S 5 R 95/10

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 5 R 95/10
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

- Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen des Klägers:

Der 1958 geborene Kläger absovierte eine Lehre als Schornsteinfeger und war in diesem Beruf ab 1975 tätig. 1983 legte er die Meisterprüfung ab. Seit Juli 1994 bis zu seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand am 17.09.2009 war er als Bezirksschornsteinfegermeister tätig. 2001 bestand er bei der Handwerkskammer Kassel die Fortbildungsprüfung zum Energieberater. Bis 2009 stellte er seinen eigenen Angaben zufolge insgesamt 3 Energiepässe aus. Berufliche Fortbildungen zur Energieberatung fanden seinen eigenen Angaben zufolge nicht statt.

- Gesundheitliches Restleistungsvermögen des Klägers:

Das Gericht hat ein Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet und ein Sachverständigengutachten auf psychatrisch- psychotherapeutischem Fachgebiet eingeholt.

Bei dem Kläger liegen nach den Einschätzungen der Sachverständigen folgende Krankheiten vor:

1. Zustand nach akuter psychotischer Störung im Mai 2008 (ICD 10. F23.0),
2. Zustand nach akuter schwerer depressiver Phase mit Suizidalität im Mai 2008,
3. Anpassungsstörungen mit längerer depressiver Reaktion bzw. Verdacht auf Persönlichkeitsstörung,
4. Ulnaris-Rinnensyndrom beidseits, ausgeprägt,
5. Leichte Schädigung des rechten Nervus Medianus im Karpaltunnel.

Nach der Einschätzung des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen kann der Kläger noch zumindest 6 Stunden leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten, allerdings seien die bestehenden Schäden an den Ulnaris Nerven (die allerdings problemlos zu behandeln seien) zu berücksichtigen. Bei der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sei als einziges Problem die Tatsache zu berücksichtigen, dass er immer noch in niedriger Dosierung Olanzapin einnehme und es nach dem Absetzen der Medikamente eine erneute Verschlechterung geben könne.

Nach dem psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverständigen kann der Kläger noch leichte Arbeiten mit einfacher Sachbearbeitung bzw. einfache handwerkliche Arbeiten 6 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. In Frage komme Kundenberatung und -bedienung, Auskünfte erteilen auf der Grundlage des persönlichen Kenntnisstandes, einfache Verwaltungsaufgaben (z.B. Post, Disposition, Rechnungsstellung, Eingangsprüfung, Dienstplanerstellung) sowie die Teilnahme an Besprechungen und die Entgegennahme von Arbeitsaufträgen. Arbeiten mit Übernahme von Verantwortung oder komplexen Problemlösungen unter Zeitdruck können nicht ausgeübt werden. Die Tätigkeit unterliege folgenden Einschränkungen: Ohne Schichtarbeit, ohne Akkordarbeit, ohne besondere nervliche Belastung, ohne besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen, ohne Zeitdruck.

II. Beweisfragen

1. Kann der Kläger
a. die Tätigkeit als Fachberater im Baumarkt,
b. die Tätigkeit als Fachberater für Baustoffe im Innendienst,
c. die Tätigkeit als Energieberater bzw. Gebäudeenergieberater bei Bauämtern und städtischen Einrichtungen,
d. -aufsichtsführende Tätigkeiten- im Rahmen der Immissionsprüfung bei Bauämtern und städtischen Einrichtungen
nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch ausüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3 Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann d Kl. unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1 a-d) Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens ist der Kläger m.E. aus berufskundlicher Sicht in der Lage, die Tätigkeit eines angestellten Energieberaters bzw. Gebäudeenergieberaters bei Bauämtern und städtischen Einrichtungen verrichten zu können.

Die Tätigkeit eines Fachberaters im Baumarkt kann der Kläger nicht wettbewerbsfähig ausüben, da für den Zugang zu dieser Tätigkeit üblicherweise eine abgeschlossene Ausbildung als Kaufmann im Einzelhandel gefordert wird. Neben vertieften Sortimentskenntnissen wird eine hohe Kundenorientierung und ausgeprägtes Verkaufstalent gefordert.

Fachberater/Sachbearbeiter für Baustoffe im Innendienst werden überwiegend im Vertriebsbereich des Großhandels beschäftigt. Als Zugang für diese Tätigkeit wird in der Regel eine abgeschlossene Ausbildung als Kaufmann - Groß- und Außenhandel gefordert. Über eine solche Berufsausbildung verfügt der Kläger nicht. Die langjährig ausgeübte Tätigkeit eines Bezirksschornsteinfegermeisters bedingt zweifelsohne verschiedene kaufmännische Arbeiten, ist aber nicht annähernd mit den Inhalten einer 3-jährigen kaufmännischen Vollausbildung vergleichbar.

