L 9 KR 114/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 2880/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 114/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Eine Krankheit kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur begründen, wenn sie den Beteiligten daran gehindert hat, selbst das Nötigste zu veranlassen, siene Angelegenheiten selbst wahrzunehmen oder einen Dritten damit zu beauftragen.
2.) Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er für die Wahrung laufender Fristen rechtzeitig Vorsorge für den Fall plötzlich eintretender Arbeitsunfähigkeit dadurch trifft, dass ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Eine derartige Verpflichtung ist insbesondere dann gegeben, wenn der Anwalt seine Kanzlei allein betreibt und nicht ständig über eingearbeitetes, zum selbständigen Handeln befähigtes Kanzleipersonal verfügt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2008 wird als unzulässig verworfen. Kosten haben die Beteiligten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung/Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines nicht verschreibungspflichtigen Medikamentes streitig.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Übernahme/Erstattung der Kosten mit Bescheid vom 1. Juni 2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 21. September 2004, unter Hinweis auf §§ 31 Abs. 1 S. 1, 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ab, wogegen die Klägerin Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben hat. Durch Urteil vom 15. Januar 2008, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 30. Januar 2008 zugestellt, wies das Sozialgericht Berlin die Klage als unbegründet ab. Hiergegen richtet sich die am 6. März 2008 beim Landessozialgericht erhobene Berufung der Klägerin. Gleichzeitig hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat ihr Prozessbevollmächtigter ausgeführt, er habe das Datum des Ablaufs der Berufungsfrist sowohl in den Fristenkalender als auch elektronisch vermerkt, er sei jedoch am 29. Februar 2008 erkrankt, weshalb er einen Arzt habe aufsuchen müssen, welcher ihm schmerzlindernde und entkrampfende Injektionen verabreicht habe. Infolge der Erkrankung sei er nicht in der Lage gewesen, eine sitzende Tätigkeit auszuüben. Die Fristversäumung sei unverschuldet, weil er berechtigt gewesen sei, die Berufungsfrist bis zum letzten Tag auszunutzen und er kein kanzleiinternes Personal beschäftige, welches ihn hätte vertreten können, nachdem er unverschuldet erkrankt sei. Zur Glaubhaftmachung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein Attest des Arztes Toben vom 29. Februar 2008 vorgelegt.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung wegen Fristablaufs als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge und der Gerichtsakte verwiesen. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung geworden.

II.

Der Senat konnte gemäß § 158 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden. Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt wurde.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Frist ist nicht gewahrt. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2008 wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 30. Januar 2008 zugestellt, so dass die einmonatige Berufungsfrist am 29. Februar 2008 endete. Die Berufung ist jedoch erst am 6. März 2008, mithin verspätet, eingegangen.

Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist nach § 67 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden.

Der Klägerin war wegen der versäumten Berufungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn sie war schon nach dem eigenen, durch Vorlage eines ärztlichen Attestes glaubhaft gemachten Vorbringen nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert, diese Frist einzuhalten; nach § 73 Abs. 4 Satz 1 SGG in V. m. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ist ihr insoweit das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen.

Die am 29. Februar 2008 plötzlich aufgetretene Erkrankung des mandatierten Rechtsanwaltes entschuldigt nicht die Versäumung der Berufungsfrist. Da Verschulden grundsätzlich anzunehmen ist, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des Falles zuzumuten war, entschuldigt nämlich nicht jede Erkrankung. Bei einer Erkrankung ist vielmehr zu verlangen, dass der Betroffene außer Stande war, seine Angelegenheiten selbst wahrzunehmen oder einen Dritten hiermit zu beauftragen (vgl. auch Bundesverwaltungsgericht MDR 1962, 931; Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 25. Februar 1992 – 9a BVg 10/91, zitiert nach juris). Eine Krankheit kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand danach nur begründen, wenn sie den Beteiligten daran gehindert hat, selbst das Nötigste zu veranlassen (BSG, Beschluss vom 3. Dezember 1987 – 1BA 215/87, zitiert nach juris). Diese Handlungsunfähigkeit hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, denn nach dem Vortrag ihres Rechtsanwaltes, welcher durch ein ärztliches Attest bestätigt wird, war dieser am 29. Februar 2008 lediglich nicht in der Lage, eine sitzende Tätigkeit auszuüben. Nach vernünftiger Beurteilung seines Zustandes und insbesondere der Angaben seines Arztes war es ihm jedoch noch möglich und zumutbar, zumindest einen einfachen Berufungseinlegungsschriftsatz zu fertigen und diesen per Telefax an das Gericht zu übersenden. Denn die Anfertigung eines kurzen Schreibens erfordert eine sitzende Tätigkeit nicht notwendigerweise. Dass der Rechtsanwalt der Klägerin zu keinerlei Tätigkeit mehr in der Lage war, ergibt sich aus seinem Vortrag nicht. Insbesondere war es ihm an diesem Tage noch möglich, selbst den Arzt aufzusuchen. Er war damit offensichtlich noch nicht in einer Verfassung, welche die Anfertigung der Berufungseinlegungsschrift unmöglich machte.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass es ihm unmöglich gewesen sein sollte, ein solches Schreiben selbst abzufassen, führte dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte in jedem Falle dafür sorgen müssen, dass ein Vertreter für ihn die Berufung einlegt, wenn er hierzu krankheitsbedingt nicht in der Lage war. Von einem Rechtsanwalt ist nämlich zu verlangen, dass er für die Wahrung laufender Fristen rechtzeitig Vorsorge für den Fall plötzlicher eintretender Arbeitsunfähigkeit trifft (BSG, Beschluss vom 12. Juli 1990 – 5 BJ 113/89, zitiert nach juris). Nach gefestigter Rechtsprechung hat der Prozessbevollmächtigte in diesem Fall Vorkehrungen dafür zu treffen, dass ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt (vgl. hierzu Bundesgerichtshof, [BGH] Urteil vom 9. Juli 1957 – III ZR 237/55, LM § 234 ZPO Nr. 18; Beschluss vom 11. März 1991, II ZB 1/91 = VersR 1991, 1270- 1271). Eine derartige Verpflichtung ist insbesondere dann gegeben, wenn – wie vorliegend – der Anwalt seine Kanzlei allein betreibt und nicht ständig über eingearbeitetes, zum selbständigen Handeln befähigtes Kanzleipersonal verfügt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1985 – VII ZB 16/85 = VersR 1985, 1189). Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, er führe die Kanzlei allein, vermag ihn deshalb nicht zu entlasten. Auch der Einzelanwalt hat – z. Bsp. durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen – ihm zumutbare Maßnahmen zur Vorsorge zu treffen (BGH, Beschluss vom 6. März 1990 – VI ZB 4/90 = VersR 1990, 1026).

Zwar ist es einem Prozessbevollmächtigten unter den besonderen Umständen, die auf eine sehr schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung hinweisen, nicht zuzumuten, für die Unterrichtung eines Vertreters von seiner Erkrankung zu sorgen. Aufgrund des durch das Attest dokumentierten Krankheitsbildes und seines eigenen Vortrages hätte er die Weitergabe der Information über seine plötzliche Erkrankung an einen Vertreter jedoch noch veranlassen können. Anhaltspunkte dafür, dass er außer Stande war, einen anderen Anwalt mit der Vertretung zu beauftragen, sind nicht ersichtlich. Trotz der für ihn notwendigen Schmerzmittel war er nicht so schwer erkrankt, dass er nicht selbst handeln oder einen anderen beauftragen konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war gem. § 158 Satz 3 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
Saved