L 9 R 49/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 1794/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 49/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2005 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte dem Kläger aufgrund eines am 18. Juli 2003 eingetretenen Leistungsfalles Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2003 zu gewähren hat.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Bei dem 1967 geborenen Kläger besteht ein Folgezustand nach frühkindlicher (perinataler) Hirnschädigung mit geistiger Behinderung mäßigen Grades, evtl. auch einer zeitweise aktiven Epilepsie (Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. vom 1. September 2003). Der Grad der Behinderung beträgt seit dem 30. Januar 1975 100, die Merkzeichen G, B und H sind seit dem 21. Juli 2003 festgestellt (Schwerbehindertenausweis vom 18. Januar 2004, gültig bis Januar 2009).

Sein Versicherungsverlauf, dessen Daten durch Bescheid vom 2. Juli 2007 bis zum 31. Dezember 2000 verbindlich festgestellt wurden, weist Pflichtbeiträge für versicherungspflichtige Beschäftigungen für die Zeit von September bis Dezember 1985, von Februar 1986 bis November 1994 und von April 2000 bis Januar 2004 auf. Während des Bezugs von Leistungen der Arbeitsverwaltung wurden Pflichtbeiträge von Dezember 1994 bis August 1995 und von Oktober 1995 bis November 1996 entrichtet.

Den am 18. Juli 2003 gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 30. September 2003 ab mit der Begründung, die erforderliche Wartezeit von zwanzig Jahren mit anrechenbaren Zeiten sei nicht erfüllt. Nach den getroffenen Feststellungen bestehe volle Erwerbsminderung seit dem 3. September 1985, dem Zeitpunkt des Eintritts in das Erwerbsleben.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe Arbeitsstellen auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt innegehabt und habe nicht in einer Werkstatt für Behinderte gearbeitet. Daher gelte für ihn nur eine Wartezeit von fünf Jahren.

Die Beklagte richtete Anfragen an die früheren Arbeitgeber des Klägers.

Die Stadt Esslingen, bei der der Kläger vom 3. Februar 1986 bis zum 2. April 1990 beschäftigt war, teilte unter dem 23. Dezember 2003 mit, der Kläger sei als Friedhofsarbeiter/Totengräber eingesetzt gewesen. Die erbrachten Arbeitsleistungen hätten selten den Anforderungen des Arbeitsplatzes genügt. Der Kläger habe oft unentschuldigt gefehlt, habe Arbeitsanweisungen nicht beachtet und sei in seinem Sozialverhalten mangelhaft gewesen.

Die Fa. Sch. teilte am 15. Dezember 2003 mit, der Kläger sei vom 1. April 1990 bis 30. November 1994 als Staplerfahrer innerhalb des Hochregallagers eingesetzt gewesen. Zur Arbeitszeit, Arbeitsleistung und inwieweit die Arbeitsleistung dem gezahlten Entgelt entsprochen habe, könnten nach so langer Zeit keine Angaben mehr gemacht werden. Das Arbeitsverhältnis sei durch Aufhebungsvertrag aus betriebsbedingten Gründen auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet worden.

