L 6 SB 1841/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SB 3230/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1841/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Der Kläger begehrt die höhere Erstfeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 40.

Er ist 1968 geboren, hat nach dem Abschluss der 9. Klasse eine Lehre zum Kraftfahrzeugmechaniker abgeschlossen. Danach arbeitete er als Fahrer und Staplerfahrer und von 1990 bis 1994 in der Vormontage von Fenstern. Von 1990 bis 1994 war er am Montageband im Sonderbau bei P beschäftigt und wurde von 1996 bis 1998 wegen seiner Schultern zum Industriekaufmann umgeschult, ohne die Tätigkeit anschließend auszuüben. Ab 1999 arbeitete er bei D als Staplerfahrer und Logistiker. Das Arbeitsverhältnis wurde 2017 gegen eine Abfindung aufgelöst. Er ist in dritter Ehe verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe und bewohnt eine Eigentumswohnung mit Terrasse und Garten (vgl. Anamnese D1).

Am 10. Januar 2018 beantragte er bei dem Landratsamt C (LRA) erstmals die Feststellung des GdB und legte Befundberichte vor. Der H beschrieb nach ambulanter Untersuchung vom 21. Juni 2011 Beschwerden in der linken Schulter mit einer möglichen Flexion von 130°. Die Kernspintomographie (MRT) habe eine intakte Rotatorenmanschette gezeigt. Im Entlassungsbericht des Städtischen Klinikums Karlsruhe über den stationären Aufenthalt vom 23. bis 27. Januar 2017 wurde das Rezidiv einer chronischen Rhinosinusitis diagnostiziert. Es sei eine endoskopische Nasennebenhöhlenoperation beidseits durchgeführt worden. Die MRT des rechten Schultergelenk vom 19. April 2017 (G) zeigte eine deutliche Omarthrose mit Knorpelverlust und Begleitsynovitis. Der Bericht des Zentrums für Schlafmedizin C über die stationäre Behandlung vom 16. bis 22. März 2017 beschrieb ausgeprägte Extremitätenbewegungen im Schlaf und eine schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörung.

Das LRA zog den Entlassungsbericht der M-Klinik über die vom 4. bis 25. Oktober 2017 durchgeführte stationäre Rehabilitation bei. Danach sei der Kläger durch rezidivierende Schulterschmerzen sowohl im Beruf als auch im Alltag beeinträchtigt. Die aktive Abduktion und Anteversion im rechten Schultergelenk sei schmerzbedingt deutlich eingeschränkt und nur bis 70° durchführbar, Schürzen- und Nackengriff nicht möglich gewesen. Links habe eine Beweglichkeit bis 150° bestanden. Nacken- und Schürzengriff seien vollständig durchführbar bei endgradiger Schmerzhaftigkeit. Zum Abschluss der Maßnahme sei die Muskulatur kräftiger und belastbarer geworden, die Schmerzen rückläufig, aber weiter vorhanden. Klinisch sei die Elevation des rechten Schultergelenks aktiv bis 100° möglich gewesen. Der Kläger habe psychologische Beratung in Anspruch genommen, wobei ein neurologisches Gutachten sowie eine therapeutische Begleitung empfohlen worden seien.

Z sah versorgungsärztlichen einen GdB von 20 für die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks. Weitere messbare Behinderungen bestünden nicht. Eine behandlungsbedürftige Depression sowie ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS) ließen sich fachärztlich nicht nachweisen. Das linke Schultergelenk sei ausreichend beweglich, die Sinusitis behandelbar. Die Extremitätenbewegungen im Schlaf und die Schlafstörung würden nur einmal beschrieben, seien behandelbar und ohne GdB-Relevanz.

Mit Bescheid vom 4. April 2018 stellte das LRA einen GdB von 20 seit dem 5. April 2017 fest.

Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger den Bericht der N vom 21. März 2018 vor. Danach habe er berichtet, dass im letzten Jahr ein ADHS diagnostiziert worden sei, dass mit Ritalin Adult behandelt werde. Er könne nicht unbedingt sagen, ob es ihm damit besser gehe, er selber fühle sich etwas ruhiger. In der Kontaktaufnahme sei er offen, freundlich, affektiv gut schwingungsfähig, bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen. Er habe allerdings angespannt und sehr bedrückt gewirkt. Er brauche drei bis fünf Stunden um einzuschlafen. Weiter bestünden Schulterprobleme. Aufgrund der schweren und komplexen Diagnose sei er maximal an der Teilhabe im beruflichen Bereich eingeschränkt. Der GdB sei mit mindestens 65 bis 70 anzusetzen, der Wiedereinstieg ins Berufsleben erscheine nicht möglich, zumal die Schultergelenke im Lauf der nächsten Jahre mit Sicherheit nicht besser würden. Der Kläger zeige bezüglich der körperlichen Schwierigkeiten eine klare Störungs- und Krankheitsakzeptanz sowie einen ausgeprägten Leidensdruck. Bezüglich des Umgangs mit ADHS bestünden klare Veränderungswünsche, er wolle die Methylphenidatmedikation so anpassen, dass er während der Wachzeit gut abgedeckt sei, in der Hoffnung etwas besser schlafen zu können. Der Kläger werde an einem Grund- und Aufbaukurs des Kommunikations- und Selbstwertstraining im Kolleg DAT bei ihr teilnehmen, ergänzend zu einer verhaltenstherapeutisch neuropsychotherapeutischen Intervention, um ihm in kleinen Schritten eine Hilfestellung zu geben, damit er mit diesem Wahrnehmungs- und Reaktionsstil besser mit der Krankheit umgehen könne.

Das LRA holte den Befundschein des S ein, der eine eingeschränkte Beweglichkeit der Schultergelenke bei deutlich eingeschränkter Innen- und Außenrotation beschrieb. Letztlich bleibe wohl nur die Möglichkeit einer endoprothetischen Versorgung. Nach Ausreizung der ambulanten konservativen Maßnahmen werde ein stationäres Rehabilitationsverfahren empfohlen. Von einer Operation sei noch Abstand genommen worden.

Auf Anraten der S1 wurde der Befundschein des W eingeholt. Danach rechtfertigten die anamnestischen Angaben sowie die Ergebnisse der Selbstbeurteilungsbögen die Verdachtsdiagnose eines ADHS. Es werde eine medikamentöse Therapie mit Ritalin durchgeführt. Daneben erfolge eine medikamentöse Behandlung wegen des anhaltenden Schmerzsyndroms. Die komplexe Symptomatik sei darunter nur unzureichend gebessert.

S1 sah versorgungsärztlich einen Gesamt-GdB von 30 unter Berücksichtigung eines chronischen Schmerzsyndroms (Teil-GdB 30) und der Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks (Teil-GdB 20).

Mit Teil-Abhilfebescheid vom 17. Juli 2018 stellte das LRA einen GdB von 30 seit dem 5. April 2017 fest.

Nachdem der Kläger an dem Widerspruch festhielt, führte W1 versorgungsärztlich aus, dass zwischen dem chronischen Schmerzsyndrom und den Schulterbeschwerden zwar Überschneidungen bestünden, diese aber nicht so ausgeprägt seien, dass dem Teil-GdB von 20 keine Bedeutung zukomme. Es könne daher ab 10. Januar 2018 ein Gesamt-GdB von 40 anerkannt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2018 gab das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – dem Widerspruch teilweise statt und stellte einen GdB von 40 seit dem 5. April 2017 fest. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Es lägen ein chronisches Schmerzsyndrom, eine Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung sowie eine Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenk vor. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen könnten keinen höheren GdB als 40 begründen.

Am 12. Oktober 2018 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung sachverständige Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte eingeholt hat.

Der W hat unter Darstellung des Behandlungsverlaufs bekundet, dass eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, periodische Bewegungen im Schlaf und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bestehe. Die Gesundheitsstörungen seien als schwergradig einzustufen und ein GdB von 50 anzunehmen.

