S 3 RJ 446/01

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 3 RJ 446/01
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Antragstellung auf Erwerbsunfähigkeitsrente 47jährige Kläger hat von 02.11.1967 � Mai 1971 den Beruf des Kfz-Mechanikers erlernt. Nach Ableistung des Grundwehrdienstes war er ab 01.07.1974 als Fahrer tätig. Seit 01.07.1992 bezieht der Kläger Berufsunfähigkeitsrente. Vom 01.10.1995 � 19.03.2000 hat der Kläger eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter verrichtet. Arbeitsunfähigkeit bestand ab 07.02.2000 und ab 20.03.2000 bezog er Krankengeld.

Nach dem fachorthopädischen Gutachten vom 04.01.2002 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- sechs und mehr Stunden täglich
- ohne Schwerarbeiten und mittelschwere Arbeiten
- ohne Arbeiten unter Zeitdruck, Einzel-, Gruppenakkord, Fließband- und taktgebundene Arbeiten
- ohne Arbeiten in Zwangshaltungen für die Wirbelsäule mit häufigem Bücken sowie häufigem Überkopfarbeiten
- ohne Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel,
- ohne Arbeiten mit häufigem Bücken
- ohne Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze, Zugluft, Nässe
- ohne Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Nach der Beweisanordnung vom 16.07.2003 ist zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
1. Welche konkreten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes kommen für den Kläger unter Berücksichtigung seines Leistungsvermögens noch in Betracht? Könnte der Kläger insbesondere noch tätig sein als sog. einfacher Pförtner, unter Berücksichtigung des beigefügten Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 12.05.1997.
2. In welchem Umfang sind entsprechende Arbeitsplätze vorhanden und werden Beschäftigungsverhältnisse eingegangen, die es einem Versicherten, wie dem Kläger ermöglichen, vollschichtig tätig zu sein.

Einfacher Pförtner

Tätigkeitsinhalte, Anforderungen und Belastungen sind sehr unterschiedlich. Hauptsächlich werden sie durch den Einsatzort bestimmt (z.B. Industriebetrieb mit großem Werksgelände, Behörde, Klinik, Büro- oder Verwaltungsgebäude). Der Trend geht weg vom einfachen Pförtner. Zunehmend werden Pförtnern neben der Zutrittsregelung weitere Aufgaben übertragen. Die Pforte stellt immer häufiger eine technische Leitzentrale dar, in der Telefonanlage, Alarm- und Brandmeldesysteme, Rufanlage, Aufzugsnotruf usw. installiert sind. Der Pförtner ist nicht selten eine Werkschutzkraft, die Öffnungs- und Schließdienste versieht, Kontrollgänge durchführt, die Einhaltung von Feuerschutz- und Arbeitssicherheitsbestimmungen überwacht und im Notfall entsprechende Maßnahmen (z.B. Erste Hilfe, Brandbekämpfung, Evakuierung) ergreift bzw. veranlasst (Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst rufen etc.). Auf anderen Pförtnerarbeitsplätzen, vor allem bei Behörden, Verwaltungen usw. liegt der Schwerpunkt im Besucherempfang und in der Auskunfterteilung. Hier sind häufig Büroarbeiten (Postabfertigung, Ablage, Schreibarbeiten, Listen führen usw.) mit zu verrichten. Die Bedienung der Telefonanlage gehört dabei ebenfalls oft zu den Aufgaben.

Entsprechend unterschiedlich sind die Belastungen bei der Tätigkeitsausübung und die Anforderungen, die dadurch hinsichtlich gesundheitlichem Leistungsvermögen, Vorkenntnissen und Persönlichkeit gestellt werden. Im Extremfall muss die körperliche Belastbarkeit Voraussetzungen wie bei der Berufsfeuerwehr genügen. Es können aber auch z.B. Fremdsprachenkenntnisse verlangt werden.

