Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KN 163/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 KN 2689/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. April 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1944 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehörigkeit; er zog am 19. Februar 1991 aus K. kommend in die Bundesrepublik Deutschland zu. Im Herkunftsland hatte er zuletzt als Elektroschlosser unter Tage gearbeitet. Nach seinem Zuzug war er bis 2001 als Elektroinstallateur beschäftigt. Am 19. Dezember 2002 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 17. April 2003 bewilligt die Beklagte dem Kläger ab 1. Januar 2003 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau in Höhe von monatlich 39,65 EUR. Den Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Internisten Dr. L. (Gutachten vom 30. Januar 2003) mit Bescheid vom 22. April 2003 ab.
Am 5. Mai 2003 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 17. April 2003 und am 16. Mai 2003 (Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 14. Mai 2003) gegen den Bescheid vom 22. April 2003 Widerspruch. Nachdem der Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. April 2003 (Gewährung einer Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau) mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2003 zurückgewiesen worden war, trug der Kläger zur Begründung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22. April 2003 (Ablehnung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung) vor, er halte sich auch für leichte körperliche Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig. Deshalb habe er Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Jedenfalls sei eine Beschäftigung im zuletzt ausgeübten Beruf als Elektroinstallateur nicht mehr zumutbar; deshalb habe er in jedem Fall Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Mit dem Bevollmächtigten des Klägers übersandtem Schreiben vom 10. Dezember 2003 gab die Beklagte eine Erklärung folgenden Inhalts ab: "dem Widerspruch vom 14.05.2003 wird in vollem Umfang abgeholfen. Die Unterlagen haben wir heute zur Ausführung der Abhilfe an die zuständige Arbeitsgruppe 7702 in M. (Tel.: ...) gesandt. Von dort erhalten Sie in Kürze einen entsprechenden Bescheid." Zuvor hatte allerdings der Widerspruchsausschuss M. I der Beklagten am 8. Dezember 2003 entschieden, dass dem Kläger unter Zugrundelegung eines am 19. Dezember 2002 eingetretenen Leistungsfalls lediglich eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren sei. Im übrigen werde der Widerspruch zurückgewiesen. In Ausführung dieser Entscheidung erließ die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 16. Januar 2004 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Nachdem bereits durch den am 16. Dezember 2003 bekannt gegebenen Bescheid vom 10. Dezember 2003 bereits eine den Streitgegenstand erledigende Entscheidung getroffen worden sei, habe der Widerspruchsausschuss keine abweichende Entscheidung mehr treffen dürfen. Eine den Bescheid vom 10. Dezember 2003 aufhebende oder zurücknehmende Entscheidung enthalte der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 nicht. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das Schreiben vom 10. Dezember 2003 stelle nach ihrer Ansicht keinen Verwaltungsakt dar. Bei der Abfassung des Schreibens sei der Sachbearbeiterin zudem ein offensichtlicher Schreibfehler unterlaufen; richtig hätte das Schreiben lauten müssen "dem Widerspruch vom 14.05.2003 wird teilweise abgeholfen." Mit Urteil vom 13. April 2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. April 2003 und unter teilweiser Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2003 verurteilt, dem Kläger entsprechend ihrem Anerkenntnis vom 10. Dezember 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung statt Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren. Der Kläger habe vorrangig eine Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt. Die Erklärung der Beklagten vom 10. Dezember 2003 sei insoweit als volles Anerkenntnis im Widerspruchsverfahren zu werten. Eine offenbare Unrichtigkeit liege nicht vor, da der Kläger nicht habe erkennen können, dass die Beklagte nur eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren gewillt war. Der erst nach der Abhilfeentscheidung bekannt gegebene Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 sei deshalb nichtig.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 6. Juni 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. Juli 2005 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Das Schreiben vom 10. Dezember 2005 als Verwaltungsakt zu werten, halte sie für grotesk. Der Kläger sei lediglich darüber informiert worden, dass in Bälde ein Verwaltungsakt auf Grund der erfolgten Entscheidung des Widerspruchsausschusses ergehen werde. Das Urteil des SG erachte sie deshalb als völlig rechtsfehlerhaft.