Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 P 59/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 26/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I über den 30. November 2004 hinaus.
Die 1941 geborene Klägerin bezog von der AOK Bayern Pflegegeld in der Pflegestufe I. Sie ist seit 1. Januar 2002 bei der Bepklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der BKK P., pflegeversichert. Mit Bescheid vom 16. Januar 2002 gewährte auch die Beklagte weiterhin Leistungen nach der Pflegestufe I.
Die Beklagte veranlasste ein Wiederholungsgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), der in dem Gutachten vom 23. August 2002 nach Hausbesuch zu dem Ergebnis kam, dass die seit April 1999 bestehende Pflegestufe I fortbestehe. Pflegebegründend sei ein Zustand nach Hirnstammblutung mit Resthemischwäche aus dem Jahre 1983 sowie eine Adipositas. Der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege betrage 49 Minuten (Körperpflege 22 Minuten, Ernährung 9 Minuten, Mobilität 18 Minuten), für hauswirtschaftliche Versorgung 90 Minuten pro Tag. Eine Nachuntersuchung wurde für August 2004 empfohlen. Mit Bescheid vom 26. August 2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aufgrund dieses Gutachtens weiterhin Pflegegeld nach der Pflegestufe I gewährt werde.
Im Rahmen der Nachbegutachtung gelangte der MDK am 7. Oktober 2004 nach Hausbesuch zu dem Ergebnis, dass der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege nur mehr 27 Minuten (Körperpflege 12 Minuten, Ernährung 9 Minuten, Mobilität 6 Minuten), bei der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten betrage. Die Klägerin könne mit ihrer Behinderung nun besser umgehen. Bei der Körperpflege sei nur noch eine Unterstützung und keine Teilübernahme mehr notwendig. Die Klägerin sei auch wieder in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, so dass der Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung entfallen sei.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 lehnte die Beklagte nach Anhörung die Fortgewährung der Pflegestufe I zum 30. November 2004 ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2006 zurück, nachdem der MDK in einem weiteren Gutachten vom 19. Januar 2005 nach Hausbesuch ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht mehr erfüllt seien. Im Bereich der Grundpflege fielen 29 Minuten (Körperpflege 13 Minuten, Ernährung 9 Minuten, Mobilität 7 Minuten) an, für hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten. Die Klägerin könne mit der rechten Hand bei diversen pflegerischen Verrichtungen mithelfen. Durch frühere Krankengymnastik und jetzige Ergotherapie könne sie das Handikap der Hemiparese überwiegend ausgleichen.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht München begehrte die Klägerin die Weitergewährung der Pflegeleistungen über den 30. November 2004 hinaus. Nach einer linksseitigen Lähmung sei eine Lähmung des linken Arms mit fehlender Feinmotorik der Hand sowie des linken Beins und Fußes mit starker Gehbehinderung zurückgeblieben. Der Zeitaufwand für die Pflege habe sich gegenüber den Vorjahren nicht verändert.
Das Sozialgericht beauftragte den Internisten und Arbeitsmediziner Dr. W. mit der Erstellung eines Gutachtens. In seinem Gutachten vom 17. Februar 2007 nach Hausbesuch kam der Sachverständige zum Ergebnis, bei der Klägerin bestehe ein Hilfebedarf in der Grundpflege in Höhe von 31 Minuten (Körperpflege 14 Minuten, Ernährung 8 Minuten, Mobilität 9 Minuten). Der hauswirtschaftliche Bedarf sei mit 45 Minuten anzusetzen. Die Gehfähigkeit ohne Hilfsmittel sei wieder hergestellt. Es sei nur eine leichte Schwäche im linken Bein verblieben. Die feinmotorische Gebrauchsfähigkeit der linken Hand sei nicht wieder hergestellt, jedoch werde die rechte Seite bei allen Verrichtungen der Grundpflege kompensatorisch eingesetzt. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes sei seit der MDK-Begutachtung vom August 2002 nicht eingetreten. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2007 ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten des Dr. W ... Die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien seit Dezember 2004 nicht mehr erfüllt.
