L 6 SB 2825/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 1893/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2825/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. April 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" streitig.

Der 1936 geborene Kläger beantragte am 4. November 2004 beim früheren Versorgungsamt R. (VA) die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB). Zur Begründung gab er einen Bandscheibenvorfall L4/L5 links, einen Diabetes mellitus sowie eine Schilddrüsenüberfunktion an. Das VA zog von den Allgemeinmedizinern Dres. K. und K. verschiedene Arztbriefe bei sowie vom S. Rheumazentrum in Bad W. den Entlassungsbericht vom 15. November 2004 über die stationäre Behandlung vom 10. bis 15. November 2004. Unter Auswertung dieser Unterlagen bewertete Dr. D. in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11. Januar 2005 die nachfolgend genannten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Gesamt-GdB von 40:

- Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, operierter Bandscheibenschaden Teil-GdB 30 - Funktionsbehinderung des linken Knie- und Hüftgelenks Teil-GdB 30 - Diabetes mellitus Teil-GdB 10 - Bluthochdruck Teil-GdB 10.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2005 stellte das zwischenzeitlich zuständig gewordene Landratsamt F. (LRA) den GdB beim Kläger seit 4. November 2004 mit 40 fest. Gleichzeitig lehnte es die Feststellung von Merkzeichen mit der Begründung ab, diese setzten das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft voraus, die nicht habe festgestellt werden können. Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB sowie die Merkzeichen "G" und "aG" geltend. Das LRA holte bei den Fachärzten für Orthopädie Dres. de J. und Sch. den Befundbericht vom 4. April 2005 ein sowie die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. D. vom 19. April 2005. Diese hielt an ihrer bisherigen Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 10. Juni 2005 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage und machte geltend, seine Behinderungen rechtfertigten zumindest einen GdB von 50. Da sich die bestehenden Funktionsbehinderungen besonders auf die Gehfähigkeit auswirkten und er sich nur noch mit Gehhilfen außerhalb seiner Wohnung fortbewegen könne, stünden ihm auch die Nachteilsausgleiche "G" und "aG" zu. Das im Laufe des Verfahrens abgegebene Teilanerkenntnis des Beklagten, wonach der GdB ab 4. November 2004 auf 60 festgesetzt und das Merkzeichen "G" festgestellt werde, nahm der Kläger an. Den Rechtsstreit führte er lediglich noch im Hinblick auf das Merkzeichen "aG" weiter. Insoweit machte er geltend, sich auch mit Rollator nur noch kleinschrittig, unsicher und deutlich verlangsamt fortbewegen zu können, weil er trotz der Gehhilfe wegen der erheblichen Instabilität des Kniegelenks häufiger wegknicke. Er könne sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs nur noch mit großer Anstrengung fortbewegen. Schon nach kurzen Wegstrecken müsse er eine Pause einlegen, weil er dann erschöpft sei und neue Kräfte sammeln müsse. Seine Gehfähigkeit sei so stark eingeschränkt, dass es ihm unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Der Beklagte legte seine Verwaltungsakten vor und unterbreitete dem Kläger auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 2. November 2005 zunächst ein Vergleichsangebot, das er als Teilanerkenntnis aufrecht erhielt, welches vom Kläger angenommen wurde. Grundlage dessen war die Bewertung der Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und beider Hüftgelenke mit einem Teil-GdB von 40, der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, der Wirbelsäulenverformung und des operierten Bandscheibenvorfalls mit einem Teil-GdB von 30 sowie des Diabetes mellitus und des Bluthochdrucks mit Teil-GdB-Werten von 20 bzw. 10. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" sah der Beklagte weiterhin nicht als erfüllt. Er legte die weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. W. vom 12. Dezember 2005, des Medizinaldirektors D. vom 15. Mai 2006 sowie des Dr. G. vom 24. November 2006 vor. Das SG hörte Dr. de J. unter dem 17. August 2005, den Internisten K. unter dem 18. August 2005 sowie Dr. K. unter dem 7. September 2005 schriftlich als sachverständige Zeugen. Während sich der Internist K. zur Gehfähigkeit des Klägers nicht zu äußern vermochte, beschrieb Dr. de J. eine Gehstrecke von allenfalls 100 Metern, maximal bis zu 200 Metern unter Zuhilfenahme eines Rollators. Ohne dieses Hilfsmittel seien dem Kläger zum Teil nur 50 bis 100 Meter möglich. Dr. K. gab zur Gehstrecke des Klägers an, dieser könne sich aufgrund der starken Schmerzen nur mit einem Rollator fortbewegen und müsse nach maximal 200 Metern eine Pause einlegen. Das SG erhob darüber hinaus das Gutachten der Ärztin für Orthopädie Dr. K. vom 2. Februar 2006. Diese sah den Kläger für fähig an, mit Hilfe des Rollators in 15 Minuten eine Strecke von 1000 Metern zu ebener Erde zurückzulegen und die Voraussetzungen für die Anerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" insgesamt nicht als erfüllt. Die Bewertung der Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und beider Hüftgelenke durch den Beklagten hielt sie für überhöht. Sie schätzte den GdB insoweit lediglich auf 30, dadurch den GdB von orthopädischer Seite auf 40 und den Gesamt-GdB auf 50. Im Hinblick auf ihre Empfehlung im Rahmen ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juni 2006 holte das SG das nervenärztliche Gutachten des Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, vom 18. August 2006 ein. Dieser sah die Gehfähigkeit des Klägers als in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt und führte hierzu aus, der Kläger könne seinen Aktionsradius nur durch Zuhilfenahme eines sogenannten Rollators mit Sitzmöglichkeit erhalten, da er durch die einschießenden Schmerzen und das angegebene Schwächegefühl gezwungen sei, sich nach unterschiedlich langen Gehstrecken auf der Sitzbank seines Rollators abzusetzen. In den dazwischen liegenden Fortbewegungsschritten sei das Gangbild ungestört und nicht watschelnd oder kleinschrittig, allerdings verlangsamt aufgrund der ständigen Ängste vor den unvorhersehbar und unregelmäßig einschießenden Schmerzen. Denkbar sei, dass der Kläger eine Gehstrecke von 300 bis 400 Meter in 15 Minuten zurücklegen könne, wenn es nicht zu einschießenden Schmerzen komme. Ebenso sei jedoch denkbar, dass er bereits nach 40 oder 50 Metern eine Pause auf dem Sitzbrett seines Rollators benötige, die unabhängig von der Schmerzintensität auch einige Minuten umfassen könne. Mit Urteil vom 16. April 2004 verurteilte das SG den Beklagten, die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ab 4. November 2004 festzustellen. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des dem Beklagten am 16. Mai 2007 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils verwiesen.

