S 119 AS 744/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
119
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 119 AS 744/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte gegenüber dem Kläger aufgrund einer "Kostenübernahmeerklärung" verpflichtet ist, Kosten der Unterbringung eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu übernehmen.

Bei dem Kläger handelt es sich um einen eingetragenen Verein, der sich im Bereich der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit engagiert. Zu ihm gehört unter anderem der Verbund S., der auch betreute Wohnformen für Erwachsene anbietet. Zu diesem Verbund S. gehört ein Aufnahmewohnheim am T.ring in B ...

In diesem Wohnheim wurde der erwerbsfähige Hilfebedürftige L. nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt B. am 02. Februar 2006 untergebracht. Bei seiner Entlassung wurden ihm ausweislich des Entlassungsscheins 731,48 EUR ausgehändigt, davon 662,55 EUR Überbrückungsgeld. Am 06. Februar 2006 erschien der Hilfebedürftige bei dem Beigeladenen und meldete sich obdachlos. Daraufhin stellte der Beigeladene eine "Bescheinigung zur Unterkunft für wohnungslose Menschen", adressiert an das Wohnheim T.ring, aus. Darin bestätigte er, dass er eine Unterkunft in dem vorgenannten Wohnheim vom 06. bis zum 28. Februar 2006 zu einem Tagessatz pro Person für Unterkunft und Heizung in Höhe von 15,34 EUR reserviert habe. Die Übernahme der Kosten werde die Arbeitsgemeinschaft für das SGB II, Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, tragen. Am selben Tag erklärte der Beklagte schriftlich in einem an den Hilfebedürftigen adressierten, formularmäßigen Schreiben die "Kostenübernahme für Herrn L. vom 06.02.06 bis 28.02.06 in Höhe von täglich 15,34 EUR". Von der im Formular vorgesehenen Möglichkeit, einen vom Obdachlosen zu tragenden Eigenanteil an den Kosten der Unterbringung auszuweisen, machte der Beklagte keinen Gebrauch. Die dafür vorgesehene Zeile im Formular blieb leer. Das Schreiben enthielt unter anderem folgende Hinweise: "Durch diese Erklärung wird kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin bzw. der Arbeitsgemeinschaft und dem Unterkunftsanbieter begründet. Um Hergabe einer Rechnung mit Duplikat und Zweitschrift der Kostenübernahme wird gebeten. Geben Sie in der Rechnung bitte Bank- oder Postbankkonto an, da der Rechnungsbetrag bargeldlos bezahlt wird." Der Kläger erhielt die für den Unterkunftsanbieter bestimmte Ausfertigung des Schreibens.

Mit Rechnung vom 09. März 2006 machte der "Verbund S." Kosten in Höhe von 352,82 EUR gegen den Beklagten für die Gewährung der Unterkunft von Herrn L. in der Zeit vom 06. bis zum 28. Februar 2006 geltend. Daraufhin teilte der Beklagte dem Kläger mit, die Unterkunftskosten seien von Herrn L. selbst einzufordern, da dieser aufgrund seiner bei Haftentlassung ausgehändigten Entschädigungszahlung keinen Anspruch nach dem SGB II für Februar 2006 gehabt habe. Entsprechend der im Schreiben enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 mit dem Hinweis auf die mangelnde Hilfebedürftigkeit des Herrn L. als unbegründet abgewiesen wurde.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht erhobenen Klage. Er trägt vor, er habe aufgrund der Bescheinigungen des Beigeladenen und des Beklagten darauf vertraut und auch darauf vertrauen dürfen, dass ihm die Kosten der Unterkunft für Herrn L. erstattet würden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 17. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2006 aufzuheben und den Beklagten zur Zahlung der Unterbringungskosten in Höhe von 352,82 EUR zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Kostenübernahmeerklärung von Anfang an unter dem Vorbehalt der Hilfebedürftigkeit des Herrn L. gestanden habe. Eine eigenständige Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Kläger habe nicht begründet werden sollen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Er trägt vor: In der von ihm ausgestellten Bescheinigung sei unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht worden, dass eine Kostenübernahme durch ihn nicht in Betracht komme. Im Übrigen sei die Errechnung eines vom Obdachlosen zu tragenden Eigenanteils an den Kosten der Unterkunft nicht seine Aufgabe, sondern falle in den Zuständigkeitsbereich derjenigen Behörde, die die Grundsicherung für Arbeitssuchende gewähre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefter) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage, über die trotz Ausbleibens des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung nach § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verhandelt und entschieden werden konnte, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte an ihn Unterkunftskosten in Höhe von 352,82 EUR erstattet.

