Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 1911/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 145/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.12.2007 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld im Streit.
Der 1941 geborene Kläger beantragte am 04.11.1998 bei der Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld, welches mit Bescheid vom 16.11.1998 mit Wirkung ab dem 04.11.1998 bewilligt wurde.
Am 26.11.1998 zeigte der Kläger eine geringfügige Nebenbeschäftigung ab dem 11.11.1998 bei der Firma S. an. In der Folge legte er Nebeneinkommensbescheinigungen für die Zeit vom November 1998 bis April 1999 vor, auf denen eine geringfügige Nebenbeschäftigung als Fahrer für diese Firma hervorgeht.
Mit Schreiben vom 07.04.2000 wies die Polizeidirektion S. die Beklagte darauf hin, dass der Kläger am 05.04.2000 mit einem LKW der Firma M. angetroffen worden sei, wobei er eine Bestätigung über lenkfreie Tage der laufenden Woche nicht habe vorweisen können. Die Beklagte forderte daraufhin eine Aufstellung der Nebenverdienste für den Zeitraum von Mai 1999 bis einschließlich April 2000 an.
Die Firma M. bestätigte daraufhin für die Monate April 1999 bis März 2000 einen durchgängigen Arbeitslohn von 300 DM (Ausnahme August 1999: 600 DM) sowie Arbeitstage im April 2000 am 04.04.2000 (sechs Stunden), 11.04.2000 (acht Stunden) und 17.04.2000 (sechs Stunden).
Da in den Unterlagen der Tag der polizeilichen Kontrolle am 05.04.2000 nicht als Arbeitstag vermerkt war, veranlasste die Beklagte eine Außenprüfung. Hierbei wurden die Tachoscheiben der Fahrtätigkeit des Klägers für die Firma M. ab November 1998 ausgewertet. Es ergab sich eine durchgängige Arbeitszeit des Kläger für die Firma M. ab dem Monat Dezember 1998 von regelmäßig deutlich mehr als 18 Stunden.
Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 24.08.2000 zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Geltendmachung eine Rückforderung für die Zeit vom 11.11.1998 bis zum 31.07.2000 an. Zwischenzeitlich hatte sie ab dem 01.08.2000 die Bezahlung von Arbeitslosengeld eingestellt, was dem Kläger mit einem Zahlungsnachweis vom 10.08.2000 mitgeteilt wurde.
Mit Bescheid vom 14.11.2000 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 01.12.1998 auf und verpflichtete den Kläger zur Erstattung der gewährten Leistungen bis zum 31.07.2000 in Höhe von 35.834,86 DM (18.323,07 EUR).
Den Widerspruch begründeten die Bevollmächtigten des Klägers damit, dass der Kläger tatsächlich nur die von der Firma M. bescheinigten Beträge erhalten habe. Sofern der Kläger an Tagen für die Firma M. tätig gewesen sei, welche in den jeweiligen Bescheinigungen nicht enthalten seien, sei dies aus Gefälligkeit erfolgt, ohne dass der Kläger hierfür eine Vergütung erhalten habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2004 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Zahlungsnachweis vom 10.08.2000 als unzulässig abgewiesen und der Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.11.2000 als unbegründet zurückgewiesen. Nach den vorliegenden Tachoscheiben sei der Kläger jedenfalls in der Zeit ab dem 01.12.1998 mindestens 15 Stunden wöchentlich beschäftigt und daher nicht mehr arbeitslos gewesen.
Mit weiterem Bescheid vom 28.04.2004 wurden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5189,52 EUR festgestellt, welche der Kläger ebenfalls zu erstatten habe.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 14.05.2004 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Der vermeintliche Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Arbeitslosengeld sei zwischenzeitlich verjährt. Selbst wenn dieser Anspruch ursprünglich bestanden haben sollte, könne er daher inzwischen nicht mehr geltend gemacht werden. In der Sache könne man dem Kläger einzig vorwerfen, dass er die Einhaltung der 15-Stundengrenze nicht sorgfältig genug beachtet habe. Jedoch sei dem Kläger insofern kein Vorwurf zu machen, weil eine Bezahlung in diesen Fällen nicht erfolgt sei.
