L 2 SO 1906/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 3075/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1906/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Begriff der „häuslichen“ Pflegehilfe in § 64b SGB XII dient allein der Abgrenzung zur stationären Pflege. Für die Einstufung als häusliche Pflegehilfe kommt es also nicht auf den Aufenthaltsort des Pflegebedürftigen an, sondern allein auf die Art der Leistung. Wird die Pflege von einem ambulanten Pflegedienst oder einer einzelnen Pflegekraft durchgeführt, handelt es sich um „häusliche“ Pflegehilfe – unabhängig davon, ob sie zu Hause beim Pflegebedürftigen erfolgt oder anderswo, z.B. am Arbeitsplatz.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. April 2018 wird mit der Maßgabe, dass dem Kläger die für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz im Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2020 entstandenen Kosten in Höhe von 18.302,46 Euro zu erstatten sind, zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Darüber hinaus sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Streitig ist die Übernahme der Kosten für pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.06.2020 in Höhe von 18.302,46 Euro.

Der 1989 geborene Kläger leidet an Muskeldystrophie, die zu einer Schwäche der Muskeln in Schultern, Oberarmen, Rumpf, Becken und Beinen führt. Angesichts dessen ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Vom 01.01.2017 bis 30.09.2017 hatte die Pflegekasse beim Kläger den Pflegegrad 3 anerkannt; ab dem 1.10.2017 berücksichtigte sie den Pflegegrad 4. Seit 02.09.2020 besteht Pflegegrad 5. Die Pflegekasse zahlte dem Kläger bis zum 30.06.2020 Pflegegeld, welches seine Mutter, die ihn zu Hause pflegt, erhalten hat. Das Pflegegeld betrug bis 30.09.2017 monatlich 545,00 Euro und ab dem 01.10.2017 monatlich 728,00 Euro (Bescheide vom 5.12.2016 und 18.12.2017; Bl. 2059 VA).

Es sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, aG und H festgestellt (vgl. Bl. 2061 VA).

Der Kläger lebt allein in einer seinen Eltern gehörenden Wohnung in R, die mit strombetriebenen Nachtspeicheröfen geheizt wird. Laut Mietvertrag (vgl. z.B. Bl. 145 LSG Akte) bzw. der vorliegenden Kontoauszüge bezahlt er für seine Unterkunft insgesamt 480,00 Euro pro Monat (442,00 Euro Netto-Kaltmiete; 38,00 Euro warme Betriebskosten).

Der Kläger ist bei der M GmbH in O seit 2013 als Softwareentwickler beschäftigt. Seine Arbeitszeit beträgt 30 Stunden pro Woche. Sein monatliches Nettoarbeitsentgelt betrug 2017 durchschnittlich 1.694,34 Euro, 2018 1.749,06 Euro, 2019 1.841,52 Euro und 2020 1.775,47 Euro (vgl. Bl. 142 ff.). Von der Wohnung zum Arbeitsplatz (und zurück) wird der Kläger im Auto von einem Mitarbeiter des Lebenshilfe e.V. gefahren. Bis März 2020 erfolgte der Transport mit einem Auto, das dem Bruder gehörte. Dieser stellte dem Kläger das Auto monatlich für 300,00 Euro Nutzungsentgelt (inkl. Steuern/ Versicherungen, ohne Benzin) zur Verfügung (vgl. Bl. 266 LSG Akte). Der Mitarbeiter der Lebenshilfe e.V. hilft dem Kläger auch beim Ein- und Aussteigen; zudem verlädt er den Rollstuhl. Darüber hinaus ist der Mitarbeiter während der Arbeitszeit im Betrieb anwesend. Er unterstützt den Kläger als Arbeitsassistenz bei der Berufstätigkeit, hilft ihm dort aber auch bei persönlichen Verrichtungen, z.B. beim Essen und Trinken, bei Toilettengängen, beim Verabreichen von Augentropfen sowie beim Transfer vom Rollstuhl auf eine Liege (und zurück) im Ruheraum.

Für die Fahrtkosten erhält der Kläger einen Zuschuss von der Bundesagentur für Arbeit als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Allerdings muss der Kläger einen Eigenanteil, der sich aus einer monatlichen Pauschale und einem Betrag für jeden Tag, an dem er zur Arbeit gefahren wird, zusammensetzt (Bescheide vom 22.9.2016, Bl. 723 VA, 19.10.2017, Bl. 1431 VA, 01.10.2018 LSG-Akte).

Die Kosten der Arbeitsassistenz übernimmt der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS). Von der Bewilligung ausgenommen hat der KVJS indes die Kosten für „pflegerisch bedingte Zeiten“ (Bescheide vom 08.09.2016, Bl. 717 VA, 08.08.2017, Bl. 1013 VA, 15.08.2017, 17.08.2018 und 23.09.2019 LSG- Akte). Gegen diese Einschränkung hat der Kläger beim KVJS Widerspruch eingelegt; das Widerspruchsverfahren ist dort noch anhängig.

Bis zum 31.12.2016 hatte der Beklagte dem Kläger Hilfe zur Pflege gewährt - zuletzt ergänzendes Pflegegeld in Höhe von 220,20 Euro pro Monat sowie Leistungen für pflegenahe Unterstützung in Höhe von 163,00 Euro pro Monat, insgesamt 383,20 Euro (vgl. Bescheid vom 08.11.2016, Bl. 751 VA).

Auf den Verlängerungsantrag des Klägers vom 15.12.2016 (Bl. 769 VA) bewilligte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 27.03.2017 (Bl. 815 VA) erneut Hilfe zur Pflege in Höhe von monatlich 383,20 Euro, allerdings nur bis zum 30.6.2017. Zur Begründung der Ablehnung ab dem 01.07.2017 gab er an, dass die Regelung, nach der bisher die Leistungen gewährt worden seien, mit dem Pflegestärkungsgesetz III geändert worden seien. Die Möglichkeit der Gewährung von anderen Leistungen als zur häuslichen Pflege sei deutlich eingeschränkt worden. Es sei zudem klargestellt worden, dass in der Pflegeversicherung Leistungen der häuslichen Pflege auch nur für die Pflege in der häuslichen Umgebung erbracht würden. Gleiches müsse für die Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) gelten. Leistungen nach dem SGB XII kämen also nur in Betracht, wenn die Hilfe in engem Zusammenhang mit dem Leben im Haushalt und dessen räumlichen Umfeld stehe. Pflege am Arbeitsplatz sei hingegen von vornherein nicht erfasst. Zudem würden gemäß § 63b Abs. 1 SGB XII Leistungen der Hilfe zur Pflege nicht erbracht, soweit der Pflegebedürftige gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhält. Im vorliegenden Fall müsse der KVJS die gesamten Kosten übernehmen, die durch den Einsatz des Mitarbeiters des Lebenshilfe e.V. am Arbeitsplatz entstehen - also auch die Kosten für pflegenahe Unterstützung. Es handele sich um eine einheitliche Leistung, die insgesamt auf die Teilhabe am Arbeitsleben ziele. Eine Aufspaltung der Leistung sei nicht sachgerecht. Da die pflegenahe Unterstützung gegenüber der Arbeitsassistenz nur von untergeordneter Bedeutung sei, könne der KVJS den Kläger nicht darauf verweisen, insoweit Leistungen nach dem SGB XII zu beantragen.

Hiergegen erhob der Kläger am 25.04.2017 Widerspruch ein. Er machte u.a. geltend, die Einstellung der Hilfe zur Pflege ab dem 01.07.2017 sei rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe er gegenüber dem KVJS keinen vorrangigen Anspruch; es fehle insoweit schon an einer Rechtsgrundlage.

