L 8 AY 7/22 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 AY 150/21 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 7/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Auch für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ist im Wege der normerhaltenden teologischen Reduktion zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.
2. Die Vorwerfbarkeit des Unterlassens der freiwilligen Ausreise setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte Kenntnis von seiner Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise hat.

 

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 18. November 2021 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Oktober 2021 angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat neun Zehntel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B, B Straße, B beigeordnet.


G r ü n d e :

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit ab 03.11.2021, insbesondere wendet er sich gegen eine Anspruchseinschränkung.

Der 1985 geborene Antragsteller, nach seinen Angaben somalischer Staatsangehöriger, reiste im Juli 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Seit 04.08.2021 ist er in einer Aufnahmeeinrichtung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners untergebracht. Dieser gewährte ihm auf seinen Antrag hin mit Bescheid vom 12.08.2021 für die Zeit ab 04.08.2021 bis auf weiteres Grundleistungen nach dem AsylbLG entsprechend der Bedarfsstufe 2 in Form von Sachleistungen sowie Geldleistungen in Höhe von monatlich 121,50 €. Gegen diese Bewilligung ist der Antragsteller nicht vorgegangen.

Der Asylantrag des Antragstellers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 06.10.2021 als unzulässig abgelehnt, weil Schweden aufgrund des dort gestellten Asylantrags für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig sei. Die Abschiebung nach Schweden wurde angeordnet. Dies teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) dem Antragsgegner am 11.10.2021 mit.

Nach vorheriger Anhörung stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.10.2021 fest, dass der Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 01.11.2021 bis 30.04.2022 nach § 1a Abs. 7 AsylbLG eingeschränkt ist und hob den Bescheid vom 12.08.2021 ab 01.11.2021 auf. Der Leistungsantrag nach § 3 AsylbLG wurde ab 01.11.2021 bis 30.04.2022 abgelehnt. Dem Antragsteller wurden für die Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 Sachleistungen nach § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG bewilligt. Der Bedarf an Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege werde in der Ankereinrichtung sichergestellt. Mit der Entscheidung des BAMF vom 06.10.2021 hinsichtlich der Unzulässigkeit des Asylverfahrens in Deutschland seien die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG hinsichtlich einer Anspruchseinschränkung erfüllt. Der Bescheid entfalte Bindungswirkung hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift.

Dagegen legte der Antragsteller am 03.11.2021 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass eine Anspruchseinschränkung aus verfassungsrechtlichen Gründen nur zulässig sei, wenn ihm ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Er habe sich aber weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Ein pflichtwidriges Verhalten scheide bereits deshalb aus, weil ihm nicht mitgeteilt worden sein, dass er in der Bundesrepublik Deutschland kein Asyl beantragen dürfe. Jedenfalls sei eine Belehrung über die Rechtsfolge, dass er während des Verfahrens in Deutschland nur eingeschränkte Sozialleistungen erhalte, nicht erfolgt.

