L 3 AS 1050/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 114 AS 24896/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 AS 1050/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Mai 2019 sowie der Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 03. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 aufgehoben. Der  Beklagte wird verpflichtet, unter Änderung des Bescheides vom 02. Dezember 2014 der Klägerin dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB Il für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 zu gewähren.

 

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin begehrt für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 existenzsichernde Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB Il) in der bis zum 31. Juli 2016 maßgeblichen Fassung (a.F.) bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der bis zum 31. Juli 2016 maßgeblichen Fassung (a.F.) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

 

Die 1995 geborene Klägerin, ihr 1992 geborener Lebensgefährte, Herr M A S, und der gemeinsame, am 06. November 2014 geborene Sohn D M A sind bulgarische Staatsangehörige.

 

Die Klägerin hält sich seit dem 20. August 2010 und ihr Lebensgefährte seit dem 05. Mai 2009 dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ausweislich der Bescheinigung des Bezirksamtes N vom 28. Januar 2011 ist der Lebensgefährte der Klägerin freizügigkeitsberechtigt nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Ein ausländerbehördliches Verfahren zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt betreffend die Klägerin und ihren Lebensgefährten fand nicht statt.

 

Die Klägerin bezog bis Ende Juni 2014 als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihrer 1975 geborenen Mutter, Frau S E, vom Jobcenter B M Leistungen nach dem SGB II (vgl. u.a. Bewilligungsbescheide des Jobcenter B M vom 19. Dezember 2013, 10. Januar 2014, 18. März 2014). Frau S E besitzt ebenfalls die bulgarische Staatsangehörigkeit. Sie hielt sich zunächst vom 27. August 2007 bis zum 07. Februar 2009 und sodann seit dem 06. Mai 2009 fortlaufend in Berlin auf (vgl. Meldebescheinigungen vom 11. Juni 2012, 14. November 2013 und 26. Februar 2015). Die Klägerin und ihre Mutter wohnten zunächst in der Nstr. 4 in  B N, ab dem 01. März 2013 in der Hstr. 19 in  B T-S und ab dem 01. März 2013 dann in der Pstr. 87 in  B M (vgl. Meldebescheinigungen vom 11. Juni 2012, 14. November 2013 und 07. Juli 2014). Die Mutter der Klägerin übte vom 01. Mai 2013 bis zum 31. Dezember 2014 eine Tätigkeit als Haushaltshilfe in einem Privathaushalt in  F mit einer monatlichen Vergütung i.H.v. 400 € aus, die bar ausgezahlt wurde (vgl. Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung mit Dr. S V vom 01. Mai 2013, Einkommensbescheinigungen vom 09. Dezember 2013, 03. Mai 2014 und 01. Dezember 2014, Bar-Quittungen für Oktober bis Dezember 2013, Mitteilung des Arbeitgebers über Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vom 29. Dezember 2014).

 

Die Klägerin zog im Juni 2014 zu ihrem Lebensgefährten in die von ihm und seinen Eltern (M und A A) bewohnte Mietwohnung unter der im Rubrum genannten Anschrift, wo sie seitdem polizeilich gemeldet ist. Die Bruttowarmmiete betrug im streitbefangenen Zeitraum monatlich 801 € (506 € Miete, 141 € Betriebskostenvorauszahlung und 154 € Heizkostenvorauszahlung). Daraufhin stellte das Jobcenter B M seine Leistungen an die Klägerin ab dem 01. Juli 2014 ein und gewährte nur noch der Mutter der Klägerin Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II (vgl. Bewilligungsbescheide vom 04. Juli 2014, 03. Dezember 2014, 02. Juni 2015, 03. Juni 2015 und 21. Dezember 2015).

 

Am 11. Dezember 2014 erkannte der Lebensgefährte der Klägerin mit deren Zustimmung vor dem Standesamt F-K von B seine  Vaterschaft für das Kind D M an. Eine Erklärung über die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts wurden von der Klägerin und ihrem Lebensgefährten weder gegenüber dem Jugendamt noch vor einem Notar abgegeben, so dass es beim alleinigen Sorgerecht der Klägerin für den Sohn D M verblieb.

 

Die Elterngeldstelle beim Bezirksamt N bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 08. Januar 2015 Elterngeld i.H.v. 300 € monatlich ab dem 06. November 2014, wobei die Beträge für November, Dezember und Januar – insgesamt 900 € - am 15. Januar 2015 auf dem Konto der Klägerin eingingen und ab dem 12. Februar 2015 dann monatliche Gutschriften i.H.v. 300 € erfolgten.

 

Mit Bescheid vom 09. Januar 2015 bewilligte die Familienkasse der Klägerin für ihren Sohn Kindergeld i.H.v. 184 € monatlich ab November 2014, wobei die Beträge für November, Dezember und Januar – insgesamt 552 € - am 14. Januar 2015, der Betrag für Februar am 10. März 2015 sowie der Betrag für März am 13. März 2015 auf dem Konto der Klägerin eingingen und ab April 2015 monatliche Überweisungen erfolgten.

 

Im Jahr 2014 war der Lebensgefährte der Klägerin bis September bei dem Friseursalon „Fa. I Hair und Cosmetic Studio“ gegen ein Entgelt i.H.v. 165 € monatlich geringfügig abhängig beschäftigt. Seit dem 01. April 2015 erzielte er bei einem anderen Friseursalon „Salon A“ ein Einkommen i.H.v. 510 € brutto, das ihm i.H.v. 442,35 € netto am 30. April 2015, 383,59 € netto am 30. Mai 2015 und 443,38 € netto am 02. Juli 2015 bar ausgezahlt wurde.