Die Beklagte erklärte im Verfahren vor dem SG, dass der Bescheid über die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei; die Beklagte verzichte im übrigen entgegen ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 18.11.2004 insoweit auf die Erstattung dieses Betrags.
Die Staatsanwaltschaft K. teilte der Beklagten im Januar 2007 mit, dass das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren aufgrund Verfolgungsverjährung eingestellt worden sei (Az: 15 JS 35507/01).
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2007 als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte habe die geltend gemachte Aufhebung und Erstattung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zu Recht auf § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 SGB X gestützt. Der Kläger sei einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen. Durch den Umfang der beruflichen Tätigkeit des Klägers von mehr als 15 Wochenarbeitsstunden (regelmäßig) ab dem 01.12.1998 sei dieser nicht mehr arbeitslos im Sinne von § 118 Abs. 1 SGB III gewesen, wodurch diese Voraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld entfallen sei. Eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung und Arbeitslosigkeit habe im streitgegenständlichen Zeitpunkt danach nicht mehr vorgelegen. Der Kläger hätte auch unter Berücksichtigung der ihm überlassenen Merkblätter erkennen können und müssen, dass seine Beschäftigung nicht mehr als Nebenbeschäftigung im Sinne des Gesetzes bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosengeld möglich gewesen sei. Der Gerichtsbescheid des SG wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 27.12.2007 zugestellt.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 10.01.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG habe lediglich eine geringfügige Tätigkeit des Klägers ab dem 11.11.1998 vorgelegen. Dies folge bereits daraus, dass der Kläger lediglich Arbeitseinkommen in Höhe von 300 DM monatlich erzielt habe. Soweit der Kläger auch an anderen Tagen für die Firma M. tätig gewesen sei, sei dies aus dies aus bloßer Gefälligkeit ohne Gegenleistung erfolgt. Die Beklagte habe insoweit den angebotenen Zeugenbeweis (Vernehmung des Firmeninhabers R.) nicht erhoben, weswegen eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gerügt werde. Darüber hinaus berufe sich der Kläger auf die Einrede der Verwirkung sowie die Einrede der Verjährung. Der Kläger sei aufgrund des Bezugs einer geringen Rente und der Tatsache, dass seine Frau ein Pflegefall sei, tatsächlich nicht in der Lage, irgendwelche Rückzahlungen an die Beklagte zu leisten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2004 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.12.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig. Die Voraussetzungen einer Verjährung oder Verwirkung lägen nicht vor.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Die Beklagte hat die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den streitgegenständlichen Zeitraum zu Recht aufgehoben und den Kläger zur Erstattung der bezogenen Leistungen verpflichtet. Die Gewährung von Arbeitslosengeld und -hilfe erfolgt durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, dessen Aufhebung sich bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die bei seinem Erlass herrschten, nach den Voraussetzungen von § 48 SGB X richtet. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift in der vom 15.04.1998 bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach Absatz 1 Satz 2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen er- zielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt ha- ben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende An- spruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefal- len ist.
Hierbei hat die Beklagte beim Vorliegen der Voraussetzungen von § 48 SGB X kein Ermessen auszuüben, weil § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung vorsieht, dass beim Vorliegen der in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist.
Vorliegend ist jedenfalls ab dem 01.12.1998 wegen der ab diesem Zeitpunkt nachgewiesenen regelmäßigen Tätigkeit des Klägers für die Firma M. von über 18 Stunden je Arbeitswoche die Arbeitslosigkeit im Sinne von § 118 SGB III in der vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung beseitigt hat. Arbeitslos ist nach Absatz 1 dieser Vorschrift im streitgegenständlichen Zeitraum ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche); nach Absatz 2 der Vorschrift schließt die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wobei gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben.