Der S hat mitgeteilt, den Kläger zuletzt im August 2017 untersucht zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hätten schwere Veränderungen im Bereich der Schultergelenke bestanden. Es lägen dauerhafte Gesundheitsstörungen mit einer Verschlechterungstendenz vor, die zu einer deutlichen Funktionseinschränkung führten.

Die R hat angegeben, den Kläger seit Januar 2018 regelmäßig zu behandeln. Es seien wiederholt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorwiegend wegen Schulterproblemen ausgestellt worden. Die maximale Abduktion liege beidseits bei 90°. Es bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom, welches längerfristig nicht in den Griff zu bekommen gewesen sei. Daneben liege eine Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung vor. Die Bewertung der Gesundheitsstörungen sei sehr schwierig, da das chronische Schmerzsyndrom psychisch stark überlagert sei. Die Funktionseinschränkung der Schultern müsse höher bewertet werden, da beide Seiten betroffen seien. Ergänzend hat sie – bereits aktenkundige – Befundberichte der W und S und den Reha-Entlassungsbericht vorgelegt.

Letztlich hat die N mitgeteilt, dass der Kläger im Februar 2018 ausschließlich zur Diagnostik bei ihr gewesen sei und hat auf ihren – bereits aktenkundigen – Befundbericht verwiesen.

Der G1 hat dargelegt, dass im Rehabilitationsentlassungsbericht keine psychischen Auffälligkeiten beschrieben worden seien. Anhand der vorgelegten Befundberichte sei an einem Teil-GdB von 30 festzuhalten. Die Beweglichkeit der rechten Schulter sei bis auf 70° eingeschränkt, die linke Schulter zeige eine ausreichend gute Funktion. Die MRT habe eine deutliche Omarthrose rechts auf dem Boden der Dysplasie ergeben. Es bestehe die relative Indikation zur Implantation einer inversen Schulterprothese rechts. Der Eingriff sei aufgrund des Alters noch zurückgestellt worden. Es sei weiter eine Bewertung mit einem Teil-GdB von 20 und ein Gesamt-GdB von 40 gerechtfertigt.

Anschließend hat das SG von Amts wegen das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des D1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 13. August 2019 mit testpsychologischem Zusatzgutachten des S2 ebenfalls vom 13. August 2019 erhoben. Letzterer hat ausgeführt, dass der Kläger angegeben habe keine Medikamente einzunehmen, weder im Hinblick auf die Restless-Legs noch hinsichtlich des ADHS. Die Testuntersuchung habe im Depressionsinventar nach Beck einen Summenwert von 40 ergeben, sodass nach dem Testergebnis ein schweres depressives Symptom vorliege. Ein Summerwert von 40 sei jedoch selbst für eine Major Depression recht hoch. Die Betroffenen beschrieben sich meist mit einem Punktwert nicht über 34. Auch habe der Kläger in der Untersuchung keineswegs schwerst depressiv gewirkt, sodass an der Glaubwürdigkeit des Testergebnisses Zweifel bestünden. Darüber hinaus würden keine Antidepressiva eingenommen, stationäre psychiatrische Aufenthalte seien nicht benannt worden. Auch das Ergebnis der Selbstbeurteilungs-Skala zur Diagnostik der ADHS habe ein unglaubwürdiges Ergebnis geliefert. Dies entspreche weder der Verhaltensbeobachtung noch den übrigen Testergebnissen zur Leistungsbeurteilung. Insoweit müsse von Aggravations- wenn nicht sogar von Simulationstendenzen ausgegangen werden. Die Ergebnisse der Testverfahren widersprächen den durchschnittlichen Leistungen in den Leistungstests. Sichere Hinweise auf kognitive Beeinträchtigungen hätten sich nicht ergeben. Sicherlich könnten einige Kriterien eines leichten depressiven Symptoms erfüllt sein, jedoch keineswegs in dem Ausmaß, wie der Kläger in der Beantwortung der Fragebögen dargestellt habe. Für ein relevantes ADHS ergäben sich weder aufgrund der Verhaltensbeobachtung noch aufgrund des biographischen Werdegang Hinweise. Ein ADHS führe im Jugendalter zu erheblichen schulischen Problemen und im Erwachsenenalter zu erheblichen Problemen im Beruf bzw. in der Berufsausbildung. Zwei erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildungen und 18 Jahre Arbeit bei der gleichen Firma seien unvereinbar mit einem ADHS von Krankheitswert.