Zur Begründung der Berufung hat die Klägerin angeführt, Dr. W. habe die Pflegezeit falsch eingeschätzt. Die genannten Pflegezeiten entsprächen nicht der Realität. Im Übrigen hat die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Mai 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 30. November 2004 hinaus Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Mai 2007 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, des Amtes für Versorgung und Familienförderung Landshut, die beigezogen wurde, sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch unbegründet, da der Klägerin für die Zeit ab 1. Dezember 2004 kein Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I mehr zusteht.
Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Zwar benannte die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden die Rechtsnorm nicht und hob den Bewilligungsbescheid vom 16. Januar 2002 bzw. vom 26. August 2002 nicht ausdrücklich auf, doch ist auch eine konkludente Aufhebung möglich. Es genügt, wenn der Wille erkennbar ist, eine laufende Leistung von einem bestimmten Zeitpunkt an aufzuheben (BSGE 72, 1; zum Ganzen: Wiesner, in: v. Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 48 Rdnr. 3). Dem schließt sich der Senat jedenfalls für den Fall der Aufhebung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X an, da insoweit keine Ermessensausübung vorgesehen ist. Die Beklagte machte mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 ausreichend deutlich, dass die Pflegeleistungen mit dem 30. November 2004 eingestellt werden und ab Dezember 2004 keine Auszahlung mehr erfolgt.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss dazu der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten (Grundpflegebedarf), für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten (Gesamtpflegebedarf) betragen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Bla senentleerung;
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Trep pensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass der Klägerin ab 1. Dezember 2004 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I nicht mehr zustehen. Das Sozialgericht bezog sich dabei vor allem auf die gutachterlichen Äußerungen des Dr. W. , der von einem zeitlichen Bedarf für Pflegeleistungen aus dem grundpflegerischen Bereich in Höhe von 31 Minuten ausging. Diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit den Angaben des MDK, der den Zeitbedarf im Juli 2004 mit 27 Minuten und im Januar 2005 mit 29 Minuten einstufte. Durch den im Jahre 1983 erlittenen Hirnstamminfarkt ist eine brachial betonte, spastische Hemiparese links verblieben, d.h. eine Halbseitenlähmung links, die bei der Klägerin vor allem den linken Arm bzw. die linke Hand betrifft. Daneben ist eine Adipositas zu berücksichtigen. Die selbstständige Gehfähigkeit konnte wieder hergestellt werden; pflegerelevant ist vor allem die Störung der feinmotorischen Gebrauchsfähigkeit des linken Arms und der linken Hand, wobei die rechte Seite bei allen Verrichtungen der Grundpflege kompensatorisch eingesetzt wird. Die Klägerin benötigt deshalb Unterstützung, nur gelegentlich Teilübernahme, bei der Teilwäsche Hände/Gesicht, beim Duschen sowie bei der Zahnpflege. Dr. W. setzte hierfür insgesamt 14 Minuten an. Unterstützung und Teilübernahme sind bei der mundgerechten Zubereitung von Nahrung erforderlich (8 Minuten). Teilübernahme bzw. Unterstützung sind ferner beim An- und Entkleiden und beim Transfer in und aus der Badewanne notwendig. Ob Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zum Aufsuchen der Ergotherapie erforderlich ist (hier Unterstützung beim Bewältigen der Treppe), kann der Senat dahinstehen lassen, da sich insoweit keine Auswirkungen auf das Gesamtergebnis ergeben.
Zu den Einwendungen der Klägerin, auf die sich diese auch im Berufungsverfahren bezieht, hat der MDK in der Stellungnahme vom 19. Januar 2005 bereits eingehend Stellung genommen. Beim Duschen ist ein Hilfebedarf von 10 Minuten, wie er auch von Dr. W. angenommen wurde, ausreichend. Dabei ist insbesondere ein Wannensitz als pflegeerleichterndes Hilfsmittel zu nutzen. Bei der Zahnpflege (jeweils 2 Minuten) wurde das Bürsten der Prothese und das Trocknen der Utensilien berücksichtigt. Bei der mundgerechten Zubereitung (9 bzw. 8 Minuten) ist das Schneiden der Speisen und Öffnen von Flaschen angerechnet. Hilfe beim morgendliche Aufstehen ist nicht nachvollziehbar, da auch beim nächtlichen Aufstehen zur Toilette keine Hilfe erfolgt.