Dagegen hat der Beklagte am 4. Juni 2007 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, eine außergewöhnliche Gehbehinderung sei beim Kläger nicht nachgewiesen. Das SG stütze sich im Wesentlichen auf die subjektiven Angaben des Klägers, der seine Gehstrecke durch jederzeit stark einschießende Schmerzen limitiert sehe, die ihn bereits nach wenigen Metern zu einer längeren Pause zwingen könnten. Demgegenüber räume das SG allerdings ein, dass im Einzelfall durchaus auch längere Gehstrecken möglich seien. Da es keine wissenschaftliche Methode gebe, Schmerzen objektiv zu messen, könne vom Nachweis der außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht ausgegangen werden. Zudem bedingten die Funktionsbeeinträchtigungen beim Kläger lediglich einen Gesamt-GdB von 60, während sämtliche unter Nr. 31 Abs. 3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) beispielhaft aufgeführten Gesundheitsstörungen einen GdB von 80 oder mehr voraussetzten, um eine Gleichstellung mit dem dort ausdrücklich aufgeführten Personenkreis vornehmen zu können. Er legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. W. vom 22. Mai 2007 vor.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. April 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig und bezieht sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R). Dort habe das BSG das Vorliegen einer in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkten Gehfähigkeit bei einem Kläger bejaht, der sich nur noch mit Gehstock und orthopädischem Schuh habe fortbewegen können. Da er selbst dauernd auf einen Rollator angewiesen sei, gingen seine eigenen Einschränkungen noch darüber hinaus. Diese seien vergleichbar mit der Notwendigkeit eines Rollstuhls, da er sich nur unter schwersten Bedingungen bergauf bewegen könne, erhebliche Schwierigkeiten bei Glatteis und beim Treppensteigen habe und beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrmitteln absolut auf fremde Hilfe angewiesen sei. Bestätigt werde seine Auffassung auch durch den Sachverständigen Dr. S., der dargelegt habe, dass er sich aufgrund der unbestritten vorliegenden Schmerzen und der damit einhergehenden ständigen Ängste vor diesen Schmerzen, die Realängste seien, nur mit großer körperlicher Anstrengung fortbewegen könne.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist statthaft und zulässig; sie ist auch begründet.

