S 13 AS 2141/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2141/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides.

 

Die Kläger beziehen als Bedarfsgemeinschaft laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom Beklagten. Mit Bescheid vom 20.03.2020 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis 31.10.2020 in Höhe von insgesamt 1.363,98 €. Hierbei wurde ein Einkommen des Klägers Ziff. 1 in Höhe von 450,00 € monatlich berücksichtigt. Die Bewilligung erfolgte aufgrund des Einkommens gemäß § 41a Abs. 1 SGB II vorläufig.

 

Zum 01.08.2020 nahm der Kläger Ziff. 1 eine Erwerbstätigkeit als Küchenhilfe/Koch bei der Firma N. GmbH auf. Dies teilte er dem Beklagten unter Vorlage einer Lohnabrechnung Ende August 2020 mit.

 

Mit Änderungsbescheid vom 03.09.2020 bewilligte der Beklagte den Klägern – weiterhin vorläufig gemäß § 41a Abs. 1 SGB II – für den Monat Oktober 2020 Leistungen in Höhe von insgesamt 927,50 €. Hierbei wurde das Einkommen des Klägers Ziff. 1 aus seiner Tätigkeit bei N. berücksichtigt. Mit Bescheid vom 21.05.2021 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für Juli 2020 in Höhe von 1.643,99 €, für August 2020 in Höhe von 1.298,10 €, für September 2020 in Höhe von 1.295,25 € und für Oktober 2020 in Höhe von 1.076,20 €. Die Bewilligung erfolgte weiterhin vorläufig.

 

Mit drei Bescheiden vom 25.05.2021 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 01.08.2020 bis 30.09.2020 gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf und machte die Erstattung des überzahlten Betrages gegenüber dem Kläger Ziff. 1 in Höhe von 54,23 €, gegenüber dem Kläger Ziff. 1 als gesetzlichen Vertreter der Klägerin Ziff. 3 in Höhe von 26,15 € und gegenüber der Klägerin Ziff. 2 in Höhe von 54,23 €, d.h. insgesamt in Höhe von 134,61 €, geltend. Aufgrund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse läge Hilfebedürftigkeit nur in geringerer Höhe vor.

 

Hiergegen legten die Kläger durch ihre Bevollmächtigte mit Schreiben vom 10.06.2021 Widerspruch ein und machten zur Begründung im Wesentlichen geltend, dass eine abschließende Entscheidung nicht beantragt worden sei und die formellen Voraussetzungen gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 SGB II somit nicht vorlägen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Bei Bewilligung der Leistungen sei davon ausgegangen worden, dass der Kläger Ziff. 1 ein monatliches Einkommen aus der Tätigkeit bei M. in Höhe von 450,00 € monatlich erziele. Somit habe sich in den Monaten August und September 2020 ein vorläufiger Leistungsanspruch in Höhe von monatlich 1.363,98 € ergeben. Der Kläger Ziff. 1 habe ab 01.08.2020 jedoch eine neue Tätigkeit bei der Firma N. GmbH ausgeübt. Das Einkommen aus dieser Tätigkeit sei zum Zeitpunkt der vorläufigen Bewilligung noch nicht bekannt gewesen. Der Kläger Ziff. 1 habe dies erstmals am 31.08.2020 unter Einreichung der Lohnabrechnung für August 2020 mitgeteilt. Dies habe für die Monate August und September 2020 nicht mehr berücksichtigt werden können, da die Leistungen bereits ausgezahlt worden seien. Das erzielte Einkommen habe im August und September 2020 zu einer Minderung des Anspruchs geführt. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X seien gegeben und die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sei vom 01.08.2020 bis 30.09.2020 teilweise für die Vergangenheit aufzuheben gewesen. § 67 Abs. 4 SGB II stelle nur auf das der Vorläufigkeit zu Grunde liegende prognostizierte Einkommen ab, andere leistungserhebliche Änderungen seien jedoch möglich.

 

Mit der am 07.07.2021 durch ihre Bevollmächtigte zum Sozialgericht Freiburg erhobenen Klage haben die Kläger ihr Anliegen weiterverfolgt. Die Kläger haben einen Antrag auf eine abschließende Entscheidung nicht gestellt. Eine Aufhebung wegen nachträglicher Veränderung der Verhältnisse gemäß § 48 SGB X sei zwar möglich, aber nur während des noch laufenden Bewilligungszeitraums.

 

Die Kläger beantragen,

die Bescheide vom 25.04.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2021 aufzuheben.

 

Der Beklagte beantragt,

          die Klage abzuweisen.

 

Er verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, dass die Anwendung der Regelungen der §§ 45/48 SGB X nicht durch die Regelung des § 67 Abs. 4 Satz 2 SGB II ausgeschlossen sei, wenn es sich um Einkommen aus einem neuen Arbeitsverhältnis handele, das bei der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung noch nicht bestanden habe und somit nicht Grund für die Vorläufigkeit der Bewilligungsentscheidung gewesen sei.

 

Mit Verfügung vom 21.02.2022 hat das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter gegeben.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Das Gericht hat ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten haben keine Einwände gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid erhoben (§ 105 Abs. 1 SGG).

 

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft und im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II zu Recht für den Zeitraum vom 01.08.2020 bis 30.09.2020 teilweise aufgehoben.

