Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 268/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 20/08 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 07.03.2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die vorläufige Gewährung einer podologischen Therapie (fußpflegerische Maßnahmen).
Der 1948 geborene Antragsteller (ASt.) leidet an einer schweren, inkompletten motorisch-spinalen Querschnittssymptomatik mit schwerer Kyphoskoliose bei Zustand nach Aufrichtungsoperation im Jahre 1983. Seit Oktober 1981 sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung), "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "H" (hilflos) und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt. Er erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe 1 in Höhe von 205 EUR monatlich.
Am 19.11.2007 verordneten die Fachärztin für Allgemeinmedizin und spezielle Diabetologie Dr. G in N dem ASt. drei Einheiten podologischer Komplexbehandlung zur Vermeidung von Hornhautbildung und Nagelbettschädigung. Mit Bescheid vom 26.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2007, zugestellt am Folgetag, lehnte die Antragsgegnerin (AG’in) die Kostenübernahme (KÜ) für die podologische Therapie ab. Nach §§ 27, 32 und 92 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m. den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung vom 01.12.2003/16.03.2004, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz) 2004, Nr. 106a, in Kraft getreten am 01.07.2004, zuletzt geändert am 21.12.2004, veröffentlicht im BAnz 2005 Nr. 61 S. 4995, in Kraft getreten am 02.04.2005 (Heilmittel-Richtlinien (HM-RL)), sei die Verordnung von podologischer Therapie nur bei einem diabetischen Fußsyndrom vorgesehen. Ein solches aber liege bei dem ASt. nach Auskunft der verordnenden Ärztin nicht vor. Vielmehr sei die Verordnung erfolgt, da der ASt. aufgrund seiner Behinderungen nicht in der Lage sei, die Nagel- und Hautpflege selbst durchzuführen. Diese sei jedoch dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten zuzurechnen und falle nur in dem o. g. Ausnahmefall in die Leistungsverantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Im Übrigen könne der ASt. die Nagel- und Hautpflege durch Dritte über die gewährten Leistungen der Pflegeversicherung (PV) sicherstellen. Die Maßnahmen unterfielen dem Bereich der Grundpflege.
Am 07.12.2007 hat der ASt. parallel zu der erhobenen Klage (Az.: S 11 KR 267/07, Sozialgericht (SG) Münster) sein Begehren auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geltend gemacht. Zur Begründung trägt er vor, er könne wegen der Erkrankung der Fußnägel nicht auftreten und sei bettlägrig. Es sei damit zu rechnen, dass sich sein Zustand weiterhin verschlechtere und Lebensbedrohlichkeit eintreten werde. Er verfüge nicht über die finanziellen Mittel, in Vorleistung treten zu können. Eine professionelle Fußpflege benötige er in erster Linie, um eine sachgerechte Fußpflege zu erlernen, die er anschließend selbst durchführen könne. Zur weiteren Glaubhaftmachung hat der ASt. ein ärztliches Attest von Dr. G vom 14.01.2008 vorgelegt. Danach läuft der ASt. mühsam an zwei Gehstützen. Feinmotorische Bewegungen beider Hände seien nicht möglich. Eine Fußpflege könne er unmöglich selbst durchführen.
Der ASt. hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,
die AG’in im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die ärztlich verordnete podologische Komplexbehandlung zu gewähren.
Die AG’in hat schriftsätzlich beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet. Durch die Neufassung des § 32 Abs. 1 und des 34 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vom 14.11.2003 (BGBl 2003 I Nr. 55 (GMG)), in Kraft getreten zum 01.01.2004, habe der Gesetzgeber die zuvor höchstrichterlich gerügten Unklarheiten bei der Abgrenzung der Regelungszuständigkeiten von Gesetz- und Verordnungsgeber beseitigt. Eine erweiternde Auslegung der HM-RL komme nicht in Betracht.
Das SG hat eine ergänzende Auskunft von Dr. G eingeholt. Diese hat unter dem 01.02.2008 mitgeteilt, aufgrund der statischen Fehlbelastungen seien bei dem ASt. - vergleichbar einem diabetischen Fußsyndrom - Verletzungen, Infektionen und eine erschwerte Wundheilung zu erwarten.
