L 8 R 3226/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2919/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 3226/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28. Juli 2005 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2001 verurteilt, der Klägerin ab 1. April 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat.

Die 1951 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Die Klägerin absolvierte keine Berufsausbildung. Ein Anlernverhältnis bestand nicht. Sie zog im März 1970 in das Bundesgebiet. In der Zeit von 1971 bis 1997 war sie als Arbeiterin (Löterin) tätig. Bis zum 31.12.1983 hatte die Klägerin mehr als fünf Jahre mit Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt; vom 01.01.1984 bis zum 25.07.2000 ist jeder Kalendermonat mit Pflichtbeiträgen belegt. In der Zeit vom 26.07.2000 bis 14.2.2001 hielt sich die Klägerin in der Türkei auf.

Am 15.03.2001 beantragte die Klägerin Rente wegen Berufs-/Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lies die Klägerin durch ihren Ärztlichen Dienst begutachten. Die Gutachterin Dr. E. gelangte in ihrem Gutachten vom 09.04.2001 zu der Bewertung, leichte körperliche Arbeiten ohne Schichtwechsel würden vollschichtig für möglich gehalten. Eine stationäre medizinische Reha-Maßnahme werde empfohlen. Mit Bescheid vom 08.05.2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, da eine volle oder teilweise Erwerbsminderung sowie Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren sowie drei Jahre Pflichtbeiträge in den letzten fünf Jahren seien zum 14.03.2001 erfüllt.

Hiergegen legte die Klägerin am 17.05.2001 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 16.11.2001 zurückgewiesen wurde.

Am 03.12.2001 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage. Sie machte geltend, aufgrund einer Vielzahl von Erkrankungen sei sie nicht mehr in der Lage, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit auszuüben.

Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens bewilligte die Beklagte auf Antrag der Klägerin eine stationäre Reha-Maßnahme, die in der Zeit vom 14.08.2002 bis 25.09.2002 in der Klinik am S., B. N., durchgeführt wurde. Nach dem Reha-Entlassungsbericht vom 07.11.2002 wurde das Leistungsvermögen der Klägerin bei ihrer Entlassung für ihre letzte Tätigkeit sowie für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jeweils auf drei bis unter sechs Stunden (unter vier Stunden) eingeschätzt; die Klägerin könne aus psychiatrisch-internistischer Sicht einer gewinnbringenden Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Die Beklagte trug hierzu unter Vorlage von Stellungnahmen von Dr. Denk vor, diese Bewertung des Leistungsvermögens sei nur bedingt nachvollziehbar.

Das SG holte den Befundbericht des Dipl.-Psych. L. vom 23.04.2003 ein, der weitere Befundberichte vorlegte, und ließ die Klägerin durch den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M., H., begutachten. Der Sachverständige diagnostizierte in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 16.11.2003 nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin eine Somatisierungsstörung, eine histrionische Persönlichkeit, eine dissoziative Bewegungsstörung, eine gegenwärtig leichte rezidivierende depressive Episode sowie den Verdacht auf analgetikainduzierte Kopfschmerzen bei zugrunde liegender Migräne und Spannungskopfschmerz. Er gelangte zu der Leistungsbeurteilung, dass die Klägerin ohne Gefährdung ihrer Gesundheit weiterhin in der Lage sei, ihren zuletzt ausgeübten Beruf sowie eine körperlich leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Überkopfarbeiten, ohne Heben und Tragen von Lasten über 20 kg, ohne Arbeiten unter hohem Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeit) oder mit erhöhter Unfallgefahr (auf Leitern, Gerüsten, an ungenügend geschützten laufenden Maschinen) und ohne Schichtarbeit, jeweils für ca. acht Stunden täglich zu verrichten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit sei nicht feststellbar.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG holte das SG das neurologisch-psychiatrische Hauptgutachten des Dr. M., H., vom 08.03.2004, eingegangen beim SG am 04.11.2004, sowie das Zusatzgutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin und Anaesthesiologie Dr. F., B., vom 08.10.2004 ein.

