L 1 U 723/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 3 U 1883/19
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 723/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 60 SGG, § 200 SGB VII,§ 84  SGB X, §118 SGG

Selbstentscheidung eines Richters über ein Ablehnungsgesuch bzw. einen Befangenheitsantrag - offensichtliche Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs-  Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB 7 - Löschungsanspruch gem. § 84 SGB 10 - Pflicht zur Belehrung über Widerspruchsrecht und zur Benennung einer Auswahl an Sachverständigen - Begriff des Gutachtens -Sozialdatenschutz - Anspruch auf Entfernung der schriftlichen Äußerung eines Beratungsarztes aus den Verwaltungsakten - Dritter i.S. von §§ 67 Abs. 6, Abs. 10, 76 SGB 10 - Fragerecht gegenüber dem Sachverständigen - Darlegung des Offenbleibens erläuterungsbedürftiger Punkte -

1. Art 101 Abs. 1 Satz 2 GG lässt in dem Fall eines gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst über das Gesuch zu. Dies liegt vor, wenn ein Ablehnungsgesuch keinem anderen Zweck als demjenigen diente, die abgelehnte Terminverlegung zu erzwingen.

2. Unter den im Gesetz selber nicht definierten Begriff des Gutachtens fällt nicht jedwede Äußerung oder Stellungnahme eines medizinischen oder technischen Sachverständigen zu einzelnen Aspekten des Verfahrensgegenstandes, sondern nur die umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer im konkreten Fall relevanten fachlichen Fragestellung durch den Sachverständigen. Dagegen handelt es sich bei einer beratungsärztlichen Stellungnahme nicht um ein Beweismittel, sondern um eine verwaltungsinterne Stellungnahme einer sachkundigen Person im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens.

3. Ein Beratungsarzt, der mit der Berufsgenossenschaft einen Dienst- und Beratungsvertrag abgeschlossen hat, ist nicht Dritter i.S. von §§ 67 Abs. 6, Abs. 10, 76 SGB 10.

4. Jeder Verfahrensbeteiligte hat grundsätzlich - zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs - ein Recht auf Befragung eines Sachverständigen, der ein (schriftliches) Gutachten erstattet hat (§§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO; § 62 SGG). Sachdienlichkeit im Sinne von § 116 Satz 2 SGG ist zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 20. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob als weitere Folge eines als Arbeitsunfall anerkannten Unfallereignisses vom 11. Juli 2018 eine Rotatorenmanschettenläsion und weitere Verletzungen der rechten Schulter anzuerkennen sowie Entschädigungsleistungen durch die Beklagte zu erbringen sind.

Am 11. Juli 2018 knickte der Kläger beim Strohholen an einer Stufe abwärts zur Tenne plötzlich um, hielt sich an einem Pfosten fest und konnte danach seinen rechten Arm nicht mehr nach oben bewegen. Am selben Tag suchte er die M1 Notfallhilfe auf. Am 12. Juli 2018 stellte er sich in der Notfallambulanz der Orthopädischen Klinik des M2 A vor. Dort wurde ein subachromiales Schmerzsyndrom bei Rotatorenmanschettenläsion der rechten Schulter diagnostiziert. Am 1. August 2018 erfolgte eine kernspintomographische Untersuchung der Schulter, welche eine hochgradige Om- und ACG-Arthrose der Schulter zeigte bei bestehender Kapsel-Band-Läsion und kompletter Rupturen der Supraspinatus- und Infraspinatussehne mit bereits deutlicher Atrophie des Musculus infraspinatus. Deswegen erfolgte vom 5. bis 13. August 2018 in der Orthopädischen Klinik des M2 A eine stationäre Behandlung des Klägers, und zwar die Implantation einer inversen Schultertotalendoprothese. Ausweislich des Operationsberichts vom 6. August 2018 wurde eine Omarthrose mit Rotatorenmanschetteninsuffizienz rechts diagnostiziert. Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Orthopäden T ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 15. November 2018 aus, dass die Arthrose des Schultergelenks eine schicksalhafte Erkrankung darstelle.