Mit Beschluss vom 07.03.2008 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Die einzige Indikation, bei der nach den HM-RL die podologische Therapie zugelassen sei - diabetisches Fußsyndrom -, liege bei dem ASt. nicht vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe sich im Rahmen der ihm eingeräumten Ermächtigung gehalten, ein verordnungsfähiges Heilmittel bestimmten Indikationen zuzuordnen, § 92 Abs. 6 Nr. 2 SGB V, zumal die Fußpflege grundsätzlich in den Bereich der Körperpflege falle. Die HM-RL seien auch für die Gerichte verbindlich. Im Übrigen sei der ASt. nach eigenen Angaben - entgegen der Einschätzung der behandelnden Ärztin - sehr wohl in der Lage, die Fußpflege selbständig durchzuführen.
Gegen den ihm am 11.03.2008 zugestellten Beschluss hat der ASt. am 12.03.2008 Beschwerde eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Der ASt. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des SG Münster vom 07.03.2008 zu ändern und die AG’in im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die ärztlich verordnete podologische Komplexbehandlung zu gewähren.
Die AG’in beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie erachtet den erstinstanzlichen Beschluss als zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakten sowie der beigezogenen Akten des SG Münster (Az.: S 11 KR 267/07 und S 12 SO 156/07 ER) Bezug genommen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht mit Beschluss vom 07.03.2008 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Dem ASt. steht kein Anspruch auf vorläufige Gewährung der begehrten Leistung zu.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erfolgen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind insoweit glaubhaft zu machen, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient vorläufigen Regelungen. Nur wenn dies zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den ASt. unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, weil dem Rechtsschutzsuchenden ein bestimmter Anspruch zusteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschl. vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99, www.juris.de; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b RdNr. 31 m. w. N.), ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie hier von dem ASt. begehrt wird, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.08.1999, a. a. O.; Meyer-Ladewig, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschlüsse vom 16.10.2002, Az.: L 16 KR 219/02 ER; vom 13.05.2004, Az.: L 16 B 20/04 KR ER; vom 29.11.2005, Az.: L 16 B 90/05 KR ER; vom 06.04.2006, Az.: L 16 B 3/06 KR ER; vom 11.07.2006, Az.: L 16 B 43/06 KR ER; vom 22.08.2007, Az.: L 16 B 19/07 KR ER, vom 22.01.2008, Az.: L 16 B 102/07 KR ER, vom 07.02.2008, Az.: L 16 B 123/07 KR ER, veröffentlicht bei www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Das SG hat zu Recht die Auffassung vertreten, es sei bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist derzeit nicht einmal als offen zu bewerten. Die von dem ASt. begehrte podologische Komplexbehandlung ist nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage weder im Regelfall noch im Ausnahmefall einer notstandsähnlichen Situation vom Leistungskatalog des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) in der ambulanten Versorgung umfasst.