Es liegt auch gegenüber dem Bescheid vom 16. Januar 2002 bzw. 26. August 2002 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vor. Aufgrund des Wechsels der Pflegekasse zum 1. Januar 2002 ist ein neues Dauerschuldrechtsverhältnis entstanden, nachdem durch den Kassenwechsel das Schuldverhältnis mit der Vorkasse beendet wurde (§ 35 SGB XI). Mit Bescheid vom 16. Januar 2002 und bestätigt mit Bescheid vom 26. August 2002 nach Einholung eines Gutachtens des MDK vom 23. August 2002 gewährte die Beklagte Leistungen nach der Pflegestufe I. Dabei ging der MDK noch von einem zeitlichen Grundpflegebedarf in Höhe von 49 Minuten aus. Im Oktober 2004 stellte der MDK fest, dass sich gegenüber der Vorbegutachtung der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege um 22 Minuten reduziert hat. Dieser Hilfebedarf, der bislang nur geringfügig über 45 Minuten lag, hat sich vor allem aufgrund der Zunahme der Selbstständigkeit der Klägerin beim Waschen/Duschen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung auf unter 45 Minuten reduziert. In dem Bereich der Körperpflege ist zum Teil nur noch Unterstützung und keine Teilübernahme mehr notwendig (12 Minuten statt 22 Minuten). So erfolgt die Teilwäsche des Unterkörpers selbstständig (0 Minuten statt 4 Minuten). Beim Duschen (10 statt 16 Minuten) ist nur mehr eine teilweise Übernahme beim Waschen der Körperstellen angebracht, die die Klägerin mit ihrem rechten Arm nicht zu erreichen vermag. Beim An- und Auskleiden (6 Minuten statt 8 Minuten) ist nur noch Unterstützung bei den Verschlüssen notwendig. Da die Klägerin schließlich wieder in der Lage ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, entfällt weitgehend ein Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (0 bzw. 3 Minuten statt 10 Minuten). Hilfe ist hier nur noch beim Bewältigen der Treppe innerhalb des Mehrfamilienhauses anzusetzen.
Nach dem Gesamtbild, wie es sich auch aus dem ergotherapeutischen Bericht vom 21. Oktober 2004 ergibt, haben sich zwar die Diagnosen nicht geändert und der Umfang der Bewegungseinschränkung ist seit Jahren gleich geblieben. Insoweit ist auch der Hinweis des Sachverständigen, dass es seit April 1999 zu keiner wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes gekommen ist, zutreffend. Maßgeblich ist jedoch, ob eine wesentliche Änderung der Pflegebedürftigkeit eingetreten ist. Dies ist aufgrund der genannten Gründe anzunehmen, vor allem da die Klägerin nun mit ihrer bleibenden Behinderung besser umzugehen versteht und sich dadurch eine tatsächliche Reduzierung des Pflegebedarfs ergeben hat.
Der Senat kann seine Bedenken, ob sich der Hilfebedarf tatsächlich um bis zu 22 Minuten verringert hat, dahin gestellt lassen, da davon auszugehen ist, dass er sich jedenfalls um mehr als drei Minuten verringerte. Schließlich hatte der MDK im maßgebenden Vergleichsgutachten vom 23. August 2002 den Hilfebedarf für Verrichtungen der Grundpflege mit 49 Minuten und damit nur knapp über der Vorgabe für Pflegestufe I nach § 15 Abs. 3 Ziffer 1 SGB XI geschätzt. Der Grundpflegebedarf beträgt jetzt nur noch weniger als 46 Minuten. Es liegt damit eine wesentliche Änderung vor, die zum Wegfall der Pflegestufe I zum 1. Dezember 2004 führte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I über den 30. November 2004 hinaus.