Am 23.06.2017 stellte der Kläger beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung der begehrten Leistungen über den 30.06.2017 hinaus. Das SG lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 06.07.2017 ab und führte zur Begründung aus, dass die bislang gewährten Leistungen in der Neuregelung des § 64 f SGB XII nicht mehr vorgesehen seien und daher nicht mehr in Betracht kämen. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein (- L 7 SO 3132/17 ER-B -). In einem dort durchgeführten Termin zur Erörterung des Sachverhaltes erklärte der Kläger u.a. dass er schon seit Jahren von Herrn B bei der Arbeit in der Firma M unterstützt werde. Er arbeite 30 Stunden pro Woche als Softwareentwickler. Herr B begleite ihn auch auf mehrtätige Schulungen und nehme pflegenahe Unterstützungsleistungen vor, wie die Begleitung zum Toilettengang, Hilfe beim Essen und Trinken, Verabreichung der notwenigen Augentropfen, Unterstützung beim An-/ Ausziehen der Jacke und der Schuhe für die notwenige Ruhephase. Mit Beschluss vom 30.11.2017 hat das LSG den Beklagten verpflichtet, dem Kläger vorläufig für die Zeit vom 01.12.2017 bis 31.03.2018, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Karlsruhe (- S 5 SO 3075/17 -) Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form eines ergänzenden Pflegegeldes in Höhe von monatlich 285,99 Euro zu gewähren. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen.

Diese Summe hat der Beklagte in Umsetzung des Beschlusses vorläufig bis zum 30.06.2020 auch tatsächlich an den Kläger geleistet (vgl. Schreiben des Beklagten vom 24.07.2018 und 06.08.2018).

Bereits am 04.08.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 935 VA). Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen seine bisherigen Argumente.

Am 07.09.2017 hat der Kläger Klage zum SG Karlsruhe hiergegen erheben lassen. Eine weitere Begründung ist nicht erfolgt.

Das SG hat mit Urteil vom 23.04.2018 den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 27.3.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2018 verurteilt, dem Kläger 4.315,08 Euro sowie diejenigen Kosten zu erstatten, die ihm für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz ab dem 01.03.2018 durch den Lebenshilfe e.V. entstehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege in Form von Erstattung der Kosten, die ihm für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz durch den Lebenshilfe e.V. für die Zeit ab dem 01.07.2017 habe. Der Kläger sei unstreitig pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII. Er könne auch die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel nicht aus seinem Einkommen oder Vermögen aufzubringen, was letztlich zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig sei. Der Kläger gehöre daher zum Kreis der grds. anspruchsberechtigten Personen auf Hilfe zur Pflege. Er könne zwar für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz kein „ergänzendes“ Pflegegeld beanspruchen; ihm stehe hierfür aber häusliche Pflegehilfe zu. Der Anspruch auf Pflegegeld gegen den Sozialhilfeträger scheide hier schon deshalb aus, weil der Pflegebedürftige Pflegegeld von der Pflegekasse erhalte, welche er an seine Mutter, die die Versorgung zu Hause übernehme, weiterleite. Diese Zahlung der Pflegekasse würde gemäß § 63b Abs. 1 SGB XII aber in vollem Umfang auf einen etwaigen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger angerechnet. Angesichts dessen sei die Zahlung von „ergänzendem“ Pflegegeld durch den Beklagten für einen gewerblichen Pflegehelfer, der den Kläger während der Arbeit unterstütze, ausgeschlossen.
In Betracht komme hier aber die Übernahme der Kosten für die pflegenahe Unterstützung nach § 64b Abs. 1 S. 1 SGB XII. Entgegen der Ansicht der Beklagte sei dieser Anspruch des Pflegebedürftigen zunächst nicht beschränkt auf Leistungen, die in seinem engeren häuslichen Umfeld erbracht würden. In der Pflegeversicherung sei häusliche Pflegehilfe auch zulässig, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt werden; sie ist nur ausgeschlossen, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) gepflegt würden (§ 36 Abs. 4 S. 1 SGB XI). Der Begriff der „häuslichen“ Pflegehilfe diene damit allein der Abgrenzung zur stationären Pflege. Für die Einstufung als häusliche Pflegehilfe komme es also nicht auf den Aufenthaltsort des Pflegebedürftigen, sondern allein auf die Art der Leistung an: Werde die Pflege von einem ambulanten Pflegedienst oder einer einzelnen Pflegekraft durchgeführt, handele es sich um „häusliche“ Pflege - unabhängig davon, ob sie zu Hause beim Pflegebedürftigen erfolge oder anderswo. Diese Vorgaben aus dem Recht der Pflegeversicherung seien auf die Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII übertragbar.
Der Kläger bedürfe am Arbeitsplatz Unterstützung bei persönlichen Verrichtungen, die nicht unmittelbar mit der Arbeit zu tun hätten, z.B. beim Essen und Trinken, bei Toilettengängen, beim Verabreichen von Augentropfen sowie beim Transfer vom Rollstuhl auf eine Liege (und zurück) im Ruheraum. Hierbei handele es sich um körperbezogene Pflegemaßnahmen im Sinne des § 64b Abs. 1 SGB XII. Diese würden nicht stationär erbracht, sondern durch eine einzelne Pflegekraft. Eine - nach § 64 SGB XII vorrangige - Hilfe durch Personen, die dem Kläger nahe stünden oder als Nachbarschaftshilfe scheide hier aus. Denn der Kläger benötige die Unterstützung am Arbeitsplatz im Betrieb seines Arbeitgebers in O, und zwar verteilt über den gesamten Arbeitstag.
Der Beklagte könne die häusliche Pflegehilfe nicht unter Hinweis darauf ablehnen, zuständig für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz sei nicht er, der Beklagte, sondern ein anderer Träger - entweder der KVJS bzw. die Pflegekasse. Dies schon deshalb, weil der Kläger solche Leistungen derzeit tatsächlich nicht erhalte. Ein Anspruch auf eine anderweitige Leistung genüge hierfür nicht.
Der Kläger erhalte für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz nämlich zunächst tatsächlich keine Leistungen vom KVJS. Vielmehr habe der KVJS die Kosten für „pflegerisch bedingte Zeiten“ ausdrücklich von seinem Zuschuss zu den Aufwendungen für die Arbeitsassistenz ausgenommen und mehrfach deutlich gemacht, dass man für eine solche Leistung nicht zuständig sei.
Von der Pflegekasse erhalte der Kläger zwar derzeit Pflegegeld nach § 37 SGB XI. Allerdings handele es sich hierbei um keine „gleichartige“ Leistung zur häuslichen Pflegehilfe nach § 64b SGB XII, wie dies § 63b Abs. 1 SGB XII voraussetze. Denn die Pflegehilfe könne der Pflegebedürftige grundsätzlich nur „als Pflegesachleistung“ beanspruchen (vgl. § 64b Abs. 1 S. 1 SGB XII); ihm stehe also keine Beihilfe in Geld zu. Der Sozialhilfeträger müsse die Sachleistung allerdings nicht selbst erbringen. Es genüge, wenn er mit Leistungserbringern (z.B. ambulanten Pflegediensten) Verträge nach §§ 75 ff. SGB XII schließe und auf diese Weise - im Dreiecksverhältnis - sicherstelle, dass der Pflegebedürftige die häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erhält (Meßling in: jurisPK-SGB XII, § 64b Rn. 12 f.). Zu keinem anderen Ergebnis führe, dass der Beklagte nun erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, der Kläger könne für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz häusliche Pflegehilfe - als Sachleistung - auch von der Pflegekasse erhalten. Bisher gewähre die Pflegekasse dem Kläger indes keine Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI. Mangels tatsächlicher Leistung sei der Einwand des Beklagten daher nur beachtlich, wenn sich der Kläger generell eigenen Bemühungen verschließe. Hiervon könne keine Rede sein.