Der landwirtschaftliche Lohnbetrieb K., bei dem der Kläger vom 1. April 2000 an als Gartenbauhelfer tätig war, führte unter dem 11. November 2003 aus, der Kläger habe seine Arbeit um ca. 7.30 Uhr begonnen. Es sei weder eine Tages- noch eine Wochenarbeitszeit vereinbart worden. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei nicht abgeschlossen worden. Der Kläger habe Pausen machen können, wie er es gewollt habe und bei der Auswahl der Tätigkeiten sei stets auf seine besonderen Vorlieben eingegangen worden. Die Arbeitsleistung habe großen Schwankungen unterlegen. Es habe Tage gegeben, an denen ein gedeihliches Miteinander kaum möglich gewesen sei. An anderen Tagen habe er sich große Mühe gegeben und einfache Dinge selbständig erledigen können. An manchen Tagen sei er ausgesprochen fleißig gewesen, ohne jedoch den nötigen Sachverstand zu besitzen. Er habe einer ständigen Kontrolle und Aufsicht bedurft. Einfache Arbeitsanweisungen, etwa einen Graben einer bestimmten Länge, Breite und Tiefe auszuheben, habe er nicht umsetzen können, da er mit dem Meterstab nicht verlässlich umgehen und auch weder lesen noch schreiben könne. Das Beschäftigungsverhältnis sei beendet worden, weil die Aufträge zurückgegangen seien und das Verhalten des Klägers eine weitere Beschäftigung unmöglich gemacht habe. In schlechten Phasen habe er Bauherren und Architekten angepöbelt und es habe häufig Streit und Unstimmigkeiten gegeben. Auch die allgemeinen Arbeitsfähigkeiten des Klägers hätten nachgelassen, als sei er einem vorzeitigen Alterungsprozess unterworfen oder als ob seine Behinderung mit dem Alter deutlicher zum Vorschein gekommen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger sei voll erwerbsgemindert und sei dies auch bereits bei Eintritt in das Erwerbsleben gewesen. Obwohl er Beschäftigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt habe, ergebe sich aus den Auskünften der Stadt Esslingen und der Fa. K., dass er tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, eine Beschäftigung unter den betriebsüblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Es habe sich insbesondere bei der Fa. K. um eine vergönnungsweise Beschäftigung gehandelt. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert gewesen seien und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert seien, hätten Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nur, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren (240 Monate) erfüllt hätten. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.

Hiergegen erhob der Kläger am 19. März 2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Er habe bei den drei Arbeitgebern eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht und dafür das tarifvertraglich vorgesehene Arbeitsentgelt erzielt. Ihm könne nicht abgesprochen werden, dass er bei den genannten Firmen in einem Arbeitsverhältnis gestanden und Erwerbstätigkeiten verrichtet habe. Schon die Höhe der jeweils erzielten Vergütung (bei der Fa. Sch. bis zu 64.000 DM pro Jahr) spreche gegen die Annahme, er sei nicht unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig gewesen. Die Fa. K. habe den Kläger zuletzt auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Mit dem Schreiben vom 11. November 2003 habe sie, als sie das Anstellungsverhältnis zu beenden gedachte, das Verfahren zur Einholung der Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung beim Integrationsamt eingeleitet. Diese Zustimmung sei mit Bescheid vom 12. Januar 2004 erteilt worden.

Das SG holte eine Auskunft bei der Fa. Sch. ein. Diese teilt unter dem 7. Dezember 2004 mit, der Kläger sei als Lager- und Transportarbeiter beschäftigt gewesen und habe mit dem Hochregalstapler Ware ein- und ausgelagert. Das Beschäftigungsverhältnis sei durch einen Aufhebungsvertrag vom 18. Oktober 1994 aus betriebsbedingten Gründen beendet worden. Er sei ebenso wie andere berufstätige Personen mit gleichwertiger Beschäftigung tariflich eingruppiert gewesen. Ohne die vom Kläger erbrachte Arbeitsleistung hätte die Stelle von einem anderen Arbeitnehmer besetzt werden müssen. Weitere Auskünfte seien nicht mehr möglich.

Durch Urteil vom 13. Dezember 2005 hob das SG den Bescheid vom 30. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2004 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 22. Juli 2003 zu gewähren. In den Entscheidungsgründen führte es aus, der Kläger sei zur Überzeugung der Kammer während der Zeit seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse erwerbsfähig und somit trotz seiner von Geburt an bestehenden geistigen Behinderung nicht ununterbrochen erwerbsgemindert gewesen. Daher gelte für ihn nicht die Wartezeit von 20 Jahren, sondern die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren, weshalb der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung erfülle.