Die AG’in ist zwar nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i. V. m. § 32 Abs. 1 SGB V zur Gewährung von Krankenbehandlung des bei ihr versicherten ASt. verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch umfasst auch Heilmittel wie die podologische Therapie, allerdings nur, soweit sie nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Ein solcher Ausschluss ergibt sich für die bei dem ASt. bestehende Indikation aus den gemäß § 34 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 und § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, Abs. 6 SGB V erlassenen HM-RL des Gemeinsamen Bundesausschusses. Nach III 17 B. 1 der HM-RL sind Maßnahmen der podologischen Therapie (nur dann) verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Die podologische Therapie kommt nur in Betracht bei Patienten, die ohne diese Behandlung (bereits eingetretener Schädigungen) unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilungsstörungen erleiden würden. Diese Voraussetzungen liegen bei dem ASt. derzeit unstreitig nicht vor. Die behandelnde Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. G hat ein solches Schädigungsbild trotz der gezielten Nachfrage des SG vom 16.01.2008 in ihrer Antwort vom 01.02.2008 nicht bestätigt. Über die in den HM-RL genannte Indikation des diabetischen Fußes hinaus enthält III 17 B einen Leistungsausschluss. Die Regelungen der HM-RL sind auch verbindlich. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen HM-RL sind ebenso wie die übrigen auf der Rechtsgrundlage des § 92 SGB V erlassenen Richtlinien nach der Rechtsprechung der mit dieser Frage befassten Senate des Bundessozialgerichts (BSG) untergesetzliche Rechtsnormen (BSG Sozialrecht (SozR) 3-2500 § 92 Nr. 6; BSG SozR 3-2500 § 103 Nr. 2; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7). Der Gemeinsame Bundesausschuss kann in den HM-RL prinzipiell einen normativ verbindlichen Katalog verordnungsfähiger Heilmittel festlegen. Umstände des Einzelfalles allein können kein Absehen von den generellen Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses rechtfertigen. Vielmehr ist hierfür eine generelle Fehlerhaftigkeit der Richtlinien, das heißt ein Verstoß einzelner Bestimmungen gegen höherrangiges Recht, erforderlich (BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3). Eine solche generelle Fehlerhaftigkeit ist aber gerade nicht ersichtlich. Vielmehr hat das BSG die Fußpflege grundsätzlich der Körperpflege und damit dem Verantwortungsbereich des Versicherten selbst zugeordnet (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 12) und lediglich für besondere Ausnahmekonstellationen, wie bei einem diabetischen Fußsyndrom und einer davon ausgehenden Gesundheitsgefährdung, eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen eingefordert. Dem ist der Gemeinsame Bundesausschuss mit den HM-RL in der hier anwendbaren Fassung nachgekommen. Dieser hat podologische Leistungen auf den Ausnahmefall des diabetischen Fußes begrenzt, wenn es zur Erreichung des therapeutischen Zweckes einschließlich einer regelmäßigen sachkundigen Kontrolle auf beginnende schädliche Veränderungen oder im Hinblick auf die Gefahren einer Fehlbehandlung notwendig ist, die Fußpflege qualifiziertem medizinischem Personal vorzubehalten. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Indikation, wie sie bei dem ASt. gegeben ist, diesem Ausnahmefall gleichzustellen wäre. Die dies bescheinigende behandelnde Ärztin verkennt, dass III 17 B der HM-RL podologische Maßnahmen ohnehin, abgesehen von der Indikation, nur dann als verordnungsfähig einstuft, wenn sie der Behandlung bereits eingetretener krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen nach der HM-RL Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Es handelt sich also gerade nicht um eine prophylaktische Maßnahme, die der Entstehung eines diabetischen Fußsyndroms vorbeugen soll. Vielmehr muss eine solche Erkrankung nach den HM-RL bereits vorliegen. Davon kann bei dem ASt. jedoch keine Rede sein.
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu lebensbedrohlichen Erkrankungen (BVerfG SozR 4-2500 § 27 Nr. 5). Auch wenn der ASt. sicherlich in erheblichem Maße in seiner Gesundheit beeinträchtigt ist, hat der ASt. das Bestehen einer lebensbedrohlichen Situation, also die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit (BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr 8, BVerG, Beschl. vom 6.2.2007, Az.: 1 BvR 3101/06, www.juris.de), mithin eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik, nicht glaubhaft gemacht.
Der Senat hat darüber hinaus Zweifel, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, also eine besondere Eilbedürftigkeit besteht, die ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar macht. Es ist nicht einmal ersichtlich, warum sich der ASt. die unstreitig zur Grundpflege gehörende Fußpflege nicht über die ihm offensichtlich gewährten Leistungen der Pflegeversicherung beschaffen kann. Ohnehin müsste er sich gemäß § 32 Abs. 2 i. V. m. § 61 S. 3 SGB V an den Kosten der Heilmittel beteiligen.
Die Beschwerde war daher mit einer den §§ 193, 183 SGG entsprechenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe:
I.
Streitig ist die vorläufige Gewährung einer podologischen Therapie (fußpflegerische Maßnahmen).