Ebenfalls am 03.11.2021 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Würzburg (SG) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.10.2021 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab 03.11.2021 vorläufig Grundleistungen entsprechend der Bedarfsstufe 1 zu gewähren. Die Regelung über die Anspruchseinschränkung sei evident verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Die den Anspruch begründende Menschenwürde stehe allen zu und gehe selbst durch ein vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstrecke sich sowohl auf die Sicherung der physischen Existenz als auch die Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert habe. Zwar könnten staatliche Leistungen zur Existenzsicherung an Mitwirkungspflichten gebunden werden, die darauf abzielten, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden, soweit diese verhältnismäßig seien. Migrationspolitische Erwägungen könnten allerdings von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards rechtfertigen. Die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Mit der Regelung sollten schon keine asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten durchgesetzt werden. Es gehe dem Gesetzgeber offenkundig allein um die repressive Sanktionierung eines Verhaltens der Betroffenen im Einzelfall, das abschreckende Wirkung auf andere entfalten und die Betroffenen zur freiwilligen Ausreise drängen solle. Eine Anspruchseinschränkung sei nur zulässig, wenn dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei, denn nur dann habe es der Betroffene selbst in der Hand, die Sanktionierung durch pflichtgemäßes Verhalten zu beenden. Die Einreise nach Deutschland über Schweden stelle kein pflichtwidriges Verhalten dar. Vielmehr stelle die Dublin III-Verordnung für Fälle der asylrechtlichen Zuständigkeit anderer EU-Mitgliedstaaten ein geregeltes Aufnahme- bzw. Wiederaufnahme- und Überstellungsverfahren bereit. Ein pflichtwidriges Verhalten scheide auch deshalb aus, weil dem Antragsteller nie mitgeteilte worden sei, dass er Asyl nicht in der Bundesrepublik Deutschland beantragen dürfe, weil ein anderer EU-Mitgliedstaat für seinen Asylantrag zuständig sei. Unklar sei vorliegend auch, ob der Antragsteller in Schweden überhaupt Asyl beantragt habe. Schließlich sei die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG auf eine dauerhafte Leistungsabsenkung angelegt, die erst mit einer Anerkennung im Asylverfahren ende. In den allermeisten Fällen schließe sich an das Dublin-Verfahren ein nationales Asylverfahren an. Nur in jedem vierten Verfahren, in dem eine Zustimmung eines anderen EU-Mitgliedstaats zur Überstellung vorgelegen habe, habe auch tatsächlich eine Überstellung stattgefunden. Eine dauerhafte Absenkung unter das soziokulturelle Existenzminimum sei jedoch mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar. Hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Leistungen verstoße es gegen das Gleichheitsgebot, wenn Leistungsberechtigte in Gemeinschaftsunterkünften Grundleistungen nur nach Bedarfsstufe 2 erhielten. Eine Differenzierung sei nur möglich, sofern der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen signifikant von dem anderer Bedürftiger abweiche und dies in einem transparenten Verfahren belegt werden könne. Der Gesetzgeber habe aber keine Ermittlungen zum spezifischen Bedarf angestellt. Der Bedarf weiche auch nicht signifikant ab. Als Grund für die Leistungsreduzierung werde eine "Solidarisierung in der Gemeinschaftsunterbringung" behauptet. Dass diese Herleitung verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genüge, sei offensichtlich. Personen, die gemeinsam untergebracht seien, profitierten nicht von Einspareffekten. Leistungen i.H.v. nur 90% seien evident unzureichend.

Der Antragsgegner hat erwidert, dass der Antragsteller die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG erfülle. Das Existenzminimum werde im Fall des Antragstellers in Form von Sachleistungen innerhalb der Einrichtung erbracht. Die Zuständigkeit für das Asylverfahren liege bei Schweden. In diesen Fällen würde eine Leistungsgewährung an den Antragsteller durch die nicht für das Verfahren zuständige Bundesrepublik Deutschland gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Der Antragsteller verlange eine Besserstellung ohne sachlichen Grund gegenüber anderen Personenkreisen, die ebenfalls nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesrepublik und des AsylbLG fielen.

Das SG hat mit Beschluss vom 18.11.2021 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Ziffern I. und II.) sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (Ziffer III.) abgelehnt. Die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens gegen den angefochtenen Absenkungsbescheid seien wenig erfolgversprechend. Es bestünden keine Zweifel daran, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine nur einschränkte Leistungsgewährung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG erfüllt seien. Die vom Antragsgegner gewährten Leistungen entsprächen dem im Gesetz geregelten Umfang. Der Bedarf an Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege sowie Unterkunft und Heizung werde in der Gemeinschaftsunterkunft gedeckt, was dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Sachleistungsprinzip entspreche, und umfasse das physische Existenzminimum. Weitergehende Leistungen seien nicht vorgesehen. Es bestünden auch keine Bedenken ob der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift. Eine Absenkung im Hinblick auf das soziokulturelle Existenzminimum sei möglich. Es sei dem Gesetzgeber auch erlaubt, die Leistungsgewährung an Voraussetzungen zu knüpfen. Ein voraussetzungsloser Anspruch auf Sozialleistungen existiere nicht. Die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen sei in den von der Vorschrift erfassten Fällen durch die gesetzgeberische Zielsetzung gedeckt, einem Verhalten entgegenzuwirken, bei dem im Widerspruch zum europäischen Asylsystem trotz eines bereits anderweitig laufenden Asylverfahrens in Deutschland Sozialleistungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes in Anspruch genommen würden. Dem Antragsteller drohe im vorliegenden Fall keine Obdachlosigkeit, die Nahrungs- und Gesundheitsversorgung sei in ausreichendem Maße sichergestellt. Vorliegend gehe es nicht um sozialrechtliche Mitwirkungspflichten von Personen, deren Existenzminimums ausschließlich durch die Bundesrepublik zu gewährleisten sei, sondern um die Erfüllung ausländerrechtlicher Pflichten. Die Situation sei vorliegend eine gänzlich andere als in der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende: Der Antragsteller habe aufgrund des ablehnenden Bescheids derzeit keine Bleibeperspektive; er müsse die Bundesrepublik Deutschland verlassen. Ein anderer europäischer Mitgliedsstaat sei verpflichtet und auch bereit, das Existenzminimum des Antragstellers sicherzustellen. Hier durch die Absenkung des Leistungsniveaus Ausreiseanreize zu setzen, sei somit ein legitimes Ziel. Auch die Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 zur Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG a.F. habe keine Auswirkungen auf die vorliegende Fallkonstellation. Denn nur die Bemessung des allgemeinen Regelbedarfs von Berechtigten nach dem AsylbLG dürfe nicht aus migrationspolitischen Gründen abgesenkt werden. Ob und in welcher Form Sanktionstatbestände und eine damit einhergehende Leistungsabsenkung auszugestalten seien, sei nicht Gegenstand dieser Entscheidung gewesen. Auch im Hinblick auf die Dauer der Absenkung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Antragsgegner habe erstmalig eine Anspruchseinschränkung verfügt und diese auf sechs Monate begrenzt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werde gewahrt. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung des nach summarischer Prüfung rechtmäßigen Verwaltungsaktes überwiege unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Erlass einer Regelungsanordnung im Hinblick auf die begehrten Leistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1. Der Antrag sei bereits unzulässig. Die vor der Absenkung mit Bescheid vom 26.10.2021 bewilligten Leistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 2 seien nach Aktenlage nicht angegriffen worden.

