L 13 AS 1521/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 5765/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1521/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. März 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu ersetzen.

Gründe:

I.

Die form- und fristgerecht am 31. März 2008 beim Sozialgericht (SG) eingelegte Beschwerde des Klägers, welcher das (SG) nicht abgeholfen hat, ist zulässig, unabhängig davon, ob der Beschwerdewert des § 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Hauptsache erreicht wird, da die §§ 172 ff. SGG hier noch in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung anzuwenden sind. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Beschwerde der Beklagten richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 19. März 2008, soweit darin die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2007 angeordnet wurde (Ziff. 2).

Der Kläger hat am 3. Dezember 2007 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Dieser Antrag ist vom SG stillschweigend als Antrag auf Feststellung bzw. Anordnung (richtig: Wiederherstellung) der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs ausgelegt worden, der sich zutreffend auf die Anfechtungsklage bezieht (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG), Beschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B -). Der so gefasste Antrag war zulässig, insbesondere statthaft. Denn die in der Entscheidung vom 23. April 2007 erklärte Verrechnung, wonach von den bewilligten Leistungen ab 1. Mai 2007 monatlich 22,00 EUR einbehalten werden, ist in Form eines Verwaltungsakts im Sinn von § 31 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ergangen. Die Mitteilung der Beklagten zur Einbehaltung ist auch dann als (Formal )Verwaltungsakt (hierzu vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 20. Dezember 2001 - B 4 RA 50101 R - veröffentlicht in Juris; SozR 4-1200 § 52 Nr. 1; BSGE 60, 87, 89; 91, 68, 69; zuletzt BSG SozR 4-4300 § 119 Nr. 3) zu beurteilen, wenn eine Verrechnung nicht in Form eines Verwaltungsakts erfolgen durfte (vgl. dazu unten). Zwar spricht nicht bereits die äußere Form des Bescheids vom 23. April 2007 für einen Verwaltungsakt. Die Verrechnung wurde nicht äußerlich und optisch hervorgehoben in einen besonderen Verfügungssatz gekleidet; die Entscheidung enthält aber den Hinweis, dass gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben werden kann. Über den daraufhin vom Kläger erhobenen Widerspruch ist mit förmlichen Widerspruchsbescheid in der Sache entschieden worden, so dass die Entscheidung vom 23. April 2007 jedenfalls in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom. 22. Mai 2007 als (Formal )Verwaltungsakt anzusehen ist. Der Wille, die Verrechnung als Verwaltungsakt zu regeln, wird weiterhin durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 18. März 2008 eindeutig bestätigt.

Damit war der Antrag des Klägers sachdienlich auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtet. Dass in § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 SGG die nach der Anordnung des Sofortvollzugs vom Belasteten erstrebte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Gegensatz zu § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht eigens aufgeführt ist, schadet nicht, denn aus der ausdrücklichen Erwähnung einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG ergibt sich, dass der Gesetzgeber auch bei Sofortvollzugsanordnungen einstweiligen Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat einräumen wollen (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse von 9. Januar 2003 - L 13 AL 4260/02 ER-B -, vom 25. August 2003 - L 13 AL 2374/03 ER-B -., vom 21. November 2006 - L 8 AS 4680/06 ER- B - und vom 13. März 2007 - L 13 AS 211/07 ER-B -, vgl. auch Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - m.w.N., jeweils veröffentlicht in Juris sowie LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2007- L 7 AL 1572/07 ER-B - m.w.N.).

II. Dieser statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag war auch begründet. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Das formelle Erfordernis, dass die Agentur für Arbeit die Vollziehungsanordnung erlassen und das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der im Bescheid vom 18. März 2008 verfügten Erstattung schriftlich begründet hat, ist erfüllt. Diese Begründung genügt den formalen Anforderungen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG.

Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt vom Gericht eine eigene originäre Entscheidung unter Abwägung der betroffenen Interessen, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschlüsse vom 12. September 1995 - 2 BvR 1179/95 - m.w.N; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 1997 - 13 S 1132/96 -, beide veröffentlicht in Juris sowie Beschlüsse des Senats vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B -, vom 9. Januar 2003 a.a.O. und vom 25. August 2003 a.a.O.); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vorn 19. Juni 2007 a.a.O., m.w.N.). Bei offensichtlicher Begründetheit scheidet ein öffentliches Vollzugsinteresse schlichtweg aus. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit ist ausgehend von der gesetzgeberischen Wertung des § 86a Abs. 1 SGG, nach der der Rechtsbehelf gegen die behördliche Entscheidung in der Regel aufschiebende Wirkung entfaltet, für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, dass den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Inhaltlich ist dieses Vollziehungsinteresse nicht bloß ein gesteigertes Erlassinteresse, sondern von qualitativ anderer Art. Es genügt für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts daher nicht, dass dieser keinen ernstlichen Rechtmäßigkeitsbedenken unterliegt. Es muss vielmehr anhand der Umstände des konkreten Falles ein zusätzliches Beschleunigungsinteresse als besonderes Vollzugsinteresse ermittelt werden, das in der Eilbedürftigkeit der Realisierung des als wahrscheinlich rechtmäßig erkannten Verwaltungsakts liegt (vgl. zum Ganzen: Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 80 Rn. 265 f.).

Das Abwägungsergebnis fällt zugunsten Gunsten des Klägers aus. Hierbei kann offenbleiben, in welcher Form eine Verrechnung zu erfolgen hat oder erfolgen kann. Das Bundessozialgericht (BSG) ist zunächst davon ausgegangen, dass eine vom Leistungsträger erklärte Aufrechnung/Verrechnung von Ansprüchen auf Sozialleistungen mit einem dem Leistungsträger zustehenden Gegenanspruch als Verwaltungsakt ergehen kann bzw. ergehen muss (vgl. BSGE 53, 208, 209; 64, 17, 22 f; 78, 132, 134 f). Hiervon ist der 4. Senat des BSG abgerückt (BSG SozR 4-1200 § 52 Nr. 1). In einer nachfolgenden Entscheidung des 5. Senats wurde diese Frage offen gelassen (BSG, Urteil vorn 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 18/03 R -). Der 13. Senat hat zu erkennen gegeben, dass er sich der Ansicht des 4. Senats nicht anschließt (BSG, Urteil vorn 27. März 2007 - B 13 RJ 43105 R -). Der erkennende Senat hat sich dagegen der genannten Auffassung des 4. Senats, die in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 - BVerwGE 66, 218; offen lassend für die Aufrechnung nach § 51 SGB I und § 25a BSHG Beschluss vom 6. November 1995 - 5 B 154/95 -) und des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 4. Februar 1997 - VII R 50/96, BFHE 182, 276 zu § 226 AO 1977) steht, bereits mit seinem Urteil vom 31. Mai 2005 (L 13 KN 702/05) angeschlossen.

1. Geht man damit zunächst davon aus, dass die Beklagte mangels gesetzlicher Grundlage nicht ermächtigt war, die Verrechnung in Form eines Verwaltungsaktes zu verfügen, wäre der schon deshalb rechtswidrige Verwaltungsakt auf die Klage des Klägers bereits aus formalen Gründen aufzuheben. Denn der Beklagte vermittelt in diesem Fall durch den angegriffenen Bescheid jedenfalls den Anschein, es läge eine verbindliche Regelung des öffentlichen Rechts vor. Damit ist der Kläger schon durch dessen Existenz mit dem Risiko behaftet, dass ihm in Zukunft u.U. ein insoweit "bestandskräftiger Verwaltungsakt" entgegengehalten werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2001 - B 4 RA 50/01 R - , veröffentlicht in Juris). Er wird durch diesen (Formal )Verwaltungsakt beschwert, auch wenn seine Aufhebung die Verrechnungserklärung als solche nicht berührt (vgl. unten).

2. Geht man demgegenüber mit der Gegenmeinung davon aus, dass die Verrechnung zulässiger-weise als Verwaltungsakt verfügt werden konnte, bestehen jedenfalls erhebliche Zweifel an seiner materiellen Rechtmäßigkeit. Gemäß § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Die Verrechnung stellt damit praktisch eine Aufrechnung dar, bei der das Merkmal der Gegenseitigkeit der Forderungen (vgl. § 388 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) entfällt. Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Nach Abs. 2 der Vorschrift kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird. Bei dieser Aufrechnung ist der zuständige Träger nicht an die Pfändungsgrenzen des § 54 Abs. 2 und 4 SGB I gebunden.