 

Die Klägerin und ihr Lebensgefährte beantragten erstmals am 07. Juli 2014 für ihre Bedarfsgemeinschaft beim Beklagten Leistungen nach dem SGB Il. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 06. Oktober 2014 gegenüber der Klägerin die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II mit der Begründung ab, sie sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage bewilligte er dem Lebensgefährten der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2014 i.H.v. 279,50 € monatlich (117 € Regelbedarf, 162,50 € Bedarfe für Unterkunft und Heizung <KdUH>). Die hiergegen von der Klägerin und ihrem Lebensgefährten erhobenen Widersprüche wies der Beklagte mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 03. November 2014 zurück. Im nachfolgenden Klageverfahren zum Aktenzeichen S 59 AS 28338/14 hat das Sozialgericht (SG) Berlin durch rechtskräftiges Urteil vom 23. Januar 2019 den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin, ihrem Lebensgefährten und deren Sohn für die Zeit vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger erfüllten die Voraussetzungen nach dem SGB II. Insbesondere unterliege die Klägerin keinem Leistungsausschluss, da sie im streitigen Zeitraum entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) über ein materielles Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Grundgesetz (GG) i.V.m. den §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1, 29, 32 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz - (AufenthG) aufgrund der bevorstehenden Geburt ihres Kindes verfügt habe. Das Aufenthaltsrecht des am 06. November 2014 geborenen Sohnes leite sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU von seinem Vater ab.

 

Zuvor hatte das SG bereits im Rahmen des zum Aktenzeichen S 59 AS 28338/14 ER geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens durch rechtskräftigen Beschluss vom 22. Januar 2015 den Beklagten verpflichtet, der Klägerin und ihrem Sohn ab dem 04. Dezember 2014 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache - längstens jedoch bis zum 31. Mai 2015 - vorläufig monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II  für Dezember 2014 i.H.v. 317,69 € Regelbedarf und 128,87 € KdUH für die Klägerin und 206,09 € Regelbedarf und 128,87 € KdUH für deren Sohn sowie für Januar bis Mai 2015 jeweils monatlich i.H.v. 360 € Regelbedarf und 160,20 € KdUH für die Klägerin und i.H.v. 234 € Regelbedarf und 160,20 € KdUH für deren Sohn zu zahlen. Den am 02. März 2015 eingegangenen Antrag des Beklagten auf Abänderung des Beschlusses wegen fehlender Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens der Klägerin und deren Sohns in Form von Eltern- und Kindergeldzahlungen ab Januar 2015 lehnte das SG mit Beschluss vom 27. März 2015 (S 59 AS 6262/15 ER) mit der Begründung ab, der Zufluss von Eltern- und Kindergeld sei vom Beklagten nicht nachgewiesen worden. Der Beklagte setzte daraufhin mit Bescheid vom 07. April 2015 den Beschluss des SG vom 22. Januar 2015 um und bewilligte als vorläufig zu erbringende Leistungen für Dezember 2014 der Klägerin 446,56 € und deren Sohn 334,96 € sowie für die Monate Januar bis Mai 2015 jeweils monatlich der Klägerin 520,20 € und deren Sohn 394,20 € verbunden mit dem Hinweis, dass die Leistungen im Falle einer rechtskräftigen Ablehnungsentscheidung in der Hauptsache zurückgezahlt werden müssten. Die (vorläufigen) Leistungen wurden an die Klägerin ausgezahlt.

 

Zwischenzeitlich hatte der Beklagte auf den Weiterbewilligungsantrag der Bedarfsgemeinschaft vom 27. November 2014 mit bestandskräftigem Bescheid vom 02. Dezember 2014 dem Lebensgefährten der Klägerin für den Zeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes i.H.v. monatlich 254 € (124 € Regelbedarf, 130 € KdUH) bewilligt. Hierbei hatte er die  Regelleistung i.H.v. 360 € sowie anteilige KdUH (ein Fünftel) i.H.v. 130 € zugrunde gelegt und bedarfsmindernd als Einkommen ein nach Abzug der Freibeträge bereinigtes Einkommen aus Erwerbstätigkeit i.H.v. 52 € und das Kindergeld i.H.v. 184 € in Abzug gebracht. Die vorläufige Bewilligung beruhe auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), da das nach § 11 SGB II anzurechnende Einkommen noch nicht abschließend bekannt sei. Im Übrigen hat der Beklagte den Antrag abgelehnt. Leistungen für die Klägerin und das Kind könnten erst nach Vorlage geforderter Unterlagen berechnet werden.

 

Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin für die Bedarfsgemeinschaft die Überprüfung der Entscheidung vom 02. Dezember 2014 nach § 44 SGB X. Der Lebensgefährte der Klägerin beziehe kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit und die Klägerin sowie der Sohn seien zu Unrecht von Leistungen ausgeschlossen worden. In der Folgezeit reichte der Lebensgefährte der Klägerin diverse, vom Beklagten angeforderte Unterlagen (Arbeitsvertrag, Kontoauszüge, Lohnquittungen, Personenstandsurkunden) ein und trug wiederholt vor, die 2014 ausgeübte Tätigkeit habe im September 2014 geendet. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 03. August 2015 die Rücknahme des Bescheides vom 02. Dezember 2014 mit der Begründung ab, eine Beendigung der 2014 vom Lebensgefährten der Klägerin ausgeübten Beschäftigung sei noch nicht nachgewiesen. Hinsichtlich der Leistungsansprüche der Klägerin und des Sohnes werde auf die vorläufige Bewilligung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens verwiesen.

 

Mit Änderungsbescheid vom 19. August 2015 hob der Beklagte die vorläufige Leistungsbewilligung im Bescheid vom 02. Dezember 2014 für den Monat Juni 2015 auf und bewilligte weiterhin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Lebensgefährten der Klägerin i.H.v. 483,16 € (322,96 € Regelbedarf, 160,20 € KdUH) sowie  nunmehr für  den Sohn i.H.v. 195,24 € (35,04 € Regelbedarf und 160,20 € KdUH).

 

Den von der Klägerin und ihrem Lebensgefährten am 03. September 2015 gegen den Bescheid vom 03. August 2015 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04. November 2015 als unbegründet zurück. Hinsichtlich des Leistungsanspruchs des Lebensgefährten der Klägerin sei bisher nur vorläufig entschieden worden, da die Einkommenssituation bzw. die Beendigung der in 2014 ausgeübten Beschäftigung nach wir vor nicht nachgewiesen sei. Der Klägerin und deren Sohn würden nach gerichtlichem Eilbeschluss Leistungen vorläufig erbracht.

