L 19 R 218/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 464/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 218/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.12.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Verrechnung zu Gunsten der Allgemeinen Ortskrankenkasse Bayern (AOK).

Der 1937 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Türkei. Er ist mit Urteil des Landgerichts N. , rechtskräftig seit 21.12.1990, wegen Totschlags, begangen an seiner Frau, zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden.

Der Kläger hat gegenüber der damaligen AOK Mittelfranken ein Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB mit einer Zahlungsvereinbarung und Abtretungserklärung abgegeben. Er hat erklärt, dass er der AOK Mittelfranken 1.460,00 DM schulde nebst Zinsen seit dem 15.10.1989. Die AOK hat mit Schreiben vom 30.11.1992 die Beklagte zur Verrechnung gemäß § 52 iVm § 51 Sozialgesetzbuch I ermächtigt und die Art der Forderung als Schadensersatz bezeichnet gemäß § 116 SGB X in Höhe von 1.460,00 DM zuzüglich Zinsen seit dem 15.10.1989. Es sollte verrechnet werden mit der Versichertenrente oder sonstigen Leistungen der Beklagten, auch zukünftigen.

Mit Bescheid vom 24.07.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 01.04.2002 in Höhe von 162,39 EUR monatlich.

Mit Bescheid vom 04.09.2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass von der Nachzahlung in Höhe von 801,66 EUR das Landesarbeitsamt Nordbayern 226,35 EUR, die AOK Bayern 125,00 EUR und der Kläger 450,31 EUR erhalten sollten. Mit Bescheid vom 04.10.2002 teilte die Beklagte dem Kläger eine Verrechnung zugunsten der AOK Bayern mit, in Höhe von monatlich 25,00 EUR ab 01.11.2002. Mit Schreiben vom 17.10.2002 bat der Kläger darum, dass von seiner Rente nichts einbehalten werde. Die Beklagte hat dieses Schreiben als Widerspruch gewertet. Sie teilte dem Kläger am 28.11.2002 mit, dass von seiner Rente ab 01.01.2003 lediglich 10,00 EUR monatlich einbehalten werden sollten; sie hat hierzu den Bescheid vom 03.12.2002 erteilt. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 27.03.2003 zurück. Nach nochmaliger Prüfung sei festgestellt worden, dass die Einbehaltung von monatlich 10,00 EUR von der laufenden Rente zur Verrechnung des der AOK zustehenden Betrages von 995,18 EUR nicht zu beanstanden sei. Die Aufrechnung sei gemäß § 51 Abs 2 SGB I gegen laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte zulässig, soweit der Leistungsberechtigte nicht hilfebedürftig iS der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über die Hilfe zum Lebensunterhalt werde. Die Beklagte habe in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens auch geprüft, ob beim Kläger Sozialhilfebedürftigkeit eintrete; dies sei verneint worden.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 07.07.2003 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben. Er wandte sich gegen die Einbehaltung von 10,00 EUR monatlich von seiner Rente. Mit der bewilligten Rente könne er lediglich Brot, Käse, Oliven, Tee, Zucker und Medikamente kaufen und die Stromkosten zahlen. Seinen weiteren Lebensunterhalt könne er nur mit Hilfe von Verwandten bestreiten. Mit den bis dahin einbehaltenen Beträgen erkläre er sich einverstanden. Das SG hat die AOK Bayern und die Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren beigeladen. Es hat den Klageantrag dahin ausgelegt, dass die Aufhebung der Verrechnung von 10,00 EUR monatlich zugunsten der AOK Bayern beantragt werde. Mit Urteil vom 16.12.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Verrechnung von monatlich 10,00 EUR aus der Altersrente des Klägers zugunsten der AOK Bayern sei sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Streitgegenstand sei nur die laufende Verrechnung, nicht jedoch die Abrechnung der Rentennachzahlung. Der zum Verfahren beigeladenen AOK Bayern stehe ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 BGB, 116 SGB X zu aufgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Klägers. Der Schaden der Beigeladenen bestehe darin, dass diese Sterbegeld in Höhe von damals 1.460,00 DM gezahlt hat (an die Tochter des Klägers). Die Beklagte habe auch die Vorschriften über Aufrechnung und Verrechnung der §§ 52, 51 Abs 1 SGB I iVm § 54 Abs 4 SGB I zutreffend angewandt. Nach § 54 Abs 4 SGB I könnten Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Nach § 51 Abs 1 SGB I könne der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche nach § 54 Abs 2 und 4 SGB I pfändbar seien. Nach § 52 SGB I könne der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I eine Aufrechnung zulässig wäre; dies bedeute, dass Aufrechnung und Verrechnung zulässig seien, soweit der Rentenanspruch gepfändet werden könne. Im Fall des Klägers ergebe sich die Zulässigkeit der Pfändung aus § 850f Abs 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach könne der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens oder auch der Sozialleistung ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehenen Beschränkungen bestimmt werden. Dem Schuldner sei jedoch soviel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedürfe. Die Bemessung des notwendigen Freibetrages bestimme sich dabei nach einem Betrag in Höhe des Sozialhilfesatzes. Ausländer mit Aufenthalt und Wohnsitz im Ausland erhielten grundsätzlich keine Sozialhilfeleistungen im Ausland. Vorliegend sei jedoch zu beachten, dass die Pfändbarkeit eines