S 7 R 233/05

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 7 R 233/05
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige Qualifikationen des Klägers:
- geb. 1954
- keine abgeschlossene Berufsausbildung
- seit 01.02.1973 Tätigkeit als Dachdecker, nach Auskunft des Arbeitgebers in Tätigkeit eines angelernten Arbeiters für Dach- und Abdichtungsarbeiten mit Anlernausbildung von 1,5 Jahren (betriebseigene Unterweisungen, Sachkundelehrgänge der Bau BG und Fremdunternehmen)

b) Gesundheitliches Restvermögen des Klägers
- Schwere posttraumatische Ellenbogengelenkarthrose rechts mit erheblicher Funktionseinschränkung insbesondere mit Versteifung des proximalen Radioulnargelenks in Pronationsstellung
- Leichte posttraumatische Ellenbogengelenksathrose links
- Posttraumatische Handgelenksarthrose rechts
- Zustand nach pertrochantärer Oberschenkelfraktur rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung
- Mäßiggradige Gonarthrose, Zustand nach vorderer Kreuzbandruptur
- Bewegungseinschränkung der rechten Großzehe, erheblicher Senk-Spreizfuss bds.

Im Vordergrund hinsichtlich der Minderung der Erwerbsfähigkeit stehen die Folgen des Arbeitsunfalles aus dem Jahre 1995. Als dessen Folgen finden sich eine hochgradige Einschränkung der Ellenbogen- und Handgelenksbeweglichkeit mit konsekutiver Einschränkung und Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes sowie eine leichte Bewegungseinschränkung des Ellenbogen- und Handgelenkes links sowie im Hüftgelenk rechts. Des Weiteren besteht eine beidseitige Gonarthrose mit einem Steckdefizit und belastungsabhängiger Schmerzsymptomatik. Des Weiteren besteht auf orthopädischem Fachgebiet ein Zustand nach Operation eines Hallux valgus links mit geringfügiger Bewegungseinschränkung. Die Gebrauchsfähigkeit der beiden Hände ist erheblich eingeschränkt. Durch die Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit der Hände in Kombination mit der Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Hüftgelenk sind die Arbeiten des Dachdeckers (zuletzt ausgeübter Beruf) nicht mehr vertretbar. zum einen sind die üblichen arbeiten eines Dachdeckers aufgrund der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Hände nicht mehr zumutbar, zum anderen besteht eine erhöhte Unfallgefahr durch die Einschränkung der Greiffähigkeit und des sicheren Standes auf Leitern und Gerüsten.

Die Erwerbsfähigkeit von Herrn X. unterliegt folgenden Einschränkungen: Es sind nur Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen mit wechselnder Körperhaltung möglich. Zwangshaltungen sind zu vermeiden, ebenso Hebe- und Bückarbeiten. Die maximale Hebebelastung in Kilogramm als Dauer der Einzelbelastung sollte 10 Kilogramm nicht überschreiten. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist deutlich eingeschränkt. Aufgrund der eingeschränkten Greiffähigkeit der Hände und der Einschränkung der Rotation im Hüftgelenk besteht eine Absturzgefahr von Leitern und Gerüsten. Schicht- oder Akkordarbeit dürfte ausführbar sein. Eine Gefährdung durch Reizstoffe ist nicht erkennbar.

Das Leistungsvermögen von Herrn X. beträgt unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen noch regelmäßig zumindest 6 Stunden arbeitstäglich für leichte bis höchstens mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann der Kläger noch ausüben?
Kann der Kläger insbesondere noch die Tätigkeit
• im bisherigen Beruf als Dachdecker
• oder in den Verweisungstätigkeiten als Telefonist, Poststellenmitarbeiter, Pförtner ausüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann der Kläger unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1): Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen halte ich den Kläger nicht mehr für in der Lage, die bisher ausgeübten Tätigkeiten als Dachdecker zu verrichten. Berufsnahe Tätigkeiten kann er ebenfalls nicht mehr ausüben.

Bei Beachtung des beruflichen Werdeganges und des gesundheitlichen Leistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht noch für in der Lage, folgende berufsfremde bzw. qualifizierte Verweistätigkeiten zu verrichten:

Telefonist
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen u. ä., die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Je nach Art des Betriebes/ der Behörde können diese Tätigkeiten auch mit der Verrichtung von einfachen Büroarbeiten und /oder dem Empfangen und Anmelden von Besuchern gekoppelt sein.

Die Anforderungen an Telefonisten sind aufgrund der Tatsache, dass diese in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind recht unterschiedlich. Während sich in großen Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen die Tätigkeiten in der Regel auf das Bedienen einer z.T. recht umfangreichen Telefonanlage beschränken, findet man in kleineren und mittleren Betrieben und Organisationen häufig eine Funktionskoppelung mit einfachen Bürotätigkeiten, Schreibtätigkeiten sowie Empfangs- und Pförtnertätigkeiten.

Während bei Telefonisten in Großunternehmen ein bedarfsmässiger Wechsel der Körperhaltung zumindest bezweifelt werden darf, kann man bei dieser Tätigkeit in kleineren Betrieben davon ausgehen, dass eine wechselweise Körperhaltung zum einen aufgrund des breiteren Betätigungsfeldes, zum anderen aber auch im Bedarfsfalle jederzeit möglich ist.

Mitarbeiter/Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
Die Tätigkeit, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist, umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

Pförtner/Tagespförtner (Eingangskontrolleur)
Diese Tätigkeit umfasst das Überwachen des Personenverkehrs in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen von Betrieben, Behörden oder Krankenhäusern, das Überprüfen von Ausweisen, das Anmelden von Besuchern, das Ausfüllen von Besucherzetteln und das Weiterleiten von Besuchern an die zu besuchenden Stellen oder Personen innerhalb des Betriebes, der Behörde oder des Krankenhauses.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen. Die Arbeiten werden überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Umhergehen verrichtet.

zu 2): siehe unter 1.

zu 3): Bei den vorgenannten Verweistätigkeiten handelt es sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden können. Gleichwohl werden diese Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt.

Die erbetene Auskunft über die tarifliche Einstufung kann ich nicht erteilen, da die Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit keine Tarifsammlung führen. Entsprechende Anfragen bitte ich an die Tarifvertragsparteien oder an die Tarifregisterstelle im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung zu richten.

zu 4): Für die genannten Tätigkeiten sind im allgemeinen Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer erforderlich. Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten dürften - unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers - auch für ihn ausreichend sein.

zu 5): Die genannten Verweistätigkeiten Telefonist, Mitarbeiter in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde sowie Pförtner stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

zu 6): Die genannten Verweistätigkeiten stehen auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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