L 2 AS 385/22 B ER, L 2 AS 386/22 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 497/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 385/22 B ER, L 2 AS 386/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerden der Antragsteller gegen Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.03.2022 werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden, mit der die Antragsteller einen Anspruch auf einstweilige Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form eines Darlehens für die Begleichung von Mietschulden sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten für das erstinstanzliche Verfahren weiterverfolgen, sind nicht begründet.

1.

Das Sozialgericht (SG) hat mit der angefochtenen Entscheidung dem auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners gerichteten Antrag auf Gewährung eines Darlehens in Höhe von mindestens 1.187,12 Euro zur Begleichung von Mietschulden und zur Abwendung des Wohnungsverlustes vor dem Hintergrund vermieterseitiger fristloser Kündigung vom 09.02.2022 wegen Zahlungsrückstandes zu Recht nicht entsprochen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne eine schnelle Entscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte unmittelbar droht, die durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. vom 12.05.2005 zum Az. 1 BvR 569/05, Rn. 23 bei juris). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz erfordert auch Rechtsschutzerlangung innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (BVerfG, Beschl. vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91, Rn. 28 bei juris).

Der geltend gemachte (Anordnungs-) Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung -ZPO-). Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zur Überzeugung des erkennenden Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSG, Beschl. vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01, Rn. 5 bei juris).

Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschl. vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rn. 24 f. bei juris). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Kann bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vielfach nur möglichen summarischen Prüfung die Erfolgsaussicht nicht abschließend beurteilt werden, muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung grundrechtlicher Belange entscheiden (BVerfG, Beschl. vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rn. 26 bei juris; vgl. auch Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 29a). Je schwerwiegender ein durch ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens endgültig eintretender Schaden ausfiele, desto geringere Anforderungen sind im Rahmen der Folgenabwägung an die Überzeugung des Gerichts vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs zu richten.

Damit verbunden ist jedoch nicht eine Reduzierung der Bemühungen, die nach Lage des konkreten Einzelfalles vom Rechtsschutzsuchenden zur Glaubhaftmachung des von ihm geltend gemachten Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu verlangen sind. Wird im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geltend gemacht, ohne eine schnelle gerichtliche Entscheidung von schweren sowie unzumutbaren und nachträglich nicht wiedergutzumachenden Nachteilen unmittelbar bedroht zu sein, muss vom Rechtsschutzsuchenden erwartet werden, dass er alles ihm Mögliche sowie nach den konkreten Umständen des Einzelfalls Zumutbare unternimmt, um die ihm drohenden Nachteile nicht eintreten zu lassen. Fehlt es ersichtlich an derartigen Bemühungen, können im Einzelfall erhebliche Zweifel insbesondere am Vorliegen des Anordnungsgrundes, aber auch des Anordnungsanspruchs gerechtfertigt sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II im Streit ist. Denn wer geltend macht, auf die Gewährung existenzsichernder Leistungen angewiesen zu sein, von dem ist zu erwarten, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, diese Mittel möglichst schnell zu erhalten, um damit die geltend gemachte finanzielle Notlage unverzüglich überwinden zu können.

Unter Berücksichtigung der vorstehend aufgeführten Rechtsgrundsätze bestehen bereits erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs (dazu unter a.), jedenfalls haben die Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (dazu unter b.).

a.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Mietschulden ist § 22 Abs. 8 SGB II. Danach können Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen (Satz 3). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (Satz 4).

aa.

Darlehensberechtigt sind nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014, Az. B 4 AS 3/14 R, juris Rn. 27; ‑‑ LSG NRW, Beschluss vom 29.03.2018, Az. L 19 AS 423/18 B ER, juris Rn. 6, Luik in: Eicher/ders./Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 22 Rn. 340), vorliegend die Antragstellerin zu 1) als Mieterin, nicht hingegen die Antragsteller zu 2) und 3) als deren minderjährige Kinder, welche nach Aktenlage nicht Partei des für die gemeinsam genutzte Wohnung geschlossenen Mietvertrages und zivilrechtlich gegenüber der Vermieterin auch nicht zur Zahlung eines Mietzinses verpflichtet sind.

bb.

Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Anspruchs der Antragstellerin zu 1) auf Gewährung eines Darlehens zwecks Tilgung der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II. Denn die Antragstellerin zu 1) hat nicht glaubhaft gemacht, dass dadurch eine Sicherung der gegenwärtigen Unterkunft noch möglich wäre. Eine Schuldenübernahme ist nicht gerechtfertigt, wenn eine längerfristige Sicherung der Unterkunft nicht mehr zu erreichen ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 14.05.2018, Az. L 2 AS 557/18 B ER, juris Rn. 4 m.w.N., Luik, a.a.O., § 22 Rn. 324). Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur Übernahme von Mietschulden erfolgt nicht, um den Mieter von zivilrechtlichen Forderungen aus dem Mietverhältnis freizustellen oder um monetäre Ansprüche des Vermieters zu sichern. Zweck der Sozialleistung ist allein die (längerfristige) Sicherung der Unterkunft zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit. Ist dieser Zweck nicht mehr erreichbar (beispielsweise, weil die Wohnung schon geräumt wurde) oder kann dieser Zweck aus anderen Gründen nicht erreicht werden, ist es nicht gerechtfertigt, Steuermittel für eine voraussichtlich allenfalls noch vorübergehende Nutzung der Unterkunft zur Verfügung zu stellen.

Das zwischen der Antragstellerin zu 1) und der Vermieterin bestehende Mietverhältnis ist nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte durch den Ausspruch der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs seitens der Vermieterin nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3a) und b) BGB wirksam beendet worden.

Die Antragstellerin zu 1) hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Rechtswirkungen der fristlosen Kündigung vorliegend noch durch Befriedigung des Vermieters zu beseitigen sind. Zwar wird eine fristlose Kündigung u.a. nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Dies gilt jedoch nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist. Der Antragstellerin zu 1) wurden mit Bescheiden vom 24.09.2020 sowie 13.11.2020 zur Begleichung von rückständigen Mietzahlungen der von ihr seit dem 01.02.2019 bewohnten Wohnung Darlehen i.H.v. 5090,47 und 926,24 Euro bewilligt, nach Aktenlage war bereits eine Räumungsklage anhängig. Dass zum damaligen Zeitpunkt keine Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB vorlag, die nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden ist bzw. der Zweijahreszeitraum bei Zugang der vorliegenden Kündigung vom 09.02.2022 bereits verstrichen war, ist trotz eines gerichtlichen Hinweises und Aufforderung zur Vorlage weiterer Unterlagen nicht glaubhaft gemacht worden.

Überdies hat die Antragstellerin zu 1) trotz Aufforderung durch den Senat zur Vorlage von Kontoauszügen und Sparbüchern nicht glaubhaft gemacht, nicht über Vermögen i.S.v. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II zu verfügen, welches nach § 22 Abs. 8 Satz 3 SGB II vorrangig einzusetzen ist.

b.

Jedenfalls ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, denn das prozessuale Verhalten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren spricht gegen eine besondere Eilbedürftigkeit. Trotz Erinnerung haben die Antragsteller auf das gerichtliche Schreiben vom 25.03.2022 in keiner Weise reagiert und die angeforderten Unterlagen zur Glaubhaftmachung nicht vorgelegt. Bei einer besonderen Eilbedürftigkeit wäre zu erwarten, dass die Antragsteller alles Erforderliche unternehmen, um die begehrten Leistungen zu erhalten und die Verfügungen des Senats zeitnah beantworten sowie die von ihnen angeforderten Unterlagen vorlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. 

2.

Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren hat keinen Erfolg, da nach dem Vorstehenden die gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen Erfolgsaussichten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens fehlen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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