An der Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Der Rechtsweg zum Sozialgericht ist eröffnet. Es handelt sich vorliegend um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende, vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger macht einen Anspruch geltend, der aus Rechtssätzen des öffentlichen Rechts abgeleitet wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.05.2006 – 3 B 78/05 -, abrufbar unter juris); denn er verlangt die Kosten der Unterkunft für die Unterbringung des Obdachlosen Herrn L. ersetzt, die der Beklagte als Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende, d.h. in Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgabe, jedenfalls im Rahmen der Bedürftigkeit des Obdachlosen übernehmen muss. Anhaltspunkte für eine aus bürgerlich-rechtlichen Vorschriften resultierende Verpflichtung des Beklagten liegen nicht vor.

Die Klage ist auch in der jetzt vorliegenden Form als kombinierte Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklage zulässig. Der in der mündlichen Verhandlung erweiterte Klageantrag ist sachdienlich. Dem Kläger geht es der Sache nach um die Zahlung eines Geldbetrages. Ob der geltend gemachte Anspruch besteht, ist eine Frage der Begründetheit der Klage.

Eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für die Unterbringung des Hilfebedürftigen L. besteht nicht.

Insbesondere ergibt sich eine solche Verpflichtung nicht aus der "Bescheinigung zur Unterkunft für wohnungslose Menschen" des Beigeladenen vom 06. Februar 2006. Dieses Schreiben enthält nämlich lediglich die Mitteilung an den Unterkunftsanbieter, für welchen Zeitraum und zu welchem Tagessatz eine Unterkunft für den Obdachlosen bei ihm reserviert wird. Eine Kostenübernahme durch den Beigeladenen ist hiermit ausdrücklich nicht verbunden. Vielmehr wird hinsichtlich der Kosten darauf hingewiesen, dass die zuständige "Arge" deren Übernahme erklären werde.

Aber auch aus dem Schreiben des Beklagten an Herrn L. vom 06. Februar 2006 lässt sich kein Anspruch des Klägers auf Zahlung des geltend gemachten Betrages für die Unterbringung des Obdachlosen herleiten. Eine insoweit grundsätzlich in Betracht zu ziehende Zusage als eine im allgemeinen Verwaltungsrecht wurzelnde hoheitliche Selbstverpflichtung mit Bindungswillen, deren Rechtsverbindlichkeit aus dem geltenden Grundsatz von Treu und Glauben folgt (vgl. VGH München, Urteil vom 02.02.1989 – 12 B 88.01259 -, NJW 1990, 1868 f.), liegt nicht vor.