Durch Bescheid vom 19. November 2018 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 11. Juli 2018 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Prellung der rechten Schulter an. Anspruch auf Heilbehandlung wurde bis zum 17. Juli 2018 bejaht. Eine Entschädigung für die seit dem 18. Juli 2018 ärztlich behandelten Beschwerden im Bereich der rechten Schulter lehnte die Beklagte ab. Bei dem Arbeitsunfall sei es nur zu einer Prellung der rechten Schulter gekommen. Die anschließend festgestellte Omarthrose rechts mit Rotatorenmanschetteninsuffizienz sei vorbestehend gewesen. Hiergegen legte der Kläger am 27. November 2018 Widerspruch ein. In seiner Widerspruchsbegründung rügte der Kläger, dass unter Verletzung des Auswahlrechts nach § 202 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) ein Gutachten von Herrn T eingeholt worden sei. Mit Schreiben vom 15. April 2019 verneinte die Beklagte das Vorliegen eines Löschungsanspruchs hinsichtlich der beratungsärztlichen Stellungnahme. Dieser werde als Verwaltungshelfer tätig und sei damit kein Dritter im Sinne von Art. 4 Nr. 10 DSGVO. Mit Schreiben vom 8. Januar 2019 schlug die Beklagte dem Kläger drei Gutachter zwecks Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens vor. Auf Antrag des Klägers wurde L mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 8. September 2019 führte L aus, dass die rechte Schulter des Versicherten von einer relevanten Gewalteinwirkung erreicht worden sei. Dabei sei von einer Zerrung und nicht, wie im Bescheid vom 19. November 2018 festgestellt, von einer Prellung auszugehen. Der Unfallmechanismus sei prinzipiell geeignet, um eine Rotatorenmanschettenverletzung hervorzurufen. Eine degenerative Rotatorenmanschettenläsion und eine Omarthrose seien als Vorschaden anzusehen. Das Ausmaß der Symptome sei als unfallbedingt frisch einzuschätzen. Es sei daher von einer richtungsgebenden Verschlimmerung einer Schadensanlage auszugehen. Daraufhin beauftragte die Beklagte den Unfallchirurgen O mit der Abgabe einer beratungsärztlichen Stellungnahme. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 25. September 2019 aus, dass strukturelle Verletzungen im Bereich der Schulter nicht nachzuweisen seien. Die Diskussion über die richtungsgebende Verschlimmerung einer Schadensanlage entspreche nicht dem Regelwerk der gesetzlichen Unfallversicherung. Die allein unfallbedingt vorliegende Zerrung der Schulter erfordere keineswegs die Implantation einer Schultergelenksprothese. Allein der bereits hochgradige Verschleißschaden in der rechten Schulter habe die Notwendigkeit einer Implantation einer Schultergelenkprothese begründet. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei für bis zu drei Wochen anzuerkennen.

Hierauf gestützt hat die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2019 den Bescheid vom 19. November 2018 insoweit geändert, als es bei dem Unfall vom 11. Juli 2018 zu einer Zerrung der rechten Schulter gekommen ist und ein Anspruch auf Heilbehandlung bis 1. August 2018 besteht. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Kosten des Vorverfahrens würden zu 25 % erstattet. Ein Anspruch auf Entfernung der beratungsärztlichen Stellungnahmen nach § 84 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehe nicht. Der Beratungsarzt sei als Verwaltungshelfer tätig geworden.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Altenburg Klage erhoben. Im Klageverfahren hat der Kläger eine von ihm privat eingeholte Stellungnahme des Sachverständigen L vom 18. November 2019 vorgelegt. Darin führt dieser aus, dass mangels Erstbefundes das konkrete Ausmaß des Unfallschadens bzw. eine schwerwiegende Verletzung für niemanden zu beweisen bzw. auszuschließen sei. Er habe im Gutachten zum Ausdruck bringen wollen, dass trotz der nicht unbestreitbaren Vorschädigung der jetzige Gesundheitsschaden ohne das Unfallereignis nicht denkbar wäre. Das Sozialgericht hat den Orthopäden und Unfallchirurgen D durch Beweisanordnung vom 18. Februar 2020 mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragt. D hat am 30. März 2020 in Leipzig eine ambulante Untersuchung des Klägers vorgenommen. Mit Schriftsatz vom 3. April 2020 hat der Kläger den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Diesen Antrag hat das Sozialgericht Altenburg durch Beschluss vom 22. Juli 2020 abgelehnt (Az.: S 3 SF 97/20 AB). Den gegen den damaligen Vorsitzenden der 3. Kammer gerichteten Befangenheitsantrag hat das Gericht durch Beschluss vom 11. Dezember 2020 zurückgewiesen (Az.: S 23 SF 102/20 AB).  Daraufhin hat die nunmehr zuständige Vorsitzende der 3. Kammer des Sozialgerichts Altenburg mit Schreiben vom 8. Februar 2021 D gebeten, das Gutachten fertigzustellen und dem Gericht zu übersenden. In seinem Zusammenhangsgutachten vom 15. Februar 2021 führt D aus, dass eine frische Zusammenhangstrennung der schulterstabilisierenden Muskulatur des rechten Schultergelenks in den vorliegenden Befunden nicht erkannt werden könne. Der Unfallhergang - das Reißen des rechten Armes nach hinten oben - könne durchaus zu einer Schädigung der schulterstabilisierenden Muskulatur geführt haben. Eine solche müsse jedoch zwingend bildtechnisch oder intraoperativ nachgewiesen werden. Dies gelinge vorliegend nicht. Der ca. drei Wochen später erstellte MRT-Befund zeige eine erhebliche Verkümmerung der Supra- und Infraspinatusmuskulatur. Es sei ein Grad IV der Degenerationen nach Goutallier festzustellen. Eine gedachte Hilfslinie zwischen den knöchernen Vorsprüngen des Schulterblattes werde durch die Supraspinatusmuskulatur nicht überwunden. Auch dies sei Zeichen einer sehr lang zurückliegenden Kontinuitätstrennung der Supra-, aber auch der Infraspinatussehne. Innerhalb von drei Wochen zwischen dem angeschuldigten Ereignis vom 11. Juli 2018 und der MRT-Bildgebung am 1. August 2018 sei eine solche Verkümmerung der Muskulatur nicht möglich, da diese über mehrere Monate vonstattengehe. Der in der MRT-Bildgebung nachgewiesene Hochstand des Oberarmkopfes könne ebenfalls nicht innerhalb von drei Wochen unfallbedingt entstehen. Alle festgestellten massiven degenerativen Veränderungen benötigten einen über Monate bis Jahre andauernden Entstehungsprozess. Zeichen einer knöchernen Begleitverletzung an der frischen Rotatorenmanschettenruptur seien ebenfalls nicht sichtbar. Sichtbar sei jedoch eine deutliche Schulterhaupt- und Schultereckgelenkarthrose. Auch die intraoperativen Beschreibungen sprächen dafür, dass es sich um keinen frischen Rotatorenmanschettenschaden handeln könne. Bei dem angeschuldigten Ereignis sei es ausschließlich zu einer Zerrung des rechten Schultergelenks gekommen. Die Schulterhaupt- und Schultereckgelenkarthrose seien als unfallunabhängig einzustufen.