Dr. F. diagnostizierte in seinem Gutachten nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin eine (chronische) Schmerzkrankheit bei einer psychischen Erkrankung und jahrelanger extremer Schmerzerfahrung (Chronifizierungsstadium III), eine andauernde Persönlichkeitsänderung mit deutlicher Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen / beruflichen / sozialen / familiären Funktionsfähigkeiten, eine rezidivierende depressive Störung, eine Angst- und Panikstörung, eine undifferenzierte Somatisierungsstörung mit wechselnden körperlichen Symptomen, eine somatoforme autonome Störung, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Kopfschmerzen vom Spannungstyp, ehemals Migräne ohne Aura, eine Refluxkrankheit mit Beteiligung der Nachbarorgane, einen Reizdarm, eine post-traumatische Belastungsstörung, eine medizinische Erkrankung, ein myofasziales Syndrom, eine gastro-oesophageale Refluxkrankheit, ein Hypermobilitätssyndrom, eine Schilddrüsenfunktionsstörung und eine Mundöffnungsstörung mit Myoarthropathie. Er gelangte zu der Leistungsbeurteilung, die Klägerin könne weder ihren zuletzt ausgeübten Beruf noch eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Gefährdung ihrer Gesundheit mehr als drei Stunden ausüben. Die Minderung der Leistungsfähigkeit liege auf Dauer seit 1997 vor. Ob die üblichen Wegstrecken noch zurückzulegen seien, habe nicht in Erfahrung gebracht werden können.

Dr. M. diagnostizierte in seinem Hauptgutachten vom "08.03.2004" nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin und unter Berücksichtigung des Zusatzgutachtens vom 15.10.2004 eine chronische Schmerzkrankheit bei einer psychischen Erkrankung und jahrelanger Schmerzerfahrung neben anderen Erkrankungen, ein Migräne-Syndrom, ein Cervico-Cephal- und Cervico-Brachial-Syndrom, ein Lumbal-Syndrom sowie eine chronifizierte Somatisierungsstörung. Er gelangte zu der Leistungsbeurteilung, die Klägerin sei in Übereinstimmung mit dem Zusatzgutachten in der Lage, ohne Gefährdung ihres Gesundheitszustandes in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf Tätigkeiten für unter drei Stunden täglich zu verrichten. Die Schmerzsymptome bestimmten bei der Klägerin das Krankheitsbild. Die gesamte Symptomatik führe hinsichtlich der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit zu einer erheblichen Minderbelastbarkeit sowie zu einer Minderung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben. Die Klägerin sei nicht in der Lage, einer geregelten Tätigkeit irgendwelcher Art nachzugehen. Die Beeinträchtigung des Leistungsvermögens bestehe seit 1997. Über die Prognose könne keine verbindliche Aussage gemacht werden. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit bestehe nicht.

Die Beklagte trat den Bewertungen von Dr. M. und Dr. F. unter Vorlage der Stellungnahme von Dr. Denk vom 25.01.2005 entgegen.

Mit Urteil vom 28.07.2005 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen M. aus, bei der breit verweisbaren Klägerin liege eine rentenberechtigende Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens nicht vor. Den abweichenden Beurteilungen der Klinik S. sowie der Gutachter Dr. F. und Dr. M. vermöge sich die Kammer nicht anzuschließen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 01.08.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.08.2005 Berufung eingelegt. Sie hat sich zur Begründung auf das Gutachten von Dr. M. berufen und ein zur Vorlage an das Landessozialgericht gefertigtes Gutachten des die Klägerin betreuenden Facharztes für Allgemeinmedizin S. vom 09.09.2005 vorgelegt. Der Facharzt gelangt in diesem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Klägerin keinerlei Arbeit von wirtschaftlichem Wert nachgehen könne und dass die Klägerin, entgegen der Ansicht des SG, nicht erwerbsfähig sei. Die Klägerin hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens außerdem unter Vorlage einer Bescheinigung des Facharztes S. vom 08.11.2006 auf eine seit November 2005 eingetretene deutliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes berufen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 28. Juli 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat Stellungnahmen der Dr. J. vom 10.10.2005 und der MUDr. H. vom 11.10.2006 vorgelegt.

Der Senat hat vom Klinikum am W. W. den Befundbericht vom 10.01.2006 sowie den Entlassungsbericht vom 07.01.2006 über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 30.11.2005 bis 21.12.2005 eingeholt, in denen die Diagnosen (schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Opiatabhängigkeit, anhaltende somatoforme Schmerzstörung) und der Behandlungsverlauf mitgeteilt wurden, sowie den Entlassungsbericht vom 22.09.2004 über eine weitere stationäre Behandlung der Klägerin vom 28.07.2004 bis 07.09.2004 beigezogen.

