L 19 AS 429/22 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 124 AS 1214/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 429/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine Zahlungserinnerung ist keine Vollstreckungsmaßnahme. Eine Vollstreckung droht frühestens, wenn der Beginn der Vollstreckung von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin konkret angekündigt ist oder sonstige greifbare Vorbereitungshandlungen einer Vollstreckung erkennbar sind.

Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz besteht nur, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz unzumutbar ist. Für das Begehren nach vorläufigem vorbeugenden Rechtsschutz gilt dies in besonderem Maße.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2022 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

           Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin A K wird abgelehnt.

 

 

Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (im Folgenden: Antragsgegner), die Vollstreckung aus einem Bescheid vom 1. Februar 2013 vorläufig einzustellen.

 

Der Antragsgegner hatte der Antragstellerin mit Bescheid vom 1. Februar 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von August 2008 bis Januar 2009 bewilligt. Ebenfalls mit Bescheid vom 1. Februar 2013 forderte der Antragsgegner von der Antragstellerin die Erstattung von Leistungen in Höhe von 1.046,40 Euro. Der Bescheid ist bestandskräftig.

 

Mit Schreiben vom 28. Februar 2022, das als „Zahlungserinnerung“ bezeichnet war, teilte die Bundesagentur für Arbeit, Inkasso Service, der Antragstellerin mit, dass die am 19. Februar 2013 fällige Forderung bisher nicht beglichen sei. Die Zahlung werde bis zum 14. März 2022 erwartet, nach erfolglosem Verstreichen des Zahlungstermins würden weitere Schritte gegen die Antragstellerin geprüft.

 

Hiergegen hat sich die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes am 3. März 2022 an das Sozialgericht Berlin gewandt. Sie hat beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 1. Februar 2013 einzustellen, und ist der Ansicht, die geltend gemachte Forderung sei verjährt.

 

Mit Beschluss vom 31. März 2022 hat das Sozialgericht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, neben Zweifeln an der Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes sei der Antrag jedenfalls unbegründet, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung sei die streitgegenständliche Forderung nicht verjährt.

 

Gegen  den  am  31.  März  2022  zugestellten  Beschluss  hat die Antragstellerin am 

2. Mai  2022 Beschwerde erhoben. Sie ist der Auffassung, das Vollstreckungsverfahren werde bereits mit der Zahlungserinnerung eingeleitet oder wenigstens vorbereitet. Daraus ergebe sich die Eilbedürftigkeit.

 

Die Antragstellerin beantragt,

 

den Antragsgegner unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2022 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 1. Februar 2013 vorläufig einzustellen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

            die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Zur Begründung verweist er auf die den Beschluss tragenden Gründe sowie sein erstinstanzliches Vorbringen.

 

II.

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 173 SGG). Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt, da das Ende der für die Beschwerde geltenden Monatsfrist am 30. April 2022 auf einen Samstag fiel (§ 64 Abs. 2 und 3 SGG).

 

2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet.

 

a. Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zu gewähren ist. Einstweiliger Rechtsschutz durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG kommt nur in Betracht, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt. Dies ist hier der Fall. Denn gegen das als „Zahlungserinnerung“ bezeichnete Schreiben der Bundesagentur für Arbeit, Inkasso Service vom 28. Februar 2022 ist kein Widerspruch gegeben; ihm kommt mangels Regelung nicht die Qualität eines Verwaltungsakts nach § 31 SGB X zu (zur Rechtsqualität von Zahlungsaufforderungen vgl. BSG, Beschluss vom 7. Juni 1999 – B 7 AL 264/98 B –, Juris). Das Schreiben regelt nichts, sondern weist die Antragstellerin lediglich darauf hin, dass eine am 19. Februar 2013 fällige Forderung des Antragsgegners in Höhe von 1046,40 Euro bisher nicht beglichen ist und nunmehr bis zum 14. März 2022 zu begleichen sei. Bei erfolglosem Verstreichen des Zahlungstermins würden weitere Schritte geprüft, die mit zusätzlichen Kosten verbunden sein könnten.

b. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits unzulässig.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, § 929 Abs. 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend.

aa. Die Verpflichtung des Antragsgegners, die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 1. Februar 2013 vorläufig einzustellen, scheitert bereits daran, dass der Antragsgegner mit der Vollstreckung nicht begonnen hat.