Der 1948 geborene Antragsteller (ASt.) leidet an einer schweren, inkompletten motorisch-spinalen Querschnittssymptomatik mit schwerer Kyphoskoliose bei Zustand nach Aufrichtungsoperation im Jahre 1983. Seit Oktober 1981 sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung), "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "H" (hilflos) und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt. Er erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe 1 in Höhe von 205 EUR monatlich.
Am 19.11.2007 verordneten die Fachärztin für Allgemeinmedizin und spezielle Diabetologie Dr. G in N dem ASt. drei Einheiten podologischer Komplexbehandlung zur Vermeidung von Hornhautbildung und Nagelbettschädigung. Mit Bescheid vom 26.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2007, zugestellt am Folgetag, lehnte die Antragsgegnerin (AG’in) die Kostenübernahme (KÜ) für die podologische Therapie ab. Nach §§ 27, 32 und 92 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m. den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung vom 01.12.2003/16.03.2004, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz) 2004, Nr. 106a, in Kraft getreten am 01.07.2004, zuletzt geändert am 21.12.2004, veröffentlicht im BAnz 2005 Nr. 61 S. 4995, in Kraft getreten am 02.04.2005 (Heilmittel-Richtlinien (HM-RL)), sei die Verordnung von podologischer Therapie nur bei einem diabetischen Fußsyndrom vorgesehen. Ein solches aber liege bei dem ASt. nach Auskunft der verordnenden Ärztin nicht vor. Vielmehr sei die Verordnung erfolgt, da der ASt. aufgrund seiner Behinderungen nicht in der Lage sei, die Nagel- und Hautpflege selbst durchzuführen. Diese sei jedoch dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten zuzurechnen und falle nur in dem o. g. Ausnahmefall in die Leistungsverantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Im Übrigen könne der ASt. die Nagel- und Hautpflege durch Dritte über die gewährten Leistungen der Pflegeversicherung (PV) sicherstellen. Die Maßnahmen unterfielen dem Bereich der Grundpflege.
Am 07.12.2007 hat der ASt. parallel zu der erhobenen Klage (Az.: S 11 KR 267/07, Sozialgericht (SG) Münster) sein Begehren auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geltend gemacht. Zur Begründung trägt er vor, er könne wegen der Erkrankung der Fußnägel nicht auftreten und sei bettlägrig. Es sei damit zu rechnen, dass sich sein Zustand weiterhin verschlechtere und Lebensbedrohlichkeit eintreten werde. Er verfüge nicht über die finanziellen Mittel, in Vorleistung treten zu können. Eine professionelle Fußpflege benötige er in erster Linie, um eine sachgerechte Fußpflege zu erlernen, die er anschließend selbst durchführen könne. Zur weiteren Glaubhaftmachung hat der ASt. ein ärztliches Attest von Dr. G vom 14.01.2008 vorgelegt. Danach läuft der ASt. mühsam an zwei Gehstützen. Feinmotorische Bewegungen beider Hände seien nicht möglich. Eine Fußpflege könne er unmöglich selbst durchführen.
Der ASt. hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,
die AG’in im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die ärztlich verordnete podologische Komplexbehandlung zu gewähren.
Die AG’in hat schriftsätzlich beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet. Durch die Neufassung des § 32 Abs. 1 und des 34 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vom 14.11.2003 (BGBl 2003 I Nr. 55 (GMG)), in Kraft getreten zum 01.01.2004, habe der Gesetzgeber die zuvor höchstrichterlich gerügten Unklarheiten bei der Abgrenzung der Regelungszuständigkeiten von Gesetz- und Verordnungsgeber beseitigt. Eine erweiternde Auslegung der HM-RL komme nicht in Betracht.
Das SG hat eine ergänzende Auskunft von Dr. G eingeholt. Diese hat unter dem 01.02.2008 mitgeteilt, aufgrund der statischen Fehlbelastungen seien bei dem ASt. - vergleichbar einem diabetischen Fußsyndrom - Verletzungen, Infektionen und eine erschwerte Wundheilung zu erwarten.