 

Mit der am 19. April 2016 vor dem SG Berlin erhobenen Klage haben die Klägerin, ihr Lebensgefährte und ihr Sohn das Überprüfungsbegehren bzgl. des Bescheides vom 02. Dezember 2014 (in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19. August 2015) sowie die Gewährung von (höheren) Leistungen für den Zeitraum vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 weiterverfolgt. Der Lebensgefährte der Klägerin habe die im Jahr 2014 zeitweise ausgeübte Beschäftigung in dem Friseursalon „Fa. I Hair und Cosmetic Studio“ im September 2014 beendet, nachdem er keinen Arbeitslohn mehr erhalten habe, und dies dem Beklagten angezeigt. Der Arbeitgeber habe sich geweigert, eine entsprechende Bescheinigung auszustellen. Erst im April 2015 habe er die aktuelle Tätigkeit aufgenommen und dies sowie die Höhe der Einkünfte beim Beklagten angezeigt. Sowohl die Klägerin als auch deren Sohn hätten einen Leistungsanspruch. Das Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 folge aus dem Aufenthaltsrecht ihres Sohnes.

 

Am 05. September 2016 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Beklagten ein Auskunftsschreiben der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Minijob-Zentrale vom 16. August 2016 vorgelegt, wonach eine geringfügige Beschäftigung des Lebensgefährten der Klägerin nur für die Zeit vom 01. Mai 2013 bis zum 30. September 2014 gemeldet ist.

 

Der Beklagte hat den an die Klägerin gerichteten Änderungsbescheid vom 19. Januar 2017 zur Akte gereicht, mit dem er unter Änderung der Bescheide vom 02. Dezember 2014 und 19. August 2015 für den Monat Juni 2015 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes dem Lebensgefährten der Klägerin i.H.v. 528,48 € (360 € Regelbedarf, 8,28 € Warmwassermehrbedarf, 160,20 € KdUH) sowie dem Sohn i.H.v. 212,07 € (50 € Regelbedarf, 1,87 € Warmwassermehrbedarf und 160,20 € KdUH) bewilligte. Hierbei hat er nunmehr den Warmwassermehrbedarf sowie den Umstand berücksichtigt, dass der Lebensgefährte der Klägerin im Juni 2015 keinen Lohn ausgezahlt bekommen hatte. Das Kindergeld i.H.v. 184 € wurde beim Sohn als Einkommen angerechnet.

 

Zudem hat der Beklagte der Klägerin (sowie ihrem Lebensgefährten und dem Sohn) mit Bescheiden vom 29. Juli 2015 und 19. März 2018, letzterer in Umsetzung des rechtskräftigen Gerichtsbescheides des SG Berlin vom 21. Februar 2018 (S 144 AS 25358/15), in der Zeit vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bewilligt.

 

In der mündlichen Verhandlung des SG vom 08. Januar 2019 hat der Beklagte folgendes Teilanerkenntnis abgegeben:

„1. Der Bescheid vom 2.12.2014 in der Fassung des Überprüfungsbescheides vom 3.8.2015 und diese in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.11.2015 sowie des Änderungsbescheides vom 19.1.2017 werden dahingehend abgeändert, dass den Klägern zu 2 (Lebensgefährte) und 3 (Sohn) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1.1.2015 bis 30.6.2015 unter Anrechnung des tatsächlichen Einkommens in gesetzlicher Höhe endgültig festgesetzt werden.

2. Der Beklagte erstattet den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens i.H.v. 2/3.“

Die erstinstanzlichen Kläger haben das Anerkenntnis angenommen. Die Klägerin hat sodann den Antrag gestellt, 

den Bescheid vom 02. Dezember 2014 in der Fassung des Überprüfungsbescheides vom 03. August 2015 und diese in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 werden aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB Il für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 zu erbringen,

hilfsweise das noch beizuladende Sozialamt N zu verurteilen, für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

 

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin sei von SGB II-Leistungen ausgeschlossen. Zudem wäre es bereits zu einer Leistungsüberzahlung gekommen, da das Elterngeld bei der vorläufigen Bewilligung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht berücksichtigt worden sei.

 

Das SG hat mit Beschluss vom 04. Februar 2019 den Sozialhilfeträger gemäß § 75 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Gericht gemäß § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid vom 13. Mai 2019 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom  02. Dezember 2014 nach §§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, 40 Abs. 2 SGB Il. Weder habe der Beklagte das Recht unrichtig angewandt, noch sei er von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Die Klägerin sei von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII ausgeschlossen. Sie sei gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB Il, der hier wegen des Geltungsraumprinzips in der vom 28. August 2007 bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung anzuwenden sei (im Folgenden SGB Il a.F.), vom Erhalt von Leistungen nach dem SGB Il ausgenommen, da sie als Unionsbürgerin über kein anderweitiges materielles Aufenthaltsrecht als zum Zwecke der Arbeitsuche verfüge. Über den Wortlaut von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB Il a.F. hinaus greife der Leistungsausschluss nach dem Sinn und Zweck der Regelung erst recht, wenn überhaupt kein materielles Aufenthaltsrecht bestehe (BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R –, juris Rn.19 bis 24 m.w.N.). Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin lasse sich nicht aus den Regelungen des FreizügG/EU herleiten. Ein Aufenthaltsrecht als Partnerin gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU scheide aus, da sie mit ihrem Lebensgefährten nicht verheiratet sei. Ebenso wenig stehe ihr ein Aufenthaltsrecht als Mutter ihres Kindes gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU zu. Insoweit fehle es bereits an einer Unterhaltsgewährung durch das Kind. Zudem beziehe sich das Erfordernis der Unterhaltsgewährung nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ohnedies auf die "in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger", also diejenigen Familienangehörigen, die in ihrer Person ein eigenständiges Freizügigkeitsrecht beanspruchen könnten. Der Klägerin stehe auch kein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe des AufenthG zu. Zwar sei davon auszugehen, dass Art. 6 GG auch den Schutz des familiären Zusammenlebens unverheirateter Eltern mit den gemeinsamen Kindern einschließe (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 27 AufenthG Rn. 46). Der insoweit vermittelte Schutz sei indessen nicht schrankenlos (so bereits Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 27. Oktober 2014 – L 15 AS 149/14 B ER -, 26. März 2014 – L 15 AS 67/14 B ER - und 25. Januar 2016 – L 15 AS 202/15 B ER -). Er gebiete zwar die umfassende Berücksichtigung des Interesses an der Herstellung und Aufrechterhaltung der Familieneinheit bei allen aufenthaltswirksamen behördlichen Entscheidungen, vermittele aber keinen eigenständigen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt (Göbel-Zimmermann/Eichhorn in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 27 Rn. 2 u. 16; Dienelt, a.a.O. § 27 Rn. 71). Der Bundesgesetzgeber dürfe vielmehr den Aufenthalt von Ausländern unter Berücksichtigung ihrer familiären Bindungen gestalten und dabei Aufnahme- und Integrationskapazitäten ebenso wie demographische und ökonomische Erwägungen berücksichtigen. Insbesondere gebiete der Schutz von Ehe und Familie kein Absehen von dem Regelerfordernis des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis i.d.R. nur dann zu erteilen sei, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist, weil er ihn unter Einschluss eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne (Dienelt, a.a.O., § 27 AufenthG, Rn. 38, 71, 72).  Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB Il a.F. sei auch europarechtskonform. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in den Urteilen zur Rechtssache Dano (Urteil vom 11. November 2014, C 333/13) und Alimanovic (Urteil vom 15. September 2015, C 67/14) entschieden, dass ein Mitgliedsstaat Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen ausschließen könne, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie (RL) 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie bzw. Freizügigkeitsrichtlinie) zustehe oder wenn ihr Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Der Leistungsausschluss werde im Falle der Klägerin auch nicht durch Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA, BGBI Il 1956, 564) verdrängt, da die Klägerin als bulgarische Staatsbürgerin nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaates sei.

