Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 2091/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5398/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2005 abgeändert. Der Beigeladene wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen nach § 73 SGB XII für die Zeit vom 1. Juni 2005 bis 30. November 2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beigeladene hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligen ist die Zahlung höheren Arbeitslosengeldes II (Alg II) für die Zeit vom 01.06.2005 bis 30.11.2005 wegen der Kosten, die dem Kläger in Ausübung des Umgangsrechts mit seiner minderjährigen Tochter entstanden sind, streitig.
Der 1954 geborene, allein lebende, ledige Kläger ist Vater einer am 04.01.1999 geborenen Tochter, die bei ihrer Mutter lebt. Er bezog ab Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Auf seinen Weitergewährungsantrag bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.2005 für die Zeit vom 01.06. bis 30.11.2005 Alg II in Höhe von monatlich 345,00 EUR. Wie im Vormonat nahm die Beklagte eine Abzweigung an das Jugendamt des R.es vor.
Am 22.06.2005 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid ein mit dem Antrag, den Abzweigungsbetrag an ihn auszubezahlen sowie höhere Leistungen zu bewilligen. Zur Begründung trug er vor, seine Tochter befinde sich an mindestens zwei Wochenenden im Monat bei ihm. Die hierbei anfallenden Mehrausgaben könne er mit der gewährten Leistung von 345,00 EUR nicht bezahlen.
Die Beklagte zahlte daraufhin auch den abgezweigten Betrag an den Kläger aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2005 wies sie den Widerspruch zurück mit dem Begründung, der Kläger habe lediglich einen Anspruch in Höhe der Regelleistung von 345,00 EUR monatlich. Seine Tochter lebe nicht in seinem Haushalt, gehöre damit nicht zur Bedarfsgemeinschaft und habe deshalb keinen Anspruch auf Leistungen. Der irrtümlich einbehaltene Betrag sei an den Kläger ausgezahlt worden.
Hiergegen hat der Kläger am 22.07.2005 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat mit Urteil vom 09.11.2005 die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe die Kosten aus der Wahrung seines Umgangsrechts mit seiner Tochter aus der Regelleistung abzudecken. Ihm entstünde bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein monatlicher Mehraufwand von 25,00 EUR (Wochenendticket zwei Mal monatlich zu je 12,50 EUR). Dieser Aufwand betrage weniger als 8 % der Regelleistung und könne deshalb grundsätzlich aus der monatlichen Regelleistung abgedeckt werden. Die weiter geltend gemachten Aufwendungen wie Verpflegung der Tochter und Fahrten zu deren Ballettunterricht sowie sonstige gemeinsame Unternehmungen fielen nicht unter die Wahrnehmung des Umgangsrechts.
Gegen das am 18.11.2005 zugestellte Urteil, in dem die Berufung zugelassen worden ist, hat der Kläger am Montag, den 19.12.2005, Berufung eingelegt. Er trägt vor, durch die fehlende zusätzliche Unterstützung hinsichtlich des Umgangsrechts werde er extrem benachteiligt. Ihm entstünden neben den Fahrkosten auch Verpflegungskosten an den Wochenenden sowie erhöhte Mietkosten durch das Zimmer, das er für die Besuche seiner Tochter vorhalten müsse. Zudem sei er zur Gewährung eines monatlichen Unterhalts von 247,00 EUR verpflichtet.
Mit Beschluss vom 21.05.2007 ist der R. als örtlicher Träger der Sozialhilfe zum Verfahren beigeladen worden.
