L 6 AS 353/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 2131/16
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 353/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Datumsstempel auf dem Widerspruchsbescheid, der nur den Zeitpunkt der Abgabe an die innerbehördliche Poststelle dokumentiert, stellt keinen ausreichenden Nachweis für das Datum der Aufgabe zur Post i.S.v. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB 10 dar.

2. Bei fehlendem Absendevermerk der Poststelle  hat das Gericht den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufgabe zur Post nicht zu ermitteln. In diesem Fall bestehen Zweifel i.S.v. § 37 Abs. 3 2. Halbsatz SGB 10  mit der Folge, dass die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat.

Bemerkung

Zur Anwendung der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB 10

   
   
 

 

      1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 19. Februar 2021 aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen.
      2. Außergerichtliche Kosten sind im erstinstanzlichen Verfahren nicht zu erstatten. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

 

Die 1958 geborene M…. lebte im streitigen Zeitraum mit ihrem verstorbenen Ehemann, der eine Rente bezog, zusammen. Sie zahlten eine Grundmiete i.H.v. 346,27 €.

 

Mit Bescheid vom 16.05.2008 lehnte der Beklagte den Antrag für den Zeitraum ab dem 01.12.2007 wegen fehlender Hilfsbedürftigkeit ab, wobei er für die Grundmiete anstelle der tatsächlichen Kosten nur die seiner Ansicht nach angemessenen Kosten der Unterkunft (KdU) i.H.v. 325,00 € bei der Bedarfsfeststellung berücksichtigte.

 

Am 10.06.2010 beantragte die M.... auf der Grundlage der Vorschrift des § 44 SGB X die Überprüfung des Bescheides vom 16.05.2008, insbesondere im Hinblick auf die Höhe der KdU. Sie sei zu keiner Zeit aufgefordert worden, die Miete zu senken. Daher stünden ihr diese Kosten jeweils in voller Höhe zu.

 

Mit Bescheid vom 17.08.2010 teilte der Beklagte der M.... zunächst mit, dass es bei der Entscheidung vom 16.05.2008 verbleibe. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch änderte der Beklagte mit Bescheid vom 02.12.2010 den Bescheid vom 16.05.2008 ab und bewilligte der M.... unter nunmehriger Berücksichtigung des bundesweiten Heizspiegels für den Zeitraum vom 01.12.2007 bis 31.12.2007 monatliche Leistungen i.H.v. 36,00 € und für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.03.2008 i.H.v. 33,00 €. Mit weiterem Bescheid vom 02.12.2010 lehnte er die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat April 2018 ab, da in diesem Monat aufgrund der Wohngeldnachzahlung bei dem Ehemann i.H.v. 110,00 € keine Hilfebedürftigkeit vorgelegen habe.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.12.2010 wies der Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht durch den Änderungsbescheid vom 02.12.2010 abgeholfen wurde, zurück. Insgesamt seien bei der M.... anstelle der tatsächlichen Kosten angemessene Kosten der KdU i.H.v. insgesamt 409,00 € im Dezember 2007 und 406,00 € ab Januar 2008 zu berücksichtigen, wobei jeweils 50 % auf die M.... entfielen. In der Leistungsakte findet sich auf dem dort so bezeichneten "Entwurf" des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2010 folgender Vermerk

 

"Bearbeiter/-in:            Herr Y....

Dokument:                  WB_leere_Vorlage_mit_Grundelementen-071210

abgesandt:                  07.12.10"

 

Das Datum wurde mit einem Datumsstempel angebracht. Weder der Vermerk noch die als Entwurf gekennzeichnete Mehrfertigung des Widerspruchsbescheides tragen eine Unterschrift oder ein Handzeichen.

 

Der Widerspruchsbescheid vom 07.12.2010 ging dem späteren Prozessbevollmächtigten der M.... am 09.12.2010 zu und wurde von diesem mit einem entsprechenden Eingangsstempel einschließlich Handzeichen versehen. In der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung heißt es u.a. wörtlich:

 

" … Klage kann auch durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erhoben werden, soweit eine Bevollmächtigung dazu gegeben ist.

 

 

Der Klageschrift sind gemäß § 93 des Sozialgerichtsgesetzes nach Möglichkeit Abschriften für die Beteiligten beizufügen."