Der Umfang der Tätigkeit des Klägers für die Firma M. von regelmäßig deutlich mehr als 15 bzw. 18 Stunden ist durch die Tachoscheiben des Klägers zur Überzeugung des Senats sicher dokumentiert. Der Kläger bestreitet den Umfang auch nicht ausdrücklich, sondern verlangt die Vernehmung seines Arbeitgebers als Zeuge für die Tatsache, dass die Arbeitsstunden über der 15-Wochengrenze des § 118 SGB III unentgeltlich als Gefälligkeit für den Arbeitgeber geleistet worden seien.
Der Senat hält diese Einlassung des Klägers angesichts des Umfangs der von ihm geleisteten Fahrzeiten für seinen Arbeitgeber für eine unglaubhafte Schutzbehauptung. Die Vernehmung des Arbeitgebers ist insoweit entbehrlich, weil unentgeltliche Arbeiten ebenfalls unter den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinn fallen, wenn diese fremdnützig sind bzw. einen wirtschaftlichen Wert haben und innerhalb eines Weisungsrechts durch den Arbeitgeber erbracht werden (BSG NZA 2006, 1400; BSG SGb 2006, 307). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Kläger hat auch zur Überzeugung des Senats grob fahrlässig gehandelt, da ihm angesichts des von ihm geleisteten Arbeitsumfangs auch subjektiv klar sein musste, dass die Voraussetzung der Arbeitslosigkeit für die Gewährung von Arbeitslosengeld entfallen war.
Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder jedenfalls ohne weiteres hätte erkennen können und die Aushändigung des Merkblattes nicht zu lange zurücklag (BSG, Urteil vom 24.04.1997 - 11 RA 89/96 -).
Der Kläger hatte mehrfach und zuletzt am 05.11.1998 das Merkblatt Nr. 1 der Beklagten erhalten und durch seine Unterschrift bestätigt, von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Das Merkblatt Nr. 1 der Beklagten in der Fassung von Januar 1998 enthält mehrfach den unmissverständlichen Hinweis, dass eine Nebenbeschäftigung nicht mehr als 15 Stunden umfassen darf (S. 10, 36 und 54 des Merkblatts). Das Merkblatt verweist im Übrigen darauf, dass jede Art von Beschäftigung ab 15 Wochenstunden zu melden ist, was auch unentgeltliche Arbeiten umfasst.
Die Erstattungsforderung der Beklagten ist auch weder verjährt noch verwirkt. Der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 14.11.2000 wahrt sowohl die kurze Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (Geltendmachung der Erstattungsforderung binnen Jahresfrist nach Kenntnis der wesentlichen Umstände) als auch die absolute Zehnjahresfrist des 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 bis Satz 5 SGB X. Weitere Verjährungsregelungen sind nicht einschlägig.
Besondere Umstände, welche die Verwirkung eines Rechts auslösen, das der Berechtigte während eines längeren Zeitraumes nicht ausgeübt hat, liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSGE 47, 197 im Anschluss an BVerwGE 44, 339). Vorliegend kommt insoweit alleine der Zeitablauf zwischen dem Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2000 und dem erst 2004 erlassenen Widerspruchsbescheid in Betracht. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen aber bereits ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren anhängig war und die Beklagte während des laufenden Leistungsbezugs in der Zeit ab Herbst 2000 weiter regelmäßig Nebeneinkommensbescheinigungen des Klägers forderte, konnte die Angelegenheit auch aus der Sicht des Klägers nicht als abgeschlossen erscheinen.
Schließlich sind Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Erstattungsforderung falsch berechnet haben könnte, weder ersichtlich noch vorgetragen. Sofern der Kläger anführt, er könne die Erstattungsforderung wegen ihrer Höhe nicht begleichen, ist dieser Einwand gegebenenfalls im Einziehungsverfahren relevant.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld im Streit.