Zahlungsanspruches aus deutschem Rentenversicherungsrecht zu sehen ist. Durch Wegzug eines Berechtigten in das Ausland solle sein Vollstreckungsschutz nicht beeinflusst werden. Der Kläger sei für die Überprüfung des Freibetrages nach § 850f Abs 2 ZPO demnach so zu stellen, wie ein Deutscher in der Türkei. Grundlage für die Beantwortung dieser Frage sei für den Zeitraum vor dem 01.01.2004 § 119 BSHG. Für die Zeit ab 01.01.2004 sei § 119 BSHG nicht mehr anwendbar. Die Voraussetzungen für die Leistung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland seien nun in § 24 SGB XII geregelt. Danach komme die Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland unter erschwerten Bedingungen gegenüber dem vorherigen Rechtszustand in Betracht. Ausreichend sei jetzt nicht mehr ein besonderer Notfall, erforderlich sei vielmehr eine außergewöhnliche Notlage. Für den Fall des Klägers bleibe festzuhalten, dass nach der Neuregelung in § 24 SGB XII keine Sozialhilfebedürftigkeit (iS von § 850f Abs 2 ZPO) angenommen werden könne. Für das Gericht sei nicht ersichtlich, dass der notwendige Unterhalt des Klägers gefährdet sei. Schließlich sei die Durchführung der Verrechnung auch ermessensgerecht. Die Beklagte habe die Interessen des Klägers und der Versichertengemeinschaft bzw. der Gläubigerin gegeneinander sachgerecht abgewogen. Einerseits sei berücksichtigt, dass der Kläger seine Altersrente für die Finanzierung seines Lebensunterhaltes benötige. Auf der anderen Seite müsse aber gesehen werden, dass die Gläubigerin (AOK Bayern) keine andere realistische Möglichkeit habe, ihre Forderung gegenüber dem Kläger zu realisieren. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Forderung der AOK ihre Grundlage in einer erheblichen Straftat habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 29.03.2005 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Er habe das von der AOK N. geforderte Geld nicht erhalten. Er verwies darauf, dass seine Frau behindert sei und er selbst krank. Sie lebten unter schwierigen Bedingungen und seien auf die Hilfe von Verwandten angewiesen. Bezüglich der Geldbeträge, die bis zum Februar 2005 abgezogen worden seien, stelle er keine Ansprüche mehr. Für die Zeit danach solle aber von seiner Rente, die monatlich 164,00 EUR betrage, nichts mehr abgezogen werden. Die Beklagte hält die Entscheidung im angefochtenen Urteil für zutreffend. Sie hat Auszüge aus dem sozialpolitischen Jahresbericht für die Türkei für das Jahr 2005 vorgelegt. Die beigeladene AOK hat ausgeführt, dass aufgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Klägers der pfändbare Teil des Einkommens nach pflichtgemäßem Ermessen festzulegen sei. Es sei auch auf den Unrechtsgehalt, die Schwere der Verletzung des im Raum stehenden Rechtsgutes sowie auf die wirtschaftliche Lage abzustellen. Aufgrund der vom Kläger begangenen Straftat sei zu seinen Gunsten lediglich die von ihm vorgetragene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Dabei seien jedoch die wirtschaftlichen Verhältnisse jeweils am Wohnort des Betroffenen zugrunde zu legen. Hierzu hat die Beigeladene Informationen des Instituts für Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung GmbH (Isoplan) vorgelegt. Der Kläger hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er eine türkische Rente in Höhe von umgerechnet ca. 105,00 EUR bezieht. In der mündlichen Verhandlung am 26.09.2007 hat der Bevollmächtigte der beigeladenen AOK Unterlagen über die Auszahlung des Sterbegeldes an die Tochter des Klägers vorgelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Bayreuth vom 16.12.2004 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.10.2002 in der Fassung vom 03.12.2002, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2003 zu verpflichten, von einer Verrechnung mit seiner Rente zugunsten der AOK für die Zeit ab 01.03.2005 abzusehen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich diesem Antrag an.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten wie auch die der Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) und die Prozessakte des SG Bayreuth vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Verrechnung mit 10,00 EUR monatlich aus der Rente des Klägers nach § 52 iVm § 51 Abs 1 iVm § 54 Abs 4 SGB I rechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat sein Begehren auf Unterlassung einer Verrechnung auf die Zeit ab 01.03.2005 beschränkt, wie sich aus seinem Schriftsatz vom 17.03.2005 mit hinreichender Deutlichkeit ergibt. Für diese Zeit stellt sich die wirtschaftliche Situation des Klägers insofern besser dar als vom Sozialgericht bei seiner Entscheidung angenommen als er neben der deutschen Rente auch eine türkische Rente in Höhe von ca. 105,00 EUR bezieht.

Das SG hat die wirtschaftliche Situation des Klägers nach § 24 SGB XII iVm § 850f Abs 2 ZPO ermittelt und die Frage nach seiner Sozialhilfebedürftigkeit verneint. Es ist zudem auch für den Senat überzeugenden Ergebnis gelangt, dass der notwendige Unterhalt des Klägers nicht durch die Einbehaltung des Betrages von monatlich 10,00 EUR von der Rente in Frage gestellt ist.

Da der Senat die Berufung des Klägers im Wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist, wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, § 153 Abs 2 SGG.

Da die Berufung des Klägers zurückzuweisen war, sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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