Gegen die Ziffern I. und II. des am 18.11.2021 zugestellten Beschlusses des SG hat der Antragsteller am 20.12.2021 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten beantragt. Die gleichzeitig erhobene Beschwerde gegen Ziffer III. des Beschlusses wird unter dem Aktenzeichen L 8 AY 10/22 B PKH geführt. Zur Begründung ist weitestgehend der erstinstanzliche Vortrag wiederholt worden. Insbesondere sei verfassungsrechtlich eine teleologische Reduktion des § 1a Abs. 7 AsylbLG geboten, so dass eine Anspruchseinschränkung nur zulässig sei, wenn dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen werden könne. Der Antragsteller sei aber weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland eingereist noch verweile er hier pflichtwidrig.

Seit 02.02.2022 ist der Antragsteller dem Landkreis H zugewiesen und hat seinen Wohnsitz in E. Er hat deshalb mit Schriftsatz vom 08.03.2022 seinen Antrag auf vorläufige Erbringung höherer Leistungen auf den Zeitraum bis 01.02.2022 beschränkt.

Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 18.11.2021 abzuändern, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.10.2021 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 03.11.2021 bis 01.02.2022 vorläufig Leistungen gemäß §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG entsprechend der Bedarfsstufe 1 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsauffassung fest und verweist auf den Beschluss des SG.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € überschreitet (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Nach der Entscheidung des SG erhält der Antragsteller nur Sachleistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Im Beschwerdeverfahren verfolgt er darüber hinaus zumindest die Gewährung des vollständigen notwendigen persönlichen Bedarfs weiter, der für einen alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten einen Wert von monatlich 162 € bzw. ab 01.01.2022 monatlich 163 € hat (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG). Bezogen auf die Regelungsdauer des angefochtenen Bescheids vom 26.10.2021 von sechs Monaten wird damit der Beschwerdewert von 750 € überschritten. Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde; ein späteres Sinken des Beschwerdewertes, z.B. wegen einer Änderung der Verhältnisse wie hier dem Wegfall der Zuständigkeit des Antragsgegners, ist unbeachtlich (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 19).

Die Beschwerde hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Begehren des Antragstellers, für die Zeit ab 03.11.2021 höhere Leistungen nach dem AsylbLG in Form von Grundleistungen nach § 3, § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG in Höhe der Bedarfsstufe 1 ohne Anspruchskürzung zu erhalten. Zeitlich hat der Antragsteller sein Begehren auf den Zeitraum bis 01.02.2022 beschränkt, da der Antragsgegner seit 02.02.2022 nicht mehr für die Leistungserbringung an den Antragsteller zuständig ist. Da es sich hinsichtlich der Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt, unabhängig davon, auf welche Rechtgrundlage das Begehren nach weiteren Leistungen gestützt wird, ist - jedenfalls regelmäßig im Wege der Auslegung nach dem Meistbegünstigungsprinzip - die Leistungshöhe unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. BSG vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R und vom 26.06.2013 - B 7 AY 6/11 R; Urteil des Senats vom 29.04.2021 - L 8 AY 122/20 - alle nach juris).

