L 6 V 3360/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 V 1565/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 3360/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts F. vom 01.07.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger weitere Schädigungsfolgen festzustellen sind und ihm deshalb Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS – vgl. § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes [BVG] i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007, BGBl. I, S. 2904, 2909, bis 20. Dezember 2007 Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE]) von mehr als 70 zu gewähren ist.

Der 1926 geborene Kläger erlitt am 21.02.1945 als Angehöriger der ehemaligen deutschen Wehrmacht in Schlesien eine Granatsplitterverletzung. Als Schädigungsfolgen anerkannte das Kriegsversehrtenfürsorgeamt F. mit Bescheid vom 30.06.1947 Splitternarben am Kopf, beiden Beinen und Füßen und eine noch offene Stelle am linken Fuß. Der Neufeststellungsantrag des Klägers vom 11.06.1949 blieb erfolglos (Bescheid vom 19.11.1949). Mit dem Umanerkennungsbescheid vom 11.05.1951 gewährte das frühere Versorgungsamt F. (VA) dem Kläger Grundrente nach § 31 BVG nach einer MdE um 30 vom Hundert (v. H.) ab 01.10.1950. Den weiteren Neufeststellungsantrag vom 27.07.1957 lehnte das VA ab (Bescheid vom 23.10.1957, Widerspruchsbescheid vom 17.01.1958).

Auf den Verschlimmerungsantrag vom 11.06.1971 stellte das VA mit Bescheid vom 09.02.1973 als Schädigungsfolgen Splitternarben am Kopf, an beiden Beinen und Füßen, Stecksplitter im rechten Oberschenkel, linken Unterschenkel und rechten Fuß und eine geringe Innenohrschwerhörigkeit beidseits, rechts stärker als links, fest. Die MdE betrage ab 01.06.1971 40 v. H. Grundlage für die Entscheidung waren die versorgungsärztlichen (vä) Gutachten des Oberregierungsmedizinalrats Dr. K. vom 23.11.1972 und des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren (HNO-) Krankheiten Regierungsmedizinaldirektor Dr. L. vom 02.01.1973.

Am 24.05.1974 beantragte der Kläger wiederum höhere Rente. Das VA veranlasste die Gutachten auf chirurgischem Fachgebiet von Privatdozent Dr. B. vom 05.05.1975, auf nervenärztlichem Fachgebiet von Prof. Dr. K. vom 21.01.1975, auf HNO-ärztlichem Fachgebiet von Regierungsmedizinaldirektor Dr. L. vom 24.01.1975 und auf internistischem Fachgebiet von Oberregierungsmedizinalrat Dr. S. vom 21.01.1975. Mit Bescheid vom 24.06.1975 anerkannte das VA unter Berücksichtigung des Prüfvermerks des Leitenden Arztes Dr. H. vom 14.05.1975 als Schädigungsfolgen eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, rechts stärker als links, eine Entartung und Bewegungseinschränkung im rechten Mittelfuß, Narben und Stecksplitter an beiden Beinen sowie Splitternarben am Kopf mit einer MdE um 50 v. H. gemäß § 30 Abs. 1 BVG ab 01.05.1974.

Auf den am 25.08.1975 gestellten Antrag auf Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit gemäß § 30 Abs. 2 BVG lehnte das VA ausdrücklich die Gewährung von Berufsschadensausgleich und sinngemäß die Erhöhung der Rente gemäß § 30 Abs. 2 BVG mit Bescheid vom 06.10.1976 ab. Bei der mit 50 v. H. festgestellten MdE sei eine allgemeine berufliche Betroffenheit bereits berücksichtigt. Eine darüber hinaus gehende besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor. Es sei auch kein schädigungsbedingter Einkommensverlust eingetreten. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17.02.1977).