Durch Urteil vom 20. Juli 2021 hat das Sozialgericht Altenburg die Klage abgewiesen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 11. Juli 2018 und den Schäden im Bereich der rechten Schulter des Klägers seien nicht hinreichend wahrscheinlich. Das Ablehnungsgesuch gegen die Kammervorsitzende vom 6. Juli 2021 sei rechtsmissbräuchlich. Die auf Zahlung von Verletztengeld gerichtete Klage sei bereits unzulässig. Konkrete Entschädigungsleistungen seien bislang durch die Beklagte im Verwaltungsverfahren nicht geprüft worden. Der Bescheid vom 19. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2019 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Es könne nicht festgestellt werden, dass das Ereignis vom 11. Juli 2018 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit über die anerkannte Zerrung der rechten Schulter hinaus weitere Verletzungen verursacht habe. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des D vom 15. Februar 2021 sowie den beratungsärztlichen Stellungnahmen der Dres. T und O. Der Sachverständige D gehe zwar von einem grundsätzlich geeigneten Unfallmechanismus aus, jedoch lege er im Einzelnen dar, dass die vorliegenden Kontinuitätstrennungen der Supra- und Infraspinatussehne sehr lange zurückliegen müssten. Aus dem MRT-Befund ergäben sich eine Omarthrose, umformende Veränderungen des Acromions und des Schultereckgelenks und ein Hochstand des Oberarmkopfes sowie eine Retraktion der Sehnen nebst fettigem Umbau der Muskulatur. Ein Grad IV der Degeneration nach Goutallier sei festzustellen. Innerhalb von drei Wochen zwischen dem Ereignis vom 11. Juli 2018 und dem MRT-Befund vom 1. August 2018 hätten solche degenerativen Veränderungen nicht entstehen können. Diese benötigten einen erheblich längeren Zeitraum. Zeichen einer knöchernen Begleitverletzung seien nicht zu sichern. Auch der intraoperative Befund spreche gegen eine frische traumatische Rotatorenmanschettenläsion. Nicht zu folgen sei den Ausführungen von L in seinem Gutachten vom 8. September 2019. Soweit er von einer Verschlimmerung einer Schadensanlage ausgehe, verkenne er den Unterschied in der Beurteilung des Kausalzusammenhangs von Schadensanlagen bzw. Vorschäden. Im Übrigen gehe auch er von erheblichen degenerativen Veränderungen aus. Das Gutachten von D sei verwertbar. Dem stehe nicht entgegen, dass zwischen der Untersuchung am 30. März 2020 und der Erstellung des Gutachtens am 15. Februar 2021 10,5 Monate verstrichen seien. Die Beurteilung der Zusammenhangsfrage sei wesentlich auf der Grundlage der beigezogenen Unterlagen und der Aufnahmen bildgebender Befunde erfolgt. Soweit der Kläger rüge, dass er während der Corona-Pandemie untersucht worden sei, sei bereits nicht ersichtlich, gegen welche konkrete Vorschrift verstoßen worden sei. Die beratungsärztlichen Stellungnahmen von T und O unterlägen keinem Verwertungsverbot. Ein Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII liege nicht vor. Es handele sich um beratungsärztliche Stellungnahmen und nicht um Gutachten. Zur Abgrenzung eines Gutachtens von einer beratungsärztlichen Stellungnahme sei auf eine Kombination äußerer und innerer Faktoren abzustellen. Weder habe die Beklagte ein Gutachten in Auftrag gegeben, die Ärzte seien vielmehr als Beratungsärzte angeschrieben worden, noch hätten T und O ein solches vorgelegt. Sie hätten sich ausschließlich auf die Auswertung des Akteninhalts beschränkt. Der Antrag nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), ein weiteres Gutachten von M3 einzuholen, sei abzulehnen gewesen. Aufgrund der vorliegenden Gutachten und Befunde sei eine weitere Beweiserhebung nicht veranlasst.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Mit Durchführung der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2021 sei dem Kläger der gesetzliche Richter entzogen worden. Gesetzlicher Richter sei der Direktor des Sozialgerichts Altenburg F gewesen. Die Kammervorsitzende habe nicht selbst über den gegen sie gerichteten Befangenheitsantrag entscheiden dürfen. Sowohl das Protokoll als auch das Urteil selbst enthielten erhebliche Falschdarstellungen. Es liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, da verschiedene Schreiben des Klägers nicht zur Kenntnis genommen worden seien. Das Gutachten des D sei unvollständig übersandt worden. Im Protokoll fehle ein vom Prozessbevollmächtigten des Klägers gestellter Antrag auf Fensterschließung. Das Gutachten von D sei nicht verwertbar, weil es am 30. März 2020 unzulässig gewesen sei, den Kläger zu einer ambulanten Untersuchung einzubestellen. Die Sachverhaltsaufklärung durch das Sozialgericht sei unzureichend. T habe der MRT-Befund vom 1. August 2018 nicht vorgelegen. Darüber hinaus unterläge das Gutachten des T und auch das des O einem Beweisverwertungsverbot. Nach Entscheidungen des Bundessozialgerichts seien daher die Stellungnahmen aus der Verwaltungsakte zu entfernen. Das Gutachten von L sei hingegen überzeugend. Dieser gehe von einer richtungsgebenden Verschlimmerung einer Schadensanlage aus. Das Verfahren sei nach § 114 SGG bis zu einer Entscheidung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz über die Beschwerde  des Klägers gegen Mitteilung der medizinischen Daten des Klägers an die Beratungsärzte T und O auszusetzen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz kontrolliere die Verwaltungstätigkeit der Beklagten. Die für eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur erforderliche unnatürliche Zugbeanspruchung der Sehne liege beim Kläger vor, denn er habe einen Sturz durch Verdrehen des Armes nach oben verhindert. An der rechten Schulter des Klägers hätten bis zum Ereignis keine Beschwerden bestanden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 20. Juli 2021 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2019 abzuändern und als weitere Folge des Unfallereignisses vom 11. Juli 2018 Verletzungen im Bereich der rechten Schulter festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, Verletztengeld zu zahlen und die Beklagte zu verurteilen, die beratungsärztlichen Stellungnahmen von T vom 15. November 2018  und O vom 25. September 2019 aus der Verwaltungsakte zu entfernen,