Sein Rechtsschutzziel kann der Antragsteller in zwei Schritten erreichen. Soweit im hier streitigen Bescheid vom 26.10.2021 die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 12.08.2021 ab November 2021 verfügt worden ist, richtet sich der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG, denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Leistungseinschränkung haben keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG). Mit dem Bescheid vom 12.08.2021 wurden über Oktober 2021 hinaus Leistungen auf Dauer bewilligt. Die Beurteilung, ob ein Dauerverwaltungsakt vorliegt, richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung erschöpft sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot, sondern begründet oder verändert ein auf Dauer gerichtetes Rechtsverhältnis (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., Anhang § 54 Rn. 5c). Zwar führt der Antragsgegner in der Begründung des Bewilligungsbescheids aus, dass es sich nicht um eine dauerhafte, in der Höhe unveränderte Bewilligung der Leistung handle, sondern um eine Leistung, die nur Monat für Monat gewährt und bei gleichbleibenden Verhältnissen lediglich aus Vereinfachungsgründen nicht jeden Monat neu geprüft und durch einen neuen Bescheid bewilligt werde. Aus Sicht eines objektiven Empfängers kann die Regelung jedoch nur so verstanden werden, dass Leistungen - jedenfalls solange sich die Verhältnisse nicht ändern und keine neue Prüfung erfolgt - in der im Tenor genannten Höhe bewilligt wurden. Insbesondere wird die Formulierung "bis auf weiteres" nach allgemeinem Sprachgebrauch so aufgefasst, dass etwas zukunftsoffen gilt. Schließlich hätte es beim Fehlen einer dauerhaften Bewilligungsentscheidung der späteren Aufhebung im angefochtenen Bescheid vom 26.10.2021 nicht bedurft. In der dortigen Begründung versteht der Antragsgegner seinen Bescheid vom 12.08.2021 auch selbst als Dauerverwaltungsakt.

Soweit er über die ihm mit Bescheid vom 12.08.2021 bis auf weiteres bewilligten Leistungen hinaus im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von (höheren) Leistungen entsprechend der Bedarfsstufe 1 begehrt, strebt der Antragsteller eine Erweiterung seiner Rechtsposition an, so dass daneben eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlich ist. Insoweit hat das SG jedoch zutreffend festgestellt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bereits unzulässig ist. Es fehlt an einer vorherigen Befassung der Behörde und damit am Rechtsschutzbedürfnis (Beschluss des Senats vom 27.10.2020 - L 8 AY 105/20 B ER - juris Rn. 31; LSG Baden-Württemberg vom 24.06.2019 - L 7 AS 1916/19 ER-B - juris Rn. 6 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 26b). Vorliegend hat der Antragsteller unmittelbar gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen, ohne zuvor gegenüber dem Antragsgegner in irgendeiner Weise kundgetan zu haben, dass er mit der Höhe der bewilligten Leistungen nicht einverstanden sei. Umstände, die ausnahmsweise eine vorherige Befassung der Behörde als entbehrlich erscheinen lassen (vgl. Keller, aaO., § 86b Rn. 26b), sind vorliegend nicht ersichtlich.

Im Übrigen war der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zulässig und auch in der Sache begründet. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Klage gegen einen Bescheid über die Feststellung der Einschränkung der Leistungsberechtigung nach § 1a AsylbLG haben gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung. Würde die aufschiebende Wirkung angeordnet, könnte der Antragsteller auf diese Weise für den streitigen Zeitraum aus der Leistungsbewilligung vom 12.08.2021 einen Anspruch auf Grundleistungen (entsprechend der Regelbedarfsstufe 2) herleiten. Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts und erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind die privaten Interessen des jeweiligen Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. In den Fällen des § 11 Abs. 4 AsylbLG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass im Regelfall das Interesse an einem Sofortvollzug der Leistungseinschränkung gegenüber dem Interesse des Leistungsberechtigten, dass eine Sanktion erst nach rechtskräftiger Feststellung eines Pflichtverstoßes eintreten soll, höher zu bewerten ist. Für die Entscheidung sind auch die möglichen Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ist der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird der Vollzug in der Regel ausgesetzt. Bei offenen Erfolgsaussichten ist eine allgemeine Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Grades der möglichen Erfolgsaussichten und der Schwere der Verwaltungsentscheidung für den Betroffenen durchzuführen.

Dies zugrunde gelegt, ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Der Senat hat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides von 26.10.2021. Der Antragsgegner stützt die Aufhebung seines Bewilligungsbescheids auf § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche wesentliche Änderung ist vorliegend nicht bereits durch die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig mit Bescheid des BAMF vom 06.10.2021 eingetreten. Denn allein dadurch verwirklicht der Antragsteller noch nicht den Tatbestand für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG.