Am 28.05.2018 hat der Beklagte gegen das ihm am 30.04.2018 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG Karlsruhe Berufung erhoben. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Hilfen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII, insbesondere auf Pflegesachleistungen nach § 64b Abs. 1 Satz 1 SGB XII habe. Der Leistungskatalog des § 63 SGB XII sei abschließend, demnach komme keine Leistungsgewährung nach § 63 Abs. 1 Nr. 1a oder b SGB XII in Betracht. Die bisherige Leistungsgewährung habe ihre Rechtsgrundalge in § 65 SGB XII a.F. sowie § 64 SGB XII a.F. gefunden. Diese Regelung sei durch das Pflegestärkungsregelungsgesetz III zum 01.01.2017 ersatzlos gestrichen worden. Die Regelungen des § 64a SGB XII und § 64b SGB XII setzten eine Pflege im häuslichen Umfeld voraus.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. April 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.





Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und dem Kläger die bis zum 30.06.2020 entstandenen Kosten für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz in Höhe von insgesamt 18.302,46 Euro zu erstatten.

Zur Begründung wird zunächst auf die angefochtene Entscheidung verwiesen und sodann ergänzend ausgeführt, dass die Ausführungen des Beklagten zur „Häuslichkeit“ der Pflege nicht geteilt würden. Wie das SG richtig ausgeführt habe, könne häusliche Pflege auch am Arbeitsplatz erfolgen und die Abgrenzung erfolge zur stationären Pflege. Sollte nicht dem SG gefolgt werden, dass eine Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrten Leistungen in § 64b Abs. 1 SGB XII gesehen habe, müsse man an eine planwidrige Regelungslücke denken. Es müsse schwerbehinderten Menschen möglich sein, einer Arbeit nachzugehen und dort ggf. auch pflegenahe Unterstützung zu erhalten, was notfalls über die Öffnungsklausel des § 73 SGB XII möglich sein müsse.

Mit Beschluss vom 24.09.2019 hat der Senat den Kommunalverband Jugend und Soziales Baden-Württemberg gemäß §§ 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene hat mit Schreiben vom 21.10.2019 wie folgt vorgetragen, dass eine Verurteilung des Integrationsamtes im sozialgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht komme. Des Weiteren weise man darauf hin, dass die Kosten für die pflegerischen Zeiten am Arbeitsplatz im Rahmen der Kosten für die Arbeitsassistenz nicht möglich seien. Es fehle hier am inneren Zusammenhang mit der Berufstätigkeit. Die Arbeitsplatzassistenz sei nur die tätigkeitsbegleitende Unterstützung bei der Verrichtung arbeitsvertraglicher Pflichten. Der lediglich zeitliche Zusammenhang mit der Arbeit reiche hierfür nicht aus.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 12.11.2019 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt, zu dem von Klägerseite wegen Erkrankung niemand erschienen war. Der Beklagte hat hier u.a. erklärt, dass streitig allein sei, ob überhaupt geleistet werden müsse. Die Bedürftigkeit des Klägers zweifle man nicht an. Man rege zudem an, dass der Kläger auf Pflegesachleistungen umstelle. Es gebe auch Anbieter die berechtigt seien, mit der Pflegekasse abzurechnen. Dann seien auf aufstockende Leistungen möglich.

Seit dem 01.09.2020 werden die Kosten über die „pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz“ für den Kläger als Pflegesachleistung von der Pflegeversicherung bezahlt. Ausgeführt werden diese nach wie vor durch einen Mitarbeiter des Lebenshilfe e.V. Hierfür ist vom Lebenshilfe e.V. ein Kooperationsvertrag mit einem Pflegedienst abgeschlossen worden (vgl. Bl. 121 LSG-Akte). Das überschießende Pflegegeld wird an die Mutter des Klägers, die nach wie vor pflegerische Leistungen zu Hause erbringt, ausbezahlt.

Der Beklagte hat hierzu mitgeteilt, dass die Umstellung auf Pflegesachleistungen dem allgemeinen Nachrang sozialhilferechtlicher Leistungen bzw. dem Vorrang der Pflegeversicherungsleistungen gegenüber Leistungen nach dem SGB XII entspreche.

Ein erneuter Erörterungstermin, geplant für den 21.07.21, ist, nachdem die Klägervertreterin ohne Mitteilung von Gründen mitgeteilt hatte, sie werde zum Termin nicht erscheinen werde, von der Berichterstatterin wieder aufgehoben worden.
Im Nachgang hat die Klägervertreterin mitgeteilt, dass nunmehr noch Kosten für die Pflege am Arbeitsplatz für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.06.2020 in Höhe von 18.302,46 Euro im Streit stünden. Hinsichtlich des Zeitraumes ab 01.09.2020 sei zu beachten, dass die Leistungen für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz nun zwar über die gesetzliche Pflegekasse abgerechnet werde, dies gehe jedoch zulasten des bislang an die Mutter weitergeleiteten Pflegegeldes, das entsprechend gekürzt werde. Der Beklagte habe die Leistungen bereits zum 30.06.2020 eingestellt. Für diese zwei Monate mache der Kläger aber keine Ausgleichsansprüche mehr gegenüber dem Beklagten geltend. Zudem sind Nachweise zum Verdienst des Klägers, den Mietkosten, den Kosten für das Auto sowie die vom Lebenshilfe e.V. gestellten Rechnungen vorgelegt worden.

Der Beklagte hat hierzu angemerkt, dass der Kläger die Rechnungen der Lebenshilfe für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz bis in den Monaten Juli 2017 und Januar 2018 aus dem erhaltenen Pflegegeld hätte bezahlen können. Man gehe zudem nach wie vor davon aus, dass der Beigeladene verpflichtet sei, die Kosten für die Pflegeassistenz als Annexleistung zur gewährten Arbeitsassistenz zu übernehmen.

Mit Schreiben vom 19.05.2022 hat der Senat darauf hingewiesen, dass auch wenn möglicherweise die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG nicht vorliegen würden, der Beiladungsbeschluss aber dennoch nicht aufzuheben sein dürfte, da wohl zumindest die Voraussetzungen für eine einfache Beiladung (vgl. § 75 Abs. 1 SGG) gegeben sein dürften und die notwendige Beiladung als einfache Beiladung fortbestehen könnte. Eines gesonderten Änderungsbeschlusses bedürfe es hierfür nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge und die beigezogene Akte L 7 SO 3132/17 ER-B Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat den Beklagten nämlich im Ergebnis zu Recht unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, auch über den 30.06.2017 hinaus die Kosten, die dem Kläger für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz durch die Lebenshilfe e.V. entstehen, zu übernehmen.

Streitgegenstand ist vorliegend der Anspruch auf Hilfe zur Pflege in Form von Erstattung der Kosten, die dem Kläger für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz durch den Lebenshilfe e.V. für die Zeit ab dem 01.07.2017 bis zum 30.06.2020 entstanden sind, d.h. 18.302,46 Euro. Nicht mehr streitig sind Leistungen für die Zeit nach dem 30.06.2020, nachdem der Kläger inzwischen (seit 01.09.2020) diese Kosten als Pflegesachleistungen direkt mit der Pflegeversicherung abrechnet und bereits für die Zeit ab dem 01.07.2020 keine Kosten mehr vom Beklagten geltend macht (vgl. Schreiben vom 26.08.2021, Bl. 136; 113 der LSG -Akte).

Ein (Verpflichtungs-)Anspruch des Klägers auf "Gewährung" der inzwischen vollständig von ihm bezahlten Leistungen der pflegenahen Unterstützung am Arbeitsplatz kommt nicht mehr in Betracht. Ist die beantragte Leistung bereits auf eigene Kosten oder auf Kosten Dritter erbracht worden, kann eine (Sach)leistungsgewährung nicht mehr erfolgen. Streitgegenständlich ist daher jetzt vielmehr die Frage, ob der Kläger vom Beklagten die Erstattung der ihm entstandenen Kosten verlangen kann. Diesen Kostenerstattungsantrag hat der Kläger inzwischen auch beziffert und macht für den streitigen Zeitraum 18.302,46 Euro (auf die Aufstellung der Beklagten vom 05.10.2021 für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.06.2020, Bl. 365 LSG-Akte und die vorgelegten Rechnungen Bl. 267 ff. wird Bezug genommen) geltend.

