L 2 R 6517/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1335/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 6517/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. November 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der Überprüfung des Rentenbescheids die Berücksichtigung der in R. zurückgelegten Zeit vom 01.01.1966 bis 01.04.1969 als nachgewiesene anstatt als glaubhaft gemachte Beitragszeit streitig.

Der am 08.07.1940 in B., Kreis T./R. geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, ist 1973 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt und ist Inhaber des Vertriebenenausweises A (Bl. 5 VA). Am 16.12.2003 beantragte er Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres ab 01.03.2004. In Bezug auf die streitige Zeit legte er die beglaubigte Übersetzung der Bestätigung Nr. 725 (A.) der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft B. vom 04.05.1973 vor (Bl. 8 VA), worin bestätigt wird, dass der Kläger als Mitglied der Genossenschaft in der Zeit vom 05.06.1954 bis 01.04.1969 Wagnerarbeiten verrichtet hat. Die Beklagte bewilligte die Rente wie beantragt in Höhe von 1.038,38 EUR monatlich (Bescheid vom 05.04.2004). Der streitige Zeitraum wurde als Beitragszeit in der Rentenversicherung der Arbeiter, Qualifikationsgruppe 4, Bereich 22 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) als lediglich glaubhaft gemachte und nicht als nachgewiesene Zeit zu 5/6 angerechnet (Anlage 10, Bl. 45 VA). Dagegen legte der Kläger mit Blick auf den Vorlagebeschluss des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG Beschluss vom 16.12.1999 – B 4 RA 11/99 R) Widerspruch ein (vgl. Widerspruchsakte). Seitdem ruht das Vorverfahren mit dem Einverständnis des Klägers im Hinblick auf die Bewertung der ersten Berufsjahre und der Multiplikation der Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 gem. § 22 Abs. 4 FRG.

Mit Schreiben vom 12.12.2005 beantragte der Kläger "außerhalb des ruhenden Widerspruchsverfahrens" eine Überprüfung der bisherigen Rentenbescheide im Rahmen des § 44 SGB X und begehrte unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 08.09.2005 (Az. B 13 RJ 44/04 R) wegen der Mitgliedschaft in der Genossenschaft die Zeit vom 01.01.1966 bis 01.04.1969 als nachgewiesene Beitragszeit zu 6/6 zu berücksichtigen. Die Beklagte lehnte die Neufeststellung der Altersrente mit Bescheid vom 16.02.2006 (Bl. 80 VA) mit der Begründung ab, dass das Urteil des BSG, wonach allein die Mitgliedschaft in einer rumänischen LPG zwischen 1966 und 1977 - unabhängig von einer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung - grundsätzlich zu einer ungekürzten Anrechnung einer Pflichtbeitragszeit nach § 15 Fremdrentengesetz (FRG) führe, nicht über den Einzelfall hinaus angewandt werde. Das Gleichstellungserfordernis mit einer Tätigkeit im Inland bei einer durch die Arbeitsleistung geprägten Beitragsentrichtung verbiete diese Sichtweise. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.03.2006, Widerspruchsakte Bl. 4).

Dagegen hat der Kläger am 24.03.2006 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, mit der er sein Begehren auf Berücksichtigung der streitigen Zeit zu 6/6 unter Hinweis auf die Rechtsprechung weiterverfolgt hat. Ergänzend hat er auf das Urteil des BSG vom 09.11.1982 verwiesen, wonach ein Ausschlussgrund für die ungekürzte Anrechnung von Fremdrentenzeiten nur dann gegeben sein sollte, wenn es für die Beitragszeiten nach dem fremdländischen Recht an einem irgendwie gearteten Beitragsaufkommen fehle und ihre Anrechnung der Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten nach innerstaatlichem Recht entspreche oder ihr zumindest nahe komme. Diese Voraussetzungen seien für die Rechtslage in Rumänien zwischen 1966 und 1977 nicht gegeben, weil es bei Kollektivmitgliedern für den Erwerb von Beitragszeiten iS von § 15 FRG ausschließlich auf das bestehende Mitgliedschaftsverhältnis angekommen sei. Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten und hat auch bei einer Mitgliedschaft in einer rumänischen LPG die Feststellung im Einzelfall für erforderlich gehalten, ob an einzelnen Tagen des Jahres eventuell nicht gearbeitet wurde. Sie hat dies aus Anlage 14 zum SGB VI bzw. Anlagen zum Fremdrentengesetz und §§ 26 (Abstellen auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit) und 22 FRG (Vollbeweis) hergeleitet und sieht den Eingliederungsgedanken des FRG durch die Rechtsprechung des BSG verletzt, die sie zur Überprüfung stellen möchte.