Gegen das am 21. Dezember 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 3. Januar 2006 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen ist. Abgesehen davon, dass unter Zugrundelegung eines am Tag der Rentenantragstellung eingetretenen Leistungsfalles ein Rentenbeginn erst auf den 1. August 2003 hätte festgesetzt werden können, habe das SG nicht beachtet, dass in § 43 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung auf die Fähigkeit abgestellt werde, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" erwerbstätig zu sein. Schonarbeitsplätze oder vergönnungsweise Beschäftigungsverhältnisse entsprächen nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Der Kläger sei nie "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" tätig gewesen. Außerdem lasse sich auch unter der Annahme, dass der Kläger bei der Fa. Sch. unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig gewesen sei, nicht feststellen, wann nachfolgend diese Fähigkeit, unter betriebsüblichen Bedingungen zu arbeiten, verloren gegangen sei. Für den Eintritt des Leistungsfalles trage der Kläger die Beweislast.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Er hat zu den Akten u.a. ein Schreiben seiner Betreuerin in der Diakonie Stetten, Frau Sch., vom 23. September 2003 an die Hauptfürsorgestelle des Landeswohlfahrtverbandes Württemberg-Hohenzollern vorgelegt, wonach er bis zum 1. August 2003 bei der Fa. K. beschäftigt gewesen sei, dass aber seine Verhaltensweisen angesichts der rückgehenden Beschäftigungsmöglichkeiten eine Weiterbeschäftigung unmöglich machten. Er werde ab 1. August 2003 im Rahmen der Familienpflege im Familienverband der Familie K. versorgt. Soweit es in seinen Möglichkeiten liege, werde er in dem geschützten Rahmen seiner Wahlfamilie mithelfen, wobei er entweder Arbeiten zugewiesen bekommen müsse, deren Ergebnis nicht von Belang sei, oder aber ständig unter Anleitung und Aufsicht beschäftigt werden müsse. Eine Weitervermittlung durch das Arbeitsamt sei unter den Voraussetzungen, die der Kläger mitbringe, nicht möglich.

Der Senat hat das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. E. vom 5. Oktober 2006 eingeholt. Der Sachverständige hat, unter Berücksichtung eines an ihn gerichteten Schreibens der Betreuerin des Klägers, Frau Sch., vom 2. August 2006, beim Kläger eine leichte bis mittelgradige Intelligenzminderung im einem IQ unter 55 festgestellt. Verbunden mit den intellektuellen Defiziten bestünden soziale Auffälligkeiten mit impulsiven Verhaltensmustern und unreifen Persönlichkeitszügen. Deshalb erscheine der Kläger nicht in der Lage, einer regelmäßigen Berufstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachzugehen. Eine Tagesstrukturierung und Förderung durch eine Tätigkeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt sei jedoch durchaus zu befürworten. Trotz der seit Kindheit bestehenden Intelligenzminderung mit dem dann folgenden Besuch der Sonderschule sei dem Kläger die Entwicklung einer gewissen Selbstständigkeit möglich gewesen. Er sei auch in der Lage gewesen, einfache praktische Tätigkeiten zu verrichten. Es könne aber mangels entsprechender Angaben aus diesem Zeitraum nicht beurteilt werden, ob sich insbesondere im Jahr 2003 eine wesentliche Änderung der Leistungsfähigkeit des Klägers ergeben habe. Angesichts der angeborenen Entwicklungsstörung sei mit einer wesentlichen Besserung nicht zu rechnen.

