04. September 2007 – B 2 U 28/06 R).
Derartige Anhaltspunkte für eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit bestehen nicht. Insbesondere lässt sich keine Selbsttötungsabsicht nachweisen. Alle diesbezüglichen Indizien sind entkräftet: Eine schwerwiegende Erkrankung, wie wohl vom Zeugen J. in Gestalt einer HIV-Infektion bzw. Aids-Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber geäußert, bestand nicht. Insoweit hat der im Rahmen der Obduktion angeordnete Bluttest keinen Befund erbracht. Auch die Ermittlungen des Senats beim am Unfalltag behandelnden Urologen haben keine Erkenntnisse zum Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung erbracht, die einen Suizid als denkbare Reaktion hierauf erscheinen lassen könnten. Der Urologe Dr. M1 hat lediglich eine benigne Prostatahyperplasie diagnostiziert und die Frage nach einer psychischen Dekompensation sowie Suizidabsichten des Versicherten verneint. Belastbare Erkenntnisse über die vom Zeugen J. gegenüber der Polizei angedeuteten Geldsorgen des Versicherten liegen ebenso wenig vor. Mangels näherer Erkenntnisse zum konkreten Unfallgeschehen, insbesondere zur Absturzstelle und zur Absturzmechanik kann auch aus dem Fundort der Leiche entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ohne weiteres geschlussfolgert werden, es habe sich um einen Absprung und nicht um einen Absturz ge-handelt.
Es ist daher nicht bewiesen, dass der Versicherte seine versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass neben der bereits ausreichenden Verunfallung am Arbeitsplatz durchaus einige weitere Gesichtspunkte für den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sprechen. So lassen sich die verschiedenen Gesichts- und Stirnverletzungen des Versicherten nicht alleine mit dem Unfallgeschehen erklären. Die im Obduktionsbericht aufgeführte Hypothese, der Versicherte sei möglicherweise im Fallen an Gerüstteile geschlagen, hält einer Überprüfung anhand der örtlichen Gegebenheiten (voll verplantes Gerüst) nicht stand. Von daher hat der Hinweis der Kläger auf ein möglicherweise vorhergehendes Unfallgeschehen – wofür auch die mitgeführte Bohrmaschine sprechen könnte – durchaus einiges für sich. Hingewiesen sei auch darauf, dass sich aus den in der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Lichtbildern die im Todesermittlungsbericht der Polizei enthaltene Aussage, am obersten Ende des Gerüstes hätten sich fünf Gerüststangen befunden, die als Gitterschutz quer an den Trägern befestigt seien, eindeutig widerlegen lässt. Wie nämlich schon im Bericht der Polizeiinspektion W. vom 08. November 2002 vermerkt, fehlte im linken Bereich des Gerüstes eine Mittelstrebe (Bl. 43 der Verwaltungsakte). Dies ist auf den Aufnahmen Bl. 30 oben sowie Bl. 59 der Verwaltungsakte nachvollziehbar, wobei aus dem Vorhandensein einer leeren Schelle geschlussfolgert werden kann, dass sich die die dort ursprünglich befindende Querstrebe entfernt oder die dort vorgesehene Querstrebe nicht angebracht wurde. Zumindest an dieser Stelle gab es daher einen ungesicherten Bereich, der den auf Bl. 30 oben der Verwaltungsakte mit abgebildeten Personen von der Schulter bis zum Knie reichte. Entgegen der Auffassung der Beklagten kam daher sehr wohl ein unwillentlicher Absturz in Betracht.
2. Der Gerichtsbescheid des SG war daher aufzuheben und das Vorliegen eines Arbeitsunfalls festzustellen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung lagen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
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