Ein auf die Unterlassung einer Vollstreckung gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 SGG ist statthaft, da es möglich sein muss, gegen für unberechtigt gehaltene Vollstreckungsankündigungen unmittelbar vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2020 - L 3 AS 1168/20 ER B -, Rn. 14 m. w. N.). Er setzt aber voraus, dass die Vollstreckung begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht.

Vollstreckungsmaßnahmen sind hier jedoch nicht erkennbar. Der Antragsgegner hat auf Nachfrage des Gerichts am 24. Mai 2022 mitgeteilt, dass nach Versand der Zahlungserinnerung am 28. Februar 2022 auch drei Monate später kein Vollstreckungsverfahren eingeleitet worden ist. Auch die Antragstellerin hat am 25. Mai 2022 bestätigt, dass sie eine Information vom Hauptzollamt über die Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens bisher nicht erhalten hat.

Auch aus der Zahlungserinnerung vom 28. Februar 2022 folgt nichts anders. Die Antragstellerin ist damit lediglich zur Zahlung der Forderung in Höhe von 1.046,40 Euro bis zum 14. März 2022 aufgefordert worden, zugleich wurde angekündigt, nach erfolglosem Verstreichen des Zahlungstermins weitere Schritte zu prüfen. Eine Vollstreckung ist damit jedoch weder bereits eingeleitet, noch droht sie unmittelbar. Dies ist frühestens der Fall, wenn der Beginn der Vollstreckung von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin konkret angekündigt ist oder sonstige konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Anspruchs erkennbar sind (OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 17. März 2004 – 2 B 49/04 –, Rn. 6 juris). Ob im Ergebnis der weiteren Prüfung Vollstreckungsmaßnahmen tatsächlich eingeleitet werden, ist völlig offen. Bisher ist dies jedenfalls nicht erfolgt, obwohl seit dem Verstreichenlassen der Zahlungsfrist inzwischen mehr als drei Monate vergangen sind. Vollstreckungsmaßnahmen sind auch nicht konkret angekündigt.

bb. Auch wenn man – über den Wortlaut ihres Antrags hinaus – das Begehren der Antragstellerin als auf die Gewährung vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtet verstünde (vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom. 15. Dezember 2020 - L 9 AS 546/20 B ER - juris Rn. 10 f). und man annimmt, es gehe ihr um die vorbeugende Verpflichtung des Antragsgegners, eventuell beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahmen gar nicht erst einzuleiten, hat der Antrag keinen Erfolg.

Vorbeugender Rechtsschutz kann in zulässiger Weise nur in Anspruch genommen werden, wenn hierfür ein besonderes oder qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht. Vorbeugender Rechtsschutz wirkt auf das Handeln der Exekutive ein, bevor diese abschließend entschieden hat, so dass er auch vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes besonders gerechtfertigt werden muss (Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. (Stand: 28.03.2022), § 86b SGG Rn. 47). Ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz besteht nur, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz - einschließlich des vorläufigen Rechtsschutzes - unzumutbar ist. Für vorbeugenden Rechtsschutz ist von vornherein kein Raum, wenn es dem Betroffenen zuzumuten ist, die (möglicherweise) bevorstehenden Maßnahmen der Verwaltung abzuwarten und er auf einen als ausreichend anzusehenden nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207, 212). Dies gilt in besonderem Maße für das Begehren nach vorläufigem vorbeugenden Rechtsschutz (LSG Hessen, Beschluss v. 15. Dezember 2020 - L 9 AS 546/20 B ER - juris Rn. 11 mit Verweis auf Bayerisches LSG, Beschluss vom 25. Juli 2019 - L 4 KR 117/19 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Juni 2006 - L 1 B 16/06 AS ER -). Daher sind Anträge, die auf vorbeugenden gerichtlichen Rechtsschutz gegen zukünftige Maßnahmen der Verwaltung gerichtet sind, regelmäßig unzulässig. Warum vorliegend nachträglicher gerichtlicher Rechtsschutz nicht möglich sein soll, ist weder vorgetragen noch sonst irgendwie ersichtlich; Anhaltspunkte hierfür sind für den Senat nicht zu erkennen. Auch die Antragstellerin hat auch auf den gerichtlichen Hinweis vom 25. Mai 2022 hierzu nichts vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

III.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist mangels Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Auf die  vorstehenden Ausführungen wird verwiesen.

Rechtskraft
Aus
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