Eine Pförtnertätigkeit beinhaltet keine ständige nervliche Belastung bzw. keinen dauernden Zeitdruck wie beispielsweise Akkordarbeit. Ganz sind Stress-Situationen erfahrungsgemäß jedoch nicht zu vermeiden. Gerade wenn die Routine durchbrochen wird, z.B. bei größerem Besucherandrang, bei der Abwehr unerwünschter Personen o.ä. Vorkommnissen, ist es Aufgabe des Pförtners zu reagieren und situationsgerecht schnell zu handeln. Erforderlichenfalls ist z.B. durch körperliches Abwehren wie in den Weg stellen bzw. gemäßigtes Abdrängen unerwünschten Besuchern der Eintritt zu verwehren. Ein Pförtner muss im Zuge der Ausübung des Hausrechtes - nach Rücksprache mit einem großen Industriebetrieb - in der Lage sein, zur Gefahrenabwehr durch Einsatz geeigneter Mittel und Wahrung der Verhältnismäßigkeit körperlichen Einsatz durch den Gebrauch beider Hände vorzunehmen. Daher ist bei einer Pförtnertätigkeit bei der Gefahrenabwehr die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich. Inwieweit der Kläger dazu in der Lage ist, kann aus berufskundlicher Sicht nicht beurteilt werden. Bei gegebenem Anlass muss der Pförtner Feuerlöscher bedienen und Notausgänge öffnen. Hierbei ist die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände ebenfalls erforderlich. Außerdem ist beim Ausfüllen der Besucherscheine eine gewisse Fähigkeit zum Schreiben erforderlich. Ob der Kläger, der über keine Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes verfügt, dazu noch in der Lage ist, kann den Akten nicht entnommen werden.

Der Pförtner ist für Kunden, Besucher, Lieferanten und unter Umständen Anrufer in der Regel der erste Ansprechpartner eines Unternehmens, einer Behörde oder ähnlichem. Daher werden durchaus bestimmte Mindestanforderungen an Umgangsformen, Auftreten wie Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit, ein gewisses Maß an Flexibilität und Umsicht und äußeres Erscheinungsbild gefordert und es wird erwartet, dass der Kläger in der Lage ist, sich ausreichende Kenntnisse des Betriebes anzueignen.

Es existiert für die Tätigkeit eines einfachen Pförtners eine nennenswerte Zahl von auch Außenstehenden zugänglichen Arbeitsplätzen. Bei den Arbeitsplätzen für einfache Pförtner handelt es sich häufig um Schonarbeitsplätze, die der innerbetrieblichen Besetzung durch leistungsgeminderte Beschäftigte vorbehalten sind, da die Tätigkeit eines Pförtners in der Regel weniger belastend ist als die Ausgangstätigkeit (z.B. in der Produktion).

Das in ihrer Anfrage angegebene, jedoch nicht beigefügte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 12.05. 1997 - Az: 11 J 2551/96 wurde mir bereits in anderen Fällen vorgelegt. Nach der Stellungnahme des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vom

21.11.1996, die in dem o.a. Urteil zitiert wird, ist angegeben, dass an die Funktionstüchtigkeit der Arme und Beine keine besonderen Anforderungen gestellt werden, d.h. Einschränkungen in diesen Bereichen lassen sich je nach konkretem Arbeitsplatz berücksichtigen. Ausfälle der oberen Gliedmaßen müssen � je nach Art und Schwere der Einschränkung � nicht zwingend zu einer Nichteignung für Pförtnertätigkeiten führen.

Unter Berücksichtigung aller Umstände ist aus berufskundlicher Sicht nicht davon auszugehen, dass dem Kläger der direkte Zugang zu einem leidensgerechten Arbeitsplatz als Pförtner möglich ist. Durch finanzielle Hilfen oder andere Hilfen (bei Schwerbehinderten durch Mehrfachanrechnung) können behindertengerechte Arbeitsplätze im Einzelfall erschlossen werden.

Parkplatzwächter

Die Tätigkeit eines Parkplatzwächters, die körperlich leicht ist, wird häufig als zumutbare Verweisungstätigkeit, gerade für Personen, deren Gebrauchsfähigkeit eines Armes eingeschränkt bzw. nicht mehr vorhanden ist, genannt. Nach dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. ^Dexel^ sind dem Kläger Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze, Zugluft unzumutbar. Die Tätigkeit eines Parkplatzwächters wird häufig im Freien verrichtet. Das Schutzhäuschen kann nur benutzt werden, wenn keine Parker ankommen bzw. den Parkplatz verlassen. Daher ist der Parkplatzwächter immer wieder Witterungseinflüssen ausgesetzt. Aus berufskundlicher Sicht können daher bei einer Tätigkeit als Parkplatzwächter die Leistungseinschränkungen des Klägers nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Spielhallenaufsicht

Ebenfalls häufig in ähnlichen Fällen in die Überlegungen miteinbezogen wurde die Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht, die für die Aufrechterhaltung des Spielbetriebes in Spielcentern, Spielotheken und Betrieben mit Unterhaltungs- und Glückspielgeräten zuständig ist. Zu ihren weiteren Aufgaben gehören das Betreuen und Pflegen der Spielautomaten, das Beseitigen von technischen Störungen bzw. Veranlassen von Reparaturarbeiten, das Gewährleisten der Sauberkeit und attraktiven Gestaltung des Spielcenters, das Organisieren und Betreuen von Veranstaltungen /Turnieren, das Betreuen der Gäste/ Kunden/innen, ggf. Schlichten von Unstimmigkeiten unter den Kunden/innen, Kassieren, Erstellen von Verkaufsabrechnungen und Aufstellen von Dienstplänen, ggf. Mithilfe beim Gastronomie-Service.