Die Klägerin habe zur Überzeugung der Kammer auch keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs. 1 SGB XII i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII oder § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Die Kammer folge insoweit nicht den Entscheidungen des BSG (Urteile vom 03. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R -, 16. Dezember 2015 - B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R, B 14 AS 33/14 R - und 20. Januar 2016  - B 14 AS 15/15 R -). Die Klägerin sei nach § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII (in der hier anwendbaren, vom 07. Dezember 2006 bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung - a.F.) vom Rechtsanspruch auf Sozialhilfe und damit auch vom Rechtsanspruch auf die hier begehrte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII a.F. sei ausweislich der zwischenzeitlich hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH als unionsrechtskonform anzusehen (EuGH, Urteile vom 11. November 2014, C-333/13 (Dano), und 15.September 2015, C-67/14 (Alimanovic)).

Die Kammer sehe auch keine Veranlassung, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. und §§ 21 S. 1 und 23 Abs. 3 S. 1  SGB XII a.F. mit dem Grundgesetz vorzulegen, da sie den Leistungsausschluss nicht für verfassungswidrig halte. Insoweit schließe sich die Kammer vollumfänglich den Ausführungen des SG Berlin im Urteil vom 23. Mai 2016 – S 135 AS 3655/13 – (juris Rn. 77 bis 90) an.

 

Gegen den ihr am 14. Mai 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Juni 2019 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, ihr stehe aus Art. 6 GG i.V.m. §§ 27, 28 Abs. 1, 29, 32 AufenthG und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein materielles Aufenthaltsrecht zu. Sie lebe mit dem Vater des gemeinsamen Kindes in einem Haushalt und sie übten gemeinsam die elterliche Sorge für den Sohn aus. Zudem verfüge ihr Sohn über ein vom Vater abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Er könne nicht darauf verwiesen werden, auf die Personensorge durch ein Elternteil – die Klägerin - zu verzichten. Zumindest habe sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Insoweit werde sich auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des BSG berufen. Das BSG habe entschieden, dass im Fall eines verfestigten Aufenthalts - über sechs Monate - das Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG auf Null reduziert sei, sodass regelmäßig nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen sei. Sie hat eine Kopie der Vaterschaftsanerkennungsurkunde vom 11. Dezember 2014 vorgelegt.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 13. Mai 2019 sowie den Überprüfungsbescheid vom 03. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr unter Änderung des Bescheides vom 02. Dezember 2014 (in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. Januar 2017), Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB Il für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 zu erbringen,

hilfsweise den Beigeladenen zu verurteilen, für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

 

Der Beigeladene hat darauf hingewiesen, dass er angesichts der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein grundsätzliches Hindernis mehr für den ersatzweisen Zugang zu Leistungen nach dem SGB XII erkenne.

 

Die Vorsitzende des Senats hat am 04. November 2021 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt. Sodann haben auf Anforderung des Senats die Elterngeldstelle unter dem 18. November 2021 eine Auskunft zum Zeitpunkt der Auszahlung des Elterngeldes erteilt und die B Sparkasse Kontoauszüge für das Konto der Klägerin für die Monate Januar bis April 2015 zur Akte gereicht.  Des Weiteren sind die Verwaltungsakten des Jobcenters B M für die Zeit ab November 2013 betreffend die Mutter der Klägerin bzw. der mit der Klägerin bestehenden Bedarfsgemeinschaft zum Verfahren beigezogen worden. Das Jobcenter B M hat mit Schreiben vom 07. Juli 2022 mitgeteilt, die Mutter der Klägerin habe 2014 die erforderlichen 5 Jahre Aufenthalt für einen Leistungsbezug nach dem SGB II erfüllt gehabt und verfüge seit 2012 über den Arbeitnehmerstatus.  Zudem sind den Beteiligten mit Schreiben vom 07. April 2022 und 14. Juli 2022 rechtliche Hinweise erteilt worden.

 

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 21. Juli 2022 (Beigeladener), 04. November 2022 (Klägerin) und 08. November 2022 (Beklagter) mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten übersandten Verwaltungsakten, der vom SG Berlin beigezogenen Gerichtsakten (S 59 AS 28338 /14, S 59 AS 28338 /14 ER und S 59 AS 6262 /15 ER) und der vom Jobcenter B Mübersandten Verwaltungsakten (BG-Nr: ), die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben.