Das SG hätte den Beklagten unter sinngemäßer Abänderung des Bescheids vom 24. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2005 nicht verurteilen dürfen, beim Kläger das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen. Denn die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens "aG" nicht.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist. Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen, beispielsweise vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von drei Stunden. Darüber hinaus führt sie u.a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz).

Nach Abschnitt II Nr. 1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.

Da der Kläger nicht zum Kreis der konkret aufgeführten Schwerbehinderten gehört, stellt sich die Frage, ob er der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten zugerechnet werden kann. Gleichzustellen ist ein Betroffener dann, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Im Hinblick auf die begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (vgl. BSGE 82, 37, 38 ff. = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23).

Für die Frage der Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2002 (BSGE 90, 180ff. = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in der genannten VwV-StVO im Einzelnen aufgeführten Vergleichsgruppen. Soweit die großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe, wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke, abgestellt werden. Denn unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv festzustellen, ist der Umstand, dass der Schwerbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Irgendwelche Erschöpfungszustände reichen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" jedoch nicht aus. Diese müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der oben näher dargelegten Gruppen erleiden. Gradmesser dafür kann die Intensität der Schmerzen oder beispielsweise die Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Ein nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9 a SB 5/05 R).

Auf der Grundlage dieser Kriterien vermag der Senat nicht festzustellen, dass das Restgehvermögen des Klägers so weit herabgesunken ist, dass eine Gleichstellung mit den in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten gerechtfertigt ist.

Der Kläger ist in seiner Gehfähigkeit zum einen durch das im Vordergrund der Beeinträchtigungen stehende chronische Wirbelsäulensyndrom mit Muskelverspannungen und Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule (LWS) bei Fehlstatik der Wirbelsäule und deutlichen Verschleißerscheinungen im unteren LWS-Bereich bei Zustand nach mehrfachen Bandscheibenoperationen eingeschränkt sowie zum anderen durch Funktionsbehinderungen im linken Kniegelenk und beider Hüftgelenke. Hierin besteht im wesentlichen Einigkeit zwischen den vom SG mit einer Begutachtung beauftragten Sachverständigen Dr. K. und Dr. S ... Die beim Kläger als Folge des Diabetes mellitus wahrscheinlich vorliegende Polyneuropathie wirkt sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. demgegenüber nicht weiter nachteilig auf dessen Gehfähigkeit aus. Denn die im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung durch Dr. S. erhobenen neurologischen Befunde weisen erst auf eine beginnende leichte Polyneuropathie hin, ohne dass der Sachverständige bereits mit Sicherheit eine neurologische Diagnose hat stellen können.

Die Hüftgelenke des Klägers zeigen röntgenologisch erst einen geringen Verschleiß; auch die entsprechende Bewegungsfähigkeit war bei der Untersuchung durch die Sachverständige Dr. K. mit einer Beugefähigkeit von jeweils 100 Grad, einer Außendrehbarkeit von 20 Grad und einer Abspreizbarkeit von 30 Grad erst leicht eingeschränkt. Eine schwerwiegende Limitierung der Gehfähigkeit geht vom Zustand der Hüftgelenke damit nicht aus. Entsprechendes gilt auch für den Bereich des linken Kniegelenks, das beginnende bis mittelgradige Verschleißerscheinungen und eine leichte Einschränkung der Streck- und Beugefähigkeit (130/10/0) zeigt. Damit ist die Beurteilung der Frage, ob die Gehfähigkeit des Klägers in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die konkret aufgeführte Gruppe der Schwerbehinderten oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann, in erster Linie davon abhängig, wie schwerwiegend sich die von der unteren LWS ausgehenden Funktionsstörungen, namentlich die hiervon ausgehenden Schmerzzustände darstellen und wie diese sich auf das Gehvermögen des Klägers konkret auswirken.