Der 1941 geborene Kläger beantragte am 04.11.1998 bei der Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld, welches mit Bescheid vom 16.11.1998 mit Wirkung ab dem 04.11.1998 bewilligt wurde.
Am 26.11.1998 zeigte der Kläger eine geringfügige Nebenbeschäftigung ab dem 11.11.1998 bei der Firma S. an. In der Folge legte er Nebeneinkommensbescheinigungen für die Zeit vom November 1998 bis April 1999 vor, auf denen eine geringfügige Nebenbeschäftigung als Fahrer für diese Firma hervorgeht.
Mit Schreiben vom 07.04.2000 wies die Polizeidirektion S. die Beklagte darauf hin, dass der Kläger am 05.04.2000 mit einem LKW der Firma M. angetroffen worden sei, wobei er eine Bestätigung über lenkfreie Tage der laufenden Woche nicht habe vorweisen können. Die Beklagte forderte daraufhin eine Aufstellung der Nebenverdienste für den Zeitraum von Mai 1999 bis einschließlich April 2000 an.
Die Firma M. bestätigte daraufhin für die Monate April 1999 bis März 2000 einen durchgängigen Arbeitslohn von 300 DM (Ausnahme August 1999: 600 DM) sowie Arbeitstage im April 2000 am 04.04.2000 (sechs Stunden), 11.04.2000 (acht Stunden) und 17.04.2000 (sechs Stunden).
Da in den Unterlagen der Tag der polizeilichen Kontrolle am 05.04.2000 nicht als Arbeitstag vermerkt war, veranlasste die Beklagte eine Außenprüfung. Hierbei wurden die Tachoscheiben der Fahrtätigkeit des Klägers für die Firma M. ab November 1998 ausgewertet. Es ergab sich eine durchgängige Arbeitszeit des Kläger für die Firma M. ab dem Monat Dezember 1998 von regelmäßig deutlich mehr als 18 Stunden.
Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 24.08.2000 zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Geltendmachung eine Rückforderung für die Zeit vom 11.11.1998 bis zum 31.07.2000 an. Zwischenzeitlich hatte sie ab dem 01.08.2000 die Bezahlung von Arbeitslosengeld eingestellt, was dem Kläger mit einem Zahlungsnachweis vom 10.08.2000 mitgeteilt wurde.
Mit Bescheid vom 14.11.2000 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 01.12.1998 auf und verpflichtete den Kläger zur Erstattung der gewährten Leistungen bis zum 31.07.2000 in Höhe von 35.834,86 DM (18.323,07 EUR).
Den Widerspruch begründeten die Bevollmächtigten des Klägers damit, dass der Kläger tatsächlich nur die von der Firma M. bescheinigten Beträge erhalten habe. Sofern der Kläger an Tagen für die Firma M. tätig gewesen sei, welche in den jeweiligen Bescheinigungen nicht enthalten seien, sei dies aus Gefälligkeit erfolgt, ohne dass der Kläger hierfür eine Vergütung erhalten habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2004 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Zahlungsnachweis vom 10.08.2000 als unzulässig abgewiesen und der Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.11.2000 als unbegründet zurückgewiesen. Nach den vorliegenden Tachoscheiben sei der Kläger jedenfalls in der Zeit ab dem 01.12.1998 mindestens 15 Stunden wöchentlich beschäftigt und daher nicht mehr arbeitslos gewesen.
Mit weiterem Bescheid vom 28.04.2004 wurden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5189,52 EUR festgestellt, welche der Kläger ebenfalls zu erstatten habe.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 14.05.2004 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Der vermeintliche Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Arbeitslosengeld sei zwischenzeitlich verjährt. Selbst wenn dieser Anspruch ursprünglich bestanden haben sollte, könne er daher inzwischen nicht mehr geltend gemacht werden. In der Sache könne man dem Kläger einzig vorwerfen, dass er die Einhaltung der 15-Stundengrenze nicht sorgfältig genug beachtet habe. Jedoch sei dem Kläger insofern kein Vorwurf zu machen, weil eine Bezahlung in diesen Fällen nicht erfolgt sei.
