L 5 R 10/15

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
L 5 R 10/15
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen der Klägerin: Realschulabschluss keine Ausbildung

19.08.1969 bis 09.11.1971 Jungarbeiterin (Fa. A., A-Stadt)
10.11.1971 bis 31.01.1974 Schwangerschaft/Kindererziehung
02.08.1976 bis 12.02.1998 Näherin (Fa. B. Modelle)
15.02.1988 bis 27.09.2011 Fa. A., A-Stadt
- zunächst Chemiearbeiterin
- ab 1997: Laborantin (Mikrobiologische Analytik)
anschließend: krank/arbeitslos

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen der Klägerin: zumindest sechs Stunden arbeitstäglich leichte Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mit folgenden qualitativen Einschränkungen:
- ohne Zwangshaltungen
- ohne häufig gebückte Belastungen
- nur einhändige Arbeiten
- ohne beidhändiges Tragen
- Hebe- und Tragebelastung der linken Hand 3 kg (Dauerbelastung) bzw. 5 kg (Einzelfall)
- ohne häufige Rotationsbelastungen in der Halswirbelsäule
- ohne Überkopfarbeiten
- nicht auf Leitern und Gerüsten
- ohne Absturzgefahr
- ohne kniende und hockende Belastungen
- ohne besondere Anforderungen an die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit
- ohne besondere nervliche Belastung
- ohne besonderen Zeitdruck
- ohne besondere Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen
- nur Arbeiten unter Witterungsschutz

II. Beweisfragen

1) Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann die Klägerin noch ausüben?
Ist die Klägerin vor allem noch in der Lage, als Telefonistin, als Büro- und Verwaltungshilfskraft, als Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebs bzw. einer Behörde oder als Pförtnerin zu arbeiten?

2) Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3) Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4) Kann die Klägerin unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5) Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6) Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

1) Berufsnahe Tätigkeiten kommen für die Klägerin nicht in Betracht. Aufgrund ihres gesundheitlichen Restleistungsvermögens ist die Klägerin aus berufskundlicher Sicht in der Lage, die Tätigkeit einer Pförtnerin vollwertig verrichten zu können. Bei der vorgenannten Tätigkeit handelt es sich um eine berufsfremde Tätigkeit.

Anmerkung: Bei dieser Stellungnahme wurde neben den in der gerichtlichen Anfrage vom 26.11.2015 genannten Anknüpfungstatsachen auch das fachorthopädische Gutachten vom 19.01.2014 berücksichtigt. Weiterhin wurde berücksichtigt, dass durch den im Herbst 2014 erlittenen linksseitigen Hörsturz/Tinnitus (siehe Blätter 317 und 368 der Akte) eine weitere gesundheitliche Beeinträchtigung hinzugekommen ist.

Die Tätigkeit einer Telefonistin kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben. In der Regel wird in größeren Telefonzentralen mit Headset gearbeitet, sodass selbst Personen, welche nur eine intakte Hand besitzen, eine solche Tätigkeit verrichten können. Die gesunde Hand muss dann so geschickt nutzbar sein, dass Verbindungen schnell und korrekt hergestellt werden und kleine Nachrichten handschriftlich oder im PC festgehalten werden können. Diese Aussagen sprechen erstmal für die Ausübbarkeit der Tätigkeit einer Telefonistin. Die beidseitige Hör-/Ohrprobleme (gewisse Schwerhörigkeit und Tinnitus) lassen eine solche Tätigkeit jedoch nicht zu bzw. sind langfristig gesundheitlich ungünstig.

Da es sich bei der Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin um eine zeitweise mittelschwere Tätigkeit handelt, kann die Klägerin diese nicht ausüben.

Die Tätigkeit einer Büro-/Verwaltungshilfskraft kann die Klägerin meines Erachtens nicht wettbewerbsfähig verrichten. Zwar können viele Bürohilfsarbeiten von der Klägerin erledigt werden, aber es ist stark anzuzweifeln, inwieweit diese mit der verbliebenen intakten linken Hand auch einfachen Schriftverkehr – wie er üblicherweise von Büro-/Veraltungshilfskräften zu erledigen ist - flüssig und ausreichend schnell erledigen kann.

Hinsichtlich der Tätigkeit einer Pförtnerin gehe ich davon aus, dass die Klägerin die hierbei gelegentlich notwendigen Notizen mit ihrer belastbaren linken Hand fertigen kann. Die für diese Tätigkeit erforderliche Höflichkeit, Flexibilität und Merkfähigkeit scheint die Klägerin zu besitzen.

2) Telefonist/in
Diese Tätigkeit umfasst die Bedienung von Telefon-/Fernsprechzentralen. Dazu gehört die Erteilung von Auskünften, die Weiterleitung und Registrierung von Gesprächen, die Entgegennahme und Weitergabe von Telefonnotizen, Telefaxe, E-Mails u. ä. Die Anforderungen an Telefonisten/Telefonistinnen sind aufgrund der Tatsache, dass diese in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung tätig sind, recht unterschiedlich.