 

Die M.... hat am 11.01.2011 (Dienstag) Klage vor dem Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und ihr Begehren im Hinblick auf Leistungen für den Zeitraum vom 01.12.2007 bis 09.06.2010 weiterverfolgt. Der Beklagte habe keine Entscheidung über den Zeitraum ab 01.05.2008 getroffen. Da der Ablehnungsbescheid kein Enddatum trage, seien Leistungen auch über den Sechsmonatszeitraum hinaus zu gewähren. Bei den KdU sei versäumt worden, den 10%-igen Zuschlag bei den Werten aus der Wohngeldtabelle zu berücksichtigen. Daher komme hier ein Wert i.H.v. 441,50 € zur Anrechnung, wenn das Gericht eine Kostensenkung für entbehrlich halte. Bei den veränderten Werten sei auch das anzurechnende Einkommen des Ehemannes neu zu berechnen. Die Klagefrist sei unter Berücksichtigung von § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB X gewahrt. Bei dem in der Akte befindlichen Dokument handele es sich nur um einen Entwurf des Widerspruchsbescheids. Aus dem Vermerk sei nicht ersichtlich, ob das Schreiben zu dem angegebenen Datum nicht nur innerbehördlich zu der Poststelle gebracht worden sei. Das SG müsse daher ermitteln, wann der Widerspruchsbescheid zur Post aufgegeben worden sei. Da der Widerspruchsbescheid vom 07.12.2010 bei ihrem Prozessbevollmächtigten zusammen mit anderen Widerspruchsbescheiden mit Datum von 08.12.2010 am 09.12.2010 eingegangen sei, sei davon auszugehen, dass auch der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid erst am 08.12.2010 zur Post aufgegeben worden sei. Auf die Klage erwidernd hat sich der Beklagte auf die Verfristung der Klage berufen. Ausweislich des Vermerks auf dem in der Leistungsakte befindlichen Widerspruchsbescheid sei dieser am 07.12.2010 zur Post aufgegeben worden und gelte damit am 10.12.2010 als bekannt gegeben. Dass der in der Akte befindliche Bescheid mit dem Aufdruck „Entwurf“ versehen sei, begründe sich darin, dass bei Ausdruck des Widerspruchsbescheides automatisch eine Ausfertigung für die Leistungsakte erstellt werde, die dann den Entwurfsvermerk trage. Bei dem Beklagten würden Schriftstücke nach Erstellung mit dem Vermerk „abgesandt am …“ versehen. Täglich zwischen 11:30 Uhr und 12:00 Uhr würden die erstellten und mit dem jeweiligen Tagesdatum versehenen Bescheide abgeholt und dann in die Poststelle gebracht, wo sie eingetütet, frankiert und am selben Tag in den Postlauf gegeben würden. Es sei daher davon auszugehen, dass der Widerspruchsbescheid mit dem Vermerk „abgesandt am 07.12.2010“ am selben Tage von der Poststelle versandfertig gemacht und zur Post aufgegeben worden sei. Ein Postausgangsbuch werde aufgrund der Masse der täglich zu versendenden Poststücke beim Beklagten nicht geführt und könne deswegen auch nicht vorgelegt werden.

 

Am 10.11.2017 ist die im Klageverfahren anwaltlich durch ihren Prozessbevollmächtigten vertretene M.... verstorben. Die Erben sind unbekannt.

 

Mit Urteil vom 19.02.2021 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2010 in der Fassung des Bescheides vom 02.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2010 verurteilt, über den Überprüfungsantrag der M.... vom 09.06.2010 neu zu entscheiden. Die am 11.01.2011 erhobene Klage sei zulässig, obwohl sie außerhalb der einmonatigen – hier am Montag, den 09.01.2011 abgelaufenen – Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden sei. Vorliegend sei die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG maßgeblich, weil die entsprechende Belehrung unrichtig erteilt worden sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei zum einen unrichtig, weil sie darauf verweise, dass die Klage „auch durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erhoben werden könne, soweit eine Bevollmächtigung dazu gegeben sei“. Die gesetzliche Vermutung aus der Bedarfsgemeinschaft nach § 38 SGB II gebe aber keine Vollmacht zur Klageerhebung (Verweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 54/08 R). Insofern sei die Verknüpfung der Bedarfsgemeinschaft mit der Klagebevollmächtigung zumindest irreführend. Zum anderen sei die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig, weil sie die Vorgaben des § 93 SGG zu weiteren Klageabschriften anführe. Denn die Übermittlung von Klageabschriften sei nicht Voraussetzung für eine wirksame Klageerhebung (Verweis auf Bayerisches Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 06.02.2012 - L 7 AS 21/12 B ER, RdNrn. 22, 23). Die Klage sei auch begründet, da der Beklagte das Begehren der M...., insbesondere zu den Kosten der Unterkunft bisher nicht umfassend geprüft habe. Denn er habe keine Entscheidung zum Leistungszeitraum Mai 2008 bis 09.06.2010 getroffen. Darüber hinaus seien ohne entsprechende Kostensenkungsaufforderung die tatsächlichen KdU in Ansatz zu bringen. Bei Vorliegen einer wirksamen Kostensenkungsaufforderung sei bei festgestelltem Ausfall örtlicher Erkenntnismöglichkeiten auf die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Zuschlags von 10 % zurückzugreifen (Verweis auf BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 87/12 R).