Die Beklagte erklärte im Verfahren vor dem SG, dass der Bescheid über die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei; die Beklagte verzichte im übrigen entgegen ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 18.11.2004 insoweit auf die Erstattung dieses Betrags.
Die Staatsanwaltschaft K. teilte der Beklagten im Januar 2007 mit, dass das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren aufgrund Verfolgungsverjährung eingestellt worden sei (Az: 15 JS 35507/01).
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.12.2007 als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte habe die geltend gemachte Aufhebung und Erstattung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zu Recht auf § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 SGB X gestützt. Der Kläger sei einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen. Durch den Umfang der beruflichen Tätigkeit des Klägers von mehr als 15 Wochenarbeitsstunden (regelmäßig) ab dem 01.12.1998 sei dieser nicht mehr arbeitslos im Sinne von § 118 Abs. 1 SGB III gewesen, wodurch diese Voraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld entfallen sei. Eine erneute persönliche Arbeitslosmeldung und Arbeitslosigkeit habe im streitgegenständlichen Zeitpunkt danach nicht mehr vorgelegen. Der Kläger hätte auch unter Berücksichtigung der ihm überlassenen Merkblätter erkennen können und müssen, dass seine Beschäftigung nicht mehr als Nebenbeschäftigung im Sinne des Gesetzes bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosengeld möglich gewesen sei. Der Gerichtsbescheid des SG wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 27.12.2007 zugestellt.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 10.01.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG habe lediglich eine geringfügige Tätigkeit des Klägers ab dem 11.11.1998 vorgelegen. Dies folge bereits daraus, dass der Kläger lediglich Arbeitseinkommen in Höhe von 300 DM monatlich erzielt habe. Soweit der Kläger auch an anderen Tagen für die Firma M. tätig gewesen sei, sei dies aus dies aus bloßer Gefälligkeit ohne Gegenleistung erfolgt. Die Beklagte habe insoweit den angebotenen Zeugenbeweis (Vernehmung des Firmeninhabers R.) nicht erhoben, weswegen eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gerügt werde. Darüber hinaus berufe sich der Kläger auf die Einrede der Verwirkung sowie die Einrede der Verjährung. Der Kläger sei aufgrund des Bezugs einer geringen Rente und der Tatsache, dass seine Frau ein Pflegefall sei, tatsächlich nicht in der Lage, irgendwelche Rückzahlungen an die Beklagte zu leisten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2004 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.12.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig. Die Voraussetzungen einer Verjährung oder Verwirkung lägen nicht vor.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Die Beklagte hat die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den streitgegenständlichen Zeitraum zu Recht aufgehoben und den Kläger zur Erstattung der bezogenen Leistungen verpflichtet. Die Gewährung von Arbeitslosengeld und -hilfe erfolgt durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, dessen Aufhebung sich bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die bei seinem Erlass herrschten, nach den Voraussetzungen von § 48 SGB X richtet. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift in der vom 15.04.1998 bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach Absatz 1 Satz 2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen er- zielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt ha- ben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende An- spruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefal- len ist.
Hierbei hat die Beklagte beim Vorliegen der Voraussetzungen von § 48 SGB X kein Ermessen auszuüben, weil § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung vorsieht, dass beim Vorliegen der in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist.
Vorliegend ist jedenfalls ab dem 01.12.1998 wegen der ab diesem Zeitpunkt nachgewiesenen regelmäßigen Tätigkeit des Klägers für die Firma M. von über 18 Stunden je Arbeitswoche die Arbeitslosigkeit im Sinne von § 118 SGB III in der vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung beseitigt hat. Arbeitslos ist nach Absatz 1 dieser Vorschrift im streitgegenständlichen Zeitraum ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche); nach Absatz 2 der Vorschrift schließt die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wobei gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben.