Gegenüber D1 hat der Kläger angegeben, keine Hobbys zu haben. Autos seien seine Welt. Er sei handwerklich geschickt. Er habe immer „geschafft“, Autos repariert. Früher habe er Sport betrieben, was seit 13 Jahren nicht mehr gehe. Die Medikamente habe er abgesetzt. Er sei immer unruhig und müsse aufstehen. Er sei hyperaktiv, könne nicht lange sitzen und lange stehen. Er könne sich natürlich noch freuen. Es falle ihm schwer, Entscheidungen zu treffen. Er grüble täglich über die Zukunft, wisse nicht, wie es weitergehe. Sinnlos geworden sei das Leben nicht. In der Untersuchung sei der Kläger freundlich zugewandt und leicht unruhig gewesen. Die Kontaktaufnahme habe sich ungestört gestaltet, der Gedankeninhalt sei auf die Bewegungseinschränkungen und die Schlafstörungen zentriert gewesen. Die Stimmungslage sei in der Untersuchungssituation nicht gut gewesen. Der Kläger sei aufgeregt gewesen, da die Untersuchung wichtig für ihn sei. Eine belangvolle Verschiebung zum depressiven Pol hin habe nicht bestanden. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei intakt. Es seien wiederholt positive Emotionen auszulösen gewesen, der Antrieb habe nachgelassen. Bei der neurologischen Untersuchung hätten sich nur leichte Verspannungen der Schulter-Nackenmuskulatur beidseits gezeigt. Im Hirnnervenbereich hätten keine Auffälligkeiten bestanden, bei athletischem Habitus längen keine Lähmungen vor. Die Beweglichkeit beider Schultergelenke sei schmerzhaft eingeschränkt gewesen. Gröbere Störungen von Gedächtnis und Merkfähigkeit seien nicht deutlich geworden, im EEG seien keine belangvollen Auffälligkeiten zur Darstellung gekommen. Nach den Diagnosekriterien zeige sich ein ADHS bereits im frühen Kindesalter. Indessen habe der Kläger über eine normale Kindheits- und Schulentwicklung berichtet, Berufsausbildungen durchlaufen und sei einer langjährigen beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Sichere Hinweise auf ein ADHS-Syndrom, entgegen der Darlegungen des W1, hätten sich in der Untersuchung nicht gefunden. W stütze seine Ausführungen auf den Einsatz einer Selbstbeurteilungsskala, die er aber unkritisch übernommen habe. Gleiches gelte für die N, die nicht gewürdigt habe, dass die hohen Punktwerte auf ein nicht authentisches Antwortverhalten hindeuteten. Entgegen der Testergebnisse könne nicht von einer schweren depressiven Verstimmung, sondern allenfalls von einer leichten chronischen Depression im Sinne einer Dysthymie ausgegangen werden. Der Kläger habe nur einmal vorübergehend ein stimmungsaufhellendes Medikament erhalten, dies jedoch wegen Nebenwirkungen abgesetzt. Psychotherapeutische Maßnahmen erfolgten nicht, was gegen einen ausgeprägten Leidensdruck spräche. Hinsichtlich der im Schlaflabor festgestellten ausgeprägten Extremitätenbewegungen erfolgten derzeit keinerlei medikamentöse Maßnahmen zur Verbesserung der Symptomatik. Die chronische Schmerzstörung stelle eine Behinderung dar, da sie seit Jahren bestehe. Gleiches gelte für die leichte chronische Depression im Sinne einer Dysthymia. Die periodischen Beinbewegungen im Schlaf stellten keine Funktionsstörungen dar. Die chronische Schmerzstörung sei ebenso wie die Dysthymia als leichtgradig einzustufen. Aus nervenärztlicher Sicht sei ein Teil-GdB von 30 und unter Berücksichtigung der fachfremden Behinderungen ein Gesamt-GdB von 40 anzunehmen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Mai 2020 abgewiesen. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ betrage der Teil-GdB 30. Sowohl die chronische Schmerzstörung als auch die depressive Episode seien nur leichtgradig ausgeprägt. Eine Psychotherapie werde ebenso wenig durchgeführt wie eine medikamentöse Behandlung. W begründe seine Einschätzung des GdB auf 50 nicht anhand der erhobenen Befunde, zumal er selbst keine kognitiven Störungen bei dem Kläger beschrieben habe. Im Funktionssystem „Arme“ sei ein Teil-GdB von 20 anzunehmen, eine Erhöhung auf 30 rechtfertige sich nicht. Insbesondere befinde sich der Kläger nicht in orthopädische Behandlung. Der Sf habe vielmehr eine letztmalige Vorstellung im August 2017 bestätigt. Ein höherer Gesamt-GdB als 40 ergebe sich nicht.