Die 1941 geborene Klägerin bezog von der AOK Bayern Pflegegeld in der Pflegestufe I. Sie ist seit 1. Januar 2002 bei der Bepklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der BKK P., pflegeversichert. Mit Bescheid vom 16. Januar 2002 gewährte auch die Beklagte weiterhin Leistungen nach der Pflegestufe I.
Die Beklagte veranlasste ein Wiederholungsgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), der in dem Gutachten vom 23. August 2002 nach Hausbesuch zu dem Ergebnis kam, dass die seit April 1999 bestehende Pflegestufe I fortbestehe. Pflegebegründend sei ein Zustand nach Hirnstammblutung mit Resthemischwäche aus dem Jahre 1983 sowie eine Adipositas. Der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege betrage 49 Minuten (Körperpflege 22 Minuten, Ernährung 9 Minuten, Mobilität 18 Minuten), für hauswirtschaftliche Versorgung 90 Minuten pro Tag. Eine Nachuntersuchung wurde für August 2004 empfohlen. Mit Bescheid vom 26. August 2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aufgrund dieses Gutachtens weiterhin Pflegegeld nach der Pflegestufe I gewährt werde.
Im Rahmen der Nachbegutachtung gelangte der MDK am 7. Oktober 2004 nach Hausbesuch zu dem Ergebnis, dass der Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege nur mehr 27 Minuten (Körperpflege 12 Minuten, Ernährung 9 Minuten, Mobilität 6 Minuten), bei der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten betrage. Die Klägerin könne mit ihrer Behinderung nun besser umgehen. Bei der Körperpflege sei nur noch eine Unterstützung und keine Teilübernahme mehr notwendig. Die Klägerin sei auch wieder in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, so dass der Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung entfallen sei.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 lehnte die Beklagte nach Anhörung die Fortgewährung der Pflegestufe I zum 30. November 2004 ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2006 zurück, nachdem der MDK in einem weiteren Gutachten vom 19. Januar 2005 nach Hausbesuch ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht mehr erfüllt seien. Im Bereich der Grundpflege fielen 29 Minuten (Körperpflege 13 Minuten, Ernährung 9 Minuten, Mobilität 7 Minuten) an, für hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten. Die Klägerin könne mit der rechten Hand bei diversen pflegerischen Verrichtungen mithelfen. Durch frühere Krankengymnastik und jetzige Ergotherapie könne sie das Handikap der Hemiparese überwiegend ausgleichen.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht München begehrte die Klägerin die Weitergewährung der Pflegeleistungen über den 30. November 2004 hinaus. Nach einer linksseitigen Lähmung sei eine Lähmung des linken Arms mit fehlender Feinmotorik der Hand sowie des linken Beins und Fußes mit starker Gehbehinderung zurückgeblieben. Der Zeitaufwand für die Pflege habe sich gegenüber den Vorjahren nicht verändert.
Das Sozialgericht beauftragte den Internisten und Arbeitsmediziner Dr. W. mit der Erstellung eines Gutachtens. In seinem Gutachten vom 17. Februar 2007 nach Hausbesuch kam der Sachverständige zum Ergebnis, bei der Klägerin bestehe ein Hilfebedarf in der Grundpflege in Höhe von 31 Minuten (Körperpflege 14 Minuten, Ernährung 8 Minuten, Mobilität 9 Minuten). Der hauswirtschaftliche Bedarf sei mit 45 Minuten anzusetzen. Die Gehfähigkeit ohne Hilfsmittel sei wieder hergestellt. Es sei nur eine leichte Schwäche im linken Bein verblieben. Die feinmotorische Gebrauchsfähigkeit der linken Hand sei nicht wieder hergestellt, jedoch werde die rechte Seite bei allen Verrichtungen der Grundpflege kompensatorisch eingesetzt. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes sei seit der MDK-Begutachtung vom August 2002 nicht eingetreten. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2007 ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten des Dr. W ... Die Voraussetzungen der Pflegestufe I seien seit Dezember 2004 nicht mehr erfüllt.