Insofern fragt sich zunächst, ob hier wirksame Ermächtigungen für die verfügte Verrechnung vorliegen. Die Bundesagentur für Arbeit - Regionaldirektion Baden-Württemberg hat mit ihren Verrechnungsersuchen vom 15. März 2007, soweit den Akten zu entnehmen ist, lediglich den Betrag ihrer Forderung mitgeteilt. Dies allein reicht für eine ordnungsgemäße Ermächtigung nicht aus. Die Bundesagentur für Arbeit - Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland hat mit ihrem Verrechnungsersuchen vom 15. März 2007 erklärt, dass die bezifferte Forderung einziehbar und nicht verjährt ist. Weiter ergibt sich eine Aufschlüsselung dieser Forderung aus dem beiliegenden Computerausdruck. Danach handelt es sich um eine Rückforderung von Arbeitslosenhilfe sowie Krankenversicherungsbeitragen zuzüglich Mahngebühr. Bescheide und Rechtsgrundlagen werden allerdings auch hier nicht konkret benannt. Weiterhin steht die Bestimmtheit der Verrechnung selbst in Frage. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 23. April 2007 erklärt, nach Angaben des - nicht genannten Antragstellers - bestünden gegen den Kläger Forderungen wegen zu Unrecht gewährter Leistungen bei der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland insgesamt 1.289,83 EUR und bei der Regionaldirektion Baden-Württemberg 714 EUR. Für diese werde ab dem 1. Mai 2007 von dem Zuschlag ein Betrag in Höhe von monatlich 22,- EUR verrechnet. Die Verrechnungsersuchen waren dem Bescheid nicht beigefügt. Es wird im Hauptsacheverfahren zu entscheiden sein, ob unter Berücksichtigung der Gesamtumstande ordnungsgemäße Ermächtigungen und eine ausreichend bestimmte Verrechnung angenommen werden können.

Unabhängig hiervon liegen zunächst auch die Voraussetzungen des § 52 SGB I i.V.m. § 51 Abs. 1 SGB I nicht vor. Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten verrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Der in Bezug genommene § 54 Abs. 2 SGB I regelt die Pfändbarkeit von Ansprüchen auf einmalige Geldleistungen, während - im vorliegenden Fall einschlägig - § 54 Abs. 4 SGB I bestimmt, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können (vgl. Beschluss des Senats vom 6. September 2006 - L 13 AS 3108/06 ER-B, veröffentlicht in Juris). Dies bedeutet, dass der für ein Arbeitseinkommen nach den §§ 850 ff. ZPO geltende Pfändungsschutz zu beachten ist. Nach § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO ist Arbeitseinkommen unpfändbar, wenn es in dem Zeitraum, für den es gezahlt wird, nicht mehr als 930,00 EUR monatlich beträgt. Damit waren das dem alleinstehenden Kläger gewährte Arbeitslosengeld II und der befristete Zuschlag in Höhe von monatlich insgesamt 749,26 EUR (Bewilligung für 1. März 2007 bis 31. August 2007) unpfändbar. Die Beklagte muss bei einer Verrechnung den pfändfreien Grundbetrag gewährleisten; liegt das Alg II - wie hier - unter diesem Grundbetrag, ist eine Aufrechnung auf der Grundlage der genannten Vorschrift nicht möglich.