hilfsweise das Verfahren nach § 114 SGG bis zu einer Entscheidung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz über die Beschwerde  des Klägers gegen Mitteilung der medizinischen Daten des Klägers an die Beratungsärzte T und O auszusetzen,

hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass die Schädigung der rechten Schulter eine Folge des Unfalls des Klägers vom 11. Juli 2018 sei, ein Gutachten nach § 106 SGG von M3 aus B einzuholen,

hilfsweise D zu laden zwecks Beantwortung der im Schriftsatz vom 3. August 2022 gestellten Frage. 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Urteil.

Der Senat hat eine amtliche Auskunft der Verwaltung des Thüringer Landessozialgerichts beigezogen, nach der Herr Direktor des Sozialgerichts F am 1. Februar 2021 in den Ruhestand getreten ist. Des Weiteren wurde der Beratungsarztvertrag zwischen dem IMB K und der Beklagten beigezogen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nach Eingang der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 19. Juli 2022 Terminsaufhebung beantragt, da die Entscheidung über die Beschwerde des Klägers beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz wegen Vorgreiflichkeit abzuwarten sei.  Auf die Zurückweisung des Antrags auf Verlegung des Termins durch Verfügung des Vorsitzenden vom 20. Juli 2022 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 28. Juli 2022 Terminsverlegung unter Hinweis auf § 227 Abs. 3 S. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) wegen Urlaubszeit. Diesen Terminsverlegungsantrag lehnte der Vorsitzende unter Hinweis darauf, dass § 227 Abs. 3 S. 1 ZPO nach § 110 Abs. 3 SGG keine Anwendung finde, ab. Hiergegen legte der  Prozessbevollmächtigte des Klägers am 1. August 2022 sofortige Beschwerde ein und wiederholte die vorgebrachten Gründe für eine Verlegung. Der Vorsitzende wies mit Verfügung vom 2. August 2022 darauf hin, dass nach §§ 202 SGG, 227 Abs. 4 S. 3 ZPO die Entscheidung über einen Verlegungsantrag unanfechtbar sei. Der erneute Antrag auf Terminsverlegung werde abgelehnt. Dem Kläger stehe es frei, am Termin teilzunehmen, auch wenn kein persönliches Erscheinen angeordnet worden sei. Durch Schriftsatz vom 3. August 2022 lehnte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Senatsvorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Wegen Schienenersatzverkehr sei ein pünktliches Erscheinen zum Termin nicht garantiert. Der Vorsitzende wolle „mit aller Macht den Termin durchziehen“. Durch Fax vom gleichen Tage wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hingewiesen, dass über die Anträge zu Beginn bzw. in der mündlichen Verhandlung entschieden werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg (§§ 143, 151 SGG).