Bei Bauämtern und städtischen Einrichtungen werden für -aufsichtsführende Tätigkeiten- im Rahmen der Immissionsprüfung üblicherweise Technische Sachbearbeiter beschäftigt, welche in der Regel über einen Hochschulabschluss im Bereich Energie- oder Umwelttechnik oder über einen Abschluss als Staatl. geprüfter Techniker -idealerweise mit dem Schwerpunkt Umweltschutz/-technik- verfügen. Bei der Ausübung einer solchen Tätigkeit ist ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein aber auch Durchsetzungsfähigkeit im Gespräch mit Vorgesetzten bzw. mit Immissionsschutzbeauftragten von großtechnischen Feuerungsanlagen, beispielsweise Kraftwerken, Müllverbrennungsanlagen u.ä. erforderlich. Der Kläger verfügt über keine entsprechende Ausbildung und dürfte aufgrund des vorliegenden psychiatrischen Sachgutachtens auch nicht die vorgenannten persönlichen Anforderungen für eine solche Tätigkeit mitbringen.

zu 2) Fachberater im Baumarkt
Fachverkäufer/-berater für Bau- und Heimwerkerbedarf beraten in Baumärkten und im Baustoffhandel Kunden über Baustoffe/-elemente und deren richtige Verwendung, sowie über Arbeitstechniken und den Einsatz von Maschinen und Werkzeugen. Um diese Tätigkeit wettbewerbsfähig ausüben zu können, ist üblicherweise eine Ausbildung als Kaufmann - Einzelhandel bzw. Verkäufer notwendig. Auch ist der Zugang über eine durch die Industrie- und Handelskammer geregelte 6-12monatige Weiterbildung möglich. Wichtige Inhalte der Ausbildungen bzw. der Weiterbildung sind Gesprächsführung, Verkaufspsychologie, Warenpräsentation, Bestellwesen, EDV-Grundlagen/ Anwendungssoftware und effiziente Lagerhaltung. Bei entsprechenden Stellenangeboten werden neben der kaufmännischen Vorbildung in der Regel vertiefte Warenkenntnisse, hohe Kundenorientierung und ein ausgeprägtes Verkaufstalent gewünscht.

Es handelt sich um eine körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeit meist in geschlossenen, temperierten Räumen. Die Tätigkeit wird in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Stehen und Gehen, zeitweise im Sitzen ausgeübt. Häufig ist Bücken erforderlich, auch Recken bzw. Hochhantieren und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben, Tragen und Bewegen von Lasten können sogar mittelschweres Maß übersteigen (z.B. Fliesen, Farbeimer, Heizöfen usw.). Der Umgang mit dem Kunden setzt neben guter Sprech- und Hörfähigkeit, Kontaktfähigkeit/-bereitschaft, Höflichkeit und auch eine gewisse psychische Belastbarkeit voraus. Eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist erforderlich. Gelegentlicher Zeitdruck ist nicht auszuschließen.

Fachberater/-sachbearbeiter für Baustoffe im Innendienst
Fachberater/-sachbearbeiter für Baustoffe im Innendienst arbeiten im Baustoffhandel im Bereich Groß- und Fachhandel. Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet ist die Baustoffindustrie, wie z.B. Hersteller von Baustoffen. Sie beraten in der Regel Fachkunden über verschiedene Baustoffe und -techniken und über Beschaffenheit und Eigenschaften der Baustoffe/Materialien. Sie kalkulieren die Kosten, unterbreiten Angebote und Kostenvoranschläge, erstellen Lieferscheine und Rechnungen. Weiterhin überwachen Sie frist- und ordnungsgemäße Lieferung. Die Kundenberatung erfolgt telefonisch oder in Verkaufs- und Ausstellungsräumen bzw. im Büro am Schreibtisch anhand von Mustern, Katalogen etc. Viele Fachberater arbeiten auch im Außendienst (z.B. in der Baustoffindustrie). Hier präsentieren sie Produkte und führen vor Ort Verkaufsgespräche mit Fachhändlern, Kunden, Architekten und Bauträgern. Erwartet wird in der Regel eine abgeschlossene Berufsausbildung als Kaufmann - Groß- und Außenhandel, gute Microsoft-Office-Kenntnisse, eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit und idealerweise Branchenkenntnisse.

Es handelt sich bei der Fachberater-/Sachbearbeitertätigkeit im Innendienst im Allgemeinen um eine körperlich leichte Arbeit in temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen gearbeitet. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und Bildschirmarbeit. Die Tätigkeit erfordert gute Sprech-Hör- und Kommunikationsfähigkeit. Gelegentlich ist Zeitdruck nicht auszuschließen.

