S 9 RJ 821/04

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 9 RJ 821/04
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

1. a)Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen d. Kl.:
Der Kläger hat nach eigenen Angaben in der Zeit vom 01.09.1978 bis 22.06.1978 eine Lehre als Chemielaborant absolviert. Nach einer aktuellen Arbeitgeberauskunft arbeitete der Kläger ab dem 20.05.1986 als Anlagenführer in der Getriebeteilfertigung der V. AG. Hinsichtlich der Tätigkeitsbeschreibung wird auf die Arbeitgeberauskunft vom 10.08.2006 Bezug genommen. Der Kläger wurde als angelernter Arbeiter mit einer zweijährigen Ausbildung beschäftigt. Der Kläger erhielt ein Bruttoentgelt von 2.974,00 EUR plus Schichtzuschläge.

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen d. Kl.: Ausweislich des eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachtens bestehen bei dem Kläger folgende Erkrankungen: Postdiskotomiesyndrom mit persistierender Fußheberschwäche nach Bandscheibenoperation L 4/5 und L 5/S 1 links im Jahre 2002; ausgeprägte Schwäche der rechten Hand bei Retrospondylose mit Spinalkanaleinengung und Intervertebralforameneinengung C 5/6; degenerative Innenmeniskusläsion rechts Kniegelenke. Aufgrund dieser Erkrankungen sind dem Kläger feinmotorische Tätigkeiten wie die Bedienung von Tastaturen mit beiden Händen nur eingeschränkt möglich. Aufgrund der bestehenden Fußheberschwäche links ist der Kläger nicht mehr in der Lage, Leitern, Gerüste oder Rampen zu besteigen. Dem Kläger seien bereits aus orthopädischen Gründen nur sitzende Tätigkeiten ggf. mit kurzzeitigem Gehen und Stehen möglich. Zwangshaltungen sind jedoch zu vermeiden. Die Verweisungstätigkeit sollte nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Hebe- oder Bückarbeit beinhalten. Eine maximale Hebeleistung von 10 kg. als gelegentliche Einzelleistung kann mit der linken Hand ausgeübt werden. Eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist nicht gegeben. Schicht- und Akkordarbeiten sind dem Kläger ebenfalls nicht zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen ist der Kläger nach den Angaben von Dr. H. noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten über 6 Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten. Allerdings ist aus seiner Sicht die Einhaltung betriebsunüblicher Pausen wegen der Krampneigung in den Fingern der rechten Hand erforderlich. Dies sei jedoch abhängig von der Art der ausgeübten Tätigkeit.

Die auf orthopädischem Fachgebiet erhobenen Diagnosen wurden im Wesentlichen durch das nachfolgend eingeholte neurologische Gutachten bestätigt. Der Sachverständige Dr. F. stellte jedoch neben den degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule mit einer Einengung des Wirbelkanals bei C 5/6 mit Ausstrahlung in den Innervationsgebiet der Nervenwurzeln C 7-8 rechts noch ein überlagerndes Carpaltunnelsyndrom rechts fest. Zusätzlich zu den von Dr. H. bereits genannten qualitativen Leistungseinschränkungen hat der Sachverständige angegeben, der Kläger sei wegen der Halswirbelsäulenerkrankung nicht mehr in der Lage, Überkopfarbeiten zu verrichten oder Tätigkeiten auszuüben, die mit einer Kopfzwangshaltung verbunden seien. Die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand schätzte er als gering ein, insbesondere für Arbeiten, die ein Tast-Feingefühl oder feinmotorischen Fähigkeiten erforderten. Auch Dr. F. stellte für den allgemeinen Arbeitsmarkt ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr arbeitstäglich fest. Bei Tätigkeiten mit häufigem Wechsel der Körperhaltung ohne längeres Sitzen oder Stehen seien die gesetzlichen Arbeitspausen von 30 Minuten bei einer sechsstündigen Arbeitszeit ausreichend. Sofern Tätigkeiten mit Zwangshaltung ausgeübt werden ohne die Möglichkeit des Wechsels der Haltung seien die betriebsüblichen Pausen nicht ausreichend. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des auf neurologischem Fachgebiet gehörten Sachverständigen wird auf das Gutachten vom 22.11.05 und die ergänzende Stellungnahme vom 21.02.06 Bezug genommen.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann d. Kl. noch ausüben? Ist der Kläger noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Montierers in der Metall- und Elektroindustrie, eines Versandfertigmachers, eines Poststellenmitarbeiters, eines Pförtners oder eines Telefonisten auszuüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann d Kl. unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens ist der Kläger aus berufskundlicher Sicht in der Lage, die Tätigkeiten eines Pförtners und eines Telefonisten vollwertig verrichten zu können. Bei den vorgenannten Tätigkeiten handelt es sich um berufsfremde Tätigkeiten.