Am 19.06.1978 stellte der Kläger wiederum Verschlimmerungsantrag. Das VA erhob das HNO-ärztliche Gutachten des Regierungsmedizinaldirektors Dr. L. vom 17.11.1978 und das vä Gutachten von Dr. F. vom 17.10.1978. Dr. L. führte aus, die Schwerhörigkeit des Klägers sei wahrscheinlich traumatisch bedingt. Bei der jetzigen Zunahme der Schwerhörigkeit spielten altersbedingte Veränderungen im Innenohr und die traumatische Innenohrschädigung eine Rolle. Schädigungsfolge und Nicht-Schädigungsfolge seien hier als annähernd gleichwertige Ursachen anzusehen. Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet bestehe eine MdE um 40 v. H. Dr. F. legte dar, bei der Untersuchung habe weder klinisch noch röntgenologisch eine wesentliche Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen objektiviert werden können. Die Funktionsbehinderung durch die Entartung im rechten Mittelfuß sei nach wie vor gering. Die jetzt zusätzlich vorliegende Bewegungseinschränkung in beiden Kniegelenken und die Versteifung beider oberer Sprunggelenke stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit den Schädigungsleiden. Der Leitende Arzt Dr. H. vertrat im Prüfvermerk vom 21.11.1978 die Auffassung, bei der Gesamtbeurteilung des schädigungsbedingten Gesundheitszustandes sei eine wesentliche Änderung zu bestätigen. Der Leidenstenor könne unverändert bleiben. Die schädigungsbedingte MdE sei ab Antragstellung mit 60 v. H. zu bewerten. Mit Bescheid vom 30.05.1979 bewertete das VA die bereits anerkannten Schädigungsfolgen mit einer MdE um 60 v. H. ab 01.06.1978.

Am 11.11.1980 beantragte der Kläger erneut die Erhöhung seiner Versorgungsrente und ferner die Gewährung einer Pflegezulage an seine Ehefrau. Auf Veranlassung des VA erstellten der Allgemeinmediziner Dr. M. das vä Gutachten vom 12.02.1981 und der Regierungsmedizinaldirektor Dr. L. das HNO-ärztliche Gutachten vom 16.02.1981. Dr. M. führte aus, im Bereich der schon anerkannten Schädigungsfolgen habe eine wesentliche Verschlechterung auf chirurgischem Fachgebiet nicht objektiviert werden können. Die geltend gemachte Hilfsbedürftigkeit sei überwiegend durch Nicht-Schädigungsfolgen verursacht. Dr. L. verneinte eine wesentliche Änderung gegenüber den bei seiner Begutachtung im Jahr 1978 erhobenen Befunden. Nach Einholung des Prüfvermerks des Leitenden Arztes Dr. H. vom 13.03.1981 lehnte das VA den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 26.03.1981 ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde nach der vä Stellungnahme des Regierungsmedizinaldirektors Dr. K. vom 22.04.1982 mit Bescheid vom 12.07.1982 zurückgewiesen.

Im anschließenden Klageverfahren (S 2 V 1676/82) hörte das Sozialgericht F. (SG) den Nervenarzt Dr. D. schriftlich als sachverständigen Zeugen und erhob das orthopädische Gutachten von Prof. Dr. R. vom 16.03.1983. Dieser führte aus, eine wesentliche Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen seit dem Bescheid vom 30.05.1979 sei nicht eingetreten. Die Arthrose im Bereich des rechten Sprunggelenks und der Fußwurzeln rechts mit der dadurch verursachten Bewegungseinschränkung sei als direkte und indirekte Folge der Schädigung zu sehen. Die übrigen arthrotischen Veränderungen und Beschwerden an beiden Hüftgelenken, beiden Kniegelenken und am linken oberen und unteren Sprunggelenk seien im Sinne einer Polyarthrose zu sehen und nicht Folge der Splitterverletzungen. Das SG wies die Klage mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 16.06.1983 ab.

Auf den am 27.01.1993 gestellten Neufeststellungsantrag veranlasste das VA das orthopädische Gutachten von Dr. B. vom 14.05.1993 und das HNO-ärztliche Gutachten von Dr. M. vom 09.06.1993. Dr. B. sah keine Änderung hinsichtlich der Schädigungsfolgen. Dr. M. vertrat die Auffassung, bei dem Kläger liege eine schädigungsbedingte Schwerhörigkeit beider Ohren mit einer MdE um 60 v. H. vor. Bereits bei der Untersuchung vom 17.11.1978 hätte eine schädigungsbedingte MdE von 60 v. H. angesetzt werden müssen. Der Leitende Arzt Dr. von K. stimmte im Prüfvermerk vom 24.06.1993 den fachärztlichen Beurteilungen zu. Mit Bescheid vom 07.07.1993 lehnte das VA den Neufeststellungsantrag ab. Mit weiterem Bescheid vom 08.07.1993 nahm das VA den Bescheid vom 30.05.1979 mit Wirkung zum 01.01.1989 zurück und stellte eine MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen um 70 v. H. fest. Der gegen den Bescheid vom 07.07.1993 eingelegte Widerspruch blieb nach Einholung der vä Stellungnahme von Dr. K. vom 16.02.1994 erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.03.1994).