 

Gegen das ihm am 19.03.2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24.03.2021 Berufung eingelegt und sich erneut auf die Verfristung der Klage berufen. Das vom SG zitierte Bayerische LSG halte an seiner vormaligen Rechtsprechung zu der Rechtsbehelfsbelehrung nicht mehr fest (Verweis auf Bayerisches LSG, Urteil vom 11.11.2013 – L 7 AS 401/13, RdNr. 19).

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 19. Februar 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Kläger beantragen,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Kläger haben trotz Aufforderung, mehrfacher Erinnerungen und gerichtlichem Hinweis nicht auf die Berufung erwidert.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Leistungsakten des Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen. Die vorgenannten Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft, da sie laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Dies ergibt sich aus dem Urteil des SG, das die Beklagte zu einer Neubescheidung für den Zeitraum vom 01.12.2007 bis 09.06.2010 verpflichtet hat.

 

Die Berufung ist auch begründet, da das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.08.2010 in der Fassung des Bescheides vom 02.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2010 zu Unrecht verurteilt hat, über den Überprüfungsantrag der M.... vom 09.06.2010 neu zu entscheiden.

 

Mit dem Tod der M.... am 10.11.2017 ist keine Unterbrechung gemäß § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 239 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) eingetreten, da M.... durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist und § 202 SGG i.V.m. § 246 Abs. 1 1. Halbsatz ZPO in diesem Fall vorsieht, dass eine Unterbrechung des Verfahrens im Falle des Todes nicht eintritt und ein Antrag auf Aussetzung nach § 202 SGG i.V.m. § 246 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO nicht gestellt worden ist. Die von der M.... dem Prozessbevollmächtigten ausgestellte Vollmacht vom 06.09.2010 (Bl. 13 GA) erstreckt sich auf alle Instanzen und wurde von der M.... auch nicht widerrufen. Die Vollmacht wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 86 ZPO auch nicht durch den Tod des Vollmachtgebers aufgehoben. An seine Stelle treten gemäß § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch die Erben. Sofern – wie hier – die Erben noch nicht bekannt sind, führt der Prozessbevollmächtigte den Rechtsstreit für noch unbekannte Rechtsnachfolger fort (BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 14/13 R, RdNr. 10, juris).

 

Die Klage ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 87 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGG nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides erhoben worden ist.

 

Anstelle dieser Monatsfrist des § 87 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGG galt keine Jahresfrist für die Erhebung der Klage, weil die in dem Widerspruchsbescheid vom 07.12.2010 erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig i.S.v. § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG ist. Nach § 85 Abs. 3 Satz 4 SGG sind die Beteiligten in einem Widerspruchsbescheid über die Zulässigkeit der Klage, die einzuhaltende Frist und den Sitz des zuständigen Gerichts zu belehren. Nach § 66 Abs. 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Voraussetzungen für eine richtige, die Monatsfrist in Lauf setzende Rechtsbehelfsbelehrung sind als inhaltliche Anforderungen die Bezeichnung des statthaften Rechtsbehelfs, hier einer "Klage", des Gerichts mit Angabe seines Sitzes, an die sie zu richten ist, und die einzuhaltende Klagefrist. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen, muss die Rechtsbehelfsbelehrung auch eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei der Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften beinhalten ("Wegweiserfunktion"). Andererseits darf die Rechtsbehelfsbelehrung nicht mit weiteren Informationen überfrachtet sein; diese sind jedoch unschädlich, wenn sie richtig und vollständig sind, dürfen aber nicht Verwirrung stiften oder den Eindruck erwecken, die Rechtsverfolgung sei schwieriger als sie in Wirklichkeit ist (BSG, Urteil vom 09.04.2014 – B 14 AS 46/13 R, RdNr. 16 m.w.N., juris). Ob die unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung für die Fristversäumnis des Betroffenen ursächlich war, ist grundsätzlich unerheblich (BSG, a.a.O., RdNr. 17).