Mit Beschluss vom 07.03.2008 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Die einzige Indikation, bei der nach den HM-RL die podologische Therapie zugelassen sei - diabetisches Fußsyndrom -, liege bei dem ASt. nicht vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe sich im Rahmen der ihm eingeräumten Ermächtigung gehalten, ein verordnungsfähiges Heilmittel bestimmten Indikationen zuzuordnen, § 92 Abs. 6 Nr. 2 SGB V, zumal die Fußpflege grundsätzlich in den Bereich der Körperpflege falle. Die HM-RL seien auch für die Gerichte verbindlich. Im Übrigen sei der ASt. nach eigenen Angaben - entgegen der Einschätzung der behandelnden Ärztin - sehr wohl in der Lage, die Fußpflege selbständig durchzuführen.
Gegen den ihm am 11.03.2008 zugestellten Beschluss hat der ASt. am 12.03.2008 Beschwerde eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Der ASt. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des SG Münster vom 07.03.2008 zu ändern und die AG’in im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die ärztlich verordnete podologische Komplexbehandlung zu gewähren.
Die AG’in beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie erachtet den erstinstanzlichen Beschluss als zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakten sowie der beigezogenen Akten des SG Münster (Az.: S 11 KR 267/07 und S 12 SO 156/07 ER) Bezug genommen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht mit Beschluss vom 07.03.2008 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Dem ASt. steht kein Anspruch auf vorläufige Gewährung der begehrten Leistung zu.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erfolgen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind insoweit glaubhaft zu machen, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient vorläufigen Regelungen. Nur wenn dies zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den ASt. unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, weil dem Rechtsschutzsuchenden ein bestimmter Anspruch zusteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschl. vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99, www.juris.de; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b RdNr. 31 m. w. N.), ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie hier von dem ASt. begehrt wird, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.08.1999, a. a. O.; Meyer-Ladewig, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschlüsse vom 16.10.2002, Az.: L 16 KR 219/02 ER; vom 13.05.2004, Az.: L 16 B 20/04 KR ER; vom 29.11.2005, Az.: L 16 B 90/05 KR ER; vom 06.04.2006, Az.: L 16 B 3/06 KR ER; vom 11.07.2006, Az.: L 16 B 43/06 KR ER; vom 22.08.2007, Az.: L 16 B 19/07 KR ER, vom 22.01.2008, Az.: L 16 B 102/07 KR ER, vom 07.02.2008, Az.: L 16 B 123/07 KR ER, veröffentlicht bei www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Das SG hat zu Recht die Auffassung vertreten, es sei bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist derzeit nicht einmal als offen zu bewerten. Die von dem ASt. begehrte podologische Komplexbehandlung ist nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage weder im Regelfall noch im Ausnahmefall einer notstandsähnlichen Situation vom Leistungskatalog des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) in der ambulanten Versorgung umfasst.