 

I. Die frist- und formgerecht (§ 151 SGG) von der Klägerin eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§ 143 SGG). Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sechs Monate, d. h. für Geldleistungen, deren Summe den Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG von 750 € weit übersteigt.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der Entscheidung des SG vom 13. Mai 2019 der Bescheid des Beklagten vom 03. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 (§ 157 SGG) nur soweit er die Klägerin betrifft. Mit dem Bescheid vom 03. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 hat der Beklagte zwar den von allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft gestellten Überprüfungsantrag vom 20. Januar 2015 betreffend den Bescheid vom 02. Dezember 2014 abgelehnt. In dem zur Überprüfung gestellten bestandskräftigen Bescheid vom 02. Dezember 2014 hatte der Beklagte mehrere Regelungen im Sinne von § 31 SGB X getroffen. Zum einen wurden dem Lebensgefährten der Klägerin vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum  30. Januar 2015 bewilligt, zum anderen hatte der Beklagte eine Leistungsgewährung an die Klägerin und deren Sohn abgelehnt. Während des Überprüfungsverfahrens und des Klageverfahrens hatte der Beklagte mit Bescheiden vom 19. August 2015 und 19. Januar 2017 den Bescheid vom 02. Dezember 2014 teilweise, d.h. nur betreffend die Leistungsgewährung an den Lebensgefährten und den Sohn der Klägerin, abgeändert, nicht jedoch bzgl. der ausgesprochenen – endgültigen - Versagung von Leistungen an die Klägerin. Soweit im erstinstanzlichen Klageverfahren zunächst auch vom Lebensgefährten und dem Sohn der Klägerin (höhere) Leistungsansprüche für die Zeit vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 geltend gemacht worden waren, hat sich der diese Klagebegehren betreffende Rechtsstreit mit dem von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung des SG vom 08. Januar 2019 abgegebenen und von den Klägern angenommenen Teilanerkenntnis erledigt (§ 102 Abs. 2 SGG). Demzufolge war Gegenstand der Entscheidung des SG vom 13. Mai 2019 nur noch das Überprüfungsbegehren der Klägerin betreffend die ihr gegenüber ausgesprochene endgültige Versagung von Leistungen nach dem SGB II im bestandskräftigen Bescheid vom 02. Dezember 2014. Daher verfolgt die Klägerin ihr Begehren auch im Berufungsverfahren zulässig mit den kombinierten Anfechtungs-  und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG), gerichtet auf die Aufhebung des ablehnenden Überprüfungsbescheides sowie die Verpflichtung des Beklagten zur teilweisen Rücknahme des Bescheides vom 02. Dezember 2014 und zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II dem Grunde nach im Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015, weiter.

 

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin in Umsetzung des im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlusses des SG Berlin vom 22. Januar 2015 (S 59 AS 28338/14 ER) bereits Leistungen erhalten hat. Zum einen war dies nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums und auch nur vorläufig der Fall. Zum anderen hat sich der Rechtsstreit auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung des Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt im Sinne des § 107 Abs. 1 SGB X gilt (vgl. BSG, Urteile vom 03. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R -, Rn. 14, und vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R -, Rn. 15, jeweils in juris).

 

II. Die Berufung der Klägerin ist auch begründet.

 

Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung ist bereits die Klage, soweit sie gegen den Beklagten gerichtet war, begründet. Denn der die (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 02. Dezember 2014 ablehnende Bescheid des Beklagten vom 03. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 erweist sich als rechtswidrig.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X, § 40 Abs. 2 SGB Il ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beitrage zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 S. 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 S. 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 S. 3 SGB X). Im Anwendungsbereich des SGB Il tritt seit dem 01. April 2011 gemäß § 40 Abs. 2 SGB Il an die Stelle des Zeitraumes von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr.

 

Ausgehend hiervon hat die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 02. Dezember 2014, da dieser rechtswidrig die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2015 (Bewilligungszeitraum) abgelehnt hatte.

 

Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB II, konkret den §§ 19 ff. SGB II i.V.m. §§ 7 ff. SGB II. Anzuwenden sind diese Vorschriften in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung (Geltungszeitraumprinzip; vgl. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2016 - B 14 AS 53/15 R -, Rn. 14, und vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R -, Rn. 18, jeweils in juris).

 

1. Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben nach § 19 Abs. 1 SGB II erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Leistungen. Nach § 7 Abs. 3 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft

1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,

2. die im Haushalt lebenden…..,

3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten

a) ….,

b) …..,

c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,

4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern  1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

 

Die 1995 geborene Klägerin wie auch der mit ihr eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 SGB II bildende Lebensgefährte und der im November 2014 geborene gemeinsame Sohn erfüllten im streitigen Zeitraum unzweifelhaft die zuvor genannten Voraussetzungen. Sowohl die Klägerin als auch ihr Lebensgefährte waren bzw. sind erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II, hatten bzw. haben die Altersgrenze noch nicht erreicht und hatten bzw. haben gemeinsam mit dem Sohn ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ebenso war die Klägerin hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 9 SGB II.

 

Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 S. 1 SGB II). Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 S. 2 SGB II). Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben Bedarfe nach § 28 außer Betracht (§ 9 Abs. 2 S. 3 SGB II).

 

Im streitigen Zeitraum verfügten die Klägerin wie auch die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zwar nicht über Vermögen, jedoch über Einkommen, so dass die Klägerin in unterschiedlicher Höhe hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II war.

 

So setzten sich die Bedarfe der Klägerin und ihres Lebensgefährten jeweils aus dem Regelbedarf nach § 20 Abs. 1, 4 und 5 SGB II a.F. nach der Regelbedarfsstufe 2 i.H.v. 360 € monatlich, dem Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung nach § 21 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.H.v. 8,28 € monatlich und den (anteiligen) KdUH nach § 22 SGB II i.H.v. 160,20 € zusammen, d.h. es bestand ein Bedarf von insgesamt 528,48 € monatlich. Der Bedarf des Sohnes setzte sich aus dem Regelbedarf für Kinder vor Vollendung des 6. Lebensjahres nach §§ 20 Abs. 5, 23 Nr. 1 SGB II a. F.  i.H.v. 234 € monatlich, dem Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung nach § 21 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.H.v. 1,87 € monatlich und den (anteiligen) KdUH nach § 22 SGB II i.H.v. 160,20 € zusammen, d.h. es bestand dem Grunde nach ein Bedarf von insgesamt 396,07 € monatlich.