Am 12. Juni 2020 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Das SG stelle nicht dar, weshalb es der Einschätzung des W nicht folge, entsprechendes gelte für die Befunde der N. D1 urteile offenbar oberflächlich und ausgesprochen subjektiv. Er sei ganz offensichtlich nicht mit den Ausprägungen eines ADHS-Syndroms vertraut und habe die Diagnose anhand unzureichender Feststellungen verneint. Dagegen handele es sich bei N um eine Spezialistin, die sich bereits ihr ganzen Berufsleben mit dem ADHS-Syndrom beschäftige. Sie habe ein solches unproblematisch bejaht und einen GdB von 70 angesetzt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. Mai 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 4. April 2018 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 17. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2018 einen GdB von mindestens 70 seit dem 10. Januar 2018 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung. In dem testpsychologischen Zusatzgutachten des S2 seien allen durchgeführten Tests erläutert und die erreichte Punktzahl medizinisch eingeordnet worden. Es fänden sich keine sicheren Hinweise auf kognitive Beeinträchtigungen, für ein relevantes ADHS hätten sich weder aufgrund der Verhaltensbeobachtung noch aufgrund des biographischen Werdegangs Hinweise ergeben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 6. Mai 2020, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB unter Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2018 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides (§ 86 SGG) vom 17. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 2. Oktober 2018 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 4. April 2018 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 17. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Er kann die Feststellung eines höheren GdB als 40 nicht beanspruchen, wie auch zur Überzeugung des Senats durch die Untersuchung des Sachverständigen D1 und das psychologische Zusatzgutachten belegt ist.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB mit 40 nicht rechtswidrig zu niedrig eingeschätzt ist.