Das SG hat mit Urteil vom 10.11.2006 den Bescheid der Beklagten vom 16.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2006 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 05.04.2004 die in R. zurückgelegte Beitragszeit vom 01.01.1966 bis 01.04.1969 als nachgewiesene Zeit anzuerkennen. Es hat sich im Wesentlichen dem Urteil des BSG vom 08.09.2005 (a.a.O.) angeschlossen, die Mitgliedschaft in der LPG durch die Vorlage der Bestätigung Nr. 725 und damit auch die durchgängige Abführung von Beiträgen zum dortigen System der gesetzlichen Rentenversicherung als nachgewiesen angesehen. Durch die Änderung des FRG ab 01.01.2002 - Streichung des § 19 Abs. 2 FRG und Übergang der darin enthaltenen 5/6 Kürzungsregelung auf § 22 Abs. 3 FRG - habe sich nichts Wesentliches geändert.

Gegen das der Beklagten am 14.12.2006 zugestellte Urteil hat sie am 30.12.2006 Berufung eingelegt. Sie hält das Urteil des BSG vom 08.09.2005 (a.a.O.) für den vorliegenden Rechtsstreit nicht für einschlägig, weil der dort vorausgesetzte Nachweis der Beitragsabführung in der vom Kläger vorgelegten A. Nr. 725 nicht bestätigt werde, sondern nur die Mitgliedschaft in der LPG. Eine ununterbrochene Beitragsleistung sei auch aufgrund der Angaben des Klägers im Rechtsstreit vor dem LSG Baden-Württemberg (L 2 J 141/88, vgl. Anlage zu Bl. 28 LSG), wonach er in den Sommermonaten in nicht unerheblichem Umfang im Privatbereich tätig geworden sei, nicht nachvollziehbar. Selbst wenn im vorliegenden Fall der Nachweis der Beitragsabführung an die Rentenkasse erbracht sein sollte, hält sie jedoch an ihrer Kritik der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 08.09.2005, die zu einer ungerechtfertigten Besserstellung gegenüber anderen - inländischen wie ausländischen - Versicherten führe, im Wesentlichen mit den bekannten Argumenten fest. Hierzu stützt sie sich auch auf Gleichbehandlungsgesichtspunkte in Bezug auf die sonstigen Arbeitnehmer dieser Herkunftsländer, für die nur die lückenlos nachgewiesene Ausübung der Beschäftigung die Kürzung nach § 22 Abs. 3 FRG auf 5/6 vermeide. Gestützt werde diese Auffassung auch durch die Rechtsprechung des BSG zu Kolchosmitgliedern der ehemaligen UDSSR (Urteil vom 30.10.1997 - R 13 RJ 19/97), wo für die Abgrenzung zwischen glaubhaft gemachten und nachgewiesenen Zeiten an individuell zurückgelegte Arbeitstage angeknüpft werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. November 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und das Urteil des BSG vom 08.09.2005 für den vorliegenden Fall für einschlägig, weil es aufgrund der sich aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtung zur Beitragsabführung auf den Nachweis der Beitragsabführung im Einzelnen nicht ankomme.