 

Der Hinweis, dass die Klage auch durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erhoben werden kann, soweit eine Bevollmächtigung dazu gegeben ist, ist weder unrichtig noch steht sie im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BSG. Nach der Rechtsprechung umfasst die Vorschrift des § 38 SGB II keine Vollmacht zur Klageerhebung (Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 54/08 R, RdNr. 22, juris). Damit bedarf die Klageerhebung durch ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft für ein anderes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft für ihre Wirksamkeit eine Bevollmächtigung des einen Mitglieds durch das andere, so dass die Rechtbehelfsbelehrung nicht unrichtig oder irreführend ist (BSG, Urteil vom 09.04.2014 – B 14 AS 46/13 R, RdNr. 26; Bayerisches LSG, Urteil vom 11.11.2013 – L 7 AS 401/13, RdNr. 19 unter Aufgabe seiner gegenteiligen Rechtsprechung im Beschluss vom 06.02.2012 – L 7 AS 21/12 B ER, RdNr. 22; alle juris).

 

Auch der Hinweis, dass „der Klageschrift gemäß § 93 des Sozialgerichtsgesetzes nach Möglichkeit Abschriften für die Beteiligten beizufügen sind“ ist weder unrichtig noch irreführend, da er den Wortlaut von § 93 Satz 1 SGG wiedergibt (BSG, Urteil vom 09.04.2014 – B 14 AS 46/13 R, RdNr. 26; Bayerisches LSG, Urteil vom 11.11.2013 – L 7 AS 401/13, RdNr. 19; alle juris). Damit besteht ein grundlegender Unterschied zum Urteil des BSG vom 22.07.1982 (7 RAr 115/81), in dem der dort zu beurteilende Wortlaut der Rechtsbehelfsbelehrung von dem des Gesetzes abwich.

 

Die Klagefrist begann an dem 09.12.2010, da der Widerspruchsbescheid an diesem Tag unstreitig bei dem Prozessbevollmächtigten eingegangen ist. Die Klagefrist endete gemäß § 87 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGG einen Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der 09.01.2011 ein Sonntag war, endete die Klagefrist gemäß § 64 Abs. 3 SGG am Montag, den 10.01.2011. Ein späteres Ablaufen der Klagefrist lässt sich auch nach den Regeln der Zugangsfiktion nicht begründen.

 

Vorliegend sind die Voraussetzungen einer Zugangsfiktion nicht erfüllt. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Da die Zeitspanne von drei Tagen in der Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X auf der Annahme der im Inland üblichen Postlaufzeiten von der Aufgabe des Poststücks bis zu seiner Auslieferung beruht, kann sie erst dann beginnen, wenn der Verwaltungsakt dem Postdienstleistungsunternehmen zur Beförderung übergeben ist, zum Beispiel durch Abholung durch Bedienstete des Postdienstleistungsunternehmens oder durch Einlieferung beim Postdienstleistungsunternehmen. Unerheblich ist, wann der Verwaltungsakt an die innerbehördliche Poststelle gelangt oder der Druckauftrag für den Verwaltungsakt erteilt worden ist (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 37 SGB X <Stand: 21.12.2020>, RdNr. 97; Littmann in: Hauck/Noftz SGB X, § 37, RdNr. 29). Die Zugangsfiktion greift nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, Urteil vom 28.11.2006 – B 2 U 33/05 R, RdNr. 15, juris). Deswegen reicht der Aktenvermerk über die Abgabe an die Poststelle der Behörde nicht aus, da dies ein innerbehördlicher Vorgang ist, der nichts darüber sagt, wann der Verwaltungsakt die Sphäre der Behörde verlassen hat (BSG, Urteil vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R, RdNr. 15; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2010 – L 10 AS 745/10 B PKH; beide juris). Es existiert auch kein allgemeiner Grundsatz und es ist nicht die Annahme begründet, dass ein Verwaltungsakt am Tag seiner Erstellung auch die Behörde verlässt (Littmann in: Hauck/Noftz SGB X, § 37, RdNr. 29). Zwar besteht bei der einfachen Bekanntgabe – anders als bei der Bekanntgabe mittels Zustellung (§ 4 Abs. 2 Satz 4 VwZG) – keine Verpflichtung der Behörde, den Tag der Aufgabe zur Post in den Akten zu vermerken. Ist er allerdings nicht in den Akten vermerkt und lässt er sich auch sonst nicht – etwa durch Eintragungen in ein Portobuch – erweisen, greift die Zugangsfiktion nicht (BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 R, RdNr. 17, juris; Pattar, a.a.O.). Wenn die Zugangsfiktion greift, ist ein tatsächlicher früherer Zugang unerheblich (Pattar, a.a.O; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.12.2010 – L 11 SB 127/10, RdNr. 19; zu § 4 Verwaltungszustellungsgesetz <VwZG>: BSG, Urteil vom 19.03.1957, RdNr. 15; beide juris).