Zur Begründung der Berufung hat die Klägerin angeführt, Dr. W. habe die Pflegezeit falsch eingeschätzt. Die genannten Pflegezeiten entsprächen nicht der Realität. Im Übrigen hat die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Mai 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 30. November 2004 hinaus Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Mai 2007 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, des Amtes für Versorgung und Familienförderung Landshut, die beigezogen wurde, sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch unbegründet, da der Klägerin für die Zeit ab 1. Dezember 2004 kein Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I mehr zusteht.
Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Zwar benannte die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden die Rechtsnorm nicht und hob den Bewilligungsbescheid vom 16. Januar 2002 bzw. vom 26. August 2002 nicht ausdrücklich auf, doch ist auch eine konkludente Aufhebung möglich. Es genügt, wenn der Wille erkennbar ist, eine laufende Leistung von einem bestimmten Zeitpunkt an aufzuheben (BSGE 72, 1; zum Ganzen: Wiesner, in: v. Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 48 Rdnr. 3). Dem schließt sich der Senat jedenfalls für den Fall der Aufhebung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X an, da insoweit keine Ermessensausübung vorgesehen ist. Die Beklagte machte mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 ausreichend deutlich, dass die Pflegeleistungen mit dem 30. November 2004 eingestellt werden und ab Dezember 2004 keine Auszahlung mehr erfolgt.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss dazu der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten (Grundpflegebedarf), für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten (Gesamtpflegebedarf) betragen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Bla senentleerung;
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Trep pensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass der Klägerin ab 1. Dezember 2004 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I nicht mehr zustehen. Das Sozialgericht bezog sich dabei vor allem auf die gutachterlichen Äußerungen des Dr. W. , der von einem zeitlichen Bedarf für Pflegeleistungen aus dem grundpflegerischen Bereich in Höhe von 31 Minuten ausging. Diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit den Angaben des MDK, der den Zeitbedarf im Juli 2004 mit 27 Minuten und im Januar 2005 mit 29 Minuten einstufte. Durch den im Jahre 1983 erlittenen Hirnstamminfarkt ist eine brachial betonte, spastische Hemiparese links verblieben, d.h. eine Halbseitenlähmung links, die bei der Klägerin vor allem den linken Arm bzw. die linke Hand betrifft. Daneben ist eine Adipositas zu berücksichtigen. Die selbstständige Gehfähigkeit konnte wieder hergestellt werden; pflegerelevant ist vor allem die Störung der feinmotorischen Gebrauchsfähigkeit des linken Arms und der linken Hand, wobei die rechte Seite bei allen Verrichtungen der Grundpflege kompensatorisch eingesetzt wird. Die Klägerin benötigt deshalb Unterstützung, nur gelegentlich Teilübernahme, bei der Teilwäsche Hände/Gesicht, beim Duschen sowie bei der Zahnpflege. Dr. W. setzte hierfür insgesamt 14 Minuten an. Unterstützung und Teilübernahme sind bei der mundgerechten Zubereitung von Nahrung erforderlich (8 Minuten). Teilübernahme bzw. Unterstützung sind ferner beim An- und Entkleiden und beim Transfer in und aus der Badewanne notwendig. Ob Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zum Aufsuchen der Ergotherapie erforderlich ist (hier Unterstützung beim Bewältigen der Treppe), kann der Senat dahinstehen lassen, da sich insoweit keine Auswirkungen auf das Gesamtergebnis ergeben.
Zu den Einwendungen der Klägerin, auf die sich diese auch im Berufungsverfahren bezieht, hat der MDK in der Stellungnahme vom 19. Januar 2005 bereits eingehend Stellung genommen. Beim Duschen ist ein Hilfebedarf von 10 Minuten, wie er auch von Dr. W. angenommen wurde, ausreichend. Dabei ist insbesondere ein Wannensitz als pflegeerleichterndes Hilfsmittel zu nutzen. Bei der Zahnpflege (jeweils 2 Minuten) wurde das Bürsten der Prothese und das Trocknen der Utensilien berücksichtigt. Bei der mundgerechten Zubereitung (9 bzw. 8 Minuten) ist das Schneiden der Speisen und Öffnen von Flaschen angerechnet. Hilfe beim morgendliche Aufstehen ist nicht nachvollziehbar, da auch beim nächtlichen Aufstehen zur Toilette keine Hilfe erfolgt.