Im anschließenden Klageverfahren (S 6 V 577/94, später S 6 V 1470/97) erhob das SG auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. H. vom 12.05.1997. Dieser führte aus, der Hörverlust beidseits sei mit einer MdE um 60 v. H., der Schwindel nach Schädelhirntrauma mit vasomotorischen Störungen und Schmerz mit einer MdE um 40 v. H., die organische psychische Störung nach Schädelhirntrauma, sofern die Psychopathie zutreffe, und Depression nach Schädelfraktur mit einer MdE um 40 v. H., die Einschränkung des Gehvermögens auf niedrigste Streckenabstände, der Verlust des Treppensteigens, gekoppelt mit Schmerzen und seelischen Begleiterscheinungen, am rechten Bein mit einer MdE um 50 v. H., am linken Bein mit einer MdE um 30 v. H. und die zunehmende Hüftversteifung und Verkrümmung der Wirbelsäule beidseits mit einer MdE um 70 v. H. zu bewerten. Ingesamt betrage die MdE 90 v. H. In der vä Stellungnahme vom 26.06.1997 vertrat Dr. W. die Auffassung, dem Gutachten von Dr. H. sei nicht zu folgen. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 29.01.1998 ab.

Im Berufungsverfahren gegen das Urteil vom 29.01.1998 (L 6 V 1446/98) erhob das Landessozialgericht (LSG) das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 04.08.1999. Nach Auffassung des Sachverständigen ergab sich weder nach Aktenlage noch nach den bei der Begutachtung erhobenen Befunden ein Hinweis, dass sich der Kläger neben der Granatsplitterverletzung ein Schädelhirntrauma zugezogen habe. Möglich sei eine Gehirnerschütterung, wobei hier von einer vorübergehenden Funktionsstörung ohne bleibende Ausfallserscheinungen auszugehen sei. Der aktuelle psychopathologische Befund sei nicht mittelbar Folge der durch die Verletzung verursachten Schäden, sondern vielmehr Ausdruck der primär akzentuierten Persönlichkeitsstruktur. Nach Übersendung von Röntgenaufnahmen durch den Kläger legte Dr. B. in der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 18.08.1999 dar, die Röntgenaufnahmen des Kreiskrankenhauses E. führten zu keiner Änderung der gutachterlichen Beurteilung. Nach Mitteilung des Klägers, er habe eine Knieendoprothese erhalten, wobei auf den Röntgenbildern unterhalb des Kniegelenks zwei Granatsplitter festzustellen seien, zog das LSG unter anderem die Arztbriefe des Kreiskrankenhauses E. vom 01.06.1999 und 12.07.2000 über Granatsplitterentfernungen am rechten Fußrücken und rechten Oberschenkel, den Arztbrief des Kreiskrankenhauses A. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 28.09.2000 bis 16.10.2000, im Rahmen derer die Knieendoprothese implantiert worden war, und den Arztbrief der Klinik Bad K. vom 08.02.2001 über die Anschlussheilbehandlung vom 16.10.2000 bis 24.11.2000 bei. Dr. W. vertrat in der vä Stellungnahme vom 20.02.2001 die Auffassung, aus den operativen Granatsplitterentfernungen könne keine höhere MdE für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten abgeleitet werden, zumal sich splitterbedingte Beschwerden auch nicht von schädigungsunabhängigen arthrotischen Kniegelenksbeschwerden abgrenzen ließen. Die Knieoperation stehe nicht mit den anerkannten Schädigungsfolgen in ursächlichem Zusammenhang. Das LSG wies die Berufung mit Urteil vom 19.07.2001 zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 11.09.2001 (B 9 V 55/01 B) als unzulässig verworfen.

