L 1 BA 25/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 5 BA 13/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 25/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Im Streit steht der Sache nach der sozialversicherungsrechtliche Status der Tätigkeit des Klägers zu 1) (nachfolgend nur noch: „der Kläger“) in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin zu 2) (nachfolgend nur noch: „die Klägerin“) in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis 12. Juni 2017.

 

Die Klägerin wurde durch notariellen Vertrag vom 28. Mai 2015 gegründet. Vom Stammkapital von 25.000,00 Euro tragen der Gesellschafter B 12.750,00 Euro (entsprechend 51% der Geschäftsanteile) und der Kläger 12.250,00 Euro (49%). Nach § 7 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages werden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht die Satzung oder das Gesetz zwingend eine andere Mehrheit vorschreiben. Dabei gewähren je ein Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme (§ 7 Abs. 3 des Gesellschaftervertrags).

In der Gesellschafterversammlung vom 29. Mai 2015 beschlossen die beiden Gesellschafter, das abweichend von der Satzung für sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung Einstimmigkeit vereinbart werde.

 

Am 7. Dezember 2015 schlossen die Klägerin, vertreten durch den Gesellschafter B, und der Kläger mit Wirkung zum 1. Januar 2016 einen Anstellungsvertrag, wonach letzterer als Geschäftsführer angestellt werde. Nach § 3 des Anstellungsvertrages erhält er eine monatliche Vergütung in Höhe von 5.000,00 € brutto -später reduziert auf 3.500,00 €- sowie Tantiemen. Spesen und Auslagen werden nach § 4 des Anstellungsvertrages ersetzt. Nach § 5 dieses Vertrages hat der Kläger Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, die durch Krankheit oder aus einem von ihm nicht zu vertretenen Grund eintreten, bis zu einer ununterbrochenen Dauer von drei Monaten. Nach § 6 des Anstellungsvertrags stehen ihm ein kalenderjährlicher Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen zu.

 

Am 13. Juni 2017 vereinbarten die Gesellschafter in notarieller Form, § 7 Abs. 2 der Satzung zu ändern. Dieser lautet seither: „Die Fassung von Gesellschafterbeschlüssen erfordert Einstimmigkeit, soweit nicht die Satzung oder das Gesetz zwingend eine andere Mehrheit vorschreiben.“

 

Am 28. September 2017 beantragte der Kläger die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status u. a. als Geschäftsführer der Klägerin für die Zeit bis 12. Juni 2017 und für die Zeit ab danach.

 

Der Beklagte beschied den Kläger am 10. Oktober 2017, dass die Tätigkeit bei der Klägerin seit 13. Juni 2017 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Deshalb bestehe in dieser Tätigkeit keine Versicherungspflicht als abhängiger Beschäftigter in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

 

Nach vorangegangener Anhörung verfügte der Beklagte mit Bescheid vom 9. November 2017, dass die Tätigkeit des Klägers als geschäftsführender Gesellschafter bei der Klägerin vom 1. Januar 2016 bis 12. Juni 2017 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe ab 1. Januar 2016 Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. In der Krankenversicherung bestehe Versicherungsfreiheit. Das Versicherungsverhältnis in der sozialen Pflegeversicherung entspreche dem der gesetzlichen Krankenversicherung.

 

Den Widerspruch hiergegen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2018 zurück. Zur Begründung führte sie u. a. aus, der Kläger sei nur als Minderheitsgesellschafter an der Klägerin beteiligt. Die Beschlussfassung habe in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis 12. Juni 2017 mit einfacher Mehrheit stattgefunden. Der Gesellschafterbeschluss vom 29. Mai 2015, in welchem die Einstimmigkeit sämtlicher Gesellschafterbeschlüsse vereinbart worden sei, sei weder notariell beurkundet noch ins Handelsregister eingetragen worden. Der Kläger habe nach dem Anstellungsvertrag die Gesellschaft zu vertreten, allerdings nur nach Maßgabe der Geschäftsführungsordnung und der Gesellschafterbeschlüsse. Dem Kläger wäre es nicht möglich gewesen, Entscheidungen gegen den Willen des Mehrheitsgesellschafters durchzusetzen.

 

Hiergegen haben die Kläger am 24. September 2018 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben. Zu deren Begründung haben sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Ergänzend haben sie ausgeführt, der Kläger habe bereits vor Gründung der Klägerin das Unternehmen als Einzelunternehmen betrieben. Mehrheitsgesellschafter sei ein langjähriger Arbeitnehmer. Dem Kläger sei Generalhandlungsvollmacht erteilt worden. Dieser habe für die Klägerin auf eigenen Namen ein Darlehen in Höhe von 70.000,00 € übernommen. Ferner habe er der Gesellschaft ein Darlehen über 266.100,00 € gewährt. Er trage das Ausfallrisiko für die Rückzahlung. Zuletzt habe der Mehrheitsgesellschafter dem Kläger gegenüber ein abstraktes Schuldanerkenntnis über 150.000,00 € abgegeben. Dies diene dem Zweck, einem Zerwürfnis entgegenzuwirken und Einvernehmen und Einstimmigkeit der Entscheidungen zu fördern. Der Mehrheitsgesellschafter übe seine Tätigkeit auf der Basis eines ganz normalen Arbeitsvertrages aus. Weil er strikten Anweisungen zuwidergehandelt habe, habe er bereits eine förmliche Abmahnung erhalten und akzeptiert. Der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag sei (nur) auf Anraten des Steuerberaters abgeschlossen worden. Die Beklagte behandelt schließlich den Kläger und den Geschäftsführer inkonsequent.