Der Aufforderung des Senats, die Anschrift seiner Tochter sowie deren gesetzlichen Vertreter mitzuteilen, ist der Kläger - auch nach Aufforderung im Erörterungstermin - nicht nachgekommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 09. November 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm monatlich weitere 40,00 EUR zu gewähren, hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, über die Gewährung von Leistungen nach § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, eine eventuell aus § 73 SGB XII resultierende Leistungspflicht könne nicht sie, sondern allenfalls den allein zuständigen Sozialhilfeträger treffen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er trägt vor, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme zwar bei einer atypischen Bedarfslage eine Leistungsgewährung nach § 73 SGB XII durch den Sozialhilfeträger in Betracht. Er habe im vorliegend streitigen Zeitraum jedoch keine Kenntnis von einem entsprechenden Bedarf des Klägers gehabt. Erstmals durch den Beiladungsbeschluss vom 21.05.2007 habe er von dem Verfahren Kenntnis erlangt. Aus der zu den Kosten der Unterkunft geführten SGB II-Akte ergebe sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Kläger einen zusätzlichen Bedarf zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter geltend mache. Die Leistungsgewährung für einen zurückliegenden Zeitraum vor Kenntnis im Sinne des § 18 SGB XII scheide aus.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist aufgrund der Zulassung im angefochtenen Urteil zulässig.
Gegenstand des Verfahrens sind allein Ansprüche des Klägers. Eine Vertretung seiner Tochter nach der Vermutungsregelung des § 38 Satz 1 SGB II liegt nicht vor. Soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, wird danach vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegen zu nehmen. Vorliegend spricht gegen diese Vermutungsregelung, dass der Kläger trotz Aufforderung nicht die Wohnanschrift seiner Tochter, die sich jeweils nur tageweise bei ihm und ansonsten bei ihrer Mutter aufhält, mitgeteilt hat. Nachdem der Kläger zudem die Klage auf die Gewährung von monatlich 40,00 EUR zur Wahrnehmung seines Umgangsrechtes mit seiner Tochter an ihn beschränkt hat, ist auch ein Anspruch der Tochter des Klägers auf Gewährung von Sozialgeld nicht Gegenstand des Verfahrens. Im Übrigen ist hierzu auszuführen, dass einem Anspruch der Tochter des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeiten der zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft entgegenstehen dürfte, dass deren Bedürftigkeit nicht festgestellt werden konnte. Voraussetzung für die Leistung ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II, dass durch die Leistungen Hilfebedürftigkeit beendet oder verringert wird. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Bei minderjährigen unverheirateten Kindern sind nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen. Der Kläger hat trotz Aufforderung durch das Gericht die Adresse seiner Tochter bzw. deren Mutter nicht mitgeteilt. Es konnte deshalb nicht aufgeklärt werden, inwieweit aufgrund anrechenbaren Vermögens und Einkommens der Mutter keine Hilfebedürftigkeit der Tochter besteht.
Der als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG geltend gemachte Hauptantrag ist nicht begründet. Das SGB II enthält keine Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Kosten des Umgangsrechts mit seiner Tochter. Eine Erhöhung der dem Kläger gewährten Regelleistung in § 20 SGB II ist nach dem Konzept des SGB II ausgeschlossen. Der Kläger macht auch keinen der in § 23 Abs. 3 grundsätzlich abschließend aufgeführten Sonderbedarfe geltend. Auch scheidet die Anwendung des § 23 Abs. 1 SGB II, wonach im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Gewährung eines Darlehens zu decken ist, bei wiederkehrenden Bedarfen aus (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 - Rn. 20).
Der als Verpflichtungsklage im Sinne einer Bescheidungsklage gegen die Beigeladene gerichtete Hilfsantrag ist zulässig und begründet. Insbesondere ist kein Vorverfahren durch die Beigeladene durchzuführen und kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG eine Verurteilung des nach § 75 Abs. 2 Var. 2 SGG beigeladenen Sozialhilfeträgers erfolgen.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beigeladenen, über sein Begehren gem. § 73 SGB XII nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.
Zwar schließt der Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII aus. Nach § 3 Abs. 3 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende decken die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist ausgeschlossen. Hierzu hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drucks. 16/1696 S. 26 zu Nr. 2), die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts würden mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft und der Heizung grundsätzlich in pauschalierter Form erbracht. Sie deckten den allgemeinen Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, abschließend.