 

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben kann der Zeitpunkt des Zugangs nicht fingiert werden. Der Zeitpunkt, zu dem der Widerspruchsbescheid vom 07.12.2010 zur Post gegeben wurde, lässt sich nämlich der Leistungsakte nicht entnehmen. Der auf dem Widerspruchsbescheid angebrachte Stempel mit dem Datum "07.12.2010" dokumentiert nicht hinreichend, dass der Bescheid an diesem Tag zur Post aufgegeben worden ist. Nach dem Vorbringen der Beklagten werden die erstellten und mit dem jeweiligen Tagesdatum versehenen Stempel abgeholt und dann in die Poststelle gebracht, wo sie eingetütet, frankiert und am selben Tag in den Postlauf gegeben werden. Danach dokumentiert der Stempel lediglich, wann der Verwaltungsakt an die innerbehördliche Poststelle verbracht wurde. Dies ist jedoch für einen Nachweis der Aufgabe zur Post i.S.v. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gerade nicht ausreichend. Die Aufgabe zur Post ist auch nicht anderweitig in den Akten vermerkt, etwa durch eine Unterschrift oder ein Handzeichen eines Mitarbeiters der Poststelle neben dem Stempel. Ein Postausgangsbuch kann der Beklagte ebenfalls nicht vorlegen.

 

Bei Fehlen eines Aufgabevermerkes greift die Zugangsfiktion nicht. In diesem Fall gelten die allgemeinen Regeln zur Bekanntgabe mit der Maßgabe, dass derjenige, der sich auf den Zugang beruft, diesen beweisen muss (Pattar, a.a.O., RdNr. 97). Vorliegend steht aber fest und ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Widerspruchsbescheid dem Prozessbevollmächtigten der M.... am 09.12.2010 zugegangen ist, so dass die Beklagte den Zugang nachweisen kann. Entgegen der Ansicht der Klägerseite sind die Gerichte nicht gehalten, bei Fehlen eines Absendevermerks den Zeitpunkt der tatsächlichen Aufgabe zur Post zu ermitteln. Die Klägerseite macht hierzu geltend, dass eine Aufgabe zur Post etwa am 08.12.2010 dazu führen würde, dass die Klage am 11.12.2010 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG, dass ein früherer Zugang bei Geltung der Zugangsfiktion nicht schadet, zur Einhaltung der Klagefrist führen würde. Zwar ist der Klägerseite zunächst zuzugeben, dass bei isolierter Betrachtung der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, für die Ermittlung des Bekanntgabedatums allein die Aufgabe zur Post maßgeblich ist. Der Vorschrift ist aber nicht zu entnehmen, dass der Zeitpunkt der Bekanntgabe allein und abschließend auf diese Art und Weise ermittelt werden kann. Dies folgt bereits aus § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X, wonach die Zugangsfiktion nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (1. Halbsatz) und im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (2. Halbsatz). Zweifel im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz SGB X an dem Zugangszeitpunkt bestehen aber auch dann, wenn Zweifel an dem Zeitpunkt der Aufgabe zur Post bestehen, da dieser Zeitpunkt die Zugangsfiktion in Gang setzen würde und der rechtliche Zugangszeitpunkt damit von der Aufgabe zur Post abhängt. Wenn – wie vorliegend – der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post nicht dokumentiert ist, bestehen Zweifel im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X und der Beklagte hat den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen, was ihm hier aufgrund des unstreitigen und zudem durch anwaltlichen Eingangsstempel dokumentierten Zugangs am 09.12.2010 gelingt.

 

Die Kostenentscheidung beruht für die erste Instanz auf § 183 Satz 1 und 2 SGG und für das Berufungsverfahren auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach tragen die Kläger die Kosten des Berufungsverfahren, da sie im Berufungsverfahren weder Leistungsempfänger noch Sonderrechtsnachfolger i.S.v. § 183 Satz 1 SGG sind. Da es keinen Anhaltspunkt für eine Sonderrechtsnachfolge gibt – der Ehemann der M.... ist vorverstorben – sind die unbekannten Erben sonstige Rechtsnachfolger, für die die Kostenprivilegierung gemäß § 183 Satz 2 SGG auf den Rechtszug beschränkt ist, in dem das Verfahren durch die Rechtsnachfolger aufgenommen wurde. Dies gilt auch für die unbekannten Erben der ursprünglichen Klägerin (BSG, Beschluss vom 22.10.2015 – B 13 R 190/ 5 B, RdNr. 7; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.12.2015 – L 8 SO 194/11, RdNr. 34; beide juris).

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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