 

Rechtsgrundlage hierfür ist § 40 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist - ohne Ausübung von Ermessen - mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Bezogen auf den Bewilligungsbescheid vom 20.03.2020 ist erst nach dessen Bekanntgabe der Zufluss des Einkommens aus der Beschäftigung des Klägers Ziff. 1 aus der zum 01.08.2020 bei der Firma N. GmbH erfolgt, sodass unter Berücksichtigung der maßgebenden objektiven tatsächlichen Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben eine wesentliche Änderung nach Erlass des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, eingetreten ist. Die wesentliche Änderung lag hier darin, dass die Hilfebedürftigkeit der Kläger und ihr Anspruch auf Gewährung der Leistungen mit dem Zufluss des Einkommens ab 01.08.2020 bis 30.09.2020 nur in geringerer Höhe bestand.

 

Die Anwendbarkeit des § 48 SGB X ist nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund der Regelung des § 67 Abs. 4 SGB II ausgeschossen. § 67 Abs. 4 SGB II sieht vor, dass die Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Fällen der vorläufigen Entscheidung im Sinne des § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II für Bewilligungszeiträume, die bis zum 31.03.2021 begonnen haben, abweichend von § 41a Abs. 3 SGB II nur auf Antrag abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch entscheiden. Diese Regelung ist vorliegend grundsätzlich hier anwendbar, da der hier streitige Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 01.03.2020 (siehe § 67 Abs. 1 SGB II) bis zum 31.03.2021 begann, nämlich am 01.05.2020, begonnen hat.

 

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/18107) sollen dadurch Leistungsberechtigte und Jobcenter von der normalerweise nach Ablauf des Bewilligungszeitraums durchzuführenden Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse entlastet werden. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn sich die Einkommensverhältnisse besser als prognostiziert entwickelt haben. Die betroffenen Leistungsberechtigten haben damit die Sicherheit, für sechs Monate eine verlässliche Hilfe zum Lebensunterhalt zu erhalten.

 

Unstreitig haben hier die Kläger einen Antrag auf abschließende Bewilligung im Sinne des §§ 67 Abs. 4 S. 2, 41a Abs. 3 SGB II nicht gestellt. Der Beklagte hat mit den hier streitgegenständlichen Bescheiden vom 25.05.2021 jedoch keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern den Bewilligungsbescheid vom 20.03.2020 teilweise gemäß § 40 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aufgehoben. Eine solche Entscheidung war im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Änderung der Verhältnisse nicht das prognostizierte Einkommen betraf, sondern –wie oben ausgeführt – vielmehr das Einkommen aus einer anderen Tätigkeit erzielt wurde. Des Weiteren liegt eine Verletzung der Mitteilungspflichten vor, da die Aufnahme der Tätigkeit nicht vor oder mit ihrem Beginn am 01.08.2020, sondern erst Ende des Monats August 2020 dem Beklagten mitgeteilt wurde. Unter diesen Voraussetzungen ist nach Auffassung der Kammer die Regelung des § 48 SGB X (i.V.m. § 40 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III) im Anwendungsbereich des § 67 Abs. 4 SGB II anwendbar und die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraums zulässig (so auch Münder/Geiger, SGB II, 7. Auflage, § 67 Rn. 42 und 50, 51; a.A. Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 67 Rn. 38).

 

Die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen beruht auf § 50 Abs. 1 SGB X.

 

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Berufung bedurfte nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG einer gesonderten Zulassung, da der Wert der Beschwer die Wertgrenze von 750,00 EUR nicht übersteigt. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Streitfrage, ob die Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten (hier § 40 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III, § 48 SGB X) im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 67 Abs. 4 SGB II anwendbar sind, bislang nicht geklärt ist.

 

Die Zulassung der Berufung steht der von dem Gericht gewählte Verfahrensweise nach § 105 SGG in diesem Fall nicht entgegen. Soweit das BSG entschieden hat, dass eine grundsätzlich bedeutsame Rechtssache im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG „besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art“ aufweise und deshalb eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ausschließe, bezieht sich dies unmittelbar nur auf eine Zulassung der Sprungrevision im Gerichtsbescheid (BSG, Urteil vom 16.03.2006, Az. B 4 RA 59/04 R). In diesem Falle würde es – anders als bei einer Zulassung der Berufung im Gerichtsbescheid – an einer Tatsacheninstanz mit ehrenamtlichen Richtern fehlen. Die in der Literatur daraufhin vorgenommene generelle Gleichsetzung einer grundsätzlichen Bedeutung mit „überdurchschnittlichen“ (bzw.: keinen besonderen) rechtlichen Schwierigkeiten, die auch bei Zulassung der Berufung eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ausschließe (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 105 Rn. 6b; für einen Ausschluss nur „in der Regel“ hingegen Roller, in: LPK-SGG 3. Auflage 2009 § 105 Rn. 2), überzeugt insoweit nicht, da in § 105 SGG und § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG unterschiedliche Tatbestandsmerkmale formuliert sind und es sich damit um nicht zwingend deckungsgleiche rechtliche Maßstäbe handelt (kritisch auch das BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 RJ 44/05 R – juris, m.w.N. zu bisherigen Entscheidungen des BSG auf Sprungrevisionen nach Gerichtsbescheiden). Vielmehr kommt es weiterhin auf den Einzelfall an (siehe auch SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 13.11.2013, S 16 AS 2091/12, juris Rn. 40).

Rechtskraft
Aus
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