Der Umfang der Tätigkeit des Klägers für die Firma M. von regelmäßig deutlich mehr als 15 bzw. 18 Stunden ist durch die Tachoscheiben des Klägers zur Überzeugung des Senats sicher dokumentiert. Der Kläger bestreitet den Umfang auch nicht ausdrücklich, sondern verlangt die Vernehmung seines Arbeitgebers als Zeuge für die Tatsache, dass die Arbeitsstunden über der 15-Wochengrenze des § 118 SGB III unentgeltlich als Gefälligkeit für den Arbeitgeber geleistet worden seien.
Der Senat hält diese Einlassung des Klägers angesichts des Umfangs der von ihm geleisteten Fahrzeiten für seinen Arbeitgeber für eine unglaubhafte Schutzbehauptung. Die Vernehmung des Arbeitgebers ist insoweit entbehrlich, weil unentgeltliche Arbeiten ebenfalls unter den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinn fallen, wenn diese fremdnützig sind bzw. einen wirtschaftlichen Wert haben und innerhalb eines Weisungsrechts durch den Arbeitgeber erbracht werden (BSG NZA 2006, 1400; BSG SGb 2006, 307). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Kläger hat auch zur Überzeugung des Senats grob fahrlässig gehandelt, da ihm angesichts des von ihm geleisteten Arbeitsumfangs auch subjektiv klar sein musste, dass die Voraussetzung der Arbeitslosigkeit für die Gewährung von Arbeitslosengeld entfallen war.
Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder jedenfalls ohne weiteres hätte erkennen können und die Aushändigung des Merkblattes nicht zu lange zurücklag (BSG, Urteil vom 24.04.1997 - 11 RA 89/96 -).
Der Kläger hatte mehrfach und zuletzt am 05.11.1998 das Merkblatt Nr. 1 der Beklagten erhalten und durch seine Unterschrift bestätigt, von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Das Merkblatt Nr. 1 der Beklagten in der Fassung von Januar 1998 enthält mehrfach den unmissverständlichen Hinweis, dass eine Nebenbeschäftigung nicht mehr als 15 Stunden umfassen darf (S. 10, 36 und 54 des Merkblatts). Das Merkblatt verweist im Übrigen darauf, dass jede Art von Beschäftigung ab 15 Wochenstunden zu melden ist, was auch unentgeltliche Arbeiten umfasst.
Die Erstattungsforderung der Beklagten ist auch weder verjährt noch verwirkt. Der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 14.11.2000 wahrt sowohl die kurze Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (Geltendmachung der Erstattungsforderung binnen Jahresfrist nach Kenntnis der wesentlichen Umstände) als auch die absolute Zehnjahresfrist des 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 bis Satz 5 SGB X. Weitere Verjährungsregelungen sind nicht einschlägig.
Besondere Umstände, welche die Verwirkung eines Rechts auslösen, das der Berechtigte während eines längeren Zeitraumes nicht ausgeübt hat, liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSGE 47, 197 im Anschluss an BVerwGE 44, 339). Vorliegend kommt insoweit alleine der Zeitablauf zwischen dem Erstattungsbescheid aus dem Jahr 2000 und dem erst 2004 erlassenen Widerspruchsbescheid in Betracht. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen aber bereits ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren anhängig war und die Beklagte während des laufenden Leistungsbezugs in der Zeit ab Herbst 2000 weiter regelmäßig Nebeneinkommensbescheinigungen des Klägers forderte, konnte die Angelegenheit auch aus der Sicht des Klägers nicht als abgeschlossen erscheinen.
Schließlich sind Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Erstattungsforderung falsch berechnet haben könnte, weder ersichtlich noch vorgetragen. Sofern der Kläger anführt, er könne die Erstattungsforderung wegen ihrer Höhe nicht begleichen, ist dieser Einwand gegebenenfalls im Einziehungsverfahren relevant.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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