In einer vom Senat eingeholten Auskunft vom 17. Oktober 2007 hat die sozialpädagogische Betreuerin des Klägers in der Diakonie Stetten, Frau Sch., ausgeführt, sie habe den Kläger im Juni 2002 bei Gartenbauarbeiten, die die Fa. K. auf dem Anwesen ihres Vaters durchgeführt habe, kennengelernt. Anfangs, im Sommer 2002, habe der Kläger noch zügig und kraftvoll gearbeitet. Zu Beginn des Jahres 2003 sei der Kläger zunehmend erschöpft gewesen und es sei vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber gekommen. Schließlich sei der Kläger auf der Baustelle nicht mehr tragbar gewesen. Nach ihren Beobachtungen und ihrer Einschätzung sei der Kläger etwa im Juni/Juli 2003 nicht mehr in der Lage gewesen, die ihm zugewiesenen Aufgaben zu erledigen. Sie habe dann für den Kläger noch vor dem 1. August 2003 die Anträge auf Erwerbsminderungsrente und auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises gestellt. Nach der Rentenantragstellung habe die Fa. K. einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt, welchem die Hauptfürsorgestelle zugestimmt habe. Danach sei das Arbeitsverhältnis zum 15. Januar 2004 aufgelöst worden. Seit diesem Zeitpunkt sei der Kläger nicht mehr erwerbstätig. Er sei von der Bundesagentur für Arbeit als nicht vermittelbar eingestuft worden und habe deshalb auch kein Arbeitslosengeld erhalten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akte des SG und die Senatsakte.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig, sie ist jedoch sachlich weitgehend nicht begründet.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide im Ergebnis zu Recht verurteilt, dem Kläger auf der Grundlage seines Antrags vom 18. Juli 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Unter Berücksichtigung eines im Zeitpunkt der Antragstellung eingetretenen Leistungsfalles ist die Rente nach Maßgabe des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGG ab 1. August 2003 auf Dauer zu gewähren. Die Berufung der Beklagten war daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2003 zu gewähren ist.

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die allgemeine Wartezeit beträgt fünf Jahre (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Nur für Versicherte, die die allgemeine Wartezeit vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung nicht erfüllt haben, gilt eine Wartezeit von 20 Jahren (§ 50 Abs. 2 SGB VI).

Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 43 Abs. 2 SGB VI. Für ihn gilt insbesondere die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den Senat leidet der Kläger mutmaßlich aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung an einer leichten bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit einem IQ unter 55. Nach den Feststellungen von Prof. Dr. E. war dem Kläger aber trotz der bestehenden Intelligenzminderung nach dem Besuch der Sonderschule die Entwicklung einer gewissen Selbstständigkeit möglich und er war in der Lage, einfache praktische Tätigkeiten zu verrichten. Allerdings ist die Intelligenzminderung verbunden mit unreifen Persönlichkeitszügen und impulsiven Verhaltensmustern, die zu sozialen Auffälligkeiten führen. Der Sachverständige hält den Kläger daher nicht für fähig, einer regelmäßigen Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Dieser Beurteilung folgt der Senat. Der Kläger ist somit voll erwerbsgemindert, denn er ist auf nicht absehbare Zeit nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung ist beim Kläger nach der Überzeugung des Senats im Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Juli 2003 eingetreten. Zwar hat Prof. Dr. E. ausgeführt, es sei wegen mangelnder Angaben nicht möglich festzustellen, ob sich beim Kläger im Jahr 2003 eine wesentliche Änderung seiner Leistungsfähigkeit ergeben habe. Nachdem aber die Intelligenzminderung als solche der Verrichtung von einfachen praktischen Tätigkeiten nicht entgegensteht, sind es vorrangig die mit der Intelligenzminderung verbundenen Verhaltensauffälligkeiten, die den Kläger daran hindern, einer Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Die Verhaltensauffälligkeiten haben aber im Laufe des Jahres 2003 zugenommen. Der Senat entnimmt dem Schreiben der Fa. K. vom 11. November 2003 und den Bekundungen der sozialpädagogischen Betreuerin des Klägers, Frau Sch., (Schreiben an Prof. Dr. E. vom 2. August 2006 und Zeugenauskunft vom 17. Oktober 2007), dass der Kläger wegen mangelnder Einsichts- und Kritikfähigkeit zunehmend außerstande war, die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit als Gartenbauhilfsarbeiter zugewiesenen Aufgaben zu erledigen. Es kam zu Auseinandersetzungen mit seinem Arbeitgeber und zu Pöbeleien gegenüber den Bauherren/Architekten, die nach den Angaben der Zeugin Sch., die den Kläger seit Juni 2002 kennt, vermehrt im Jahr 2003 auftraten und schließlich dazu führten, dass die Fa. K. - auch vor dem Hintergrund zurückgehender Aufträge - das Beschäftigungsverhältnis mit dem Kläger de facto zum 31. Juli 2003 beendete und den Kläger zum 1. August 2003 in Familienpflege übernahm.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Kläger während seiner versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bei der Stadt Esslingen, bei der Fa. Sch. und bei der Fa. K. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig und daher bis zum Eintritt des Leistungsfalls auch erwerbsfähig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt der Begriff der Erwerbsfähigkeit einheitlich für alle Versicherten und damit auch für behinderte Menschen. Die Erwerbsfähigkeit ist kein medizinischer, sondern ein rechtlicher Begriff. Aus der Regelung des § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI, wonach voll erwerbsgemindert auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 sind, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber bei pflichtversicherten Behinderten, die in Einrichtungen des § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI versicherungspflichtig tätig sind, unter dem Blickwinkel der Erwerbsfähigkeit zwischen zwei Gruppen unterscheidet, nämlich denjenigen, die trotz ihrer Behinderung zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fähig wären und damit erwerbsfähig sind, und solchen, die nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein können und damit voll erwerbsgemindert sind. Im ersteren Fall muss geprüft werden, ob die vom Behinderten verrichtete Tätigkeit unter verschiedenen Kriterien mit einer typengleichen Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vergleichbar ist (BSG, Urteil vom 24. April 1996, SozR 3-2600 § 44 Nr. 6 ; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 23. Juli 2002, L 7 RJ 27/01 in JURIS).