Vorliegend ist jedoch der besondere Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 2 GG zu beachten. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dass die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern habe, auch die Verwaltungsbehörden zu einer angemessenen Entscheidung verpflichte. Mit dem Schutzgedanken des Art. 6 Abs. 2 GG wäre es nicht vereinbar, wenn insbesondere in den Fällen, in denen der Umgang aufgrund der unterschiedlichen Wohnorte der Eltern für den nichtsorgeberechtigten Elternteil nur unter einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand ausgeübt werden könne, unzumutbar erschwert würde. Dies würde zu einer faktischen Vereitelung des Umgangsrechts führen (BVerfG, Beschluss vom 05.02.2002 - 1 BvR 2029/00 - NJW 2002, 1863; Beschluss vom 30.01.2002 - 2 BvR 231/00). Deshalb ist beim Vorliegen einer atypischen Bedarfslage, welche eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt, die Anwendung des § 73 SGB XII gerechtfertigt (BSG a.a.O. Rn. 22).
Beim Kläger liegt eine atypische Bedarfslage vor, welche die Anwendung des § 73 SGB XI rechtfertigt. Diese ist in der besonderen Schwierigkeit der Aufrechterhaltung des Umgangs des Kindes mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil bei unterschiedlichen, voneinander entfernt liegenden Wohnorten zu sehen (BSG, a.a.O., Rn. 22). Im streitigen Zeitraum war es der am 04.01.1999 geborenen Tochter des Klägers auch noch nicht zumutbar, den Weg zu ihrem Vater alleine zurückzulegen, so dass die Kosten des Umgangsrechts bei ihr entstanden wären (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2007 - L 20 B 24/07 SO ER).
Einem Anspruch des Klägers für den streitigen Zeitraum steht nicht entgegen, dass nur aktuelle Bedarfe zu decken sind und keine Hilfe für die Vergangenheit zu gewähren ist, eine Leistungsverpflichtung der Beigeladenen deshalb nach § 18 Abs. 1 SGB XII, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, erst einsetzt, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Dem Beigeladenen ist nämlich die Kenntnis der Beklagten gem. § 18 Abs. 2 SGB XII zuzurechnen. Wird danach einem nicht zuständigen Träger der Sozialhilfe oder einer nicht zuständigen Gemeinde im Einzelfall bekannt, dass Sozialhilfe beansprucht wird, so sind die darüber bekannten Umstände dem zuständigen Träger der Sozialhilfe oder der von ihm beauftragten Stelle unverzüglich mitzuteilen und vorhandene Unterlagen zu übersenden. Ergeben sich daraus die Voraussetzungen für die Leistung, setzt die Sozialhilfe zu dem nach Satz 1 maßgebenden Zeitpunkt ein. Daneben ist § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) anwendbar, wonach Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten sind. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist. Grundsätzlich gehen danach Irrtümer über den zuständigen Leistungsträger nicht zu Lasten des Hilfesuchenden.
Für eine Kenntnis der Beigeladenen vom Bedarf des Klägers bereits im Zeitpunkt dessen Entstehens spricht zudem der Umstand, dass dessen Jugendamt am 15.04.2004 eine Unterhaltsverpflichtungserklärung des Klägers aufgenommen und aus dieser eine Abzweigung gem. § 48 SGB I vorgenommen hat. Dementsprechend ist eine Abzweigung aufgrund des dem Kläger gewährten Zuschlags bis zum 31.05.2005 erfolgt. Aufgrund des von der Beigeladenen eingelegten Widerspruchs hat ihr die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 28.06.2005 mitgeteilt, der Kläger erhalte ab Juni 2005 den befristeten Zuschlag nicht mehr, eine Abzweigung sei daher nicht mehr möglich. Danach war der Beigeladenen bekannt, dass der Kläger nicht am selben Wohnort wie seine Tochter gewohnt hat.