Der Senat konnte ungeachtet des Ablehnungsgesuchs gegen seinen Vorsitzenden unter dessen Mitwirkung verhandeln und entscheiden. Abweichend von § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 45 Abs. 2 ZPO darf der abgelehnte Richter selbst über ein missbräuchliches oder sonst offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch mitentscheiden (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 60 Rn. 10d); in solchen Fällen bedarf es keiner vorherigen gesonderten Entscheidung über das Ablehnungsgesuch (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 21. September 2017 - B 14 AS 4/17 B – Rn. 9). Das am 3. August 2022 und damit nur einen Tag vor der mündlichen Verhandlung gegen den Senatsvorsitzenden angebrachte Ablehnungsgesuch ist rechtsmissbräuchlich, weil damit offensichtlich nicht bewirkt werden soll, einen Richter vom Verfahren auszuschließen, sondern eine (mehrfach abgelehnte) Vertagung zu erreichen. Rechtsmissbrauch liegt dann vor, wenn die Verweigerung einer Terminverlegung zum Anlass genommen wird, durch Anbringung eines auf diese Verweigerung gestützten Ablehnungsgesuchs - gewissermaßen in letzter Minute - eine Terminverlegung doch noch zu erzwingen (vgl. BSG, Beschluss vom 19. August 2021 – B 11 AL 39/21 B –, juris, BSG, Beschluss vom 20. April 2021 – B 5 R 18/21 B –, juris, BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021 – 2 BvE 4/20 –, juris). Der Kläger trägt zur Begründung seines Befangenheitsantrages nur vor, der Vorsitzende habe eine Terminverlegung abgelehnt und wolle „mit aller Macht den Termin durchziehen“. Damit legt er weder hinreichend eine "Willkür" dar, noch zeigt er auf, dass das Ablehnungsgesuch einem anderen Zweck als demjenigen diente, die abgelehnte Terminverlegung zu erzwingen. Eine solche Vorgehensweise, die "nur" als "Notbremse" benutzt werden soll, ist von der Rechtsordnung nicht gedeckt.

In der Sache selbst ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aufgrund der geltend gemachten Verfahrensfehler eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG ausscheidet. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts aufheben und die Sache an das Gericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts auf ihm beruhen kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 159 Rn. 3a). Dabei ist (nur) auf die Rechtsauffassung des SG abzustellen. Eine Zurückverweisung  an das Sozialgericht scheidet unabhängig vom Vorliegen von Verfahrensfehlern bereits deshalb aus, da eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme zur Entscheidungsfindung nicht erforderlich ist, sondern diese auf der Grundlage der Akten durch den Senat erfolgen kann. Seit der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Gesetzesfassung ist eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG bei einer Entscheidung des Sozialgerichts in der Sache nur noch möglich, wenn aufgrund des Verfahrensmangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Gesundheitsschäden im Bereich der rechten Schulter als Folge des Unfallereignisses vom 11. Juli 2018 bzw. auf Entfernung der beratungsärztlichen Stellungnahmen aus der Akte. Der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG).

Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und „Gesundheitsschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R, zitiert nach juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R, BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, beide zitiert nach juris).

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Rupturen bzw. sonstige Verletzungen im Bereich der rechten Schulter nicht als weitere Unfallfolge aus dem Ereignis vom 11. Juli 2018 festgestellt werden können.

Hinsichtlich der Entstehung einer Rotatorenmanschettenruptur ist zu berücksichtigen, dass sich im Bereich der Schulter das Schulterhauptgelenk und das wenig bewegliche Schultereckgelenk befinden. Das Schulterhauptgelenk wird von dem Oberarmkopf und der relativ kleinen Schulterpfanne gebildet. Um den Oberarmkopf fest in der Pfanne zu verankern, gibt es eine Vielzahl von Muskeln zwischen Schulterblatt und Oberarm. Die Summe der Muskeln, die den Oberarmkopf im Bereich der Schulterpfanne zentrieren, nennt man zusammengefasst Rotatorenmanschette. Dazu gehört unter anderem der Musculus supraspinatus. Gesichert ist, dass diese Muskeln und Sehnen erheblichen degenerativen Veränderungen unterliegen. Jenseits des 50. Lebensjahres sind degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette sehr häufig anzutreffen (Mehrhoff u.a., Unfallbegutachtung, 14. Auflage 2019, Seite 293). Derartige Sehnenschäden werden häufig zum Beispiel durch ein Engpasssyndrom verursacht. Ist eine Rotatorenmanschettenruptur hingegen traumatisch bedingt, sind nur bestimmte Verletzungsmechanismen geeignet, eine solche zu verursachen. Nicht geeignet sind eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter, wie bei einem Sturz, Schlag oder Prellung oder ein Sturz auf den ausgestreckten Arm (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Unfallbegutachtung, 9. Auflage 2017, S. 433 ff.).