Hinsichtlich der Tätigkeiten eines Montierers in der Metall- und Elektroindustrie, eines Versandfertigmachers und eines Poststellenmitarbeiters, vertrete ich die Auffassung, dass der Kläger diese aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben kann. Grundlage hierfür sind die gesundheitlichen Einschränkungen lt. fachorthopädischem Gutachten vom 21.03.2005 und neurologischem Gutachten vom 22.11.2005 einschl. der Ergänzungen vom 21.02.2006. Hiernach ist die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand für Arbeiten die Anforderungen an die Fingerfeinmotorik stellen, eingeschränkt. Längere Fixierungen der Kopf- und Körperhaltung bedingen wahrscheinlich betriebsunübliche Pausen; Bück- und Hebetätigkeiten sind auszuschließen. Für die Tätigkeit eines Montierers in der Metall- und Elektroindustrie ist in der Regel die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderlich. Bei der Tätigkeit eines Versandfertigmachers kommt es erfahrungsgemäß zu länger andauernden Fixierungen der Kopf- und/oder Körperhaltung. Bei der Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters kann es gelegentlich vorkommen, dass schwere Gegenstände von über 10 kg (z.B. mit Schriftstücken gefüllte Pakete) zu Heben und zu Tragen sind.

zu 2) Montierer in der Metall- und Elektroindustrie
Die wesentlichen Aufgaben umfassen den Zusammenbau / die Montage von vorgefertigten Einzelteilen oder von Baugruppen zu einer funktionsgerechten Einheit entsprechend den Montageanleitungen unter gleichzeitiger Prüfung der Maßgenauigkeit; Zupassen der Teile und Verbinden der Teile durch Verschrauben, Löten, Schweißen, Nieten u.ä., Einbau von Zusatzgeräten in Grundeinheiten zur Erweiterung der Verwendungsmöglichkeit. Arbeitsplätze dieser Art findet man in allen Bereichen der feinmechanischen, optischen, Metall- und Elektroindustrie.

Es handelt sich um zumeist um körperliche leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, überwiegend in sitzender Körperhaltung. Erforderlich sind ein gutes Sehvermögen, handwerkliches Geschick und Fingerfertigkeit. Oft wird diese Tätigkeit in Schichtarbeit verrichtet, zum Teil auch am Fließband.

Versandfertigmacher
Die wesentlichen Aufgaben bestehen in vorbereitenden Arbeiten für den Versand von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft. Im Einzelnen wären hier zu nennen: Das Anbringen von Etiketten, Preisauszeichnungen oder Gütezeichen, das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen o. ä ...

Es handelt sich dabei meist um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen Räumen oder Lagerhallen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist meist möglich.

Versandfertigmacher verrichten u. a. folgende einfache Arbeiten:
- verpacken von Haushaltswaren und Lebensmitteln (z.B. Wurstwaren)
- elektrische Kleingeräte (Rasierapparate, MP3-Player, Bohrmaschinen usw.) mit Zubehörteilen versandfertig verpacken
- von verschied. Produkten (Kleidung, Kleinartikel, Haushaltswaren usw.) produktionsbedingte Verschmutzungen entfernen und diese in Pappschachteln/-kartons einlegen

Mitarbeiter/Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde Die Tätigkeit umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

Pförtner
Diese Tätigkeit umfasst das Überwachen des Personenverkehrs in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen von Betrieben, Behörden oder Krankenhäusern, das Überprüfen von Ausweisen, das Anmelden von Besuchern, das Ausfüllen von Besucherzetteln und das Weiterleiten von Besuchern an die zu besuchenden Stellen oder Personen innerhalb des Betriebes, der Behörde oder des Krankenhauses.

Die Arbeit ist grundsätzlich körperlich leicht, in der Regel wird in temperierten Räumen gearbeitet, es überwiegt sitzende Körperhaltung (ein Bewegungswechsel ist möglich). Erforderlich sind ein gutes Hörvermögen, eine ausreichende sprachliche Darstellungsfähigkeit sowie ein gutes Personengedächtnis.

Telefonist
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telegrammen, Telefaxen u. ä., die Entgegennahme und Niederschrift von Nachrichten für Teilnehmer, die vorübergehend abwesend sind. Je nach Art des Betriebes/ der Behörde können diese Tätigkeiten auch mit der Verrichtung von einfachen Büroarbeiten und/oder dem Empfangen und Anmelden von Besuchern gekoppelt sein. Die Anforderungen an Telefonistinnen sind aufgrund der Tatsache, dass diese in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind recht unterschiedlich. Während sich in großen Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen die Tätigkeiten in der Regel auf das Bedienen einer z.T. recht umfangreichen Telefonanlage beschränken, findet man in kleineren und mittleren Betrieben und Organisationen häufig eine Funktionskoppelung mit einfachen Bürotätigkeiten, Schreibtätigkeiten sowie Empfangs- und Pförtnertätigkeiten. Während bei Telefonisten in Großunternehmen ein bedarfsmässiger Wechsel der Körperhaltung zumindest bezweifelt werden darf, kann man bei dieser Tätigkeit in kleineren Betrieben davon ausgehen, dass eine wechselweise Körperhaltung zum einen aufgrund des breiteren Betätigungsfeldes, zum anderen aber auch im Bedarfsfalle jederzeit möglich ist.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und Datenverarbeitung, zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

zu 3) Bei den vorgenannten Tätigkeiten handelt es sich um eine ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist. Im Regelfall betragen die betrieblichen Einarbeitungs- und Einweisungszeiten maximal drei Monate. Hinsichtlich der tarifvertraglichen Einstufung verweise ich auf das Tarifregister des Landes Hessen.

zu 4.) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht für in der Lage, die Tätigkeiten eines Telefonisten und eines Pförtners nach einer betrieblichen Einarbeitungs-/Einweisungszeit von maximal drei Monaten unter arbeitsmarkt- und betriebsüblichen Bedingungen vollwertig verrichten kann.

zu 5+6) Die in Betracht kommenden Tätigkeiten eines Telefonisten und eines Pförtners stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang -mehr als 300 besetzte oder unbesetzte Arbeitsplätze- auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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