Soweit der Senat mit Beschluss vom 24.09.2019 den Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) notwendig i.S.d. §§ 75 Abs. 2, 106 Abs. 3 Nr. 6 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG zum Verfahren beigeladen hat, ist zu beachten, dass eine notwendige Beiladung i.S.d. § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG zwar vorzunehmen ist, wenn zwischen zwei Leistungsträgern (hier Sozialhilfeträger/ KVJS als Träger der Leistungen zur Arbeitsassistenz) ein Vorrang-/Nachrangverhältnis besteht (Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 75 SGG (Stand: 15.07.2017), Rn. 106), wenn aber - wie hier - der Sozialrechtsweg für die Teilhabeleistungen nicht gegeben ist, kommt diese notwendige Beiladung gerade nicht in Betracht (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt , 13. Aufl. 2020, SGG § 75 Rn. 12). Dennoch war der Beiladungsbeschluss nicht aufzuheben, da hier zumindest die Voraussetzungen für eine einfache Beiladung (vgl. § 75 Abs. 1 SGG) gegeben sind und somit die notwendige Beiladung als einfache Beiladung fortbestehen kann. Eines gesonderten Änderungsbeschlusses bedarf es hierfür nicht (vgl. hierzu Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 75 SGG, Rn. 146; Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 75 Rn. 3, beck-online). Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 19.05.2022 hierauf hingewiesen worden.

Entgegen den Ausführungen des Beklagten findet sich auch nach Umstrukturierung der Leistungen zur Hilfe zur Pflege durch das 3. Pflegestärkungsgesetz zum 01.01.2017 eine Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrten Leistungen der pflegenahen Unterstützung am Arbeitsplatz.

Wie das SG ausgeführt hat, kommt eine Übernahme der vom Kläger geltend gemachten Kosten zunächst nicht nach § 64a SGB XII in Betracht. Nach Abs. 1 dieser Norm haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 bei häuslicher Pflege Anspruch auf Pflegegeld in Höhe des Pflegegeldes nach § 37 Absatz 1 des Elften Buches. Hierbei ist aber zu beachten, dass das Pflegegeld nicht zur „Entlohnung“ einer Pflegeperson dient; vielmehr soll der Pflegebedürftige damit in die Lage versetzt werden, durch finanzielle Zuwendungen die Bereitschaft von Personen aus seinem persönlichen Umfeld zur grundsätzlich unentgeltlichen Pflege herzustellen und zu erhalten (Meßling in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. § 64a Rn. 17). Bei den Pflegegeldsätzen nach § 64a SGB XII handelt es sich weiter um feste Beträge, die nicht im Einzelfall erhöht werden können (Meßling, a.a.O., Rn. 28). So ist es z.B. nicht mehr möglich, „ergänzendes“ Pflegegeld für eine besondere Pflegekraft (nach § 65 Abs. 1 S. 2 SGB XII in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) zu zahlen. Reicht das Pflegegeld im Einzelfall nicht aus, um den konkreten Bedarf zu decken, sind ggf. ergänzende Leistungen nach § 64b SGB XII zu erbringen (Meßling, a.a.O.). Da somit das Pflegegeld nach § 64a SGB XII stets gleich hoch ist wie das Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 SGB XI, scheidet im Ergebnis die Zahlung von Pflegegeld durch den Sozialhilfeträger aus, wenn der Pflegebedürftige Pflegegeld von der Pflegekasse erhält; denn die Zahlung der Pflegekasse wird gemäß § 63b Abs. 1 SGB XII in vollem Umfang auf einen etwaigen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger angerechnet, da diese Vorschrift - wie schon ihre Vorgängerregelung - Doppelleistungen ausschließen will und zugleich der Umsetzung und Konkretisierung des Nachranggrundsatzes dienen soll (Meßling, a.a.O. § 63b SGB XII Rn. 12). Darüber hinaus wäre das vom Kläger bezogene Pflegegeld der Pflegekasse, das dieser an seine Mutter, die ihn zu Hause unentgeltlich pflegt, weiterleitet, bis auf den Monat Juli 2017 und im Januar 2018 ausreichend gewesen, um die Rechnungen des Lebenshilfe e.V. für die geleistete pflegenahe Unterstützung bei der Arbeit, zu begleichen.

Ebenfalls kommt eine Übernahme nicht über § 64f SGB XII in Betracht. Denn der bislang unter der amtlichen Überschrift „Andere Leistungen“ geregelte Leistungskatalog (vgl. bis zum 31.12.2016 § 65 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 <BGBl. I S. 3022>) hat in § 64f SGB XII keine volle Entsprechung gefunden. So findet sich eine Vorschrift über die Übernahme der Kosten für eine „besondere Pflegekraft“, wie sie bislang in § 65 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 SGB XII enthalten war und die Leistungsansprüche regelte, wenn sonst die häusliche Pflege (neben oder anstelle einer Pflege durch nahestehende Personen) nicht sichergestellt werden konnte (vgl. zu den Voraussetzungen BSGE 113, 92 = SozR 4-3500 § 65 Nr. 4, Rn. 17, m.w.N.) - auf diese Vorschrift hatte sich der Beklagte nach seinem Vorbringen hinsichtlich der in der Vergangenheit bewilligten Leistungen u.a. gestützt (vgl. etwa den Bescheid vom 22.09.2016) -  in § 64f SGB XII nicht mehr. Geregelt sind in § 64f SGB XII (neben der Sicherstellung der häuslichen Pflege durch das - hier nicht praktizierte - Arbeitgebermodell; vgl. Abs. 3 a.a.O.) lediglich das Pflegegeld flankierende Leistungen in Form der Erstattung von Aufwendungen für eine angemessene Alterssicherung der Pflegeperson oder der besonderen Pflegekraft (vgl. Abs. 1 a.a.O.) sowie der Übernahme von Beratungskosten der Pflegeperson (Abs. 2 a.a.O.).

Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt hier aber - wie auch das SG zutreffend ausgeführt hat - als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachten Kosten § 64b SGB XII in Betracht. Nach Abs. 1 dieser Norm haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Pflegesachleistung (häusliche Pflegehilfe), soweit die häusliche Pflege nach § 64 nicht sichergestellt werden kann.

Der Kläger gehört zunächst dem Grunde nach zum anspruchsberechtigten Personenkreis für Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 61 S. 1 SGB XII. Danach haben Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen aufbringen (§ 61 S. 1 SGB XII). Dies ist zwischen den Beteiligten letztlich auch nicht streitig.

Der Kläger, bei dem eine neuro-muskuläre Erkrankung im Sinne einer faszio-scapulo-humeralen Muskeldystrophie mit einer progredienten Muskelschwäche im Bereich des Schultergürtels, der Oberarme, der Beinmuskeln, des Beckens und des Rumpfes besteht und der auf den Rollstuhl angewiesen ist (Grad der Behinderung von 100, Merkzeichen G, B, H, aG), ist pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII. Vom 01.01.2017 bis 30.09.2017 hatte die Pflegekasse beim Kläger den Pflegegrad 3 anerkannt; ab dem 1.10.2017 berücksichtigte sie den Pflegegrad 4. Seit 02.09.2020 besteht Pflegegrad 5. Diese Entscheidungen der Pflegekasse über den Pflegegrad ist für den Beklagten bindend (§ 62a Satz 1 SGB XII). Über die Pflegebedürftigkeit des Klägers gibt es demgemäß unter den Beteiligten auch keine Meinungsverschiedenheiten.