 

Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß 11 Abs. 1 S. 1 SGB II a. F. Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen (§ 11 Abs. 1 S. 3 SGB II a. F.). Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird (§ 11 Abs. 1 S. 4 SGB II a. F.). Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 11 Abs. 2 S. 1 SGB II a. F.). Dies gilt auch für Nachzahlungen von laufend fällig gewesenen Einnahmen, die nach § 11 Abs. 2 S. 1 SGB II a. F. als laufendes Einkommen zu werten sind (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2015 – B 4 AS 32/14 R -, juris).

 

Vorliegend verfügte der Lebensgefährte der Klägerin über Einkommen aus Erwerbstätigkeit (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 SGB II), welches ihm i.H.v. 442,35 € netto im Monat April 2015 und 383,59 € netto im Monat Mai 2015 zufloss. Die Klägerin selbst verfügte über ein monatliches Einkommen aus Sozialleistung in Form von Elterngeld (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 SGB II), welches ihr im Januar 2015 einschließlich der für November und Dezember 2014 nachgezahlten Beträge i.H.v. insgesamt 900 € und ab Februar 2015 regelmäßig i.H.v. 300 € monatlich zufloss. Zudem verfügte die Klägerin über ein monatliches Einkommen aus Sozialleistung in Form von Kindergeld (§ 11 Abs. 1 S. 1, 3 und 4, Abs. 2 S. 2 SGB II), welches ihr im Januar 2015 einschließlich der Beträge für November und Dezember 2014 i.H.v. 552 €, im März 2015 i.H.v. 368 € und ab April 2015 regelmäßig i.H.v. 184 € zufloss, und welches vorrangig zur Bedarfsdeckung des Sohnes heranzuziehen ist.

 

Bei dem Einkommen des Lebensgefährten der Klägerin ist der Freibetrag nach § 11b Abs. 2 a.F. i.H.v. 100 € jeweils für die Monate April und Mai 2015 in Abzug zu bringen. Zudem  ist, da das Bruttoeinkommen in den beiden Monaten nicht mehr als 1.000 € beträgt, noch ein Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11b Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3  S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB II a.F. i.H.v. 20 v.H. von 410 €, dh. i.H.v. 82 € abzusetzen. Daraus ergibt sich ein bereinigtes Einkommen für April 2015 i.H.v. 260,35 €  und für Mai 2015 i.H.V. 201,59 €. Vom Einkommen der Klägerin ist monatlich ein Pauschbetrag nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II a.F. i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (AlG II-V) in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung (a. F.) i.H.v. 30 € abzusetzen, sodass sich ein bereinigtes Einkommen für Januar 2015 i.H.v. 870 € und von Februar bis Juni 2015 i.H.v. 270 € monatlich ergibt.

 

Ausgehend hiervon lässt sich der Hilfebedarf für die Klägerin (und die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) im streitigen Zeitraum wie folgt feststellen:

 

Januar

gesamt

Klägerin

Lebensgefährte

Sohn

Regelleistung

954,00 €

360,00 €

360,00 €

234,00 €

Warmwassermehrbedarf

18,43 €

8,28 €

8,28 €

 1,87 €

KdUH

480,60 €

160,20 €

160,20 €

160,20 €

Summe

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07 €

Kindergeld

 

 

 

552,00 €

 

1.056,96 €

528,48 €

528,48 €

0 €

prozentual

 100 %

50 %

50 %

 

 

 

 

 

 

Einkommen

 

900,00 €

155,93 €

 

 

 

Freibetrag

 

 

 

 

Pauschbetrag

 

30,00 €

 

 

Anrechnung

1.025,93 €

1.025,93 €

 

 

Prozentuale Anrechnung

 

   512,96 €

512,97 €

 

Anspruch

31,03 €

15,52 €

15,51 €

0 €

[vorläufig geleistet                                 520,20 €              254,00 €              394,20 €]

 

Februar

gesamt

Klägerin

Lebensgefährte

Sohn

Regelleistung

954,00 €

360,00 €

360,00 €

234,00 €

Warmwassermehrbedarf

18,43 €

8,28 €

8,28 €

 1,87 €

KdUH

480,60 €

160,20 €

160,20 €

160,20 €

Summe

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07 €

Kindergeld

 

 

 

0 €

 

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07

prozentual

 100 %

36,3709 %

36,3709 %

27,2582 %

 

 

 

 

 

Einkommen

 

300,00 €

 

 

 

Freibetrag

 

 

 

 

Pauschbetrag

 

30,00 €

 

 

Anrechnung

270,00 €

 270,00 €

 

 

Prozentuale Anrechnung

 

98,20 €

98,20 €

73,60 €

Anspruch

1.183,03 €

430,28 €

430,28 €

322,47 €

[vorläufig geleistet                                 520,20 €              254,00 €             394,20 €]

 

 

März

gesamt

Klägerin

Lebensgefährte

Sohn

Regelleistung

954,00 €

360,00 €

360,00 €

234,00 €

Warmwassermehrbedarf

18,43 €

8,28 €

8,28 €

 1,87 €

KdUH

480,60 €

160,20 €

160,20 €

160,20 €

Summe

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07 €

Kindergeld

 

 

 

368,00 €

 

1.085,03 €

528,48 €

528,48 €

28,07 €

prozentual

 100 %

48,7065 %

48,7065 %

2,5870 %

 

 

 

 

 

Einkommen

 

300,00 €

 

 

 

Freibetrag

 

 

 

 

Pauschbetrag

 

30,00 €

 

 

Anrechnung

270,00 €

270,00 €

 

 

Prozentuale Anrechnung

 

131,51 €

131,51 €

6,98 €

Anspruch

815,03 €

396,97 €

396,97 €

21,09 €

[vorläufig geleistet                                 520,20 €              254,00 €              394,20 €]

 

April

gesamt

Klägerin

Lebensgefährte

Sohn

Regelleistung

954,00 €

360,00 €

360,00 €

234,00 €

Warmwassermehrbedarf

18,43 €

8,28 €

8,28 €

 1,87 €

KdUH

480,60 €

160,20 €

160,20 €

160,20 €

Summe

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07 €

Kindergeld

 

 

 

184,00 €

 

1.269,03 €

528,48 €

528,48 €

212,07 €

prozentual

 100 %

41,6444 %

41,6444 %

16,7112 %

 

 

 

 

 