 

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2020 die Klage abgewiesen.

 

Gegen diese am 27. Februar 2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Kläger vom 23. März 2020, zu deren Begründung die Kläger ihr Vorbringen wiederholen. Die Beklagte habe zu Unrecht keine Ausnahme von den Grundsätzen des Bundessozialgerichtes (BSG) angenommen.

 

Die Kläger beantragen,

 

der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 1. Februar 2020 wird abgeändert.

Es wird unter Aufhebung der gegen die Kläger gesondert gerichteten Bescheide vom 9. November 2017 in der Gestalt der ebenfalls für beide Kläger gesondert ergangenen Widerspruchsbescheide vom 21. August 2018 festgestellt, dass die Geschäftstätigkeit des Klägers zu 1) bei der Klägerin zu 2) kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt.

Die Beklagte ist unter Aufhebung der gegen die Kläger gesondert gerichteten Bescheide vom 9. November 2017 in der Gestalt der ebenfalls für die beiden Kläger gesondert ergangenen Widerspruchsbescheide vom 21. August 2018 dazu verpflichtet, den Kläger zu 1) aufgrund seiner Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter der Klägerin zu 2) in der Zeit vom 6. Januar 2016 bis 12. Juni 2017 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung zu befreien.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

 

Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, §§ 155 Abs. 3, 4, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Alle Beteiligten haben sich hierzu im Erörterungstermin am 4. April 2022 bzw. schriftsätzlich einverstanden erklärt. Gründe, von der Ermächtigung kein Gebrauch zu machen, sind nicht ersichtlich.

 

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 9. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Damit scheiden auch gegenteilige Feststellungen aus.

 

Die Beklagte hat gemäß § 7a SGB IV zutreffend die Versicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin in der Rentenversicherung (§ 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch), sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch) festgestellt.

Die danach für den Eintritt von Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung erforderliche Beschäftigung wird in § 7 Abs. 1 SGB IV definiert. Beschäftigung ist danach die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.

Die hierzu für die Statusbeurteilung vom BSG entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl. etwa BSG, Urteil vom 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14 f. <Honorararzt>) gelten grundsätzlich auch für die Geschäftsführer einer GmbH (ständige Rspr. des BSG: vgl. Urteile vom 01. Februar 2022 - B 12 KR 37/19 R – juris Rn. 12; vom 29.06.2021 - B 12 R 8/19 R - juris Rn. 12; vom 23.02.2021 - B 12 R 18/18 R - juris Rn. 14; vom 07.07.2020 - B 12 R 17/18 R – juris Rn. 16; vom 12.05.2020 - B 12 KR 30/19 R – juris Rn. 15).

Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält. Ein Minderheitsgeschäftsführer wie der Kläger ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im "eigenen" Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (vgl. § 37 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung <GmbHG>), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine "unechte", nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (ständige Rspr. des BSG: vgl. z.B. Urteile vom 08.07.2020 - B 12 R 26/18 R – juris Rn. 13 und - B 12 R 4/19 R – juris Rn. 14).

Die Kläger können sich für die erforderliche Rechtsmacht nicht auf die Vereinbarung vom 29. Mai 2015 berufen, weil diese nur nicht mit einfacher Schriftform erfolgt ist. Die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht muss vielmehr gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) eingeräumte schuldrechtliche Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen Gesellschaftern und/oder der GmbH vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG, Urteile vom 10.12.2019 - B 12 KR 9/18 R – juris Rn. 19 sowie vom 07.07.2020 – B 12 R 17/18 R – juris Rn. 22).

Es ist in der Rechtsprechung auch bereits geklärt, dass Darlehensverpflichtungen, die der Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter für die Gesellschaft übernommen hat, nicht von erheblicher Relevanz sind: Die Übernahme einer Bürgschaft und die Gewährung eines Darlehens als Haftungs- oder Ausfallrisiko begründen kein echtes Unternehmerrisiko (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2015 - B 12 R 2/14 R -, juris –Rdnr. 26) und streiten damit nicht mit Gewicht für eine Selbständigkeit der Geschäftsführertätigkeit. Genauso ist nach den alleine maßgeblichen rechtlichen Verhältnissen das abstrakte Schuldanerkenntnis des Mehrheitsgesellschafters dem Kläger gegenüber nicht von Belang.

Nicht entscheidungserheblich ist es auch, wie die Beklagte den Status des Mehrheitsgesellschafters der Klägerin einstuft. Nur ergänzend ist deshalb darauf hinzuweisen, dass nach dem BSG die abhängige Beschäftigung eines Gesellschafters einer GmbH, der nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, ausgeschlossen ist, wenn das regelmäßig der Geschäftsführung zugewiesene Weisungsrecht über die Beschäftigten im Gesellschaftsvertrag ihm gegenüber im Wesentlichen ausgeschlossen ist oder er kraft seiner Gesellschaftsanteile in der Lage ist, eine entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrags herbeizuführen.

(BSG, Urteil vom 12. Mai 2020 – B 12 KR 30/19 R –, BSGE 130, 123-132).

 

Die Kostenentscheidung erfolgt einheitlich für das gesamte Verfahren aus § 193 SGG, da der Kläger kostenprivilegiert nach § 183 Satz 1 SGG ist und die Kostenentscheidung einheitlich zu treffen ist. Die Kostenentscheidung folgt dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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