Fraglich ist schließlich aber auch, ob die Voraussetzungen des § 52 SGB II i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB II vorliegen. Zweifel hieran ergeben sich bereits aus den Bedenken gegen die ausreichende Bestimmtheit der Verrechungserklärung bzw. -regelung in Bezug auf die den zur Verrechnung gestellten Forderungen zugrundeliegenden Ansprüche. Auch wenn man davon ausgeht, dass die zur Verrechnung gestellten Forderungen auf Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen im Sinne des § 51 Abs. 2 Satz 1 SGB I beruhen, bleibt die Zulässigkeit der hier vorgenommenen Aufrechnung zweifelhaft. Denn eine Verrechnung wird nach § 52 SGB II i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB II gehindert beim Nachweis, dass durch die Aufrechnung Hilfebedürftigkeit im Sinne der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II eintritt, die bei Beziehern von Leistungen gemäß §§ 19 ff. SGB II aber regelmäßig bereits vorliegt. Auch der Anspruch auf den befristeten Zuschlag, der nicht isoliert gewährt wird, setzt Hilfebedürftigkeit im Sinne der genannten Vorschriften voraus (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 - B 14/11 b AS 7/07 R -). Dafür, dass der Gesetzgeber durch die genannte Einschränkung die Aufrechnung des § 51 Abs. 2 SGB I gegenüber Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des 2. Abschnitts des 3. Kapitels des SGB II auch gegenüber dem befristeten Zuschlag ausschließen wollte, spricht zunächst, dass er für die Aufrechnung mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts die Sonderregelung in § 43 SGB II geschaffen hat (vgl. unten), in die erst mit dem Gesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom 30. Juli 2004 (Kommunales Optionsgesetz - BGBl. I 2014) der Zuschlag ausdrücklich aufgenommen wurde. Der neue Satz 2 sollte es ermöglichen, dass auch der Zuschlag nach § 24 SGB II in die verschuldensabhängige Aufrechnung einbezogen werden kann (BT-Drucks. 15/2816, S. 13). Dafür, dass der Gesetzgeber eine verschuldensunabhängige Aufrechnung gegen Ansprüche nach dem SGB II auf der Grundlage von § 51 Abs. 2 SGB I grundsätzlich nicht für zulässig erachtet hat, spricht weiterhin, dass im Entwurf des Kommunalen Optionsgesetzes die Einfügung eines zweiten Absatzes in § 43 SGB II vorgesehen war. Dieser sollte lauten: "Andere, nicht auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen, unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Hilfebedürftigen beruhende Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen nach diesem Buch können bis zu einem Betrag in Höhe von 10 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung gegen Ansprüche auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch aufgerechnet werden. Diese - nicht in das Kommunale Optionsgesetz übernommene - Regelung sollte abweichend von § 51 Abs. 2 SGB I - eine Aufrechnung gegen Ansprüche auf Arbeitslosengeld II (Alg II) oder Sozialgeld in Höhe von 10 v. H. der maßgeblichen Regelleistung ermöglichen, wenn der Erstattungsanspruch nicht auf dem Verschulden des Hilfebedürftigen beruht (BT-Drucks. 15/2816, S. 4f.). Auf den neuen Satz 2, der bei der verschuldensabhängigen Aufrechnung den Zuschlag nun mit einbezog, sollte in diesem neuen Absatz 2 nicht Bezug genommen werden.

Die genannte Sonderregelung des § 43 SGB II ist auf die Verrechnung nicht anwendbar. Nach § 43 SGB II können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadenersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Der befristete Zuschlag nach § 24 SGB I kann zusätzlich in die Aufrechnung nach Satz 1 einbezogen werden. Die Aufrechnungsmöglichkeit ist auf drei Jahre beschränkt. Die Vorschrift regelt in Anlehnung an § 25a Bundessozialhilfegesetz die gegenüber § 51 SGB I verschärfte Aufrechnung. Die Agentur für Arbeit kann mit Ansprüchen auf Erstattung oder Schadensersatz wegen unrechtmäßiger Leistungen gegen Leistungsansprüche des Beziehers von Leistungen zum Lebensunterhalt bis auf das Unerlässliche aufrechnen, wenn er die unrechtmäßigen Leistungen durch vorsätzliche oder grob fahrlässige unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat (BT-Drucks. 15/1516, S. 63). In § 52 SGB I wird aber lediglich auf § 51 SGB I und nicht auf die jeweiligen Bestimmungen für die Aufrechnung mit einem Anspruch auf die bezogenen Leistungen Bezug genommen. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, wenn er lediglich eine Sonderregelung für die "verschärfte" Aufrechnung in das SGB II aufgenommen hat, bewusst auf eine entsprechende Regelung für die Verrechnung zugunsten Dritter verzichtet hat. Hierfür spricht insbesondere die Übergangsregelung des § 65e SGB II zugunsten des Sozialhilfeträgers für Altfälle. Damit bleibt es für die Verrechnung bei der Regelung des § 52 Abs. 2 SGB I, so dass es fraglich erscheint, ob eine Verrechnung gegenüber Leistungen nach dem SGB II einschließlich des Zuschlags überhaupt möglich ist.