Vorliegend geht zwar der Sachverständige D von einem grundsätzlich geeigneten Unfallmechanismus aus. Dennoch bestehen durchgreifende Zweifel am Vorliegen einer traumatischen Rotatorenmanschettenruptur. Diese begründen sich in den zuerst erhobenen medizinischen, insbesondere den bildgebenden Befunden, dem Operationsbericht und dem histologischen Befund. D legt in seinem Gutachten vom 15. Februar 2021 im Einzelnen dar, dass die vorliegenden Kontinuitätstrennungen der Supra- aber auch der Infraspinatussehne sehr lange zurückliegen müssen. Dies begründet er nachvollziehbar damit, dass der MRT-Befund vom 1. August 2018 bereits eine hochgradige  Omarthrose, umformende Veränderungen des Acromions und des Schultereckgelenks und einen Hochstand des Oberarmkopfes sowie eine Retraktion der Sehnen nebst fettigem Umbau der Muskulatur aufzeigt. Ein Grad IV der Degeneration nach Goutallier ist festzustellen. Innerhalb von drei Wochen zwischen dem Ereignis vom 11. Juli 2018 und dem MRT-Befund vom 1. August 2018 können solche degenerativen Veränderungen nicht entstehen. Diese benötigen einen erheblich längeren Zeitraum. Zeichen einer knöchernen Begleitverletzung fanden sich nicht. Auch der intraoperative Befund spricht gegen eine frische traumatische Rotatorenmanschettenverletzung, in dem er die bildgebenden Befunde untermauert. Den Ausführungen von L in seinem Gutachten vom 8. September 2019 kann nichts für eine traumatische Rotatorenverletzung entnommen werden. Soweit er von einer Verschlimmerung einer Schadensanlage ausgeht, verkennt er den Unterschied in der Beurteilung des Kausalzusammenhangs von Schadensanlagen bzw. Vorschäden. Im Übrigen beschreibt auch L in seinem Gutachten erhebliche degenerative Veränderungen. Auch er deutet den MRT-Befund vom 1. August 2018 so, dass von einer hochgradigen Rotatorenmanschettenläsion und einer Omarthrose schon vor dem Unfall auszugehen ist.

Das Gutachten von D ist verwertbar. Dem steht nicht entgegen, dass zwischen der Untersuchung am 30. März 2020 und der Erstellung des Gutachtens am 15. Februar 2021 10,5 Monate verstrichen sind. Anders als bei einem psychiatrischen Gutachten, wo es entscheidend darauf ankommt, dass der Gutachter sich nicht nur einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen in einer angemessenen Untersuchungszeit verschafft, sondern diesen auch entsprechend zeitnah für die Beteiligten und das Gericht darlegt, gelten diese Grundsätze für eine Zusammenhangsbeurteilung auf unfallchirurgischem Fachgebiet nicht. Denn die Beurteilung der Zusammenhangsfrage beruht wesentlich auf der Grundlage der beigezogenen medizinischen Unterlagen, zum Beispiel der bildgebenden Befunde.

Aus den bildgebenden Befunden und dem Operationsbericht ergeben sich  durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass im Bereich der rechten Schulter des Klägers bereits vor dem Ereignis vom 11. Juli 2018 erhebliche degenerative Veränderungen stattgefunden haben. Diese haben letztlich zur Notwendigkeit der Implantation einer Schultereckgelenksprothese geführt. Daher ist es dem Senat nicht möglich, sich davon zu überzeugen, dass weitere Gesundheitsschäden im Bereich der rechten Schulter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden können.

Bei dieser Sachlage scheidet ein Anspruch auf Verletztengeld ersichtlich aus.