Im Rahmen der von der Beigeladenen zu treffenden Ermessensentscheidung sind grundsätzlich nur die Kosten für die jeweils preisgünstigste zumutbare Fahrgelegenheit zugrunde zu legen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2006 - L 7 AS 4806/06 ER-B).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beigeladene hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligen ist die Zahlung höheren Arbeitslosengeldes II (Alg II) für die Zeit vom 01.06.2005 bis 30.11.2005 wegen der Kosten, die dem Kläger in Ausübung des Umgangsrechts mit seiner minderjährigen Tochter entstanden sind, streitig.
Der 1954 geborene, allein lebende, ledige Kläger ist Vater einer am 04.01.1999 geborenen Tochter, die bei ihrer Mutter lebt. Er bezog ab Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II. Auf seinen Weitergewährungsantrag bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.2005 für die Zeit vom 01.06. bis 30.11.2005 Alg II in Höhe von monatlich 345,00 EUR. Wie im Vormonat nahm die Beklagte eine Abzweigung an das Jugendamt des R.es vor.
Am 22.06.2005 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid ein mit dem Antrag, den Abzweigungsbetrag an ihn auszubezahlen sowie höhere Leistungen zu bewilligen. Zur Begründung trug er vor, seine Tochter befinde sich an mindestens zwei Wochenenden im Monat bei ihm. Die hierbei anfallenden Mehrausgaben könne er mit der gewährten Leistung von 345,00 EUR nicht bezahlen.
Die Beklagte zahlte daraufhin auch den abgezweigten Betrag an den Kläger aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.06.2005 wies sie den Widerspruch zurück mit dem Begründung, der Kläger habe lediglich einen Anspruch in Höhe der Regelleistung von 345,00 EUR monatlich. Seine Tochter lebe nicht in seinem Haushalt, gehöre damit nicht zur Bedarfsgemeinschaft und habe deshalb keinen Anspruch auf Leistungen. Der irrtümlich einbehaltene Betrag sei an den Kläger ausgezahlt worden.
Hiergegen hat der Kläger am 22.07.2005 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat mit Urteil vom 09.11.2005 die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe die Kosten aus der Wahrung seines Umgangsrechts mit seiner Tochter aus der Regelleistung abzudecken. Ihm entstünde bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ein monatlicher Mehraufwand von 25,00 EUR (Wochenendticket zwei Mal monatlich zu je 12,50 EUR). Dieser Aufwand betrage weniger als 8 % der Regelleistung und könne deshalb grundsätzlich aus der monatlichen Regelleistung abgedeckt werden. Die weiter geltend gemachten Aufwendungen wie Verpflegung der Tochter und Fahrten zu deren Ballettunterricht sowie sonstige gemeinsame Unternehmungen fielen nicht unter die Wahrnehmung des Umgangsrechts.
Gegen das am 18.11.2005 zugestellte Urteil, in dem die Berufung zugelassen worden ist, hat der Kläger am Montag, den 19.12.2005, Berufung eingelegt. Er trägt vor, durch die fehlende zusätzliche Unterstützung hinsichtlich des Umgangsrechts werde er extrem benachteiligt. Ihm entstünden neben den Fahrkosten auch Verpflegungskosten an den Wochenenden sowie erhöhte Mietkosten durch das Zimmer, das er für die Besuche seiner Tochter vorhalten müsse. Zudem sei er zur Gewährung eines monatlichen Unterhalts von 247,00 EUR verpflichtet.
Mit Beschluss vom 21.05.2007 ist der R. als örtlicher Träger der Sozialhilfe zum Verfahren beigeladen worden.