Einkommen

 

300,00 €

 

442,35 €

 

Freibetrag

 

 

82,00 €

 

Pauschbetrag

 

30,00 €

100,00 €

 

Anrechnung

530,35 €

270,00 €

260,35 €

 

Prozentuale Anrechnung

 

220,86 €

220,86 €

88,63 €

Anspruch

738,68 €

307,62 €

307,62 €

123,44 €

[vorläufig geleistet                                 520,20 €              254,00 €              394,20 €]

 

 

Mai

gesamt

Klägerin

Lebensgefährte

Sohn

Regelleistung

954,00 €

360,00 €

360,00 €

234,00 €

Warmwassermehrbedarf

18,43 €

8,28 €

8,28 €

 1,87 €

KdUH

480,60 €

160,20 €

160,20 €

160,20 €

Summe

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07 €

Kindergeld

 

 

 

184,00 €

 

1.269,03 €

528,48 €

528,48 €

212,07 €

prozentual

 100 %

41,6444 %

41,6444 %

16,7112 %

 

 

 

 

 

Einkommen

 

300,00 €

 

383,59 €

 

Freibetrag

 

 

82,00 €

 

Pauschbetrag

 

30,00 €

100,00 €

 

Anrechnung

471,59 €

270,00 €

201,59 €

 

Prozentuale Anrechnung

 

196,39 €

196,39 €

78,81 €

Anspruch

797,44 €

332,09 €

332,09 €

133,28 €

[vorläufig geleistet                                 520,20 €              254,00 €              394,20 €]

 

Juni

gesamt

Klägerin

Lebensgefährte

Sohn

Regelleistung

954,00 €

360,00 €

360,00 €

234,00 €

Warmwassermehrbedarf

18,43 €

8,28 €

8,28 €

 1,87 €

KdUH

480,60 €

160,20 €

160,20 €

160,20 €

Summe

1.453,03 €

528,48 €

528,48 €

396,07 €

Kindergeld

 

 

 

184,00 €

 

1.269,03 €

528,48 €

528,48 €

212,07 €

prozentual

 100 %

41,6444 %

41,6444 %

16,7112 %

 

 

 

 

 

Einkommen

 

300,00 €

 

 

 

Freibetrag

 

 

 

 

Pauschbetrag

 

30,00 €

 

 

Anrechnung

270,00 €

270,00 €

 

 

Prozentuale Anrechnung

 

112,44 €

112,44 €

45,12 €

Anspruch

999,03 €

416,04 €

416,04 €

166,95 €

[vorläufig geleistet                                     0.00 €              528,48 €              212,07 €]

 

2. Die Klägerin war auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in der hier maßgeblichen, bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung (a.F.) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

 

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von den leistungsberechtigten Personen im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. und des § 7 Abs. 2 SGB II a.F. ausgenommen. Von diesem Leistungsausschluss umfasst sind erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen (vgl. BSG, Urteile vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 34/20 R -, Rn. 15, 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R -, Rn. 22 ff, und 03.  Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R -, Rn. 19 ff, jeweils in juris; so seit dem 29. Dezember 2016 auch § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB II).

 

Die Ausschlussregelung erfordert bei Unionsbürgern regelmäßig eine fiktive Prüfung des Grundes bzw. der Gründe der Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die Feststellung eines Aufenthaltsrechts „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“ im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. (BSG, Urteil vom 30.  Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R -, Rn. 23, 24, juris).

 

Vorliegend war die Klägerin im streitigen Zeitraum zwar nicht als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU a.F. oder als selbständige Erwerbstätige nach § 2 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 FreizügigG/EU a.F. freizügigkeitsberechtigt, da sie weder zuvor noch im streitigen Zeitraum eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte. Mangels einer vorangegangenen Beschäftigung als Arbeitnehmerin kommt  auch eine hieran anknüpfende Freizügigkeitsberechtigung im Rahmen der Verlängerungstatbestände nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU a.F. oder nach der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendung des Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auch auf Arbeitnehmerinnen, die ihre Erwerbstätigkeit wegen der körperlichen Belastungen im Spätstadium ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt des Kindes aufgeben und innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Geburt ihre Beschäftigung wieder aufnehmen oder eine andere Stelle finden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 - C-507/12 - „Saint Prix“, Rn. 32, 49 ff, juris), nicht in Betracht.

 

Ebenso wenig verfügte die Klägerin im streitigen Zeitraum über ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU a.F.. Nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU a.F. haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Diese Voraussetzungen waren bei der Klägerin, die sich seit dem 20. August 2010 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, frühestens im August 2015 erfüllt.

 

Jedoch hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum ein (abgeleitetes) Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 3 FreizügG/EU a.F.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU a.F. haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Familienangehörige sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind.

 

Die  1995 geborene Klägerin ist noch vor Vollendung des 15. Lebensjahres im August 2010 zu ihrer in Deutschland (B) lebenden Mutter nachgezogen und hat mit ihr in einem Haushalt gelebt und eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II gebildet, bis sie im Juni 2014 im Alter von 19 Jahren zu ihrem Lebensgefährten, dem Vater des im November 2014 geborenen gemeinsamen Sohnes, umgezogen ist. Im streitigen Zeitraum hatte die Klägerin auch noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet.

 

Die Mutter der Klägerin war  als Unionsbürgerin – wie vom Jobcenter B M mit Schreiben vom 07. Juli 2022 bestätigt - bis Ende 2014 nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. und auch danach im streitigen Zeitraum gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 2  Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU a.F. als Arbeitnehmerin freizügigkeitsberechtigt.           