Davon, dass die vom Kläger erhobene Klage gegen die Verrechnungsentscheidung offensichtlich ohne Erfolgsaussicht wäre, kann nach dem Dargelegten sicherlich nicht ausgegangen werden. Allerdings steht auch der - vollständige - Erfolg bei summarischer Prüfung nicht sicher fest. Im Rahmen der im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gebotenen summarischen Prüfung erweist sich der Ausgang des Rechtsstreits vielmehr derzeit jedenfalls als noch - teilweise - offen. Für die Frage, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig ist, kommt es damit auf eine Abwägung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung mit dem entgegenstehenden Interesse des Klägers an, bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von dessen Vollziehung und den sich daraus ergebenden Folgen verschont zu bleiben. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist hier danach dann geboten, wenn dem Interesse des Klägers, von der Vollziehung eines Bescheids einstweilen verschont zu bleiben, gegenüber dem besonderen öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids der Vorrang zukommt (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Januar 1997 - 11 S 3170/96 -). Dabei ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers um so stärker und darf um so weniger zurückstehen, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken würde (BVerfGE 35, 382 (401 f.); 69, 220 (227 f.); BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, vom 25. Januar 1996 - 2 BvR 2718/95 -, vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586102 -, vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304107 -, veröffentlicht in Juris).

Die danach vorzunehmende Abwägung geht nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand zugunsten des Klägers aus. Zunächst ist insoweit das besondere öffentliche Interesse, das zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit zu gewichten ist, - ohne Bindung des Gerichts an die behördliche Entscheidung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, der dies noch deutlicher zum Ausdruck bringt als § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO - positiv festzustellen. Dabei können auch fiskalische Interessen im Einzelfall die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Verrechnungsentscheidung rechtfertigen. Soweit lediglich Zinsnachteile vermieden werden sollen, ist dies für die Anordnung des Sofortvollzugs allerdings nicht ausreichend, weil der Gesetzgeber, soweit er eine Verzinsung nicht geregelt hat, den Zinsverlust grundsätzlich bis zur Rechtskraft der Erstattungsentscheidung hingenommen hat (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Januar 1993 - 8 S 1023/92 -, veröffentlicht in Juris). Das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug kann daher nur in einer darüber hinausgehenden Dringlichkeit des Vollzugs liegen. Anerkannt ist dies in den Fallen, in denen ansonsten die Verwirklichung der Geldforderung gefährdet erschiene, derentwegen vollstreckt werden soll - beispielsweise wegen drohender Insolvenz des Schuldners - (vgl. Senatsbeschluss vom 25. August 2003 a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2007 a.a.O.; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. August 2005 - L 9 AL 234/04 ER - m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Januar 1993 a.a.O.; Bayerischer VGH; Beschluss vom 26. Mai 1987 - 23 AS 87.00408 -; Hessischer VGH, Beschlüsse 6. Juni 1983 - I TH 59/82 -, vom 24. November 1988 - 1 TH 4097/88 - und 12. Januar 1989 - 5 TH 4916/88 jeweils veröffentlicht in Juris; vgl. auch Kopp/Schenke VwGO, 14. Aufl. 2005, § 80 Rn. 99). Auf eine solche Gefährdung hat sich die Beklagte in der Anordnung sinngemäß berufen. Dieses besondere Vollzugsinteresse kann aber nur dann überwiegen, wenn es konkrete Anthaltspunkte dafür gibt, dass eine Vollstreckung derzeit erfolgreich sein könnte und sich diese Situation während des Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einer Weise verschlechtern wird, die eine spätere Durchsetzung erheblich gefährden würde. Weiterhin müsste dem Interesse an der Realisierung der zu verrechnenden Forderung größeres Gewicht als dem Interesse des Klägers an der freien Disposition über die ihm gewährten Leistungen nach dem SGB II zukommen, so dass dieser auf einen Nachzahlungsanspruch nach rechtskräftigem Abschluss der Hauptsache verwiesen werden könnte. Ein solches Abwägungsergebnis scheidet hier derzeit schon deshalb aus, weil im Hinblick auf die überwiegenden Erfolgsaussichten seiner Klage und die Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Zuschlag beigemessen hat, das Interesse des Klägers an der Verfügungsmöglichkeit über den vollen Zuschlag bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, stärker wiegt als das Interesse an der Realisierbarkeit der zu verrechnenden Forderungen. Denn der Zweck des Zuschlags würde im Falle seiner späteren Nachzahlung endgültig verfehlt. Dieser dient zur Abfederung finanzieller Härten und berücksichtigt, dass der ehemalige Arbeitslosengeldempfänger durch häufig langjährige Erwerbstätigkeit - im Unterschied zu solchen Empfängern der neuen Leistung, die nur jeweils kurzfristig bzw. noch nie erwerbstätig waren vor dem Bezug der neuen Leistung einen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung erworben hat. Er soll in vertretbarem Umfang einen Teil der Einkommenseinbußen abfedern, die in der Regel beim Übertritt in die neue Leistung entstehen. Die Halbierung des Zuschlages ein Jahr nach dem Arbeitslosengeldbezug und der Wegfall zu Beginn des dritten Jahres nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges tragen der zunehmenden Entfernung vom Arbeitsmarkt Rechnung und erhöhen den Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (BT-Drucks. 15/1516, S. 58 f.). Mit der Halbierung des jeweils gezahlten Zuschlags im Wege der Verrechnung würde diese Abfederung nicht gewährleistet, woran auch eine spätere Nachzahlung nichts mehr ändern könnte.