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. April 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakte des SG (S 2 KN 163/04) und die Berufungsakte des Senats (L 13 KN 2689/05) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Sie ist statthaft, da Berufungsbeschränkungen nicht vorliegen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt wurde. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat zu Recht der Klage stattgegeben. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ablehnende Bescheid vom 22. April 2002, der Abhilfebescheid vom 10. Dezember 2003 und der dem Widerspruch des Klägers nur teilweise abhelfende Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003. Letzterer erweist sich als rechtswidrig, soweit die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt hat. Insoweit ist der Kläger in subjektiven Rechten verletzt. Dem Kläger steht aufgrund der Abhilfeentscheidung der Beklagten vom 10. Dezember 2003 ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Gemäß § 85 Abs. 1 SGG ist einem Widerspruch abzuhelfen, wenn er für begründet erachtet wird. Ist dies nicht der Fall erlässt die nach § 85 Abs. 2 SGG zuständige Behörde den Widerspruchsbescheid. Das Widerspruchsverfahren ist mithin zweigliedrig ausgestaltet; es beginnt mit der Prüfung der Begründetheit und der Entscheidung über eine Abhilfe durch die Ausgangsbehörde und wird, wenn eine Abhilfeentscheidung nicht getroffen wird, anschließend an die Widerspruchsbehörde abgegeben, wobei eine Entscheidung über die Nichtabhilfe entbehrlich ist, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde - wie hier - identisch sind. Die Abhilfeentscheidung ist - ebenso wie der Widerspruchsbescheid - als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu qualifizieren. Ihr kommt, ebenso wie dem Vergleich und dem angenommenen Anerkenntnis im Klageverfahren (vgl. § 101 SGG), eine Doppelnatur zu. Sie erledigt einerseits das Widerspruchsverfahren in dem von der Abhilfe umfassten Umfang und verpflichtet die abhelfende Behörde andererseits zur Ausführung ihrer Entscheidung. Eine vollständige Abhilfe liegt vor, wenn dem Begehren des Widerspruchsführers in vollem Umfang stattgegeben wird, er also klaglos gestellt und nicht mehr beschwert ist. Eine solche vollständige Abhilfe hat die Beklagte hier mit Schreiben vom 10. Dezember 2003 verfügt. Der Kläger hat am 19. Dezember 2002 die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt. In der Anlage zum Rentenantrag hat er angegeben, er könne nach seiner Auffassung keine Arbeiten mehr verrichten. In der Widerspruchsbegründung vom 29. Juli 2003 hat der Kläger wiederum klar gestellt, dass er die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt. Soweit er hilfsweise einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geltend gemacht hat, lässt dies sein vorrangig verfolgtes Begehren nicht entfallen. Mit dem Verfügungssatz, dem Widerspruch vom 14. Mai 2003 werde in vollem Umfang stattgegeben, hat die Beklagte diesem Begehren rechtsverbindlich entsprochen. Sie hat unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, der Kläger werde genau das erhalten, was er mit Antrag und Widerspruch begehrt hat. Dass das Schreiben vom 10. Dezember 2003 keine Einzelheiten über Höhe, Beginn und Dauer der zu gewährenden Rente enthält, steht der Annahme einer Regelungswirkung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X nicht entgegen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an dem als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003, der ebenfalls keine Verfügungen hinsichtlich des Beginns und der Höhe der zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit trifft. Da die Beklagte den Abhilfebescheid vom 10. Dezember 2003 weder aufgehoben noch zurückgenommenen hat - der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 enthält einen entsprechenden Verfügungssatz nicht - begründet dieser ein durchsetzbares subjektives Recht des Klägers auf Gewährung der zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Soweit die Beklagte meint, das Schreiben vom 10. Dezember 2003 sei lediglich als Information über die in Bälde ergehende Verwaltungsentscheidung auf Grundlage der bereits stattgefundenen Sitzung des Widerspruchsausschusses zu werten, kann dem nicht gefolgt werden. Ein solcher Erklärungsinhalt kann dem nach dem Empfängerhorizont auszulegenden Schreiben vom 10. Dezember 2003 bereits deshalb nicht beigemessen werden, weil es keinerlei Hinweis auf die vom Widerspruchsausschuss bereits am 8. Dezember 2003 getroffene Entscheidung enthält. Aufgrund der eindeutigen Aussage, seinem Widerspruch werde in vollem Umfang abgeholfen, musst und durfte der Kläger das Schreiben vom 10. Dezember 2003 als eine seinem Begehren vollumfänglich stattgebende und verbindliche Entscheidung verstehen. Auch eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 38 SGB X liegt nicht vor. Insoweit schließt sich der Senat den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 