Der Senat hat außerdem das nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. B., H., vom 03.04.2007 eingeholt. Der Sachverständige diagnostizierte nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine schwere anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine jahrelange Opiatabhängigkeit und den Verdacht auf einen analgetikainduzierten Kopfschmerz. Er führte aus, festzustellende Simulations- und Aggravationstendenzen spielten bei der Klägerin im Vergleich zu den Symptomen einer sehr tiefgreifenden konversionsneurotischen Persönlichkeitsstörung eine nur untergeordnete Rolle. Die Klägerin könne diese Störungen bei aller zumutbaren Willensanstrengung aus eigener Kraft auf lange Sicht, wahrscheinlich auf Dauer, nicht überwinden. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen hätten einen absolut gravierenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin dahin, dass sie an keinerlei Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr beteiligt werden könne. Sie sei nicht mehr in der Lage dazu, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter drei Stunden täglich auszuüben. Die Klägerin erscheine derzeit auch nicht mehr in der Lage dazu, viermal täglich Fußwegstrecken von 500 Metern zurückzulegen. Die festgestellte Leistungseinschränkung bestehe mindestens seit dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung. Eine nachhaltige Besserung sei prognostisch nicht zu erwarten.

Die Beklagte ist dem Gutachten des Prof. Dr. B. unter Vorlage der Stellungnahme der MUDr. H. vom 10.07.2007, in der ausgeführt wurde, aufgrund der Verhaltensweise der Klägerin und der nicht eindeutigen Untersuchungsergebnisse sei keine sichere Einschätzung der Leistungsfähigkeit möglich, entgegen getreten. Der Senat hat hierzu die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. B. vom 15.10.2007 eingeholt, in der sich der Sachverständige mit den Einwendungen der Beklagten auseinandergesetzt und an seiner Leistungsbewertung festgehalten hat. Die Beklagte hat sich zu dieser Stellungnahme unter Vorlage der ergänzenden Stellungnahme der MUDr. H. vom 07.11.2007 geäußert. Auf ein Hinweisschreiben des Berichterstatters hat die Beklagte ergänzend mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei der Klägerin bei Eintritt des Versicherungsfalles am 27.03.2007 erfüllt seien.

Die Klägerin hat sich der Bewertung ihres Leistungsvermögens durch Prof. Dr. B. angeschlossen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten sowie der eingeholten Gutachten wird auf die Akten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist insgesamt zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 SGG) und in der Sache teilweise begründet. Der Klägerin steht bei Eintritt des Versicherungsfalles am 27.03.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bis zu Erreichen der Regelaltersrente zu. Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin jedoch nicht begründet.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I S. 554). Dies folgt aus § 300 Abs. 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung finden aus den vom SG genannten Gründen keine Anwendung. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung (ua) mit Beitragszeiten belegt ist (§ 241 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Beitragszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Freiwillige Beiträge können wirksam entrichtet werden, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (§ 197 Abs. 2 SGB VI). Diese Frist wird durch ein Verfahren über einen Rentenanspruch unterbrochen (§ 198 Satz 1 SGB VI).

Die Klägerin ist gesundheitlich auf nicht absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des von ihm im Berufungsverfahren von Amts wegen eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. B. vom 03.04.2007 und dessen zum Gutachten abgegebenen ergänzenden Stellungnahme vom 15.10.2007. Den von der Beklagten gegen dieses Gutachten erhobenen Einwendungen vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. B. muss bei der Klägerin (zwischenzeitlich) von einer schwerwiegenden konversionsneurotischen Erkrankung ausgegangen werden, durch die ihre Leistungsfähigkeit maßgeblich gemindert ist. Die Erkrankung äußert sich in (unbewussten) Symptombildungen. Am häufigsten von solchen hysterischen Symptomen sind - auch bei der Klägerin - Motorik und Sensorik betroffen. Sie machen sich durch Gangstörungen, Lähmungen, Gefühlsstörungen oder auch durch Anfälle bemerkbar. Dabei sind nach den bei der Untersuchung der Klägerin festgestellten Befunden die bestehenden Symptome im Sinne einer Koversionsneurose so gravierend, dass sie auch bei zumutbarer Willensanspannung nicht mehr aus eigener Kraft überwunden werden können. Prof. Dr. B. weist in seinem Gutachten darauf hin, dass er in seiner 30-jährigen Gutachtertätigkeit nur äußerst selten ein so gravierendes Maß einer histrionischen Ausgestaltung bei einem zu untersuchenden Menschen habe feststellen müssen. Zwar ließen sich bei der Untersuchung der Klägerin extreme demonstrative Tendenzen beobachten, die sich als Aggravation und Simulation interpretieren ließen. Sie waren nach den Ausführungen des Sachverständigen aber nach der Art und Weise der Darstellung durch die Klägerin vornehmlich Ausdruck der massiven hysterischen Ausgestaltung. Nach der überzeugenden Bewertung durch Prof. Dr. B. spielen diese demonstrativen Tendenzen im Vergleich zu den krankheitsbedingten hysterischen Symptomen der Klägerin eine nur untergeordnete Rolle.