Des Weiteren wird der Kläger durch die Ablehnung der Herausnahme der beratungsärztlichen Stellungnahmen von T und O aus der Verwaltungsakte der Beklagten nicht in seinen Rechten verletzt. Auch insoweit sind die angegriffenen Bescheide rechtmäßig. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist Art. 17 DSGVO i. V. m. § 84 SGB X, wonach Sozialdaten (vgl. dazu § 65 Abs. 1 SGB X) - wozu auch Gutachten und ärztliche Stellungnahmen über einen am Verwaltungsverfahren Beteiligten bzw. Teile hieraus gehören - zu löschen sind, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Die "Speicherung" der beratungsärztlichen Stellungnahmen  war zulässig. Die Beklagte hat nach den Maßstäben des Sozialdatenschutzes zulässig gehandelt (§ 67c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB X), als sie die beratungsärztlichen Stellungnahmen des T und O  zur Erfüllung ihrer Aufgaben in die Verwaltungsakte einfügte. Denn sie hatte auf Antrag des Klägers über das Bestehen eines Anspruchs auf Feststellung weiterer Unfallfolgen zu entscheiden (vgl. auch BSG vom 20. Juli 2010 - B 2 U 17/09 R).

Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII besteht nicht. Gemäß § 200 Abs. 2 SGB VII soll vor Erteilung eines Gutachtensauftrages der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; der Betroffene ist außerdem auf sein Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren. Aufgabe des Sachverständigen ist es, seine besondere Sachkunde zur Verfügung zu stellen, aus Tatsachen konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen, Kenntnis von Erfahrungssätzen zu vermitteln oder mit besonderem Fachwissen Tatsachen festzustellen (Wagner a.a.O.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 118 Rn. 11a ff.). Dagegen handelt es sich bei einer beratungsärztlichen Stellungnahme nicht um ein Beweismittel, sondern um eine verwaltungsinterne Stellungnahme einer sachkundigen Person im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens.

T und O standen in einer besonderen Rechtsbeziehung zur Beklagten, so dass sie als Teil des Unfallversicherungsträgers tätig geworden sind.  Entscheidend ist die Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zu ihnen, sodass zum Beispiel der Abschluss entsprechender Dienst- oder Beratungsverträge höherer Art mit sog. Beratungsärzten möglich ist, die dann als Teil des Unfallversicherungsträgers tätig werden. Liegt eine solche Rechtsbeziehung vor, ist der Arzt kein Dritter oder eine andere Stelle i.S.d. § 67 Abs. 6, 10 SGB X. Vorliegend waren T und O  der Beklagten mit einem Vertrag verbunden, der sie zur Erbringung beratungsärztlicher Leistungen verpflichtet. Gegenstand des Vertrages ist die Beratung der Sachbearbeitung bei der Beurteilung von medizinischen Fragestellungen, insbesondere Fragen des Kausalzusammenhangs und die Erstellung schriftlicher Stellungnahmen zu medizinischen Fragen im Widerspruchs- und Gerichtsverfahren. Auf dieser Grundlage bestand zwischen der Beklagten und T und O eine besondere Rechtsbeziehung, die diese in die Verwaltungsorganisation und den Verwaltungsablauf einbezogen, mithin zum Teil der Beklagten gemacht hat. Daher handelt sich bei der Weitergabe von Daten an diese internen "Berater" um keine Übermittlung von Daten an einen Dritten bzw. eine andere Stelle außerhalb des Unfallversicherungsträgers i.S. des § 67 Abs. 6, 10 SGB X. T und O waren ihrer  Stellung nach keine externen Gutachter. Sie standen in Ausübung ihrer beratungsärztlichen Dienste vielmehr einem Arbeitnehmer bzw. Beamten im Dienste der Beklagten gleich; sie unterliegen denselben Dienstverpflichtungen, denselben Dienstobliegenheiten und auch denselben rechtlichen Konsequenzen bei Verstößen hiergegen. Sind die Beratungsärzte aber nicht Dritte, die im Auftrag der Verwaltung Daten verarbeiten, sondern Teil der Beklagten und mithin organisatorisch der Verwaltung zuzurechnen, so greift weder § 200 Abs. 2 SGB VII noch § 80 SGB X.

Auch in der Sache selbst haben die Beratungsärzte kein Gutachten im Rechtssinne erstellt. Die Verpflichtungen des § 200 Abs. 2 SGB VII bestehen nur, wenn es sich bei der ärztlichen Stellungnahme zunächst um ein Gutachten, nicht jedoch, wenn es sich um eine sog. beratungsärztliche Stellungnahme handelt. Das Gesetz selbst sieht sowohl in § 200 Abs. 2 SGB VII als auch in anderen Gesetzen von einer Definition des Gutachtensbegriffs ab. Nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R, juris, Rn. 26 m.w.N.) ist dem allgemeinen Sprachverständnis folgend unter einem Gutachten nicht jedwede Äußerung oder Stellungnahme eines medizinischen oder technischen Sachverständigen zu einzelnen Aspekten des Verfahrensgegenstandes zu verstehen, sondern nur die umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer im konkreten Fall relevanten fachlichen Fragestellung durch den Sachverständigen. Bei einer schriftlichen  Äußerung  eines  Arztes,  die  sich   im  Wesentlichen mit einem eingeholten (Vor-)gutachten auseinandersetzt, insbesondere im Hinblick auf dessen Schlüssigkeit, Überzeugungskraft und Beurteilungsgrundlage, handelt es sich nur um eine beratende Stellungnahme. Nach diesen Kriterien sind die Stellungnahmen von T und O nicht als Gutachten zu verstehen. Die Beklagte hat in ihren Schreiben jeweils bereits kein Gutachten in Auftrag gegeben, sondern ausdrücklich eine beratungsärztliche Stellungnahme angefordert. T hat in seiner 2-seitigen Stellungnahme vom 15. November 2018 das Vorliegen eines aussagekräftigen Erstschadensbildes bemängelt und auf die Diagnose Omarthrose hingewiesen, die schicksalhafter Natur sei. Die Stellungnahme von O vom 25. September 2019 setzt sich im Wesentlichen mit dem Gutachten von L auseinander und berät die Verwaltung hinsichtlich des weiteren Vorgehens. Dies stellt aber keine eigenständige gutachtliche Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachen dar.