Am 14.12.2001 beantragte der Kläger die Neufeststellung der Schädigungsfolgen. Es seien Splitter in der Wirbelsäule festgestellt worden, die nicht anerkannt seien. Er leide auch unter schädigungsbedingten Kopfschmerzen. Dr. H. teilte auf Anfrage des VA mit Schreiben vom 20.04.2002 mit, der Kläger sei regelmäßig bei ihm in ärztlicher Behandlung wegen Schmerzen im cervikalen und lumbalen Bereich. Dr. K. vertrat in dem vä Gutachten nach Aktenlage vom 13.08.2002 die Auffassung, die Wirbelsäulenbeschwerden seien degenerativer Natur und somit schädigungsunabhängig. Seitens der anerkannten Schädigungsfolgen hätten sich keine wesentlichen Veränderungen eingestellt. Das VA lehnte den Antrag auf Neufeststellung der Beschädigtenrente mit Bescheid vom 21.08.2002 ab. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger unter anderem eine Kopie des bereits in den Verwaltungsakten befindlichen Krankenblatts des Reservelazaretts Torgau vor, aus dem sich die Granatsplitterverletzung am rechten Ober- und linken Unterschenkel vom 21.02.1945 ergibt. Dem VA lag ferner der ärztliche Abschlussbericht der Klinik L. Bad K. vom 11.07.2002 nach der Badekur vom 23.04 bis 28.05.2002 vor. Darin werden neben den anerkannten Schädigungsfolgen eine Gonarthrose beidseitig (Zustand nach Knietotalendoprothesenoperation links im August 2000), eine Sprunggelenksarthrose beidseits, ein Wirbelsäulensyndrom, eine arterielle Hypertonie, eine Adipositas, ein Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose links 2001, interkurrent eine eitrige Bronchitis und eine Nephrolithiasis diagnostiziert. Die Versorgungsärztin L. vertrat in der Stellungnahme vom 30.04.2003 die Auffassung, eine wesentliche Verschlimmerung der Schädigungsfolgen sei nicht gegeben. Bezüglich der geklagten Kopfschmerzen und Splitternarben am Halswirbel sei darauf hinzuweisen, dass eine Hirnsubstanzschädigung durch eine Kopfverletzung mehrfach ausgeschlossen worden sei. Computertomographisch hätten Metallsplitter im Bereich des Kopfes 1999 nicht festgestellt werden können. Wirbelsäulen- und Beckenbeschwerden hätte jahrzehntelang keine Rolle bei den Begutachtungen gespielt. Stecksplitternarben in diesem Bereich seien nicht beschrieben, hingegen erhebliche Veränderungen der gesamten Wirbelsäule, die rein degenerativer Natur und als Nachschaden zu werten seien. Die Gonarthrose rechts sei schädigungs-unabhängig entstanden. Für eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen im rechten Mittelfuß ergäben sich aus den vorliegenden Berichten keine Hinweise. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2003 zurückgewiesen.

Am 30.05.2003 erhob der Kläger dagegen Klage bei dem SG. Er legte das Attest von Dr. H. vom 14.02.2000 vor, in dem der behandelnde Arzt die Auffassung vertrat, der Kläger trage am Hinterkopf eine ausgedehnte Kopfschwartennarbe als Folge einer Kriegsverletzung. Ein anderes Ereignis sei nachweislich nicht eingetreten. Ferner reichte er den Arztbrief der Krankenhaus Dr. L. GmbH vom 06.06.2002 über die stationäre Behandlung vom 03. bis 23.04.2002 zu den Akten. Darin werden ein unklares multiformes Schmerzsyndrom, eine essentielle Hypertonie, Cervikocephalgien, ein Zustand nach Kriegsverletzungen/Granatsplitter im ganzen Körper, eine Adipositas und ein Zustand nach Cholinesterase beschrieben. Der Beklagte trat der Klage mit der Begründung entgegen, ein ursächlicher Zusammenhang der geltend gemachten Kopfschmerzen mit den anerkannten Schädigungsfolgen bzw. schädigenden Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG sei nicht gegeben. Auch seien die geltend gemachten Wirbelsäulenbeschwerden degenerativer Natur und schädigungsunabhängig entstanden. Ein schädigungsbedinger Überlastungsschaden, wie er jetzt geltend gemacht werde, sei aus ärztlicher Sicht auszuschließen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 01.07.2005 - dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 14.07.2005 - ab.