Wie das SG weiter zutreffend ausgeführt hat, ist der Kläger auch außerstande, die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus seinem Einkommen oder Vermögen aufzubringen. Auf die Ausführungen des SG wird ausdrücklich Bezug genommen. Auch der Senat ist überzeugt, dass keine Anhaltspunkte für relevantes Vermögen bestehen. Das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers liegt unter der Einkommensgrenze; der Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgrenze kann nicht verlangt werden

Als Einkommen im streitigen Zeitraum ist vorliegend allein dessen Erwerbseinkommen zu berücksichtigen. Zum Einkommen gehören im Grundsatz alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Das Pflegegeld, das der Kläger von der Pflegekasse erhalten und im streitigen Zeitraum direkt an seine Mutter weitergeleitet hat, ist nicht zu berücksichtigen. Denn die Leistungen der Pflegeversicherung bleiben als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderem Einkommen abhängt, außer Betracht (§ 13 Abs. 5 S. 1 SGB XI). Ebenfalls nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind die Leistungen des KVJS und der Bundesagentur für Arbeit.
Vom Erwerbseinkommen des Klägers sind zunächst die auf das Einkommen entrichteten Steuern sowie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung (§ 82 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB XII) abzusetzen, so dass von folgenden durchschnittlichen monatlichen Einnahmen auszugehen ist: 2017 1.694,34 Euro, 2018 1.749,06 Euro, 2019 1.841,52 Euro und 2020 1.775,47 Euro.
Weiterhin abzusetzen sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben (§ 82 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB XII). Hierzu gehören u.a. notwendige Aufwendungen für Arbeitsmittel – pauschal 5,20 Euro – sowie für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 3 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 5 der VO zur Durchführung des § 82 SGB XII). Die Bundesagentur für Arbeit gewährt dem Kläger zwar einen Zuschuss zu den Fahrtkosten. Allerdings muss der Kläger einen Eigenanteil in Form eines täglichen Betrages sowie einer monatlichen Pauschale tragen. Dieser Eigenanteil zählt zu den Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Allerdings sind die zu berücksichtigenden Aufwendungen bei Benutzung eines eigenen Kraftwagens – so wie hier – im Ergebnis auf maximal 208,00 Euro begrenzt, nämlich 5,20 Euro x 40 km (vgl. § 3 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 a) der VO zur Durchführung des § 82 SGB XII), so dass für die Fahrtkosten nur diese Summe abzusetzen ist.
Weiter sind als berücksichtigungsfähige Kosten die für die Haftpflichtversicherung (5,30 Euro/ Monat) und die Aufwendungen des Klägers zur Allianz Pensionskasse in Höhe von monatlich 23,83 Euro als geförderte Altersvorsorge zu berücksichtigen (vgl. § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII). Damit ist von einem bereinigten Einkommen von 1.452,01 Euro (2017), 1.506,73 Euro (2018), 1.599,19 Euro (2019) und 1.533,14 Euro auszugehen.

Für Personen, die Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten, ist schließlich ein Betrag in Höhe von 40 % des Einkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit des Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 65 % der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (bis zum 31.12.2017: § 82 Abs. 3a S. 1 SGB XII; ab dem 1.1.2018: § 82 Abs. 6 S. 1 SGB XII). Im Falle des Klägers sind dies im Jahr 2017 monatlich 265,85 Euro, im Jahr 2018 monatlich 270,40 Euro, im Jahr 2019 monatlich 275,60 und im Jahr 2020 280,80 Euro.

Das somit zu berücksichtigende Einkommen des Klägers in Höhe von 1.186,16 Euro (2017), 1.236,33 Euro, 1.323,59 Euro (2019) und 1.252,34 Euro (2020) liegt unter der maßgeblichen Einkommensgrenze.

Bei der Hilfe nach dem 5. - 9. Kapitel des SGB XII ist der nachfragenden Person die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII und den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 85 Abs. 1 SGB XII).

Der zweifache Regelbedarf des Klägers liegt im Jahr 2017 bei 818 Euro, im Jahr 2018 bei 832 Euro, im Jahr 2019 bei 848 Euro und im Jahr 2020 bei 864 Euro.

Weiterhin zu berücksichtigen sind seine angemessenen Unterkunftskosten. Vorliegend ist die zu zahlende Miete (442,00 Euro Miete plus 38,00 Euro warme Betriebskosten = insgesamt 480,00 Euro) nach Überzeugung des Senats - anders als das SG ausgeführt hat – auch angemessen.

Welche Aufwendungen für die Unterkunft abstrakt angemessen sind, ist in einem mehrstufigen Verfahren zu bestimmen: Zunächst sind die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum festzulegen. Sodann ist zu bestimmen, welche Kaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums bei einfachem Wohnungsstandard zu zahlen ist. Zu der Kaltmiete sind schließlich die Betriebskosten hinzuzurechnen (BSG, Urteil vom 13.4.2011, B 14 AS 106/10 R, juris, Rn. 17). Die angemessene Kaltmiete pro Quadratmeter hat der Sozialhilfeträger anhand eines sog. schlüssigen Konzepts festzustellen. Die Entwicklung des Konzepts gehört zu seinen Aufgaben. Ein „Konzept“ liegt vor, wenn das Sozialhilfeträger planmäßig und systematisch vorgeht, also nicht punktuell von Fall zu Fall. „Schlüssig“ ist das Vorgehen, wenn die Datenerhebung ausschließlich in dem genau eingegrenzten und über den gesamten örtlichen Vergleichsraum erfolgt, wenn der Beobachtungszeitraum und der Gegenstand der Beobachtung nachvollziehbar sind, wenn die Art und Weise der Datenerhebung festgelegt ist und wenn die einbezogenen Daten repräsentativ und valide sind; bei der Datenauswertung müssen zudem anerkannte mathematisch-statistische Grundsätze eingehalten werden und Angaben über die gezogenen Schlüsse erfolgen (BSGE 104, 192 Rn. 19 f. und 26). Fehlt es an einem schlüssigen Konzept, sind die Aufwendungen des Betroffenen allerdings nicht in unbegrenzter Höhe zu übernehmen. Vielmehr ergibt sich die abstrakte Obergrenze dann aus den Tabellenwerten zu § 12 WoGG zzgl. eines „Sicherheitszuschlags“ in Höhe von 10 % zum jeweiligen Tabellenwert (BSG, Urteil vom 16.4.2015, B 4 AS 44/14 R, juris, Rn. 30).

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, existiert für R kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze. Die Gemeinde gehört zur Mietenstufe II. Der Senat geht hier jedoch, anders als das SG davon aus, dass nicht von Kosten für einen 1-Personen- Haushalt, sondern für einen 2-Personenhaushalt auszugehen ist. Der Kläger bewohnt zwar die angemietete Wohnung allein, aufgrund seiner Behinderung, die hinsichtlich dessen, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen ist, besonderer Anforderungen bedarf und der Tatsache, dass die Mutter, die zu Hause die Pflege des Klägers übernimmt, im selben Haus wohnt, von besonderen Bedürfnissen hinsichtlich des Wohnbedarfs auszugehen ist, so dass es sachgerecht ist, im Rahmen der Angemessenheitsprüfung die Kosten für einen 2-Personen-Haushalt anzusetzen. Bei einem 2-Personen-Haushalt in der Mietenstufe II beläuft sich der Höchstbetrag nach § 12 Abs. 1 WoGG auf 425,00 Euro (für die Jahr 2017 bis 2019) bzw. 461,00 Euro (für 2020). Unter Berücksichtigung eines Zuschlags von 10 % ergibt sich somit eine Obergrenze von 467,50 Euro bzw. 502,10 Euro. Da darüber hinaus auch die tatsächlichen Heizkosten zu berücksichtigen sind (hier monatliche Vorauszahlung von 38,00 Euro) liegen die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung unterhalb der maßgeblichen Angemessenheitsgrenze und sind daher vollumfänglich zu berücksichtigen.

Damit besteht ein Bedarf des Klägers von monatlich 1.298,00 Euro (2017), 1.312,00 Euro (2018), 1.328,00 Euro (2019) und 1.344,00 Euro (2020), der jeweils höher ist als das anrechenbare Einkommen, so dass das Einkommen des Klägers unter der maßgeblichen Einkommensgrenze liegt. Es besteht hier auch keine der Konstellationen nach § 88 SGB XII, in denen der Einsatz von Einkommen auch verlangt werden kann, soweit es unter der Einkommensgrenze liegt.