Der Aufforderung des Senats, die Anschrift seiner Tochter sowie deren gesetzlichen Vertreter mitzuteilen, ist der Kläger - auch nach Aufforderung im Erörterungstermin - nicht nachgekommen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 09. November 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm monatlich weitere 40,00 EUR zu gewähren, hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, über die Gewährung von Leistungen nach § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, eine eventuell aus § 73 SGB XII resultierende Leistungspflicht könne nicht sie, sondern allenfalls den allein zuständigen Sozialhilfeträger treffen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er trägt vor, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme zwar bei einer atypischen Bedarfslage eine Leistungsgewährung nach § 73 SGB XII durch den Sozialhilfeträger in Betracht. Er habe im vorliegend streitigen Zeitraum jedoch keine Kenntnis von einem entsprechenden Bedarf des Klägers gehabt. Erstmals durch den Beiladungsbeschluss vom 21.05.2007 habe er von dem Verfahren Kenntnis erlangt. Aus der zu den Kosten der Unterkunft geführten SGB II-Akte ergebe sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Kläger einen zusätzlichen Bedarf zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter geltend mache. Die Leistungsgewährung für einen zurückliegenden Zeitraum vor Kenntnis im Sinne des § 18 SGB XII scheide aus.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist aufgrund der Zulassung im angefochtenen Urteil zulässig.
Gegenstand des Verfahrens sind allein Ansprüche des Klägers. Eine Vertretung seiner Tochter nach der Vermutungsregelung des § 38 Satz 1 SGB II liegt nicht vor. Soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, wird danach vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegen zu nehmen. Vorliegend spricht gegen diese Vermutungsregelung, dass der Kläger trotz Aufforderung nicht die Wohnanschrift seiner Tochter, die sich jeweils nur tageweise bei ihm und ansonsten bei ihrer Mutter aufhält, mitgeteilt hat. Nachdem der Kläger zudem die Klage auf die Gewährung von monatlich 40,00 EUR zur Wahrnehmung seines Umgangsrechtes mit seiner Tochter an ihn beschränkt hat, ist auch ein Anspruch der Tochter des Klägers auf Gewährung von Sozialgeld nicht Gegenstand des Verfahrens. Im Übrigen ist hierzu auszuführen, dass einem Anspruch der Tochter des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeiten der zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft entgegenstehen dürfte, dass deren Bedürftigkeit nicht festgestellt werden konnte. Voraussetzung für die Leistung ist nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II, dass durch die Leistungen Hilfebedürftigkeit beendet oder verringert wird. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Bei minderjährigen unverheirateten Kindern sind nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen. Der Kläger hat trotz Aufforderung durch das Gericht die Adresse seiner Tochter bzw. deren Mutter nicht mitgeteilt. Es konnte deshalb nicht aufgeklärt werden, inwieweit aufgrund anrechenbaren Vermögens und Einkommens der Mutter keine Hilfebedürftigkeit der Tochter besteht.
Der als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG geltend gemachte Hauptantrag ist nicht begründet. Das SGB II enthält keine Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Kosten des Umgangsrechts mit seiner Tochter. Eine Erhöhung der dem Kläger gewährten Regelleistung in § 20 SGB II ist nach dem Konzept des SGB II ausgeschlossen. Der Kläger macht auch keinen der in § 23 Abs. 3 grundsätzlich abschließend aufgeführten Sonderbedarfe geltend. Auch scheidet die Anwendung des § 23 Abs. 1 SGB II, wonach im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Gewährung eines Darlehens zu decken ist, bei wiederkehrenden Bedarfen aus (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 1 - Rn. 20).
Der als Verpflichtungsklage im Sinne einer Bescheidungsklage gegen die Beigeladene gerichtete Hilfsantrag ist zulässig und begründet. Insbesondere ist kein Vorverfahren durch die Beigeladene durchzuführen und kann gemäß § 75 Abs. 5 SGG eine Verurteilung des nach § 75 Abs. 2 Var. 2 SGG beigeladenen Sozialhilfeträgers erfolgen.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beigeladenen, über sein Begehren gem. § 73 SGB XII nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden.
Zwar schließt der Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII aus. Nach § 3 Abs. 3 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende decken die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist ausgeschlossen. Hierzu hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drucks. 16/1696 S. 26 zu Nr. 2), die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts würden mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft und der Heizung grundsätzlich in pauschalierter Form erbracht. Sie deckten den allgemeinen Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, abschließend.