Die vorwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen bestehen bei dem Kläger im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, welches mit einem Teil-GdB von maximal 30 zu bewerten ist.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Nach diesen Maßstäben ist eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht nachgewiesen. Bei dem Kläger besteht eine nur leichte depressive Störung im Sinne einer Dysthymia, wie der Senat dem Sachverständigengutachten des D1 entnimmt. Dieser hat überzeugend eine belangvolle Verschiebung der Stimmung zum depressiven Pol ausgeschlossen und eine affektiv intakte Schwingungsfähigkeit befundet. Der Kläger war in der Untersuchungssituation freundlich zugewandt, die Kontaktaufnahme hat sich ungestört gestaltet, gröbere Störungen von Gedächtnis und Merkfähigkeit sind nicht deutlich geworden. Eine medikamentöse Behandlung findet ebenso wenig statt wie psychotherapeutische Maßnahmen, was der Sachverständige nachvollziehbar als Hinweis auf einen fehlenden Leidensdruck einordnet. Auch wenn der Kläger keine Hobbys angeben konnte, hat er jedenfalls beschrieben, dass Autos seine Welt seien, er handwerklich geschickt sei und immer Autos repariert hat, sodass ein erhaltenes Interessenspektrum durchaus vorhanden ist, zumal er auf Nachfrage eingeräumt hat, Zeitungen und Zeitschriften zu lesen und regelmäßig im Internet zu surfen. Außerdem hat er zwar behauptet keine Bekannten mehr zu haben. Indessen hat er dem Sachverständigen gegenüber berichtet, manchmal zu seinen Kumpels zu gehen, ebenso ein Eiscafé von Bekannten regelmäßig aufzusuchen, so dass der behauptete soziale Rückzug nicht stattfindet. Er ist in der Lage, seinen Tagesablauf zu strukturieren, geht spazieren und pflegt soziale Kontakte. Daneben liest er Zeitungen und Zeitschriften, nutzt gelegentlich das Internet und sieht fern, sodass die Mediennutzung ebenfalls keine Einschränkungen zeigt. Daneben sind in der Untersuchung wiederholt positive Emotionen auszulösen gewesen und der Kläger hat selbst angegeben, sich noch freuen zu können und er nur Probleme hat, Entscheidungen zu treffen. Soweit sich bei der Untersuchung des S2 im Depressionsinventar nach Beck eine Summenwert von 40 ergab, der auf ein schweres depressives Syndrom hindeutet, hat dieser die Unschlüssigkeit des Testergebnisses dezidiert dargelegt und darauf verwiesen, dass dies auch keineswegs mit dem klinischen Bild korrespondiert, wie D1 ebenfalls bestätigt hat.

Weiter entnimmt der Senat dem Sachverständigengutachten das Bestehen eines chronischen Schmerzsyndroms, welches ebenfalls nicht medikamentös behandelt wird. Die neurologische Untersuchung zeigte nur leichte Verspannungen der Schulter- und Nackenmuskulatur beidseits und eine schmerzhafte Beweglichkeitseinschränkung der Schultergelenke, Lähmungen wurden bei athletischem Habitus verneint. Hinsichtlich der beschriebenen Extremitätsbewegungen im Schlaf weist der Sachverständige ergänzend darauf hin, dass ebenfalls keine medikamentösen Maßnahmen zur Beschwerdelinderung ergriffen werden.

Vom Vorliegen eines ADHS konnte sich der Senat nicht überzeugen, sodass ein solches bei der Bewertung nicht zu berücksichtigen ist. Der S2 hat in seinem Zusatzgutachten überzeugend herausgearbeitet, dass ein ADHS im Jugendalter zu erheblichen schulischen Problemen führt und im Erwachsenenalter zu erheblichen Problemen im Beruf und in der Berufsausbildung. Die Biographie des Klägers zeigt solche Auffälligkeiten hingegen nicht, nachdem er sowohl die Schulausbildung, wie die Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker als auch die nachfolgende Umschulung, die allein orthopädischen Problemen geschuldet war, zum Industriemechaniker erfolgreich abgeschlossen hat. Daneben war er von 1999 bis 2017 bei demselben Arbeitgeber durchgehend beschäftigt, was sich mit einem ADHS nicht vereinbaren lässt, wie D1 in medizinischer Hinsicht ebenfalls bestätigt hat. Wie realistisch die gegenüber S2 geäußerte Erwartung, nach dem Aufhebungsvertrag (mit Abfindung) als Schwerbehinderter eine Rente beantragen zu können, gewesen ist, kann dahinstehen. Im Übrigen hat S2 darlegt, dass das Ergebnis der Selbstbeurteilungs-Skala zur Diagnostik der ADHS ein unglaubwürdiges Ergebnis geliefert hat, das weder der Verhaltensbeobachtung noch den übrigen Testergebnissen entsprach, sodass er auf Aggravations- und Simulationstendenzen schließt. Nur auf eine solche Selbstbeurteilungsskala hat W hingegen seine Diagnose gestützt und diese unkritisch übernommen, wie von D1 überzeugend beschrieben wird. Abgesehen davon, geht W nur von einer einfachen Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung aus und beschreibt damit ebenso kein solches Störungsausmaß, wie es die N1 aufgrund einmaliger Diagnostik annimmt. Diese hat zwar die Biographie des Klägers im Einzelnen erhoben, sich hiermit aber nicht kritisch auseinandersetzt. Die auffälligen Werte in den Selbstbeurteilungsskalen sind von ihr ebenfalls nicht gewürdigt worden. Sie berücksichtigt, so D1 schlüssig, nicht, dass die hohen Werte gerade für nicht authentisches Antwortverhalten sprechen, wie S2 im Einzelnen herausgearbeitet hat. Die diagnostischen Einschätzungen der N1, die ärztlicherseits nicht in dem von ihr angenommenem Ausmaß bestätigt werden konnten, sind somit widerlegt. Ihre GdB-Bewertung lässt sich mit den Vorgaben der VG in keiner Weise vereinbaren und wird von dem objektivierten Befund ebenso wenig gestützt wie von der Intensität der in Anspruch genommenen Behandlung. Nachdem es sich indessen bei der GdB-Einschätzung um eine rechtliche und nicht um eine medizinische Bewertung handelt, kommt es hierauf ebenso wenig entscheidend an, wie darauf, dass die von W mitgeteilten Einschränkungen seine Einschätzung des Gesamt-GdB mit 50 nicht tragen.