Nach § 1a Abs. 7 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 des Asylgesetzes (AsylG) als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG angeordnet wurde, nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist. Dies gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat (§ 1a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG). Vorliegend ist der Antragsteller nach der Ablehnung seines Asylantrags vollziehbar ausreisepflichtig und gehört daher gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG zu dem von § 1a Abs. 7 AsylbLG erfassten Personenkreis. Sein Asylantrag wurde nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt, weil ein anderer Staat - nämlich Schweden - seine Zuständigkeit für den Antragsteller nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) erklärt hat. Zugleich wurde seine Abschiebung nach Schweden angeordnet. Einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht nicht gestellt.

Rein dem Wortlaut nach wird eine Leistungskürzung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG allein aus dem Grund vorgenommen, dass der Leistungsberechtigte einem europäischen Asylregime unterworfen ist; über das Verweilen im Bundesgebiet hinaus ist kein weiteres pflichtwidriges Verhalten erforderlich (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 19/20984, S. 8). Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG knüpft weder an eine durch bestimmte äußere Umstände geänderte Bedarfslage noch an ein ausländerrechtlich missbilligtes Verhalten, sondern an die Rechtsfolge einer ausländer- bzw. asylrechtlichen Entscheidung an. Soweit § 1a Abs. 7 AsylbLG, jedenfalls dem Wortlaut nach, eine Anspruchseinschränkung ohne Anknüpfung an ein Fehlverhalten vorsieht, widerspricht dies dem bisherigen Sanktionssystem sowohl im AsylbLG als auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) und der Sozialhilfe (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII), wonach die Kürzung der Leistungen stets ein bestimmtes, vorwerfbares Verhalten oder Unterlassen des Leistungsberechtigten zur Voraussetzung hat. Dann hat es der Leistungsberechtigte selbst in der Hand, eine Leistungskürzung zu vermeiden bzw. zu beenden (vgl. zu § 1a Abs. 4 AsylbLG: Beschluss des Senats vom 17.09.2018 - L 8 AY 13/18 B ER - juris Rn. 27). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11), das zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Geldleistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. erging, können migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, von vorneherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren (vgl. BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 95).

Mit Blick hierauf ist auch für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG - im Wege der normerhaltenden, teleologischen Reduktion - zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist. Als solches pflichtwidriges Verhalten kann es ausreichen, dass der Antragsteller trotz Kenntnis von der Zuständigkeit Schwedens für die Durchführung seines Asylverfahrens und trotz vollziehbarer Ausreisepflicht nicht freiwillig dorthin ausreist. Im Hinblick auf die obigen Erwägungen für die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG ist dann jedoch zu fordern, dass die unterlassene freiwillige Ausreise dem Leistungsberechtigten auch vorwerfbar ist. Vorliegend wurde der Antragsteller jedoch zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass von ihm eine freiwillige Ausreise erwartet werde. Zwar wurde er durch den Bescheid des BAMF vom 06.10.2021 auf die Zuständigkeit Schwedens und auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise hingewiesen. Dies müsse jedoch mit allen beteiligten Stellen abgestimmt werden. Das Anhörungsschreiben des Antragsgegners vom 13.10.2021 enthielt dagegen nur den Hinweis, dass der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden und die Abschiebung nach Schweden angeordnet sei. Hatte der Antragsteller jedoch überhaupt keine Kenntnis davon, welches Verhalten konkret von ihm verlangt wird, ist ein Verstoß auch nicht vorwerfbar (ebenso SG München vom 10.02.2020 - S 42 AY 82/19 ER - juris Rn. 38). Der Senat geht daher davon aus, dass die Anspruchseinschränkung durch den Bescheid des Antragsgegners vom 26.10.2021 rechtswidrig ist. Liegt jedoch kein Grund für eine Anspruchseinschränkung vor, fehlt es an einer wesentlichen Änderung der rechtlichen Verhältnisse i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 12.08.2021 fehlt damit die Grundlage.

Da Widerspruch und Anfechtungsklage in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein werden, überwiegt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsakts vorläufig verschont zu bleiben. Die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26.10.2021 war anzuordnen. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der Beschränkung des Antrags durch den Antragsteller Leistungen aus dem Bewilligungsbescheid vom 12.08.2021 nur bis einschließlich 01.02.2022 vorläufig auszuzahlen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.

Dem Antragsteller ist außerdem für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen und sein Bevollmächtigter beizuordnen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten für das Beschwerdeverfahren bestehen, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, und es liegen auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen vor. Die Vertretung durch einen Bevollmächtigten erscheint erforderlich (§ 121 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
Saved