Nach dem Gutachten von Prof. Dr. B. ist deshalb davon auszugehen, dass die histrionische Persönlichkeitsstörung der Klägerin alle anderen Symptome bei weitem überlagert und in erster Linie für die Leistungsminderung verantwortlich ist. Aufgrund der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist die Klägerin nicht in der Lage, diese bei zumutbarer Willensanpassung aus eigener Kraft zu überwinden. Der Senat ist davon überzeugt, dass es sich dabei um einen Dauerzustand handelt. Die Bewertung des Prof. Dr. B., dass die Klägerin nicht mehr in der Lage dazu ist, irgendwelche Verrichtungen des sogenannten allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten, sondern ihre Leistungsfähigkeit für solche Tätigkeiten auf unter drei Stunden abgesunken ist, ist für den Senat aufgrund der im Gutachten mitgeteilten Untersuchungsbefunde und den hieraus vom Gutachter gezogenen Folgerungen nachvollziehbar und plausibel. Dieser Bewertung schließt sich der Senat an.

Darauf, ob bei der Klägerin außerdem besondere Einschränkungen hinsichtlich der Wegefähig bestehen, wovon Prof. Dr. B. in seinem Gutachten zudem ausgeht, kommt es mithin nicht entscheidungserheblich an.

Den gegen das Gutachten des Prof. Dr. B. erhobenen Einwendungen der Beklagten vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar ist der Einwand der Beklagten, die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin sei aufgrund deren Verhaltensweisen und der nicht eindeutigen Untersuchungsergebnisse nicht sicher möglich, durchaus beachtlich. Auch ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur nicht ohne Weiteres die Annahme einer relevanten Leistungseinschränkung rechtfertigt. Schließlich war die Klägerin mit ihrer durch Anlage, Erziehung und Sozialisation bedingten Persönlichkeit durchaus in der Lage, jahrelang einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Prof. Dr. B. hat jedoch nicht nur eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur beschrieben, sondern eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. In seinem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme hat er überzeugend dargelegt, dass ein bei der Klägerin vorhandener sehr ausgeprägter sekundärer Krankheitsgewinn eine extreme krankheitswertige, von der Klägerin nicht überwindbare Bedeutung erlangt und bei der Klägerin psychopathologische Symptome in erster Linie im Sinne einer Konversionsneurose vorhanden waren. Er hat deutlich gemacht, dass diese Symptome der Klägerin selbst weitgehend unbewusst bleiben, dass die Klägerin im Sinne ihrer Persönlichkeitsstörung so schwerwiegend gestört ist, dass sie selbst ihre Symptome auf keinen Fall mehr überwinden kann und dass das unbewusste Erleben eines hochneurotischen Menschen oft zu seiner Unfähigkeit führt, sich zu einer solchen inneren Anspannung bereit zu finden bzw. finden zu können, um die Krankheitssymptome selbst so weitgehend zu beeinflussen und sie aus eigener Kraft zu überwinden. Unter diesen Umständen vermag der Senat den vorhandenen Aggravations- und Simulationstendenzen für die Leistungsbeurteilung der Klägerin im vorliegenden Fall keine zum Nachteil der Klägerin relevante Bedeutung beizumessen. Er hält vielmehr die Ansicht von Prof. Dr. B. für überzeugend, dass diese Tendenzen, verglichen mit den unbewussten Anteilen des seelischen Erlebens der Klägerin für die Leistungsbewertung eine nur untergeordnete Rolle spielen. Dies mag im Rahmen einer gutachtlichen Leistungsbeurteilung erfahrungsgemäß bei vielen zu Untersuchenden nicht der Fall sein, wie die Beklagte weiter eingewandt hat. Die von der Beklagten dabei bemängelte Trennung im Gutachten des Prof. Dr. B. zwischen bewusstseinsnahen und eventuellen bewusstseinsfernen, krankheitsbedingten Elementen der Klägerin wird jedoch der Tatsache nicht gerecht, dass die Klägerin aufgrund ihrer schweren histrionische Persönlichkeitsstörung zu einer bewussten Steuerung nicht (mehr) in der Lage ist, wie Prof. Dr. B. eingehend dargelegt hat. Diese von Prof. Dr. B. diagnostizierte Persönlichkeitsstörung, die die Leistungsfähigkeit der Klägerin maßgeblich limitiert, hält die Beklagte selbst für weitgehend nachvollziehbar. Insgesamt befindet sich die Klägerin nach den im Gutachten des Prof. Dr. B. dargestellten Untersuchungsbefunden in einem gesundheitlichen Zustand, der ihr auch zur Überzeugung des Senats die Verrichtung von Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von bis zu drei Stunden täglich nicht mehr erlaubt.