Von Bedeutung ist insoweit zunächst, dass der Kläger zur Fortbewegung nicht die Hilfe dritter Personen benötigt. Denn unter Zuhilfenahme eines Rollators ist er - wie sämtliche mit seinen orthopädischen Leiden befassten Ärzte bestätig haben - in der Lage, sich eigenständig fortzubewegen. Ob der Kläger zumindest noch wenige Schritte frei gehen kann, wie dies der Sachverständige Dr. S. anlässlich seiner Untersuchung beobachtet hat, oder ob das freie Gehen entsprechend den Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. nicht mehr möglich ist, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Denn maßgeblich ist vorliegend das verbliebene Restgehvermögen unter Zuhilfenahme von Gehhilfen. Dieses Gehvermögen hat der Sachverständige Dr. S. dadurch eingeschränkt gesehen, dass beim Kläger aufgrund anhaltender Irritationen der Nervenwurzeln aufgrund von Narbengewebe als Folge dreier Operationen an den Bandscheiben der LWS neuropathische Reizerscheinungen und Schmerzen, besonders mit Ausstrahlung in das linke Bein, bestehen, wobei beim Kläger zusätzlich regelhaft Ängste auftreten, dass es bei der Fortbewegung erneut zu einschießenden Schmerzen kommt, wodurch er Kraft und Halt verlieren und stürzen könnte. Die motorischen Abläufe des Gehens hat der Sachverständige Dr. S. nicht als beeinträchtigt bezeichnet, da Lähmungen nicht feststellbar sind und eine normale Schrittsetzung und Schrittabfolge möglich ist. Infolgedessen hat er das Gangbild beim Kläger nachvollziehbarer Weise auch grundsätzlich als ungestört und nicht watschelnd oder kleinschrittig, sondern lediglich als durch die bestehenden Ängste verlangsamt beschrieben. Dass der Kläger wegen dieser verlangsamten Fortbewegung für eine bestimmte Wegstrecke im Vergleich zu einem Gesunden eine deutlich längere Zeit benötigt, rechtfertigt für sich betrachtet die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht. Denn immerhin ist es durchaus denkbar, dass der Kläger, wie der Sachverständige weiter ausgeführt hat, in dieser Form beim Ausbleiben von einschießenden Schmerzen auch noch Wegstrecken von 300 bis 400 Meter in einem Zeitraum von 15 Minuten zurücklegen kann, was eher gegen die Annahme einer Einschränkung der Gehfähigkeit in einem ungewöhnlich hohen Ausmaß spricht. Auch die weiteren Darlegungen des Sachverständigen, wonach es ebenso denkbar sei, dass der Kläger bereits nach 40 oder 50 Metern eine Pause auf dem Sitzbrett seines Rollators benötige, spricht gegen das Vorliegen des notwendigen ungewöhnlich hohen Ausmaßes der Einschränkung des Gehvermögens, an die nach der Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen zu stellen sind. Ungeachtet dessen vermag der Senat die Voraussetzungen für eine Gleichstellung des Klägers mit den in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO besonders aufgeführten Schwerbehinderten jedoch deshalb nicht zu bejahen, weil die Bedingungen, unter denen der Kläger sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs noch fortbewegen kann, nicht denen entsprechen, wie sie bei dem Personenkreis der Vergleichsgruppe zugrunde zu legen sind. Hierzu hat das BSG in seiner Entscheidung vom 29. März 2007 (a.a.O.) ausgeführt, dass sich Behinderte für den Nachteilsausgleich "aG" dann qualifizieren, wenn sie sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeugs an nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Dass dies beim Kläger der Fall ist, ist jedoch weder den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. zu entnehmen, noch den Darlegungen der Dr. K ... Vielmehr entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten des Dr. S., auf das sich auch der Kläger selbst gestützt hat, dass insbesondere die plötzlich einschießenden Schmerzen seine Gehstrecke limitieren und ein alsbaldiges Absitzen auf dem Sitzbrett des Rollators erforderlich machen, er jedoch durchaus auch mehr als nur ganz geringfügige Wegstrecken unter Zuhilfenahme des Rollators - wenn auch langsam - zurücklegen kann, ohne dass damit bereits von Beginn an Schmerzzustände in einer Ausprägung vorhanden wären, dass er selbst die ersten Schritte nach Verlassen des Kraftfahrzeugs nur unter großer Anstrengung bewältigen könnte. Vor diesem Hintergrund kann der Kläger auch aus der Entscheidung des BSG am 10. Dezember 2002 (a.a.O.) keine für sich günstigere Beurteilung herleiten.

Da das angefochtene Urteil danach keinen Bestand haben konnte, war dieses aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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