Ist aber ein behinderter Mensch, wie der Kläger, nicht in einer in § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI genannten Einrichtung, sondern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so hat schon die Tatsache der Ausübung der Tätigkeit als solcher einen stärkeren Beweiswert in Bezug auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit als dies scheinbar ausschließende medizinische Befunde (BSG SozR 2200 § 1247 Nr 30; BSG Urteil vom 24. April 1996 aaO. mwN). Dies gilt um so mehr, als die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten als Totengräber, als Gabelstaplerfahrer und zuletzt als Gartenbauhelfer körperlich-praktische Tätigkeiten waren, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekannt sind und für die er durchgängig deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt worden ist. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Kläger habe zuletzt bei der Fa. K. einen Schonarbeitsplatz innegehabt, indem auf seine Vorlieben und Launen und seine wechselnde Leistungsfähigkeit Rücksicht genommen und er dementsprechend eingesetzt wurde. Denn die Fa. K. hat die unter diesen Umständen erbrachte Arbeitsleistung des Klägers im Rahmen eines versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses als Arbeit von wirtschaftlichem Wert entgegengenommen, entsprechend entlohnt und aus dem Entgelt wirksame Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Auch wenn der Kläger nach den Darlegungen der Fa. K. einer ständigen Anweisung und Beaufsichtigung bedurfte, so ist auch der - nur - mit solcher Unterstützung erzielte Arbeitserfolg dem Kläger in vollem Umfang zuzurechnen (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 3 ).

Ausgehend von einem am 18. Juli 2003 eingetretenen Leistungsfall erfüllt der Kläger auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, denn im maßgebenden Zeitraum vom 18. Juli 1998 bis zum 17. Juli 2003 weist sein Versicherungsverlauf für die durchgehende versicherungspflichtige Beschäftigung vom 1. April 2000 bis einschließlich Juli 2003 40 Pflichtbeiträge auf.

Die Berufung der Beklagte war daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2003 zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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