Es wird zudem festgestellt, dass - was zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten ist - , der Kläger nicht nur für die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit am Arbeitsplatz (regelmäßige Arbeitszeit 30 Wochenstunden) Unterstützungsleistungen durch eine Assistenzkraft bedarf, mit Bezug auf die ihm insoweit durch die Beauftragung der Lebenshilfe entstehenden Kosten der Kommunalverband für Jugend und Soziales (Integrationsamt) auf der Grundlage des § 102 Abs. 4 SGB IX (ab 01.01.2018 § 185 Abs. 5 SGB IX in der Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 <BGBl. I S. 3234>) i.V.m. § 17 Abs. 1a der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung einen (direkt mit der Lebenshilfe abgerechneten) Zuschuss gewährt (vgl. Bescheide des KVJS für den streitigen Zeitraum vom 08.09.2016, 08.08.2017, 15.08.2017, 17,08.2018 und 23.09.2019). Der Kläger hat darüber hinaus an der Arbeitsstelle behinderungsbedingt auch für die körperbezogene Selbstversorgung sowie die Bewältigung von krankheitsbedingten Anforderungen, also hier u.a. für das Entkleiden und Ankleiden, für die Einnahme der Mahlzeiten, die Bereitstellung von Getränken, den Toilettengang, das Umsetzen vom Rollstuhl auf die Liege im Ruheraum sowie die Verabreichung der ihm augenärztlich verschriebenen Augentropfen (vgl. hierzu z.B. die Angaben des Klägers anlässlich seiner Anhörung im Erörterungstermin vom 23.11.2017 im Verfahren L 7 SO 3132/17 ER-B sowie im Schreiben vom 03.05.2014 an den Beklagten, ferner das Fachtechnische Gutachten des Integrationsamts vom 11.09.2013, Bl. 100 ff. VA) einen pflegerischen Assistenzbedarf, der in dem Fachtechnischen Gutachten vom 11.09.2013 mit durchschnittlich etwa 1,7 Stunden angesetzt wurde. Auch dies ist zwischen den Beteiligten letztlich unstreitig. Die Pflege zu Hause wird von der Mutter des Klägers geleistet (vgl. deren eidesstattliche Versicherung vom 13.10.2017 im Verfahren L 7 SO 3132/17 ER-B); das Pflegegeld der Pflegekasse wird auf das ehegemeinschaftliche Konto überwiesen.

Die beantragten Pflegeleistungen können auch nicht durch das private Umfeld sichergestellt werden. Denn anders als zu Hause ist eine pflegenahe Unterstützung des Klägers am Arbeitsplatz durch nahe Angehörige (hier z.B. die Mutter) schon allein deshalb nicht möglich, da der Kläger nicht zu Hause arbeitet und die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen verteilt über den gesamten Tag erbracht werden müssen und daher nicht verlangt werden kann, dass die Mutter den ganzen Arbeitstag zur Verfügung steht, zumal fraglich sein dürfte inwieweit eine (sogar nur zeitweise) Anwesenheit der Mutter am Arbeitsplatz überhaupt möglich ist. 

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Anspruch des Klägers auf häusliche Pflegehilfe auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die erbrachte pflegenahe Unterstützung nicht „zu Hause“, sondern am Arbeitsplatz erbracht wird. Wie bereits das SG ausgeführt hat, ist die „häusliche Pflege“ gerade nicht nur auf Leistungen unmittelbar zu Hause oder im engen häuslichen Umfeld begrenzt. Vielmehr ist dieser Begriff - in Abgrenzung zur teilstationären und vollstationären Pflege - mit dem der „ambulanten Pflege“ gleichzusetzen (angedeutet in BSG, Urteil vom 12. 05.2017 - B 8 SO 14/16 R – juris, Rn. 19; ferner Meßling in juris-PK-SGB XII, § 63 a.F. Rn. 5 <Stand: 11.09.2017>; Krahmer/Sommer in LPK-SGB XII, a.a.O., § 63 Rn. 2; H. Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Auflage 2015, § 63 Rn. 7; vgl. im Übrigen zum Begriff der „häuslichen Krankenpflege“ BSG, Urteil vom 21.11.2002 – B 3 KR 13/02 R, juris, Rn. 20 = BSGE 90, 143 = SozR 3-2500 § 37 Nr. 5 <hiernach kann diese Leistung auch außerhalb der Wohnung - dort eine Kindertagesstätte - erbracht werden>), was im Übrigen auch der Abgrenzung im Pflegeversicherungsrecht entspricht. Denn in der Pflegeversicherung ist häusliche Pflegehilfe auch zulässig, wenn Pflegebedürftige nicht in ihrem eigenen Haushalt gepflegt werden; sie ist nur ausgeschlossen, wenn Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung oder in einer Einrichtung im Sinne des § 71 Abs. 4 SGB XI gepflegt werden (§ 36 Abs. 4 S. 1 SGB XI). Der Begriff der „häuslichen“ Pflegehilfe dient allein der Abgrenzung zur stationären Pflege. Für die Einstufung als häusliche Pflegehilfe kommt es also nicht auf den Aufenthaltsort des Pflegebedürftigen an, sondern allein auf die Art der Leistung: Wird die Pflege von einem ambulanten Pflegedienst oder einer einzelnen Pflegekraft durchgeführt, handelt es sich um „häusliche“ Pflege - unabhängig davon, ob sie zu Hause beim Pflegebedürftigen erfolgt oder anderswo (Wahl in: Udsching/Schütze, SGB XI, 5. Aufl., § 36 Rn. 20). So ist es auch im vorliegenden Fall. Es handelt sich bei den Verrichtungen der pflegenahen Unterstützung am Arbeitsplatz, die von der Assistenzkraft des Lebenshilfe e.V. durchgeführt werden, um Dinge, die täglich anfallen und im selben Umfang auch zu Hause, z.B. am Wochenende oder im Urlaub, von einer anderen Pflegeperson - hier von der Mutter des Klägers - durchgeführt werden. Im Übrigen geht der Beklagte wohl letztlich - zumindest im Bereich der Zuständigkeit der Pflegeversicherung - von nichts anderem aus, wenn er den Kläger auffordert die Leistungen auf Pflegesachleistungen umzustellen. Dies korrespondiert auch mit einer Gesprächsnotiz des Beklagten vom 17.03.2014 über ein mit der AOK in K geführtes Ferngespräch (vgl. Bl. 107 der Verwaltungsakten), aus dem sich entnehmen lässt, dass jedenfalls von dort eine Einstandspflicht für gegeben erachtet wird, wenn beispielsweise Pflegesachleistungen nicht zu Hause, sondern am Arbeitsplatz erbracht werden.