Am Montag, dem 15.08.2005, hat der Kläger Berufung bei dem LSG eingelegt. Er vertritt die Auffassung, die Kopfschmerzen stünden im Zusammenhang mit einer im Krieg erlittenen Verletzung der Kopfschwarte. Die Wirbelsäulenbeschwerden gingen auf die starke einseitige Belastung aufgrund der Nutzung einer Gehhilfe wegen der kriegsbedingten Verletzungen zurück. Auch seien bis heute unter anderem im Bereich der Wirbelsäule noch Splitter vorhanden.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Sozialgerichts F. vom 01.07.2005 und den Bescheid vom 21.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2003 aufzuheben, Wirbelsäulenveränderungen und Kopfschmerzen als weitere Schädigungsfolgen festzustellen und den Beklagten zu verurteilen, ihm Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens 90 ab 19.12.2001 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er geht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Neufeststellung des Versorgungsanspruchs nicht vorliegen.

Der Senat hat auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. T. vom 31.01.2008 eingeholt. Darin werden als Folgen der Verletzung vom 21.02.1945 Haut- und Unterhautnarben am Hinterkopf, am linken Schulterblatt, an der oberen Lendenwirbelsäule median sowie im Bereich des rechten Beckenknochens, kleine Narben des Oberschenkels rechts, der Knie rechts, eine große Operationsnarbe des Knies links, eine Durchschussnarbe der oberen Wadenrückseite rechts und verschiedene Splitternarben im Bereich des rechten Fußrückens sowie eine Querfalte der linken Fußsohle, Weichteilstecksplitter im Bereich der rechten Wade, eine Deformierung der Fußwurzelknochen mit Arthrose, Stecksplitter im linken Unterschenkel und eine rechtsbetonte Innenohrschwerhörigkeit angenommen. Die mäßige rechtskonvexe Skoliose der Wirbelsäule sei erst 35 Jahre nach der Verletzung im Gutachten vom 12.02.1981 beschrieben. Die geklagten Kopfschmerzen seien nicht als direkte Folge der Verletzung zu werten, da über sie nach den Unterlagen erst etwa ab 1970 berichtet worden sei. Ebenso sei die jetzt bemerkbare beginnende Demenz "nicht mit Sicherheit Folge der damaligen Verletzung", da eine Störung solchen Ausmaßes schon wesentlich früher Symptome gezeigt haben müsste. Die Splitterverletzungen des Fußes entsprechend einer Fußdeformität mit statischer Auswirkung und mäßiger Funktionsbehinderung rechts begründeten eine MdE um 20 v. H., mit geringer Behinderung links eine MdE um 10 v. H. und die Schädigung des Kniegelenks rechts eine MdE um 10 v. H. Die Hörschädigung beidseits sei weiterhin mit einer MdE von 60 v. H. zu bewerten. Zusammen ergebe sich eine "Schädigung von MdE 80 v. H." Der Beklagte hat hierzu die vä Stellungnahme von Dr. B. vom 25.02.2008 vorgelegt. Dieser hat darauf hingewiesen, die in der Klagebegründung vorgebrachten Beschwerden und Symptome seien vom Sachverständigen nicht als Schädigungsfolge bestätigt worden. Soweit Dr. T. die Auffassung vertrete, es bestehe ein GdS von 80, werde darauf hingewiesen, dass eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen im Bereich der unteren Extremitäten durch die gutachterliche Untersuchung nicht nachzuweisen gewesen sei. Damit könne auch eine Anhebung des GdS insgesamt nicht erfolgen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Prozessakten beider Rechtszüge und die Akten des SG S 2 V 1676/82 sowie S 6 V 1470/97 und die Akten des Landessozialgerichts L 6 V 1446/98 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgungsrente nach einem höheren GdS als 70 v. H. Rechtsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachte Neufeststellung ist § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist durch einen Vergleich der für die letzte bindend gewordene Feststellung maßgebenden Verhältnisse mit denjenigen zu ermitteln, die bei der Prüfung der Neufeststellung vorliegen (BSG, Urteil vom 8. Mai 1981 - 9 RVs 4/80 - SozR 3100 Nr. 21 zu § 62 BVG).

Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung, einen Unfall während der Ausübung dieses Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach § 1 Abs. 1 BVG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung. Dabei müssen das schädigende Ereignis, die dadurch eingetretene gesundheitliche Schädigung und die darauf beruhenden Gesundheitsstörungen (Schädigungsfolgen) erwiesen sein, während nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG für die Frage des ursächlichen Zusammenhangs die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSG, Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 1; BSG, Urteil vom 19. März 1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58). Der ursächliche Zusammenhang ist vor allem nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, d. h. dass unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den behaupteten ursächlichen Zusammenhang spricht. Ist ein Sachverhalt nicht beweisbar oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) der Beteiligte die Folgen zu tragen, der aus dem nicht festgestellten Sachverhalt bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Zusammenhang Rechte für sich herleitet (BSG, Urteil vom 29. März 1963 - 2 RU 75/61 - BSGE 19, 52; BSG, Urteil vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 40/67 - BSGE 30, 121; BSG, Urteil vom 20. Januar 1977 - 8 RU 52/76 - BSGE 43, 110). Das ist bei anspruchsbegründenden Tatsachen der Kläger. Eine Verschlimmerung ist dann anzunehmen, wenn der schädigende Vorgang entweder den Zeitpunkt vorverlegt hat, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden schwerer auftreten ließ, als es sonst zu erwarten gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 16. Oktober 1974 – 10 RV 531/73 - SozR 3100 § 1 BVG Nr. 3).

Gemäß §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BVG n. F. erhält derjenige eine Beschädigtenrente, dessen GdS mindestens 25 beträgt. Nach § 30 Abs. 1 BVG a. F. war die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; dabei waren seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt war. Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG n. F. ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Eine Änderung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand ist hierdurch jedoch nicht eingetreten. Nach wie vor sind, um eine möglichst weitgehende Einheitlichkeit in der Beurteilung sicherzustellen, insoweit die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Soziales (AHP), jetzt in der Fassung von 2008, anzuwenden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war vorliegend zu prüfen, ob beim Kläger in dem Zustand der Schädigungsfolgen, wie sie bei Erlass des Bescheides vom 08.07.1993 zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, indem sich anerkannte Schädigungsfolgen verschlimmert haben oder neue Schädigungsfolgen hinzugetreten sind. Grundlage für die Feststellung der Schädigungsfolgen (Innenohrschwerhörigkeit beidseits, rechts stärker als links, Entartung und Bewegungseinschränkung im rechten Mittelfuß, Narben und Stecksplitter an beiden Beinen, Splitternarben am Kopf) und die Bewertung der MdE mit 70 v. H. durch Bescheid vom 08.07.1993 waren auf orthopädischem Fachgebiet das vä Gutachten von Dr. B. vom 14.05.1993 und auf HNO-ärztlichem Fachgebiet das Gutachten von Dr. M. vom 09.06.1993.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, er leide unter Kopfschmerzen als Folge einer im Krieg erlittenen Verletzung der Kopfschwarte, ist festzustellen, dass eine im Zusammenhang mit der Granatsplitterverletzung vom 21.02.1945 eingetretene schwerwiegende Kopfverletzung nicht wahrscheinlich ist. Der Senat schließt sich insoweit dem im Berufungsverfahren L 6 V 1446/98 durch das LSG eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 04.08.1999 und den Ausführungen im Urteil des Landessozialgerichts vom 19.07.2001 an. Schädigungsfolgen auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehen nicht. Die Ausführungen von Dr. H. in dem im Klageverfahren vorgelegten Attest vom 14.02.2000, der Kläger trage am Hinterkopf eine ausgedehnte Kopfschwartennarbe als Folge einer Kriegsverletzung, ein anderes Ereignis sei nachweislich nicht eingetreten, führen zu keinem anderen Ergebnis. Splitternarben am Kopf sind als Schädigungsfolge anerkannt. Im Übrigen geht der Senat aufgrund des Gutachtens von Dr. B. davon aus, dass der Kläger sich am 21.02.1945 zwar möglicherweise eine Gehirnerschütterung mit einer vorübergehenden Funktionsstörung, jedoch kein Schädelhirntrauma mit bleibenden Ausfallserscheinungen zugezogen hat. Nicht zutreffend sind allerdings die Ausführungen in dem gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten von Dr. T. vom 31.01.2008, die Kopfschmerzen würden erst etwa ab 1970 geklagt. Wie sich unter anderem aus dem Antrag vom 19.06.1947 ergibt, berichtete der Kläger von Anfang an über Kopfschmerzen. Eine Hirnsubstanzschädigung durch eine Kopfverletzung wurde aber mehrfach ausgeschlossen. Computertomographisch wurden Metallsplitter im Bereich des Kopfes im Jahr 1999 nicht festgestellt (Stellungnahme der Versorgungsärztin L. vom 30.04.2003). Die Kopfschmerzen sind deshalb nicht als Folge der Kriegsverletzung anzusehen.