13. April 2005 an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1944 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehörigkeit; er zog am 19. Februar 1991 aus K. kommend in die Bundesrepublik Deutschland zu. Im Herkunftsland hatte er zuletzt als Elektroschlosser unter Tage gearbeitet. Nach seinem Zuzug war er bis 2001 als Elektroinstallateur beschäftigt. Am 19. Dezember 2002 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 17. April 2003 bewilligt die Beklagte dem Kläger ab 1. Januar 2003 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau in Höhe von monatlich 39,65 EUR. Den Antrag auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Internisten Dr. L. (Gutachten vom 30. Januar 2003) mit Bescheid vom 22. April 2003 ab.
Am 5. Mai 2003 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 17. April 2003 und am 16. Mai 2003 (Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 14. Mai 2003) gegen den Bescheid vom 22. April 2003 Widerspruch. Nachdem der Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. April 2003 (Gewährung einer Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsunfähigkeit im Bergbau) mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2003 zurückgewiesen worden war, trug der Kläger zur Begründung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22. April 2003 (Ablehnung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung) vor, er halte sich auch für leichte körperliche Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig. Deshalb habe er Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Jedenfalls sei eine Beschäftigung im zuletzt ausgeübten Beruf als Elektroinstallateur nicht mehr zumutbar; deshalb habe er in jedem Fall Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Mit dem Bevollmächtigten des Klägers übersandtem Schreiben vom 10. Dezember 2003 gab die Beklagte eine Erklärung folgenden Inhalts ab: "dem Widerspruch vom 14.05.2003 wird in vollem Umfang abgeholfen. Die Unterlagen haben wir heute zur Ausführung der Abhilfe an die zuständige Arbeitsgruppe 7702 in M. (Tel.: ...) gesandt. Von dort erhalten Sie in Kürze einen entsprechenden Bescheid." Zuvor hatte allerdings der Widerspruchsausschuss M. I der Beklagten am 8. Dezember 2003 entschieden, dass dem Kläger unter Zugrundelegung eines am 19. Dezember 2002 eingetretenen Leistungsfalls lediglich eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren sei. Im übrigen werde der Widerspruch zurückgewiesen. In Ausführung dieser Entscheidung erließ die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 16. Januar 2004 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Nachdem bereits durch den am 16. Dezember 2003 bekannt gegebenen Bescheid vom 10. Dezember 2003 bereits eine den Streitgegenstand erledigende Entscheidung getroffen worden sei, habe der Widerspruchsausschuss keine abweichende Entscheidung mehr treffen dürfen. Eine den Bescheid vom 10. Dezember 2003 aufhebende oder zurücknehmende Entscheidung enthalte der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 nicht. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das Schreiben vom 10. Dezember 2003 stelle nach ihrer Ansicht keinen Verwaltungsakt dar. Bei der Abfassung des Schreibens sei der Sachbearbeiterin zudem ein offensichtlicher Schreibfehler unterlaufen; richtig hätte das Schreiben lauten müssen "dem Widerspruch vom 14.05.2003 wird teilweise abgeholfen." Mit Urteil vom 13. April 2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. April 2003 und unter teilweiser Abänderung des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2003 verurteilt, dem Kläger entsprechend ihrem Anerkenntnis vom 10. Dezember 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung statt Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren. Der Kläger habe vorrangig eine Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt. Die Erklärung der Beklagten vom 10. Dezember 2003 sei insoweit als volles Anerkenntnis im Widerspruchsverfahren zu werten. Eine offenbare Unrichtigkeit liege nicht vor, da der Kläger nicht habe erkennen können, dass die Beklagte nur eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren gewillt war. Der erst nach der Abhilfeentscheidung bekannt gegebene Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 sei deshalb nichtig.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 6. Juni 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. Juli 2005 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Das Schreiben vom 10. Dezember 2005 als Verwaltungsakt zu werten, halte sie für grotesk. Der Kläger sei lediglich darüber informiert worden, dass in Bälde ein Verwaltungsakt auf Grund der erfolgten Entscheidung des Widerspruchsausschusses ergehen werde. Das Urteil des SG erachte sie deshalb als völlig rechtsfehlerhaft.