Damit rechtfertigt das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung hier die Anordnung des Sofortvollzugs nicht mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Verrechnungsbescheid wiederherzustellen war.

III. Diese Anordnung war auch zu treffen, wenn es sich hier entsprechend der Rechtsprechung des Senats lediglich um einen Formal-Verwaltungsakt handelt und die Verrechnung als öffentlich-rechtliche Willenserklärung anzusehen ist (vgl. hierzu oben).

Zwar bleibt dann die im Rahmen einer Leistungsklage zu prüfende Wirksamkeit der keine Regelung darstellenden, öffentlich-rechtlichen Verrechnungserklärung, die als solche den Regeln für eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung unterliegt und nicht kassationsfähig ist, auch wenn der Verrechnungswille in der unzulässigen Form eines Verwaltungsakts zum Ausdruck gebracht wurde, von der Rechtswidrigkeit und auch von der Aufhebung eines Formal-Verwaltungsakts unberührt (anders LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2006 - L 10 R 2198/05- m.N.). War die Verrechnung wirksam erklärt, so hat sie bewirkt, dass die verrechneten Forderungen jeweils in dem Zeitpunkt erloschen sind, in welchem sie sich gegenüberstanden. Im Falle der Unwirksamkeit hätte der Kläger weiterhin den von ihm geltend gemachten Leistungsanspruch aus dem Bewilligungsbescheid vom 13. März 2007 sowie ggf. aus Folgebewilligungen. Dennoch bestünde in diesem Fall die Gefahr, dass sich die Behörde auf die von ihr angeordnete sofortige Vollziehung des (Formal )Verwaltungsakts beruft und diese dem Kläger auch in einem einstweiligen Anordnungsverfahren entgegengehalten wird.

Aus dem oben Dargelegten zur Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Verrechnungsbescheids ergibt sich zugleich, dass von der Verrechnung als öffentlich-rechtliche Willenserklärung ausgehend auch die Wirksamkeit der hier vorliegenden Verrechnungserklärung fraglich erscheint. Insoweit ist im Hauptsacheverfahren für die Entscheidung über den Leistungsantrag zu klären, welche Anforderungen an eine Verrechnung ausgehend von einer einseitigen empfangsbedürftigen Verrechnungserklärung zu stellen sind und ob im Falle einer zunächst nicht ausreichend bestimmten Erklärung die aufrechnende Behörde im gerichtlichen Verfahren noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz darlegen kann, welche Forderungen ihr nach ihrer Auffassung zur Verrechnung/Aufrechnung zur Verfügung gestanden haben (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 4. Februar 1997, a.a.O. m.w.N.).

Damit müsste nach dem obigen Abwägungsergebnis der Kläger auf seinen Antrag auch im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig von der Durchführung der Verrechnung verschont werden, wenn sich der Beklagte auf die Wirksamkeit ihrer Verrechnungserklärung als öffentlich-rechtliche Willenserklärung berufen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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