Auch die Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers sind nicht Schädigungsfolge. Der Kläger führt sie auf die einseitige Belastung aufgrund der Nutzung einer Gehhilfe wegen der kriegsbedingten Verletzungen und auf Splitter im Wirbelsäulenbereich zurück. Bei dem Kläger liegt tatsächlich ein Wirbelsäulensyndrom vor, wie sich unter anderem aus dem ärztlichen Abschlussbericht der Klinik L. Bad A. vom 11.07.2002 nach der Badekur vom 23.04. bis 28.05.2002 ergibt. Dieses ist jedoch nicht auf die Kriegsverletzung zurückzuführen. Stecksplitternarben im Bereich der Wirbelsäule bestehen nicht, auch liegen keine Hinweise auf liegende Stecksplitter in der Beschreibung der Röntgenaufnahmen vor (Stellungnahme der Versorgungsärztin L. vom 30.04.2003). Die Wirbelsäulenveränderungen bei dem mittlerweile 82-jährigen Kläger sind vielmehr degenerativer Natur. Dies folgt aus dem vä Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. vom 13.08.2002. Die mäßige rechtskonvexe Skoliose der Wirbelsäule wurde erst etwa 36 Jahre nach der Verletzung im Gutachten von Dr. M. vom 12.02.1981 beschrieben und ist der Schädigung vom 21.02.1945 nicht zuzurechnen (vgl. das Gutachten von Dr. T. vom 31.01.2008). Die Auffassung des Klägers, die Wirbelsäulenbeschwerden gingen auf die starke einseitige Belastung aufgrund der Nutzung einer Gehhilfe wegen der kriegsbedingten Verletzungen zurück, beruht auf einer Vermutung und wird durch die medizinischen Sachverständigen nicht bestätigt. Eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule kann unter bestimmten Voraussetzungen nach dem Verlust einer unteren Extremität auftreten (AHP, 129, S. 248). Die Schädigungsfolgen des Klägers an den Beinen sind mit einer Amputation aber nicht vergleichbar. Meist stammt eine Skoliose aus dem Wachstumsalter (AHP, 128, S. 245). Für eine kompensatorische seitliche Verbiegung der Wirbelsäule als Anpassung an eine Änderung der statischen Verhältnisse (AHP, 128, S. 246) liegen hier keine Anhaltspunkte vor.

Soweit der Neurologe und Psychiater Dr. T. im Gutachten vom 31.01.2008 einen Teil-GdS von 10 aufgrund der Schädigung des rechten Kniegelenks annahm, konnte der Senat seiner Beurteilung nicht folgen. Die bereits im vä Gutachten von Dr. F. vom 17.10.1978 beschriebene Bewegungseinschränkung in beiden Kniegelenken ist nicht Schädigungsfolge. Dies folgt aus den von der Beklagten veranlassten Gutachten von Dr. F. vom 17.10.1978 und Dr. M. vom 12.02.1981, dem Gerichtsgutachten von Prof. Dr. R. vom 16.03.1983 und dem vä Gutachten von Dr. B. vom 14.05.1993. Dr. T. hat seine abweichende Auffassung, die im Übrigen fachfremd erfolgte, nicht begründet. Eine Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen an den Beinen ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. T. ebenfalls nicht. Der Bewertung der Schädigungsfolgen mit einem GdS von 80 durch Dr. T. konnte sich der Senat deshalb nicht anschließen.

Da sich weder die anerkannten Schädigungsfolgen verschlimmert haben, noch neue Schädigungsfolgen hinzugetreten sind, war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts F. vom 01.07.2005 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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