Darüber hinaus handelt es sich beim Bezug des § 64b SGB XII auf „häusliche“ Pflegehilfe um ein „Relikt“ aus dem Regierungsentwurf, der beabsichtigte, die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege anhand eines Vorrang-/Nachrangverhältnisses vorzunehmen, das danach unterschied, ob die Leistungen im häuslichen Umfeld (dann sollte ein Vorrang der Hilfe zur Pflege gelten) bzw. außerhäusig erbracht würden (mit der Folge des Vorrangs der Eingliederungshilfe). Diese Entwurfsfassung hat in die jetzige Gesetzesfassung aber aufgrund erheblichen Widerstands im Gesetzgebungsverfahren keinen Eingang gefunden. § 64b Abs. 2 SGB XII wurde (wohl versehentlich) nicht angepasst. Die gewählte Formulierung bedeutet daher keinen Ausschluss von Betreuungsmaßnahmen als Pflegehilfe auch im außerhäusigen Umfeld. Auch die in Abs. 2 genannten pflegerische Betreuungsmaßnahmen „umfassen“ Maßnahmen in häuslicher Umgebung, zählen diese also ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf. Für die Abgrenzung von Leistungen der Hilfe zur Pflege von denjenigen der Eingliederungshilfe bleibt es vorerst bei den schon zuvor gültigen Abgrenzungskriterien des Zwecks der Maßnahme (Meßling in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 64b SGB XII (Stand: 01.02.2020), Rn. 26). Die vorliegenden notwendige Maßnahmen im Rahmen der pflegenahen Unterstützung sind aber gerade nicht dazu erforderlich, um dem Kläger eine Berufstätigkeit zu ermöglichen. Die hierfür notwendigen Leistungen zur Teilhabe erhält er in Form der Fahrtkostenübernahme durch die Bundesagentur für Arbeit und der Assistenzleistungen durch den KVJS. Die weiter notwendige Unterstützung bei Mahlzeiten, der Verabreichung von Augentropfen, Hilfe bei Toilettengängen und Hilfe bei der Vorbereitung von Ruhephasen sind alles Verrichtungen, die unabhängig von der Berufstätigkeit an jedem Tag erforderlich sind (s.o.). Zu einem anderen Ergebnis führen daher auch nicht die vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung genannten Beispiele, in denen die Leistungserbringung regelmäßig dem Ziel der sozialen Teilhabe dient und wobei hier auch die Berufstätigkeit und sonstige Teilhabe am Arbeitsleben genannt wird (vgl. BT-Drs. 18/9518, S. 95), da wie bereits ausgeführt, die Verrichtungen, um deren Finanzierung hier gestritten wird, gerade nicht zur Ermöglichung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, sondern allein im zeitlichen Kontext mit der Berufstätigkeit entstehen, ansonsten aber völlig unabhängig von dieser (täglich) zu erbringen sind.  

Der Anspruch des Klägers nach § 64b SGB XII scheitert nach Überzeugung des Senats auch nicht deshalb, weil Maßnahmen der häuslichen Pflegehilfe nach dieser Norm nur noch als Pflegesachleistungen erbracht werden. Zunächst ist hierbei zu beachten, dass diese Leistungen selbstverständlich nach wie vor nicht im Sinne einer echten Sachleistung, sondern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis erfolgen sollen (Meßling a.a.O. § 64b SGB XII, Rn. 14).
Aufgrund der systematischen Einbindung in die Leistungserbringung nach Maßgabe der §§ 75 ff. SGB XII ist davon auszugehen, dass durch die Verwendung des Begriffs der Sachleistung nicht der Sozialhilfeträger selbst in der Pflicht zur Vorhaltung ambulanter Dienste steht, sondern (auch hier) über Verträge mit Leistungserbringern eine Sachleistung im Sinne einer Sachleistungsverschaffung sicherzustellen hat. Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis wird durch die gewählte Formulierung für die häusliche Hilfe zur Pflege also nicht abbedungen, sondern vielmehr als Regelfall festgelegt. Wesentlich Neues bringt der Begriff der „Sachleistung“ daher (nur) insoweit mit sich, als die Leistungserbringung künftig nur noch „professionell“ erfolgen soll, was eine Abkehr vom bisherigen Recht bedeutet, wonach nach § 65 SGB XII a.F. auch Möglichkeiten der „Entlohnung“ von privaten Kräften (vgl. die Tatbestände des § 65 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 SGB XII a.F.: Erstattung der angemessenen Aufwendungen der Pflegeperson, des § 65 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 Alt. 1 SGB XII: Gewährung angemessener Beihilfen für die Pflegeperson oder sog. „kleines Pflegegeld“ und des § 65 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 SGB XII: Übernahme der Kosten einer „besonderen Pflegekraft“) möglich machte (Meßling in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 64b SGB XII (Stand: 01.02.2020), Rn. 14/15).

Auch wenn vorliegend (zumindest bis zum 30.06.2020) keine Vereinbarung im Sinne des § 75 SGB XII mit dem Lebenshilfe e.V. bestanden hat, so war nach Überzeugung des Senats eine Fortführung des bisherigen Modells, d.h. der Übernahme der pflegerischen Unterstützung am Arbeitsplatz durch die bereits anwesende Assistenzkraft möglich, denn § 75 Abs. 5 SGB XII sieht gerade Ausnahmen für besondere Einzelfälle vor.
Zunächst lag hier ein vertragsloser Zustand vor, denn hierfür ist reicht aus, wenn - wie hier - in Bezug auf den Leistungserbringer der Abschluss einer Vereinbarung vom Sozialleistungsträger von vornherein gar nicht angestrebt war (Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 75 SGB XII (Stand: 01.09.2021), Rn. 101).
Die Leistungserbringung war durch den nicht vertragsgebundenen Leistungserbringer nach der Besonderheit des Einzelfalls auch geboten (§ 75 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB XII), denn der Bedarf des Klägers konnte (zumindest bis zum 30.06.2020) nicht durch einen vereinbarungsgebundenen Leistungserbringer gedeckt werden, da das zur Bedarfsdeckung notwendige Leistungsspektrum von vereinbarungsgebundenen Leistungserbringern (zumindest für den Kläger) nicht vorgehalten worden ist. Dies zeigt sich schon daran, dass es trotz Unterstützung des Beklagten mehrere Monate, und dann auch nur durch einen Kooperationsvertrag des bisherigen Assistenten mit einem Pflegedienst, gedauert hat, bis eine Umstellung auf Pflegesachleistungen möglich war.
Nach § 75 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 SGB XII muss der Leistungserbringer zwar grundsätzlich weiter ein schriftliches Leistungsangebot vorlegen. Ein solches lag hier unstreitig nicht vor. Dies führt jedoch nach Überzeugung des Senats nicht dazu, dass die Vergütung nicht durch den Beklagten übernommen werden kann. Denn es ist anerkannt, dass wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes der Sozialhilfeträger auch bei Fehlen eines Leistungsangebots die Vergütung übernehmen muss, wenn eine anderweitige Bedarfsdeckung ausgeschlossen ist. Grund hierfür sind die Gewährleistungspflicht bzw. Gewährleistungsverantwortung des Sozialhilfeträgers (Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 75 SGB XII (Stand: 01.09.2021), Rn. 106 mit Verweis auf Bayerisches LSG, Urteil vom 28.06.2018 - L 8 SO 240/15 -, juris, Rn. 84, und LSG für das Saarland, Urteil vom 24.10.2013 - L 11 SO 15/12 WA -, juris, Rn. 33). Andernfalls hätte der Leistungserbringer, der für den Sozialhilfeträger die dem Hilfeempfänger bewilligten Leistungen erbringt, keine Möglichkeit, die hierfür aufgewandten Kosten geltend zu machen und eine Vergütung zu verlangen, obwohl er für den insoweit verpflichteten Sozialhilfeträger den bei dem Hilfeempfänger bestehenden Bedarf deckt (LSG Saarland a.a.O.).
Auf dieser Grundlage hat der Kläger gegen den Beklagten im vorliegenden Fall grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung für die erbrachten Hilfeleistungen durch den Einsatz der Assistenzkraft auch für die pflegenahe Unterstützung im hier streitigen Zeitraum, da es vorliegend dringend geboten war, die bisherige Regelung zumindest vorrübergehend weiter zu führen, da dem Kläger ansonsten die bereits seit 2013 ausgeübte Tätigkeit, die es ihm ermöglicht, für seinen Lebensunterhalt vollumfänglich selbst zu sorgen, nicht mehr möglich gewesen wäre, was zu erheblichen Mehrkosten auch für den Sozialhilfeträger geführt hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Kosten für die Assistenzkraft höher als sonstige Leistungserbringer waren und die Grundätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht eingehalten wurden (§ 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB XII). Nicht zuletzt zielt die Einschränkung im § 64b SGB XII auf Pflegesachleistungen darauf, neben der Pflege vorrangig durch Angehörige und Nachbarn, lediglich „professionelle Pflegekräfte“ zu unterstützen, um die Qualität der Pflege zu sichern. Nicht Ziel des Pflegestärkungsgesetzes III und der daraufhin geänderten Vorschriften im SGB XII war es, bewährte und seit Jahren erfolgreiche Modelle durch eine wesentliche Verschlechterung des Leistungskataloges unmöglich zu machen, zumal die Leistungen der Hilfe zur Pflege eher erweitert und die Pflegebedürftigen gestärkt werden sollten (BR- Drucksache 410/16, S. 80,86).