Die leichte Depression sowie die leichte chronische Schmerzstörung, die beide keiner medikamentösen und fachärztlichen Behandlung bedürfen, können daher maximal mit einem GdB von 30 bewertet werden, wie ihn D1 ebenfalls gesehen hat.

Im Funktionssystem „Arme“ kommt ebenfalls kein höherer Teil-GdB als 20 in Betracht.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) mit einer nur bis 120° möglichen Armhebung mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10, mit einer nur möglichen Armhebung bis 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Bei dem Kläger bestehen Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenks, die mit einer Bewegungseinschränkung einhergehen, wie der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. S entnimmt. Durch die stationäre Rehabilitation, die nach der letzten Behandlung bei Dr. S im August 2017 durchgeführt wurde, konnte die Beweglichkeit indessen auf eine Armhebung bis 100° gesteigert werden, wie der Senat dem Entlassungsbericht entnimmt, den er im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet. An der linken Schulter zeigte sich mit einer möglichen Armhebung bis 150° keine relevante Bewegungseinschränkung. Soweit die Hausärztin die Armhebung nur bis 90° beidseits als möglich beurteilt, werden schon keine Einschränkungen hinsichtlich der Dreh- und Spreizfähigkeit beschrieben. Abgesehen davon hat der Kläger seit August 2017 keine fachärztliche Behandlung mehr in Anspruch genommen und D1 hat im Rahmen seiner Untersuchung nur auf eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung verwiesen. Auch unter Berücksichtigung einer Beidseitigkeit kommt ein höherer Teil-GdB als 20 für das Funktionssystem somit nicht in Betracht.

Letztlich folgt aus der Sinusitis (vgl. VG, Teil B, Nr. 6.2) und der beschriebenen Schlafstörung kein weiterer Teil-GdB, da diese Gesundheitsstörungen behandelbar und ohne GdB-Relevanz sind, wie der Senat den Darlegungen des Versorgungsarztes Z entnimmt.

Aus dem Teil-GdB von maximal 30 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ und 20 im Funktionssystem „Arme“ lässt sich somit ein höherer Teil-GdB als 40 nicht begründen. Selbst wenn mit der Hausärztin das Funktionssystem „Arme“ mit einem Teil-GdB von 30 bewertet würde, was die erhobenen Befunde nicht stützen, ergäbe sich schon deshalb keine andere Beurteilung, da Überschneidungen zwischen dem Schmerzsyndrom und den Schulterbeschwerden bestehen, wie sie W1 versorgungsärztlich ebenfalls gesehen hat.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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