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. April 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakte des SG (S 2 KN 163/04) und die Berufungsakte des Senats (L 13 KN 2689/05) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Sie ist statthaft, da Berufungsbeschränkungen nicht vorliegen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt wurde. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat zu Recht der Klage stattgegeben. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ablehnende Bescheid vom 22. April 2002, der Abhilfebescheid vom 10. Dezember 2003 und der dem Widerspruch des Klägers nur teilweise abhelfende Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003. Letzterer erweist sich als rechtswidrig, soweit die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt hat. Insoweit ist der Kläger in subjektiven Rechten verletzt. Dem Kläger steht aufgrund der Abhilfeentscheidung der Beklagten vom 10. Dezember 2003 ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Gemäß § 85 Abs. 1 SGG ist einem Widerspruch abzuhelfen, wenn er für begründet erachtet wird. Ist dies nicht der Fall erlässt die nach § 85 Abs. 2 SGG zuständige Behörde den Widerspruchsbescheid. Das Widerspruchsverfahren ist mithin zweigliedrig ausgestaltet; es beginnt mit der Prüfung der Begründetheit und der Entscheidung über eine Abhilfe durch die Ausgangsbehörde und wird, wenn eine Abhilfeentscheidung nicht getroffen wird, anschließend an die Widerspruchsbehörde abgegeben, wobei eine Entscheidung über die Nichtabhilfe entbehrlich ist, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde - wie hier - identisch sind. Die Abhilfeentscheidung ist - ebenso wie der Widerspruchsbescheid - als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu qualifizieren. Ihr kommt, ebenso wie dem Vergleich und dem angenommenen Anerkenntnis im Klageverfahren (vgl. § 101 SGG), eine Doppelnatur zu. Sie erledigt einerseits das Widerspruchsverfahren in dem von der Abhilfe umfassten Umfang und verpflichtet die abhelfende Behörde andererseits zur Ausführung ihrer Entscheidung. Eine vollständige Abhilfe liegt vor, wenn dem Begehren des Widerspruchsführers in vollem Umfang stattgegeben wird, er also klaglos gestellt und nicht mehr beschwert ist. Eine solche vollständige Abhilfe hat die Beklagte hier mit Schreiben vom 10. Dezember 2003 verfügt. Der Kläger hat am 19. Dezember 2002 die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt. In der Anlage zum Rentenantrag hat er angegeben, er könne nach seiner Auffassung keine Arbeiten mehr verrichten. In der Widerspruchsbegründung vom 29. Juli 2003 hat der Kläger wiederum klar gestellt, dass er die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt. Soweit er hilfsweise einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geltend gemacht hat, lässt dies sein vorrangig verfolgtes Begehren nicht entfallen. Mit dem Verfügungssatz, dem Widerspruch vom 14. Mai 2003 werde in vollem Umfang stattgegeben, hat die Beklagte diesem Begehren rechtsverbindlich entsprochen. Sie hat unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, der Kläger werde genau das erhalten, was er mit Antrag und Widerspruch begehrt hat. Dass das Schreiben vom 10. Dezember 2003 keine Einzelheiten über Höhe, Beginn und Dauer der zu gewährenden Rente enthält, steht der Annahme einer Regelungswirkung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X nicht entgegen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an dem als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003, der ebenfalls keine Verfügungen hinsichtlich des Beginns und der Höhe der zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit trifft. Da die Beklagte den Abhilfebescheid vom 10. Dezember 2003 weder aufgehoben noch zurückgenommenen hat - der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2003 enthält einen entsprechenden Verfügungssatz nicht - begründet dieser ein durchsetzbares subjektives Recht des Klägers auf Gewährung der zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Soweit die Beklagte meint, das Schreiben vom 10. Dezember 2003 sei lediglich als Information über die in Bälde ergehende Verwaltungsentscheidung auf Grundlage der bereits stattgefundenen Sitzung des Widerspruchsausschusses zu werten, kann dem nicht gefolgt werden. Ein solcher Erklärungsinhalt kann dem nach dem Empfängerhorizont auszulegenden Schreiben vom 10. Dezember 2003 bereits deshalb nicht beigemessen werden, weil es keinerlei Hinweis auf die vom Widerspruchsausschuss bereits am 8. Dezember 2003 getroffene Entscheidung enthält. Aufgrund der eindeutigen Aussage, seinem Widerspruch werde in vollem Umfang abgeholfen, musst und durfte der Kläger das Schreiben vom 10. Dezember 2003 als eine seinem Begehren vollumfänglich stattgebende und verbindliche Entscheidung verstehen. Auch eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 38 SGB X liegt nicht vor. Insoweit schließt sich der Senat den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 13. April 2005 an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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