Die Übernahme der Kosten durch den Beklagten scheitern im streitigen Zeitraum auch nicht daran, dass der Kläger diese Leistungen von anderen Leistungsträgern erhalten hat bzw. könnte. Denn Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII werden nicht erbracht, soweit Pflegebedürftige gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten (§ 63b Abs. 1 SGB XII in der seit dem 1.1.2017 geltenden Fassung). Ferner erhält nach dem allgemeinen Nachranggrundsatz Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 2 Abs. 1 SGB XII).

Diese Regelungen setzen ihrem Wortlaut nach voraus, dass der Pflegebedürftige die anderweitige Leistung auch tatsächlich erhält (vgl. Meßling a.a.O, § 63b SGB XII Rn. 21, H. Schellhorn in Schellhorn/ Hohn/ Scheider/ Legros, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 63 b Rn. 4). Ausgehend hiervon genügt ein möglicher Anspruch auf eine anderweitige Leistung nicht - es sei denn, es liegt ein extremer Ausnahmefall vor. Ein solcher Ausnahmefall kommt in Betracht, wenn sich der Betroffene generell eigenen Bemühungen verschließt und den anderweitigen Anspruch ohne weiteres realisieren könnte (vgl. BSG, Urteil vom 22.3.2012, B 8 SO 30/10 R, juris, Rn. 25).

Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Es ist dem Beklagten zwar Recht zu geben, dass der Kläger inzwischen, anders als im streitigen Zeitraum, nicht mehr (ausschließlich) Pflegegeld von der Pflegeversicherung in Anspruch nimmt, sondern die Leistungsgewährung auf Pflegesachleistungen umgestellt hat. Dadurch werden die pflegnahen Unterstützungsleistungen, die nach wie vor von der Assistenzkraft des Lebenshilfe e.V. erbracht werden, über einen Kooperationsvertrag mit der Pflegekasse direkt abgerechnet. Die Mutter des Klägers erhält dadurch, nach Angaben des Klägers, deutlich weniger Leistungen für die erbrachte häusliche Pflege. Allein, dass dies nun möglich ist, führt, unabhängig davon, ob der Kläger zu einer Umstellung der Leistungsform verpflichtet war, was der Senat nicht zu entscheiden hatte, nicht dazu, dass die Leistungen zur Hilfe zur Pflege auch im streitigen Zeitraum ausgeschlossen sind. Denn der Kläger hat diese Leistungen bis zum 01.09.2020 nicht bezogen. Er hat sich auch nicht generell eigenen Bemühungen verschlossen, denn der Verlauf im Verfahren zeigt, dass sich die Suche nach einer geeigneten Assistenzkraft, die die erbrachten Leistungen der pflegnahen Unterstützung mit der Pflegekasse im Rahmen der Gewährung der Pflegesachleistungen abrechnen kann, äußerst schwierig gestaltete und nun erst über einen Kooperationsvertrag des Erbringers der Assistenzleistungen mit einem Pflegdienst möglich ist.

Gleiches gilt für Leistungen des KVJS. Zunächst hat dieser keine solchen Leistungen gewährt, sondern vielmehr die Übernahme der Kosten für die pflegnahe Unterstützung am Arbeitsplatz abgelehnt, so dass schon aus diesem Grundsatz keine Nachrangigkeit des sozialhilferechtlichen Anspruchs besteht. Der Kläger hat sich auch hier nicht eigenen Bemühungen verweigert, sondern gegen die Ablehnung durch den KVJS Widerspruch erhoben. Nicht zuletzt wäre die Übernahme der streitigen Kosten durch den KVJS nicht ohne weiteres zu realisieren, da der Senat - wie im Übrigen auch schon der 7. Senat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - erhebliche Zweifel am Bestehen eines solches Anspruchs hat. Der Standpunkt des Integrationsamts dürfte nämlich zutreffend sein. Zunächst ist zu beachten, dass die Leistungen nach § 102 Abs. 4 SGB IX ergänzenden Charakter haben; sie bilden kein spezielles - vorrangiges - Leistungssystem für schwerbehinderte Menschen haben (Simon in jurisPK-SGB IX § 102 Rn. 84 <Stand: 01.05.2015>). Die Ziele der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben (hier in Form der Arbeitsassistenz) sind in § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB IX formuliert; Die Maßnahmen sollen dahin wirken, dass der behinderte Mensch eine berufliche Erwerbstätigkeit wahrnehmen, sich im Wettbewerb mit nichtbehinderten Menschen behaupten kann und nicht in seiner sozialen Stellung absinkt (Oberverwaltungsgericht [OVG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.10.2017 - OVG 6 B 86.15 – juris, Rn. 29). Gegenstand der Arbeitsassistenz dürfte damit allein die Unterstützung des schwerbehinderten Menschen bei der eigentlichen Arbeitsausführung sein (vgl. Verwaltungsgericht [VG] Dresden, Beschluss vom 17.02.2017- 1 L 178/187 -, juris, Rn. 29). Hilfestellungen bei der Nahrungsaufnahme und dem Toilettengang oder sonstige in den Bereich der Selbstversorgung fallende betreuende und pflegerische Unterstützungsleistungen dürften mithin von § 102 Abs. 4 SGB IX nicht umfasst sein (vgl. VG Dresden, Beschluss vom 17. 02.2017 a.a.O.; VG München, Urteil vom 28. 07.2010 - M 18 K 10.2468 – juris, Rn. 36, 38>; VG Hamburg, Urteil vom 09.07.2002 - 5 VG 3700/2001 – juris, Rn. 32>; Adloch, a.a.O.; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 4. Auflage 2015, § 102 Rn. 32). Eine Leistungszuständigkeit des Integrationsamts für die „pflegenahe Unterstützung“ am Arbeitsplatz liegt also wohl nicht vor. Der vom Beklagten unternommene Versuch einer Abgrenzung zwischen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe ist, ganz abgesehen davon, dass die im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum PSG III in § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB XI und § 63b Abs. 1 SGB XII insoweit vorgeschlagene Definition (vgl. Bundestags-Drucksache 18/9518 S. 12, 25, 66 f., 90 f.) nicht Gesetz geworden ist, schon deswegen nicht durchgreifend, weil es sich bei der begleitenden Hilfe in Form der Arbeitsassistenz zwar um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben handelt (vgl. § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX; ab 01.01.2018 § 49 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX), nicht jedoch um Eingliederungshilfe, so dass die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung (z.B. B 8 SO 18/18 R) im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die gesamten ihm entstandenen Kosten für die pflegenahe Unterstützung in Höhe von insgesamt 18.302,46 Euro zu erstatten, denn § 64b SGB XII enthält (anders als § 36 SGB XI) keine „Deckelung nach oben“. Leistungen sind daher bedarfsdeckend zu erbringen (Meßling a.a.O., § 64b SGB XII, Rn. 21)

Nach alledem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass, da vorliegend nur noch ein abgeschlossener Zeitraum streitig war und der Kläger die Kosten für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz bereits bezahlt hat, dem Kläger die für die pflegenahe Unterstützung am Arbeitsplatz im Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2020 entstandenen Kosten in Höhe von 18.302,46 Euro zu erstatten sind. Die bereits aufgrund der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz vom Beklagten vorläufig monatlich gewährten Leistungen in Höhe von 285,99 Euro (insgesamt 8.865,69 Euro) sind dann entsprechend anzurechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung des Beklagten weit überwiegend erfolglos geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn.1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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