Energieberater bzw. Gebäudeenergieberater bei Bauämtern und städt. Einrichtungen
Energieberater prüfen die Voraussetzungen für einen planvollen Energieeinsatz in Wirtschaftsbetrieben und Privathaushalten. Sie erstellen Konzepte, um Kunden anschließend über Einsparmöglichkeiten, optimierte Energieausnutzung oder den Einsatz umweltfreundlicher Energien aufzuklären. Im Bereich energiesparendes Bauen und Sanieren ermitteln sie z.B. für Hausbesitzer, wie sich das Gebäude hinsichtlich seines Energieverbrauchs bewerten lässt. Energieberater erstellen Heizlastberechungen und Wärmeschutznachweise, beraten hinsichtlich staatlich geförderter umweltfreundlicher Baumaßnahmen und unterstützen Kunden bei der Planung von Sanierungsarbeiten. Sie arbeiten hauptsächlich in Energieberatungsunternehmen, Ingenieur- und Architekturbüros oder in der öffentlichen Verwaltung, z.B. bei Landratsämtern. Ebenso sind sie bei Verbraucherorganisationen oder Energieversorgern tätig. In der Regel wird für den Zugang zur Tätigkeit ein Hochschulstudium oder eine Weiterbildung im Bereich Energiemanagement bzw. -beratung vorausgesetzt. Auch werden Handwerksmeister (z.B. des Schornsteinfegergewerbes), die eine Fort-/Weiterbildung zum Energie-/Gebäudeenergieberater (HWK) erfolgreich abgeschlossen haben, für solche Tätigkeiten eingesetzt.

Es handelt sich bei dieser Tätigkeit um eine körperlich leichte Arbeit meist in geschlossenen Räumen, überwiegend sitzend mit gelegentlichem Gehen und Stehen. Die Tätigkeit bedingt Bildschirmarbeit. Ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft sowie eine ausgeprägte Kunden- und Serviceorientierung sind notwendig. Im Rahmen des Kundenkontaktes im Außendienst und der Durchführung von Informationsveranstaltungen müssen neben Fahrtätigkeit auch teilweise längere Arbeitstage und unregelmäßige Arbeitszeiten eingeplant werden. Bei Objektbesichtigungen können teilweise Witterungs/-Umgebungseinflüsse wie Kälte, Nässe und Zugluft auftreten. Im Einzelfall kann auch das Besteigen von Leitern und Gerüsten erforderlich sein.

-Aufsichtsführende Tätigkeit- im Bereich Immissionsprüfung bei Bauämtern u.ä.
Im Bereich der Immissionsprüfung durch Bauämter und Behörden tätige Angestellte, Ingenieure und Techniker überwachen u.a. die Einhaltung von gesetzlichen Immissionsschutzauflagen und -regelungen. Hierbei überprüfen sie Betreiber von großtechnischen Feuerungsanlagen wie beispielsweise Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen aber auch Unternehmen des produzierenden Gewerbes und Privathaushalte hinsichtlich der Einhaltung von entsprechenden Betriebsabläufen und des Einsatzes von vorgeschriebenen Heizungs- und Filteranlagen bzw. technischer Verfahren zur Schadstoffvermeidung. Sie überwachen die Dokumentation von Beprobungen und ordnungsgemäßen Betrieb und Störfallmeldung. Ihre Aufgaben und Rechte sind gesetzlich geregelt. Um eine solche Tätigkeit ausüben zu können ist üblicherweise ein Hochschulstudium im Bereich Energie- oder Umwelttechnik oder ein Technikerabschluss -idealerweise mit dem Schwerpunkt Umweltschutz/-technik- notwendig.

Es handelt sich um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und elektronischer Datenverarbeitung/Bildschirmarbeit. -Aufsichtführende Mitarbeiter- müssen verantwortungsbewusst arbeiten/handeln. Auch ist gelegentlich Durchsetzungsfähigkeit im Gespräch mit Mitarbeitern und Vorgesetzten bzw. mit Immissionsschutzbeauftragten der zu überwachenden Betriebe notwendig.

zu 3) Bei den vorgenannten Tätigkeiten handelt es sich um Tätigkeiten, für die als Zugang qualifizierte Ausbildungen erforderlich sind. Liegt eine entsprechende Ausbildung/Weiterbildung vor, beträgt die betrieblichen Einarbeitungs- und Einweisungszeit in der Regel maximal drei Monate. Hinsichtlich der tarifvertraglichen Einstufung verweise ich auf das Tarifregister des Landes Hessen.

zu 4 Aufgrund seines gesundheitlichen Restleistungsvermögens halte ich den Kläger vorbehaltlich der erfolgreichen Ablegung einer nach geltenden Rechtslage erforderlichen Qualifikation - aus berufskundlicher Sicht für in der Lage, die Tätigkeit eines Energieberaters nach einer betrieblichen Einarbeitungs-/Einweisungszeit von maximal drei Monaten unter arbeitsmarkt- und betriebsüblichen Bedingungen verrichten zu können.

zu 5+6) Die in Betracht kommende Tätigkeit eines Energieberaters steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang -mehr als 300 besetzte oder unbesetzte Arbeitsplätze- auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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Datum