S 7 R 164/05

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 7 R 164/05
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen des Klägers:
08/1971 – 05/1973 Dachdeckerausbildung mit bestandener Prüfung
06/1973 – 12/1974 Dachdeckergeselle 01/1975 – 03/1976 Grundwehrdienst 04/1976 – 04/1980 Dachdeckergeselle 04/1980 – 11/1980 Meisterprüfung Dachdeckerhandwerk (bestanden) seit 12/1980 Tätigkeit als Dachdeckermeister, bis 1988 als Gesellschafter in GmbH zu 1/3-Beteiligung, seit 1988 Beteiligung zu ½, seit 1998 als Gesellschafter-Geschäftsführer mit Beteiligung zu 90 %

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen des Klägers:
aa) Diagnosen: Chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom bei Zustand nach Nucleotomie L 5 / S 1 links mit fortgeschrittener Bandscheibenzwischenraumschädigung L 5 / S 1 mit Wirbelgelenksarthrose

bb) Restleistungsvermögen: Der Kläger berichtet, dass bereits seit Jahrzehnten Rückenschmerzen bestehen. 1995 wurde nach einem Bandscheibenprolaps L 5 / S 1 links eine operative Ausräumung des Bandscheibenzwischenraumes L 5 / S 1 durchgeführt. In der Folge kommt es weiterhin zu belastungsabhängigen Rückenschmerzen, die nicht mehr im Sinne einer radiculären Symptomatik zu interpretieren sind. Eine Ausstrahlung in die unteren Extremitäten wird nicht mehr festgestellt. Es zeigt sich aktuell ein regelrechter neurologischer Status.

Die Beschwerden resultieren aus der fortgeschrittenen Bandscheibenschädigung des Bewegungssegmentes L 5 / S 1. Infolge der fortgeschrittenen Höhenminderung des Bandscheibenzwischenraumes ist es zu einer Wirbelgelenksarthrose gekommen. Durch diese Wirbelgelenksarthrose kommt es zu einer Irritation der Wirbelgelenke des Bewegungssegmentes L 5 / S 1 mit daraus resultierenden Schmerzzuständen. Diese Problematik wird durch körperliche Belastung ausgelöst. Der Kläger ist sehr engagiert und unterzieht sich einer fortlaufenden Trainingsbehandlung in Eigenregie. Er selbst sieht hier einen eindeutig positiven Effekt auf seine Beschwerden. Klinisch zeigt sich ein athletischer Habitus mit gut ausgebildeter Rückenstreck- und abdomineller Muskulatur. Trotz dieser Voraussetzungen kommt es zu belastungsinduzierten Beschwerden. Der Zusammenhang der Beschwerden mit den geschilderten Belastungsvorgängen ist eindeutig nachvollziehbar.

Aufgrund der morphologischen Situation und den daraus resultierenden Beschwerden besteht eine qualitative Einschränkung der Belastungsfähigkeit. Stereotype Bewegungsabläufe, häufig gebückte Belastungen, Tätigkeiten, die permanent mit Hebe- und Tragebelastungen von über 10 kg und im Einzelfall von über 20 kg verbunden sind, sollten vermieden werden. Dies gilt vor allem auch für Tätigkeiten, die gleichzeitig mit Absturzgefahr verbunden sind. Der Kläger berichtet, dass er in seinem Beruf als Dachdecker Hebe- und Tragebelastungen von 80 bis 100 kg bewältigen musste. Dies war gleichzeitig mit Tätigkeiten auf Gerüsten, Leitern und Dächern verbunden. Derartige Belastungen sind nicht leidensgerecht.

Des Weiteren sind Arbeiten in Zugluft, mit größeren Temperaturschwankungen nur eingeschränkt durchführbar, da derartige Belastungen zu muskulären Reaktionen führen können, die bei entsprechender Disposition, die in diesem Fall vorliegt, zu Beschwerden führen könnte. Weitere Einschränkungen liegen aus orthopädischer Sicht nicht vor.

Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen ist der Kläger in der Lage zumindest sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann der Kläger noch ausüben? Kann der Kläger insbesondere noch die Tätigkeit
a) eines Anwendungstechnikers in der Zulieferindustrie
b) Bürotätigkeiten in der Bedachungsbranche ausüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann der Kläger unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I. a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1 u. 2): Bei Beachtung des beruflichen Werdeganges und des gesundheitlichen Leistungsvermögens halte ich den Kläger aus berufskundlicher Sicht noch für in der Lage, folgende Tätigkeiten zu verrichten:
- Anwendungstechniker
- Angebots- und Auftragssachbearbeiter
- Fachverkäufer oder Kundenberater
- Mitarbeiter der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
- Pförtner
- Warenaufseher/Versandfertigmacher
- Warensortierer

Anwendungstechniker/in
Zu den Aufgaben gehört schwerpunktmäßig die Beratung der Anwendung der Zulieferindustrie. Dies umfasst die Beratung hinsichtlich des Einsatzes der Werkstoffe für Firmen der Bedachungsindustrie und erarbeitet - auch bei schwierigen Fragen/Problemen - Lösungen. Hier werden Meister, Techniker, Ingenieure und Facharbeiter mit Zusatzqualifikationen angesetzt.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in wechselnder Körperhaltung. Gelegentlich können Arbeiten unter Zeitdruck(Terminarbeiten) oder Überstunden eintreten.