Der Senat hat mit Beschluss des Vorsitzenden vom 20.12.2007 die Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil abgelehnt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem Vorbringen der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die zulässige Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist zulässig aber unbegründet. Selbstständiger Streitgegenstand der zulässigen Klage ist die Frage, ob für die Berechnung der Rente die Zeit vom 01.01.1966 bis 01.04.1969 als nachgewiesene Beitragszeit zu Grunde zu legen ist, wohingegen die Frage der Bewertung der ersten Berufsjahre und der Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG gesonderte Streitgegenstände darstellen, da sich die Begehren unterscheiden und selbst im Fall einer Beitragslücke andere Lebenssachverhalte zu Grunde liegen. Die Beklagte hat der Rentenberechnung des Klägers - unter teilweiser Rücknahme des Rentenbescheids vom 05.04.2004 - die Zeit vom 01.01.1966 bis 01.04.1969 als nachgewiesene Beitragszeit zu 6/6 zugrunde zu legen.

Kernpunkt des vorliegenden Rechtsstreits ist die Beurteilung von durch eine A. bestätigte Zeiten der Mitgliedschaft in einer rumänischen LPG nach dem FRG. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Nach § 22 Abs. 3 FRG (in der Neufassung durch Gesetz vom 25.07.1991 (BGBl. I S. 1606), gültig ab 01.01.1992, vorher inhaltsgleiche Kürzungsregelung in § 19 Abs. 2 FRG) werden für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 08.09.2004 (Az. L 2 RJ 1664/02) als weitere Voraussetzung für eine Beitragszeit nach § 15 FRG neben der Entrichtung von Beiträgen - die im dortigen Rechtsstreit als abgeführt angesehen wurden - im streitbefangenen Zeitraum das Vorliegen eines ganzjährigen - lückenlosen - Beschäftigungsverhältnisses gesehen und den letzteren Nachweis als nicht erbracht angesehen. Dem ist das BSG in seiner Entscheidung vom 08.09.2005 (a.a.O.) nicht gefolgt und hat den Nachweis der ununterbrochenen Beitragsentrichtung ausreichen lassen, um die Beitragszeiten - unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung - nicht auf 5/6 zu kürzen. Für den Nachweis einer Versicherungszeit kommt es danach auf die Beitragsleistung zu einem ausländischen System der Rentenversicherung an und nicht auf ein ununterbrochenes Beschäftigungsverhältnis, weil die Beitragszahlung durch die LPG selbst im Fall einer Beschäftigungslücke nicht unterbrochen wurde. Eine generelle Besserstellung der ehemaligen Mitglieder einer LPG durch das bisherige Fremdrentenrecht sei hinzunehmen. Dieser Entscheidung sind - soweit ersichtlich - bisher alle darüber entscheidenden Landessozialgerichte gefolgt (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 06.04.2006 - L 6 R 3053/05, Revision anhängig B 5a/4 R 39/06 R; Bayer. LSG Urteile vom 17.01.2007 - L 19 R 584 /05, Revision anhängig B 13/4 R 25/07 R; vom 13.03.2007 - L 6 R 554/04). Der Senat sieht deshalb keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Zweifel an der Beitragsentrichtung für den Kläger bestehen aufgrund der durch die A. Nr. 725 nachgewiesenen Mitgliedschaft in der LPG aufgrund der gesetzlichen Regelung für den gesamten Zeitraum nicht. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1). Nachdem die Entscheidung des BSG v. 08.09.2005 (a.a.O.) keinen Rechtsfrieden erbracht hat und die Rentenversicherungsträger diese über den Einzelfall hinaus nicht anwenden, ist die Frage klärungsbedürftig, ob das BSG weiterhin an der Rechtsauffassung festhält, dass die bloße Mitgliedschaft in der LPG im streitigen Zeitraum für den Nachweis einer Beitragszeit ausreicht.
Rechtskraft
Aus
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