Der Senat vermag sich allerdings der Ansicht von Prof. Dr. B., die festgestellte Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin bestehe mindestens seit dem Zeitpunkt der Antragstellung zum laufenden Verfahren, nicht anzuschließen. Der Senat hält eine solche Einschränkung vielmehr erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. B. am 27.03.2007 für erwiesen.

Der Senat hält es nicht für erwiesen, dass die von Prof. Dr. B. festgestellte Leistungseinschränkung der Klägerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden hat. Insoweit hat der Sachverständige dem Umstand, dass eine neurotische Störung von Krankheitswert nicht plötzlich auftritt, sondern sich erst entwickelt, nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Senat ist deshalb davon überzeugt, dass zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung aus den im Urteil des SG aufgeführten Gründen, denen er sich anschließt, noch keine die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Krankheit vorgelegen hat bzw. das Vorliegen einer solchen Erkrankung nicht mit hinreichender Sicherheit als nachgewiesen betrachtet werden kann. So sind zB bei der Begutachtung durch den Sachverständigen M. Auffälligkeiten im Verhalten der Klägerin zu Tage getreten, die der Annahme entgegen stehen, dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt zu einer bewussten Steuerung nicht in der Lage gewesen ist. Dagegen spricht auch, dass die Klägerin bei der Untersuchung des Sachverständigen M. einen vergleichsweise gut entwickelten Antrieb gezeigt hat und in der Untersuchung auch gewusst hat, was sie will, wobei sie dem Sachverständigen den Eindruck einer deutlichen Beschwerdeakzentuierung im Rahmen des Rentenverfahrens vermittelt hat. Außerdem ist der Sachverständige M. in seinem Gutachten von einer zumindest in Teilen willentlichen Steuerung der Symptomatik durch die Klägerin ausgegangen. Auch Prof. Dr. B. räumt in seinem Gutachten die Möglichkeit ein, dass es der Klägerin zum Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung durch den Sachverständigen M. gesundheitlich noch besser gegangen war. Damit stimmen die Ausführungen der Klägerin überein, die im Berufungsverfahren eine seit November 2005 eingetretene deutliche Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht.

Eine rentenrechtlich relevante Minderung der Leistungsfähigkeit steht für den Senat auch nicht aufgrund des Gutachtens durch Dr. F. vom 08.10.2004 fest. Dem steht entgegen, dass sich diesem Gutachten nichts dazu entnehmen lässt, ob und inwieweit bei der Klägerin bei ihrer Untersuchung Verdeutlichungstendenzen vorgelegen haben, die für die Bewertung des Leistungsvermögens der Klägerin von Bedeutung hätten sein können, obwohl hierzu aufgrund des bei der Begutachtung durch den Sachverständigen M. von der Klägerin gezeigten Verhaltens Anlass bestanden hat. Entsprechendes gilt für das am 04.11.2004 dem SG vorgelegte Gutachten des Dr. M ... Seine vom sachverständigen M. abweichende Leistungsbewertung ist nach den von ihm erhobenen und im Gutachten wiedergegeben Untersuchungsbefunden für den Senat nicht überzeugend. So hat Dr. M. bei der Klägerin ein Migräne-Syndrom, ein Cervico-Cephal und -Brachial-Syndrom, ein Lubal-Syndrom sowie auf psychiatrischem Gebiet eine chronifizierte Somatisierungsstörung festgestellt, die die von ihm angenommene quantitative Leistungsminderung der Klägerin auf unter drei Stunden nicht plausibel machen. Er stützt seine Leistungsbewertung auch maßgeblich auf das Gutachten des Dr. F., das jedoch, wie ausgeführt, nicht geeignet ist, eine rentenrechtlich relevante Leistungsminderung der Klägerin nachzuweisen.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind bei der Klägerin zum 27.03.2007 erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Damit steht der Klägerin zur Überzeugung des Senats bei Eintritt des Versicherungsfalles am 27.03.2007 gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ab dem 01.04.2007 ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Der Anspruch besteht auf Dauer bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Dass bei der Klägerin prognostisch von einer Besserung ihres Gesundheitszustandes auszugehen ist, ist nach der Bewertung des Prof. Dr. B. bei der Klägerin nicht der Fall. Dieser Bewertung folgt der Senat. Dem entspricht auch die Auffassung der Vorgutachter, die von einer Chronifizierung der für die Leistungsminderung relevanten Gesundheitsstörung der Klägerin ausgegangen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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