Dies folgt aus einer Auslegung der vorliegenden Kostenübernahmeerklärung nach der auf eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Maßgebend ist dabei nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (so etwa BVerwG, Urteil vom 07.02.1986 – 4 C 28.84 -, BVerwGE 74, 15 = NJW 1986, 2267). Eine Auslegung der Kostenübernahmeerklärung durch den Kläger nach diesen Maßstäben ergibt, dass der Beklagte ihn über das grundsätzliche Bestehen eines Hilfeanspruchs des Herrn L. informieren und zugleich die Abwicklung des Zahlungsverkehrs (Überweisung nach Rechnungslegung) mitteilen, jedoch keine eigenständige Verpflichtung dem Kläger gegenüber für den Fall einer nicht (mehr) bestehenden Hilfebedürftigkeit des Obdachlosen übernehmen wollte. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Unterkunftsanbieter für Obdachlose und der Zusammenarbeit mit den zuständigen Sozialämtern konnte und musste der Kläger erkennen, dass die abgegebene Kostenübernahmeerklärung von vornherein unter dem Vorbehalt der Hilfebedürftigkeit des Obdachlosen stand. Ihm musste klar sein, dass der vorrangige Zweck der Erklärung war, dem Hilfe suchenden Obdachlosen Unterkunft und Heizung zu sichern, und zwar so lange und in dem Umfang, wie die Hilfebedürftigkeit fortbestand. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 19.05.1994 – 5 C 33/91 -; nachfolgend auch Niedersächsisches OVG, Urteil vom 25.03.1998 – 4 L 580/97 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.10.2000 – 22 A 5519/98 -; Bayerischer VGH, Urteil vom 13.01.2006 – 12 B 03.1174 -; alle abrufbar unter juris) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: "Weder das wirtschaftliche Interesse des Vermieters an einem potenten und zuverlässigen Zahler in Gestalt des Sozialhilfeträgers noch das vom Sozialhilfeträger verfolgte öffentliche Interesse daran, einem Unterkunft Suchenden Unterkunft und Heizung zu sichern, (ist) schon für die Annahme ausreichend, der Sozialhilfeträger wolle mit seiner Erklärung, er "übernehme" die Kosten der Unterkunft für den Hilfesuchenden und werde sie unmittelbar an den Vermieter zahlen (überwiesen), eine eigene materiellrechtliche Leistungspflicht gegenüber dem Vermieter, mithin eine verbindliche Kostenzusage, begründen." Es müssten vielmehr "besondere Umstände hinzutreten, um die Annahme zu rechtfertigen, eine dem Vermieter gegenüber abgegebene Übernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers beschränke sich nicht auf die Mitteilung des Sozialhilfeanspruchs und der direkten Zahlungsweise, sondern bezwecke mehr, nämlich die Begründung einer materiellrechtlichen Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Vermieter. Notwendig ist vor allem, dass der Sozialhilfeträger unzweideutig seinen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck gebracht hat."

Im vorliegenden Fall bestehen aus Sicht der Kammer keine Anhaltspunkte für die vom BVerwG beschriebenen "besonderen Umstände", die die Annahme rechtfertigen könnten, der Beklagte habe eine eigene materiellrechtliche Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Kläger als Vermieter begründen wollen.

Dem Kläger ist zuzugeben, dass er in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich erst später herausstellt, dass der eingewiesene Obdachlose nicht hilfebedürftig war und keine Leistungen von dem Beklagten beanspruchen konnte, das Risiko trägt, die entstandenen Aufwendungen für die Unterkunft nicht ersetzt zu bekommen. Erschwerend kommt vorliegend hinzu, dass der Beklagte es offenbar versäumt hat, die Bedürftigkeit des Klägers vor Erklärung der Kostenübernahme ausreichend zu prüfen. Hätte der Beklagte von vornherein von der im Kostenübernahmeformular vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen vom Obdachlosen zu tragenden Eigenanteil an den Kosten der Unterkunft festzulegen, hätte der Kläger – seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zufolge - vermutlich die Kosten der Unterkunft erhalten. Das grundsätzlich bestehende Risiko, wegen Fehlern im Grundverhältnis zwischen dem (vermeintlich) Hilfebedürftigen und dem Beklagten die entstehenden Unterkunftskosten nicht ersetzt zu bekommen, erscheint aber tragbar vor dem Hintergrund, dass dem Kläger in der überwiegenden Anzahl der Fälle einer Unterbringung von Obdachlosen in seinen Aufnahmewohnheimen stets ein potenter und zuverlässiger Zahler gegenübersteht.

Musste die Klage nach alledem ohne Erfolg bleiben, war sie mit der Kostenfolge aus §§ 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) abzuweisen. Die außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind vom Kläger nicht zu tragen, da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit am Kostenrisiko nicht beteiligt hat (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, § 197 a, RN 29 m.w.N.).

Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen im Hinblick darauf, dass – soweit ersichtlich – für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende noch nicht geklärt ist, ob sich aus einer Kostenübernahmeerklärung des Grundsicherungsträgers ein eigener Anspruch des Unterkunftsanbieters ableiten lässt. Die Klärung dieser Rechtsfrage ist für eine Vielzahl von Fällen relevant.
Rechtskraft
Aus
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