Angebots- und Auftragssachbearbeiter/in
Angebots- und Auftragssachbearbeiter/innen sind in größeren Dachdeckerbetrieben für die Kundenbetreuung und -beratung zuständig. Sie erstellen Angebote für die Kunden, bearbeiten die Aufträge, kalkulieren die entstehenden Kosten und planen, organisieren und Koordinieren die auszuführenden Arbeiten. Im Allgemeinen wird für den Zugang zur Tätigkeit eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokauffrau/-mann vorausgesetzt. Auch Dachdecker und -meister kommen für diese Tätigkeit in Betracht.

Es handelt sich um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen; gelegentlich können Arbeiten unter Zeitdruck (Terminarbeiten) oder Überstunden eintreten.

Fachverkäufer oder Kundenberater
Sie beraten Kunden beim Kauf von Bedachungswerkstoffen. Sie informieren über Produkteigenschaften, zeigen das vorhandene Sortiment und erläutern den Kunden den Verwendungszweck und die Handhabung. Je nach Betriebsgröße und vorausgegangener Ausbildung können sie teilweise neben der reinen Kundenberatung auch Tätigkeiten im Bereich Warenbeschaffung und Lagerverwaltung und auch im Abrechnungs- und Bestellwesen übernehmen. Sie arbeiten in Betrieben des einschlägigen Fachhandels (Groß- und Einzelhandel) oder auch in Kundenserviceabteilungen bzw. im Fabrikverkauf beim Hersteller.

Diese Tätigkeit wird überwiegend im Stehen und Gehen verrichtet. Bücken und Recken sowie gelegentliche Überkopfarbeiten bzw. Hochhantierungen und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten – auch im mittelschweren Bereich - kann nicht vermieden werden.

Mitarbeite/in in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
Sie umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

Pförtner/in / Tagespförtner/in
Diese Tätigkeit umfasst das Überwachen des Personenverkehrs in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen von Betrieben, Behörden oder Krankenhäusern, das Überprüfen von Ausweisen, das Anmelden von Besuchern, das Ausfüllen von Besucherzetteln und das Weiterleiten von Besuchern an die zu besuchenden Stellen oder Personen innerhalb des Betriebes, der Behörde oder des Krankenhauses. Oft kümmern sie sich auch um die Postverteilung im Betrieb. Zu ihren Aufgaben gehört zum Teil auch der Telefondienst, das Aushändigen von Formularen, sowie das Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck.

Die Arbeit ist grundsätzlich körperlich leicht, in der Regel wird in temperierten Räumen gearbeitet, es überwiegt sitzende Körperhaltung (ein Bewegungswechsel ist möglich).

Warenaufmacher/in / Versandfertigmacher/in
Die wesentlichen Aufgaben umfassen das verschönernde und zweckbedingte Aufmachen von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft und die vorbereitenden Arbeiten für deren Versand. Im einzelnen wären hier zu nennen: Das Entfernen produktionsbedingter Verschmutzungen durch Blankreiben, Polieren o.ä., das Aufkleben, Einnähen oder Befestigen von Reklame-, Prüf-, Waren- oder Gütezeichen, Etiketten, Preisauszeichnungen o.ä., das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen o.ä.

Das gesundheitliche Anforderungsprofil eines Versandfertigmachers kann je nach Produkt oder Branche sehr unterschiedlich sein. Es handelt sich um eine leichte Tätigkeit in geschlossenen temperierten Räumen, die überwiegend im Sitzen ausgeübt wird.

Warensortierer
Die wesentlichen Aufgaben umfassen leichte Sortierarbeiten im Elektrobereich, in Betrieben der Kunststoffherstellung und Kunststoffbearbeitung, der Wertstoffsortierung, der chemischen Industrie und Sortierarbeiten in der Nahrungs- und Genussmittelherstellung, sowie die Überwachung automatisierter Abpackvorgänge.

Es handelt sich im Allgemeinen um körperlich leichte, zum Teil mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen überwiegend im Stehen oder Sitzen. Ein Wechsel der Körperhaltung ist je nach Tätigkeit möglich. Zum Teil werden die Tätigkeiten im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen ausgeübt.

zu 3): Anwendungstechniker/in:
Hier werden Meister, Techniker, Ingenieure und Facharbeiter mit Zusatzqualifikationen angesetzt. Angebots- und Auftragssachbearbeiter/in: Im Allgemeinen wird für den Zugang zur Tätigkeit eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokauffrau/-mann vorausgesetzt. Auch Dachdecker und -meister kommen für diese Tätigkeit in Betracht. Fachverkäufer/in oder Kundenberater/in: Allgemein ist für diese Tätigkeit eine abgeschlossene Ausbildung im Einzelhandel oder im gewerblich/technischen Bereich – hier Dachdecker- erforderlich. Bei den Tätigkeiten: Pförtner/in, Mitarbeiter/in einer Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde, Warenaufseher/in/Versandfertigmacher/in und Warensortierer/in handelt es sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden können. Gleichwohl werden diese Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt.

Die erbetene Auskunft über die tarifliche Einstufung kann ich nicht erteilen, da die Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit keine Tarifsammlung führen. Entsprechende Anfragen bitte ich an die Tarifvertragsparteien oder an die Tarifregisterstelle im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung zu richten.

zu 4): Für die genannten Tätigkeiten sind im allgemeinen Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer erforderlich. Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten dürften - unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers - auch für ihn ausreichend sein. Der Kläger verfügt über langjährige Berufserfahrung und die Meisterprüfung.

zu 5): Die genannten Tätigkeiten zu Nr. 1 u. 2 stehen alle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

zu 6): Die in Betracht kommenden Verweistätigkeiten stehen auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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