Vorliegend ist jedoch der besondere Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 2 GG zu beachten. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dass die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern habe, auch die Verwaltungsbehörden zu einer angemessenen Entscheidung verpflichte. Mit dem Schutzgedanken des Art. 6 Abs. 2 GG wäre es nicht vereinbar, wenn insbesondere in den Fällen, in denen der Umgang aufgrund der unterschiedlichen Wohnorte der Eltern für den nichtsorgeberechtigten Elternteil nur unter einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand ausgeübt werden könne, unzumutbar erschwert würde. Dies würde zu einer faktischen Vereitelung des Umgangsrechts führen (BVerfG, Beschluss vom 05.02.2002 - 1 BvR 2029/00 - NJW 2002, 1863; Beschluss vom 30.01.2002 - 2 BvR 231/00). Deshalb ist beim Vorliegen einer atypischen Bedarfslage, welche eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt, die Anwendung des § 73 SGB XII gerechtfertigt (BSG a.a.O. Rn. 22).
Beim Kläger liegt eine atypische Bedarfslage vor, welche die Anwendung des § 73 SGB XI rechtfertigt. Diese ist in der besonderen Schwierigkeit der Aufrechterhaltung des Umgangs des Kindes mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil bei unterschiedlichen, voneinander entfernt liegenden Wohnorten zu sehen (BSG, a.a.O., Rn. 22). Im streitigen Zeitraum war es der am 04.01.1999 geborenen Tochter des Klägers auch noch nicht zumutbar, den Weg zu ihrem Vater alleine zurückzulegen, so dass die Kosten des Umgangsrechts bei ihr entstanden wären (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2007 - L 20 B 24/07 SO ER).
Einem Anspruch des Klägers für den streitigen Zeitraum steht nicht entgegen, dass nur aktuelle Bedarfe zu decken sind und keine Hilfe für die Vergangenheit zu gewähren ist, eine Leistungsverpflichtung der Beigeladenen deshalb nach § 18 Abs. 1 SGB XII, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, erst einsetzt, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Dem Beigeladenen ist nämlich die Kenntnis der Beklagten gem. § 18 Abs. 2 SGB XII zuzurechnen. Wird danach einem nicht zuständigen Träger der Sozialhilfe oder einer nicht zuständigen Gemeinde im Einzelfall bekannt, dass Sozialhilfe beansprucht wird, so sind die darüber bekannten Umstände dem zuständigen Träger der Sozialhilfe oder der von ihm beauftragten Stelle unverzüglich mitzuteilen und vorhandene Unterlagen zu übersenden. Ergeben sich daraus die Voraussetzungen für die Leistung, setzt die Sozialhilfe zu dem nach Satz 1 maßgebenden Zeitpunkt ein. Daneben ist § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) anwendbar, wonach Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten sind. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist. Grundsätzlich gehen danach Irrtümer über den zuständigen Leistungsträger nicht zu Lasten des Hilfesuchenden.
Für eine Kenntnis der Beigeladenen vom Bedarf des Klägers bereits im Zeitpunkt dessen Entstehens spricht zudem der Umstand, dass dessen Jugendamt am 15.04.2004 eine Unterhaltsverpflichtungserklärung des Klägers aufgenommen und aus dieser eine Abzweigung gem. § 48 SGB I vorgenommen hat. Dementsprechend ist eine Abzweigung aufgrund des dem Kläger gewährten Zuschlags bis zum 31.05.2005 erfolgt. Aufgrund des von der Beigeladenen eingelegten Widerspruchs hat ihr die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 28.06.2005 mitgeteilt, der Kläger erhalte ab Juni 2005 den befristeten Zuschlag nicht mehr, eine Abzweigung sei daher nicht mehr möglich. Danach war der Beigeladenen bekannt, dass der Kläger nicht am selben Wohnort wie seine Tochter gewohnt hat.
Im Rahmen der von der Beigeladenen zu treffenden Ermessensentscheidung sind grundsätzlich nur die Kosten für die jeweils preisgünstigste zumutbare Fahrgelegenheit zugrunde zu legen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2006 - L 7 AS 4806/06 ER-B).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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