Während sich in großen Wirtschaftsunternehmen und Verwaltungen die Tätigkeit in der Regel auf das Bedienen einer zum Teil recht umfangreichen Telefonanlage beschränkt, findet man in kleineren und mittleren Betrieben und Organisationen häufig eine Funktionskoppelung mit Bürotätigkeiten sowie Empfangs- und Pförtnertätigkeiten. Oft sind allgemeine PC-Kenntnisse (Word, Excel, Outlook) erwünscht, im Einzelfall auch kaufmännische Grundkenntnisse.

Es handelt sich um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Die Tätigkeit kann in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen ausgeübt werden. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Die Tätigkeit erfordert gute Sprech- und Hörfähigkeit. Gelegentlich ist Zeitdruck nicht auszuschließen.

Büro-/Verwaltungshilfskraft
Diese Tätigkeit umfasst einfache, routinemäßige Bürohilfsarbeiten, die ohne besondere Ausbildung und ohne längere Einarbeitungszeit verrichtet werden können. Bürohilfskräfte erledigen beispielsweise Schreibarbeiten, kümmern sich um die Verteilung der Post und firmeninterner Umläufe, kopieren Unterlagen, erfassen Daten und sorgen für eine ordnungsgemäße Ablage. Je nach vorhandenen Kenntnissen und Fertigkeiten können Bürohilfskräfte einfache Buchhaltungsarbeiten ausführen, bei der Erstellung von Statistiken und Auswertungen mitwirken oder im Telefondienst mitarbeiten. Bei ihren vielfältigen Aufgaben und Tätigkeiten verwenden sie oft moderne Büro- und Kommunikationsmittel und müssen daher mit Computern, Kopierern, Scannern, Telefon, Telefax und anderen Bürogeräten nach entsprechender Einweisung umgehen können. Bürohilfskräfte können in allen Branchen tätig sein. Meist sind allgemeine PC-Kenntnisse (Word, Excel, Outlook) erwünscht, im Einzelfall auch kaufmännische Grundkenntnisse und vertrauter Umgang mit dem Internet.

Es handelt sich dabei um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist durch den Einsatz ergonomisch gestalteter Arbeitsplatzausstattungen möglich. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und elektronischer Datenverarbeitung/Bildschirmarbeit.

Mitarbeiter/in in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde
Die Tätigkeit umfasst das Öffnen der täglichen Eingangspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, das Anbringen eines Posteingangsstempels; das Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen bzw. Sachbearbeiter (üblicherweise mehrmals täglich unter Zuhilfenahme eines Postverteilerwagens) und Mitnahme der zur Weiterleitung an andere Fachabteilungen/Sachgebiete oder zum Versand bestimmten Vorgänge; das Kuvertieren, Wiegen und Frankieren der Ausgangspost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Eintragen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und zunehmend Arbeit am Bildschirm. Gelegentlich findet die Arbeit unter Zeitdruck statt.

Pförtner/in
Pförtner/innen kontrollieren in Eingangshallen oder aus Pförtnerlogen den Zugang zu Gebäuden oder Betriebsgeländen. Sie sind erste Ansprechpartner für Besucher. Je nach Art des Betriebes oder der Behörde haben sie unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte. Sie überwachen zeitliche bzw. örtliche Zugangsberechtigungen. Sie kontrollieren Werksausweise, stellen Besucherkarten/Passierscheine für Besucher aus und melden diese in den verschiedenen Bereichen an. Zu ihren Aufgaben gehören teilweise auch das Aushändigen von Formularen, sowie das Aufbewahren von Fundsachen und Gepäck und das Verwalten von Schlüsseln und Schließanlagen. Auch die Kontrolle des Kfz- und Warenverkehrs gehört in manchen Betrieben zu ihrer Tätigkeit. Darüber hinaus können auch einfache Bürotätigkeiten, die Postverteilung im Betrieb sowie der Telefondienst zu ihren Aufgaben gehören. Pförtner/innen werden u. a. als Werkspförtner, Pförtner in Betrieben, Büro- und Geschäftshäusern und öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern, Heimen oder Museen eingesetzt.

Es handelt sich dabei meist um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten Räumen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Die Tätigkeit erfordert keine besonderen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen. Die erforderlichen Lese- und Schreibkenntnisse sind als normal zu bewerten. Die Tätigkeit beinhaltet in der Regel keine ständige nervliche Belastung bzw. keinen dauernden Zeitdruck wie beispielsweise Akkordarbeit. Je nach Arbeitsort kann Schichtdienst vorkommen.

3) Bei den vorgenannten Tätigkeiten handelt es sich um ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist. Im Regelfall beträgt die betriebliche Einarbeitungs- und Einweisungszeit maximal drei Monate. Hinsichtlich der tarifvertraglichen Einstufung verweise ich auf das Tarifregister des Landes Hessen.

4) Aufgrund ihres gesundheitlichen Restleistungsvermögens halte ich die Klägerin aus berufskundlicher Sicht für in der Lage, die Tätigkeit einer Pförtnerin nach einer betrieblichen Einarbeitungs-/Einweisungszeit von maximal drei Monaten unter arbeitsmarkt- und betriebsüblichen Bedingungen vollwertig verrichten zu können.

5 + 6) Die in Betracht kommende Tätigkeit einer Pförtnerin steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang – mehr als 300 besetzte oder unbesetzte Arbeitsplätze - auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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