Damit hat die Beklagte nicht gegen die Pflicht zur Belehrung über das datenschutzrechtliche Widerspruchsrecht gemäß § 200 Abs. 2 2. Hs SGB VII verstoßen, weil weder ein Gutachtenauftrag erteilt bzw. ein Gutachten eingeholt worden ist, noch Sozialdaten im Sinne des § 76 Abs. 1 SGB X übermittelt worden sind. Ebenso wenig lag ein Verstoß gegen das Auswahlrecht nach § 200 Abs. 2 1. Hs SGB VII vor. Der geltend gemachte Löschungsanspruch bzw. ein Verwertungsverbot bestehen nicht.

Der Aussetzungsantrag des Klägers ist abzulehnen. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach der allein denkbaren Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG sind vorliegend nicht erfüllt. Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei (§ 114 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das Rechtsverhältnis muss vorgreiflich sein. Vorgreiflichkeit i.S.d. § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG ist nicht nur dann zu bejahen, wenn das angerufene Gericht gehindert ist, über eine Vorfrage selbst zu entscheiden. Ausreichend ist vielmehr auch ein tatsächlicher Einfluss durch das andere Verfahren. Das (Nicht-)Bestehen eines Rechtsverhältnisses muss für den vorliegenden Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung haben (Landessozialgericht <LSG> Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Januar 2018 - L 20 SO 467/17 B, juris, Rn. 12). Ausreichend ist dabei auch, dass das Rechtsverhältnis durch eine Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Eine derartige Vorgreiflichkeit ist vorliegend nicht erkennbar. Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2019  bereits eine im gerichtlichen Verfahren durch den Senat überprüfbare Entscheidung zu dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Entfernung der beratungsärztlichen Stellungnahmen getroffen.

Der Beweisantrag, den Sachverständigen D zu laden zwecks Beantwortung der im Schriftsatz vom 3. August 2022 gestellten Frage, war abzulehnen. Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BSG, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 164/18 B –, juris)  hat der Verfahrensbeteiligte zwar grundsätzlich - zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs - ein Recht auf Befragung eines Sachverständigen, der ein (schriftliches) Gutachten erstattet hat (§§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO; § 62 SGG). Nach § 402 ZPO i.V.m. § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Sachdienlichkeit im Sinne von § 116 Satz 2 SGG ist zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (vgl. BSG, Beschluss vom 24. Juni 2020 – B 9 SB 79/19 B –, juris). Einen solchen "sachdienlichen" Klärungsbedarf, der über die erläuternde Wiederholung des Gutachtens und der dort bereits enthaltenen Gründe hinausgeht, hat der Kläger in seinem Schriftsatz vom 3. August 2022 aber nicht dargelegt. Der Kläger möchte vom Sachverständigen wissen, ob für die Diagnostik der Ruptur und der degenerativen Vorschädigung der Rotatorenmanschette die Kernspintomographie angewendet wurde. Aus den Ausführungen des Sachverständigen D auf Seite 31 seines Gutachtens ergibt sich, dass er seine Feststellungen unter anderem auf die Auswertung der vorliegenden  MRT-Bildgebung vom 1. August 2018 stützt. Die Magnetresonanztomographie (MRT) wird auch als Kernspintomographie bezeichnet, so dass die Frage sich aus dem Gutachten selbst heraus eindeutig beantwortet.

Der Beweisantrag nach § 106 SGG auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch M3 ist abzulehnen. Liegen bereits Gutachten vor, ist ein Gericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO), weil sie selbst grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl. BSG, Beschluss vom 29. Januar 2018 - B 9 V 39/17 B - juris, Rn. 12). Derartige Gründe hat der Kläger weder aufgezeigt, noch liegen sie objektiv vor.  Allein die Kritik an den Ausführungen des Sachverständigen D reichten insoweit nicht aus. Hält das Gericht eines oder mehrere Gutachten für überzeugend, darf es sich diesen anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. So verhält es sich vorliegend. Der Senat hat an anderer Stelle bereits dargelegt, dass das Gutachten des Sachverständigen D überzeugend und als Entscheidungsgrundlage ausreichend ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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