Es liegt auch gegenüber dem Bescheid vom 16. Januar 2002 bzw. 26. August 2002 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vor. Aufgrund des Wechsels der Pflegekasse zum 1. Januar 2002 ist ein neues Dauerschuldrechtsverhältnis entstanden, nachdem durch den Kassenwechsel das Schuldverhältnis mit der Vorkasse beendet wurde (§ 35 SGB XI). Mit Bescheid vom 16. Januar 2002 und bestätigt mit Bescheid vom 26. August 2002 nach Einholung eines Gutachtens des MDK vom 23. August 2002 gewährte die Beklagte Leistungen nach der Pflegestufe I. Dabei ging der MDK noch von einem zeitlichen Grundpflegebedarf in Höhe von 49 Minuten aus. Im Oktober 2004 stellte der MDK fest, dass sich gegenüber der Vorbegutachtung der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege um 22 Minuten reduziert hat. Dieser Hilfebedarf, der bislang nur geringfügig über 45 Minuten lag, hat sich vor allem aufgrund der Zunahme der Selbstständigkeit der Klägerin beim Waschen/Duschen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung auf unter 45 Minuten reduziert. In dem Bereich der Körperpflege ist zum Teil nur noch Unterstützung und keine Teilübernahme mehr notwendig (12 Minuten statt 22 Minuten). So erfolgt die Teilwäsche des Unterkörpers selbstständig (0 Minuten statt 4 Minuten). Beim Duschen (10 statt 16 Minuten) ist nur mehr eine teilweise Übernahme beim Waschen der Körperstellen angebracht, die die Klägerin mit ihrem rechten Arm nicht zu erreichen vermag. Beim An- und Auskleiden (6 Minuten statt 8 Minuten) ist nur noch Unterstützung bei den Verschlüssen notwendig. Da die Klägerin schließlich wieder in der Lage ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, entfällt weitgehend ein Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (0 bzw. 3 Minuten statt 10 Minuten). Hilfe ist hier nur noch beim Bewältigen der Treppe innerhalb des Mehrfamilienhauses anzusetzen.
Nach dem Gesamtbild, wie es sich auch aus dem ergotherapeutischen Bericht vom 21. Oktober 2004 ergibt, haben sich zwar die Diagnosen nicht geändert und der Umfang der Bewegungseinschränkung ist seit Jahren gleich geblieben. Insoweit ist auch der Hinweis des Sachverständigen, dass es seit April 1999 zu keiner wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes gekommen ist, zutreffend. Maßgeblich ist jedoch, ob eine wesentliche Änderung der Pflegebedürftigkeit eingetreten ist. Dies ist aufgrund der genannten Gründe anzunehmen, vor allem da die Klägerin nun mit ihrer bleibenden Behinderung besser umzugehen versteht und sich dadurch eine tatsächliche Reduzierung des Pflegebedarfs ergeben hat.
Der Senat kann seine Bedenken, ob sich der Hilfebedarf tatsächlich um bis zu 22 Minuten verringert hat, dahin gestellt lassen, da davon auszugehen ist, dass er sich jedenfalls um mehr als drei Minuten verringerte. Schließlich hatte der MDK im maßgebenden Vergleichsgutachten vom 23. August 2002 den Hilfebedarf für Verrichtungen der Grundpflege mit 49 Minuten und damit nur knapp über der Vorgabe für Pflegestufe I nach § 15 Abs. 3 Ziffer 1 SGB XI geschätzt. Der Grundpflegebedarf beträgt jetzt nur noch weniger als 46 Minuten. Es liegt damit eine wesentliche Änderung vor, die zum Wegfall der Pflegestufe I zum 1. Dezember 2004 führte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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