Die Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht ist in der Regel körperlich leicht und wird im Stehen, Gehen und kurzfristig im Sitzen verrichtet. Wechselschicht ist üblich.

Anzumerken ist, dass von Arbeitgeberseite bestimmte Mindestanforderungen an die Person wie z.B. Durchsetzungsvermögen vor allem in verbaler Hinsicht und Zuverlässigkeit gestellt werden. Außerdem muss häufig ein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden. Ob der Kläger diese Voraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Die Leistungseinschränkungen des Klägers können bei der Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht weitgehend berücksichtigt werden.

Spielhallen sind übersichtliche und überschaubare Räume, sodass keine Gefahr besteht, dass ein Besucher sich unberechtigt Zutritt in z.B. verschiedene Stockwerke, Gebäudeteile verschafft. Sollte es der Spielhallenaufsicht trotz des Aussprechen eines Hausverbotes nicht gelingen, dass der �ungebetene Gast� die Spielhalle verlässt, hat die Aufsicht umgehend die Polizei zu verständigen. Der körperliche Einsatz ist nicht vorgesehen und damit die volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme nicht zwingend erforderlich. Anzumerken ist, dass in Spielhallen Videoüberwachung Pflicht ist.

Beim Betätigen des Türdrückers gehen Notausgänge, die mit einem sog. "Panikschloss" versehen sind, automatisch auf. Per gesetzlicher Regelung besteht in Spielhallen die Verpflichtung �Panikschlösser� zu installieren. Das Öffnen der Notausgänge ist daher nicht nur durch die Spielhallenaufsicht möglich. Ggf. muss jedoch von einer Spielhallenaufsicht ein Feuerlöscher bedient werden. Jedoch kann, da sich in einer Spielhalle in der Regel mehrere Feuerlöscher befinden, dies auch von Kunden vorgenommen werden. Somit ist auch in diesen Ausnahmefällen die volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme ebenfalls nicht zwingend notwendig. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Telefonist

In die Überlegungen miteinbezogen wurde noch die Tätigkeit eines Telefonisten, die - wenn nicht andere Arbeiten mit verrichtet werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches oder vertieftes Wissen erforderlich ist - erfahrungsgemäß in maximal drei Monaten erlernbar ist. Sie ist körperlich leicht, wird jedoch ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger die persönlichen Voraussetzungen mitbringt und mit der verbliebenen Hand in der Lage ist, die o.a. Aufgaben zu erledigen, kann nicht beurteilt werden.

Weitere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wie z.B. Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten, Lager-, Transport- und Verladearbeiten, Reinigungsarbeiten,Arbeiten als Bote, Mitarbeiter einer Registratur oder Poststelle oder einfache Bürohilfsarbeiten kommen für den Kläger insbesondere aufgrund des Erfordernis nur noch Arbeiten verrichten zu können, die ohne die volle Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes möglich sind, nicht in Betracht.

Anmerken möchte ich abschließend, dass es insgesamt nicht ausgeschlossen werden kann, dass es bei Betrachtung des Arbeitsmarktes des gesamten Bundesgebietes nicht doch eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen gibt, die grundsätzlich für den Kläger in Betracht kämen. Auf Arbeitgeberseite sind dabei jedoch erfahrungsgemäß besondere Zugeständnisse (z.B. der Restleistungsfähigkeit angepasster Zuschnitt der Aufgaben, Verzicht auf Flexibilität oder Vielseitigkeit, Änderungen am Arbeitsplatz, Herabsetzung des Arbeitstempos bzw. des erwarteten Produktivitätsgrades) erforderlich. Entsprechende Arbeitsplätze sind Außenstehenden daher unter den üblichen Bedingungen des Arbeitslebens in der Regel nicht bzw. nicht direkt zugänglich, vielmehr handelt es sich nicht selten um vergönnungsweise Beschäftigung aufgrund sozialer Verpflichtungen oder die Arbeitsplätze wurden im Einzelfall durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen, z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen erschlossen.
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