Die AG’in ist zwar nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i. V. m. § 32 Abs. 1 SGB V zur Gewährung von Krankenbehandlung des bei ihr versicherten ASt. verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch umfasst auch Heilmittel wie die podologische Therapie, allerdings nur, soweit sie nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Ein solcher Ausschluss ergibt sich für die bei dem ASt. bestehende Indikation aus den gemäß § 34 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 und § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, Abs. 6 SGB V erlassenen HM-RL des Gemeinsamen Bundesausschusses. Nach III 17 B. 1 der HM-RL sind Maßnahmen der podologischen Therapie (nur dann) verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Die podologische Therapie kommt nur in Betracht bei Patienten, die ohne diese Behandlung (bereits eingetretener Schädigungen) unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilungsstörungen erleiden würden. Diese Voraussetzungen liegen bei dem ASt. derzeit unstreitig nicht vor. Die behandelnde Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. G hat ein solches Schädigungsbild trotz der gezielten Nachfrage des SG vom 16.01.2008 in ihrer Antwort vom 01.02.2008 nicht bestätigt. Über die in den HM-RL genannte Indikation des diabetischen Fußes hinaus enthält III 17 B einen Leistungsausschluss. Die Regelungen der HM-RL sind auch verbindlich. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen HM-RL sind ebenso wie die übrigen auf der Rechtsgrundlage des § 92 SGB V erlassenen Richtlinien nach der Rechtsprechung der mit dieser Frage befassten Senate des Bundessozialgerichts (BSG) untergesetzliche Rechtsnormen (BSG Sozialrecht (SozR) 3-2500 § 92 Nr. 6; BSG SozR 3-2500 § 103 Nr. 2; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7). Der Gemeinsame Bundesausschuss kann in den HM-RL prinzipiell einen normativ verbindlichen Katalog verordnungsfähiger Heilmittel festlegen. Umstände des Einzelfalles allein können kein Absehen von den generellen Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgebots in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses rechtfertigen. Vielmehr ist hierfür eine generelle Fehlerhaftigkeit der Richtlinien, das heißt ein Verstoß einzelner Bestimmungen gegen höherrangiges Recht, erforderlich (BSG SozR 4-2500 § 37 Nr. 7; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr. 3). Eine solche generelle Fehlerhaftigkeit ist aber gerade nicht ersichtlich. Vielmehr hat das BSG die Fußpflege grundsätzlich der Körperpflege und damit dem Verantwortungsbereich des Versicherten selbst zugeordnet (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 12) und lediglich für besondere Ausnahmekonstellationen, wie bei einem diabetischen Fußsyndrom und einer davon ausgehenden Gesundheitsgefährdung, eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen eingefordert. Dem ist der Gemeinsame Bundesausschuss mit den HM-RL in der hier anwendbaren Fassung nachgekommen. Dieser hat podologische Leistungen auf den Ausnahmefall des diabetischen Fußes begrenzt, wenn es zur Erreichung des therapeutischen Zweckes einschließlich einer regelmäßigen sachkundigen Kontrolle auf beginnende schädliche Veränderungen oder im Hinblick auf die Gefahren einer Fehlbehandlung notwendig ist, die Fußpflege qualifiziertem medizinischem Personal vorzubehalten. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Indikation, wie sie bei dem ASt. gegeben ist, diesem Ausnahmefall gleichzustellen wäre. Die dies bescheinigende behandelnde Ärztin verkennt, dass III 17 B der HM-RL podologische Maßnahmen ohnehin, abgesehen von der Indikation, nur dann als verordnungsfähig einstuft, wenn sie der Behandlung bereits eingetretener krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Hierzu zählen nach der HM-RL Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühls- und/oder Durchblutungsstörungen der Füße (Makro-, Mikroangiopathie, Neuropathie, Angioneuropathie). Es handelt sich also gerade nicht um eine prophylaktische Maßnahme, die der Entstehung eines diabetischen Fußsyndroms vorbeugen soll. Vielmehr muss eine solche Erkrankung nach den HM-RL bereits vorliegen. Davon kann bei dem ASt. jedoch keine Rede sein.
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu lebensbedrohlichen Erkrankungen (BVerfG SozR 4-2500 § 27 Nr. 5). Auch wenn der ASt. sicherlich in erheblichem Maße in seiner Gesundheit beeinträchtigt ist, hat der ASt. das Bestehen einer lebensbedrohlichen Situation, also die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit (BSG, SozR 4-2500 § 31 Nr 8, BVerG, Beschl. vom 6.2.2007, Az.: 1 BvR 3101/06, www.juris.de), mithin eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik, nicht glaubhaft gemacht.
Der Senat hat darüber hinaus Zweifel, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, also eine besondere Eilbedürftigkeit besteht, die ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar macht. Es ist nicht einmal ersichtlich, warum sich der ASt. die unstreitig zur Grundpflege gehörende Fußpflege nicht über die ihm offensichtlich gewährten Leistungen der Pflegeversicherung beschaffen kann. Ohnehin müsste er sich gemäß § 32 Abs. 2 i. V. m. § 61 S. 3 SGB V an den Kosten der Heilmittel beteiligen.
Die Beschwerde war daher mit einer den §§ 193, 183 SGG entsprechenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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