 

Gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU a.F. haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU a.F. sind freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU a.F. bleibt das Recht nach Absatz 1 für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.                                                                                                                                                                                                                                                                                              

 

Die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Rechts der Europäischen Union, d.h. im Sinne des Art. 45 AEUV beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf Rechte und Pflichten kennzeichnen (EuGH, Urteile vom 06. November 2003 - C-​413/01 - Ninni-​Orasche, Rn. 24, und vom 21. Februar 2013 - C-​46/12 -, Rn. 40, jeweils in juris). Arbeitnehmer in diesem Sinne ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (EuGH, Urteile vom 06. November 2003 - C-​413/01 - Ninni-​Orasche, Rn. 26 m.w.N., 14. Juni 2012 - C-​542/09 - Kommission/Niederlande, Rn. 68, 26. März 2015 - C-​316/13 – Fenoll, Rn. 27, und vom 16. Juli 2020 - C-​658/18 – Governo della Repubblica italiana, Rn. 93, jeweils in juris; im Anschluss daran etwa BSG, Urteile vom 12. September 2018 - B 14 AS 18/17 R -, Rn. 19, 27. Januar 2021 - B 14 AS 42/19 R -, Rn. 17, und - B 14 AS 25/20 R -, Rn. 19, sowie vom 29. März 2022 – B 4 AS 2/21 R -, Rn. 19, jeweils in juris). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urteile vom 06. November 2003 - C-​413/01 - Ninni-​Orasche, Rn. 24, und vom 14. Juni 2012 - C-​542/09 - Kommission/Niederlande, Rn. 68, jeweils in juris; BSG, Urteil vom 12. Mai 2021 - B 4 AS 34/20 R -, Rn. 18, juris). Die beschränkte Höhe dieser Vergütung und der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur eine geringe Anzahl an Wochenstunden arbeitet, schließen indes nicht aus, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmerstatus begründen kann (EuGH, Urteil vom 04. Februar 2010 - C-​14/09 – Genc, Rn. 26, juris; BSG, Urteil vom 12. September 2018 - B 14 AS 18/17 R -, Rn. 19 m.w.N., juris). Auch die Dauer der von dem Betroffenen ausgeübten Tätigkeit ist ein Gesichtspunkt, den das innerstaatliche Gericht bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen hat, ob es sich hierbei um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt oder ob sie vielmehr einen so geringen Umfang hat, dass sie nur unwesentlich und untergeordnet ist (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Februar 1992 - C-​357/89 - Raulin, Rn. 14, und vom 04. Februar 2010 - C-​14/09 - Genc, Rn. 26, jeweils nach juris).

 

Für die Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist mithin Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer (BSG, Urteile vom 29. März 2022 – B 4 AS 2/21 R -, Rn. 20, sowie vom 27. Januar 2021 - B 14 AS 42/19 R -, Rn. 21 m.w.N., und - B 14 AS 25/20 R -, Rn. 24 m.w.N., jeweils in juris). Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen. Der maßgeblichen Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des EuGH ein weites Verständnis zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 - B 14 AS 42/19 R -, Rn. 21 m.w.N., juris). Für die Beurteilung, ob eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt, sind die nationalen Gerichte zuständig, denn sie allein verfügen über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts und sind am besten in der Lage, die erforderlichen Prüfungen vorzunehmen (EuGH, Urteil vom 04. Februar 2010 - C-​14/09 - Genc, Rn. 32, juris; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 19. April 2012 - 1 C 10/11 -, Rn. 15, juris).

 

Ausgehend von diesen Kriterien bestehen für den Senat keine Zweifel daran, dass die von der Mutter der Klägerin von Mai 2013 bis Dezember 2014 in einem Privathaushalt ausgeübte Tätigkeit als Haushaltshilfe mit einer monatlichen Vergütung i.H.v. 400 € die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von Art. 45 AEUV begründete. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung vom 01. Mai 2013 zugrunde, der auch die Höhe der Entlohnung entsprach. Die Entgeltzahlung ist durch Vorlage von Bar-Quittungen bzw. vom Arbeitgeber ausgestellten Einkommensbescheinigungen gegenüber dem Jobcenter B M belegt. Dass es sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit gehandelt hat, ergibt sich auch aus der Höhe der gezahlten Vergütung von 400 € monatlich. Diese spricht deutlich gegen eine Tätigkeit von so geringem Umfang, dass sie nur als völlig unwesentlich und untergeordnet anzusehen wäre. Da die Tätigkeit mehr als ein Jahr andauerte, ist auch nach dem unfreiwilligen Verlust der Arbeitsstelle Ende Dezember 2014 und dadurch verursachter Arbeitslosigkeit im streitigen Zeitraum gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU a.F. der Arbeitnehmerstatus nicht entfallen.

 

Dem von der Mutter abgeleiteten Aufenthaltsrecht steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Klägerin im Juni 2014 zu ihrem Lebensgefährten und Vater des im November 2014 geborenen gemeinsamen Kindes gezogen ist. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 15. Januar 2012 (B 14 AS 138/11 R, Rn. 22 ff, juris, m.w.N.) dazu ausgeführt:

„Aus den Worten „begleiten“ bzw. „nachziehen“ in § 3 Abs. 1 bzw. § 4 FreizügG/EU kann nicht der Schluss gezogen werden, dass - wie das SG meint - das Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nur besteht, wenn der freizügigkeits-berechtigte Unionsbürger, hier die Eltern bzw. der Vater, und der begleitende Familienangehörige auf Dauer in einer gemeinsamen Wohnung wohnen.( ………) Allein der Umstand, dass die Klägerin zu 1 vor Geburt des Klägers zu 2 aus ihrem Elternhaus ausgezogen ist und eine eigene Wohnung angemietet hat, lässt das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehörige somit nicht entfallen.“

 

Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall der Klägerin, die vor der Geburt ihres Sohnes aus der Wohnung ihrer Mutter ausgezogen ist, um mit dem Vater ihres Sohnes in einer Wohnung zusammen zu leben.

 

Demzufolge hatte die Klägerin (auch) im Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Der angefochtene Überprüfungsbescheid vom 03. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2015 war daher aufzuheben sowie der Beklagte zur Änderung des Bescheides vom 02. Dezember 2014 und im Wege eines Grundurteils nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB Il für den Zeitraum vom 01. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2015 zu verpflichten. Der Beklagte hat über die tatsächliche Höhe der der Klägerin (und den Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft) nach dem SGB II zustehenden Grundsicherungsleistungen sowie über eventuell aufgrund der hohen vorläufigen Leistungen entstandene Erstattungsansprüche in einem anschließenden Verwaltungsverfahren abschließend zu entscheiden.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG und trägt dem Erfolg in der Hauptsache Rechnung.

 

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, insbesondere weicht der Senat nicht von der gefestigten Rechtsprechung des BSG ab, sondern folgt ihr.

Rechtskraft
Aus
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