L 34 AS 1588/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 6525/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 1588/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
  1. Sofern die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich oder unzumutbar ist, sind im Rahmen des Anspruchs auf Leistungen der Schülerbeförderung nach § 28 Abs. 4 SGB II auch die Aufwendungen für Pkw-Fahrten zu berücksichtigen.

 

  1. Die Aufwendungen, die durch Fahrten mit dem Pkw von der Wohnung eines Elternteils zur Schule und von der Schule zurück entstehen, sind unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am Fahrzeug grundsicherungsrechtlich dem Bedarf des Schülers zuzuordnen.

 

  1. Fahrtkosten bei Nutzung eines Kraftfahrzeugs sind im Rahmen des § 28 Abs. 4 SGB II durch Rückgriff auf Kilometerpauschalen zu bestimmen. In Anlehnung an § 5 Abs. 1 BRKG sind 0,20 € pro Kilometer zugrunde zu legen.

 

  1. Es sind nicht lediglich die Aufwendungen für solche Fahrten zu berücksichtigen, in denen sich der zu befördernde Schüler in dem von dem Elternteil geführten Pkw befindet. Vielmehr umfasst der Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II auch solche weiteren Fahrten, die zwingend oder zumindest vernünftigerweise mit der Beförderung zur Schule und / oder von der Schule zurück einhergehen; dies sind namentlich Fahrten, welche der befördernde Elternteil alleine zurücklegen muss, um nach dem Absetzen des Schülers an der Schule wieder nach Hause zu gelangen oder um den Schüler nach Beendigung des Unterrichts dort abzuholen.

Im Streit steht die Berücksichtigung von Aufwendungen für Schülerbeförderung in der Zeit von Januar bis Juli 2015.

 

Der  1996 geborene Kläger leidet u. a. an einer Autismus-Spektrum-Störung und an Epilepsie. Der vom Versorgungsamt festgestellte Grad der Behinderung (GdB) beträgt 80; außerdem sind die Merkzeichen B, G und H zuerkannt. Die zuständige Senatsverwaltung stellte beim Kläger bereits 2003 sowie erneut 2012 einen sonderpädagogischen Förderbedarf fest.

 

Die Eltern des Klägers sind seit geraumer Zeit geschieden. Im streitigen Zeitraum lebten sie in getrennten Wohnungen in B, die Mutter in der G Straße  in A , der Vater im Kweg  in B. Der Kläger war unter der Anschrift des Vaters gemeldet. Tatsächlich hielt er sich gemäß einer zwischen seinen Eltern getroffenen Absprache teils im Haushalt der Mutter und teils im Haushalt des Vaters auf. Beide Eltern waren als Betreuer des Klägers bestellt, wobei jeder von ihnen einzeln vertretungsberechtigt war.

 

Der Beklagte gewährte dem Kläger und seiner Mutter ab Mitte 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

 

Im streitigen Zeitraum besuchte der Kläger die PSchule in B. Hierbei handelt es sich um eine Waldorfschule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“. Die Entfernung zwischen der damaligen Wohnung der Mutter des Klägers und der Schule beläuft sich auf 26,3 km. Der Kläger wurde von seiner Mutter an Tagen, an denen er sich bei ihr aufhielt, mit dem Pkw zur Schule gefahren und / oder dort von ihr abgeholt. Den Pkw hatte die Mutter nach eigenen Angaben von ihrem Vater – dem Großvater des Klägers – zur Verfügung gestellt bekommen, wobei sie die mit der Nutzung verbundenen Aufwendungen wie Benzin- und Reparaturkosten sowie Versicherungsbeiträge zu tragen hatte.

 

Am 31. Oktober 2014 sowie am 8. Mai 2015 stellte die Mutter des Klägers beim Beklagten für sich und den Kläger jeweils Weiterbewilligungsanträge. Außerdem beantragte sie jeweils die Übernahme der Fahrtkosten für die Fahrten zur Schule des Klägers. Sie gab an, dass der Kläger keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen könne. Das Licht, die Geräusche und die vielen Menschen würden Stress und epileptische Anfälle bei ihm auslösen. Von der Wohnung seines Vaters zur Schule stehe dem Kläger ein Fahrdienst zur Verfügung. Da dieser Fahrdienst nur ein Mal gewährt werde, könnten sie und der Kläger nicht darauf zurückgreifen.

 

Der Beklagte bewilligte daraufhin dem Kläger und dessen Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2015 sowie von Juni bis November 2015. Den Kläger berücksichtigte sie als temporäres Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.

 

Unter dem 18. Juni 2015 erstellte die Bundesagentur für Arbeit auf Veranlassung des Beklagten ein medizinisches Gutachten über den Kläger. Sie gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund der bei ihm bestehenden Behinderungen dauerhaft außerstande sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Weiter heißt es in dem Gutachten, dass dem Kläger die eigenständige Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zugemutet werden könne.

 

Der Beklagte forderte den Kläger anschließend auf, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen, und informierte den Sozialhilfeträger über das Ergebnis des Gutachtens. Er zahlte dem Kläger noch bis einschließlich September 2015 Leistungen nach dem SGB II.

 

Am 2. Juni 2016 reichte die Mutter des Klägers beim Beklagten eine Aufstellung ein, in der im Einzelnen dokumentiert ist, an welchen Tagen sie den Kläger in der Zeit von Januar bis Juli 2015 mit dem Auto zur Schule gebracht und / oder ihn dort abgeholt hatte. Insgesamt gehen daraus 74 Fahrten mit dem Kläger „an Bord“ hervor, die an 72 verschiedenen Tagen durchgeführt wurden.

 

Mitte September 2016 legte sie außerdem ein an sie gerichtetes Schreiben des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf (Abteilung Bildung, Kultur, Sport und Bürgerdienste – Schulamt) vom 8. September 2016 vor. Darin heißt es, dass der Kläger vom Wohnort der Mutter   in der Zeit von Mai 2012 bis August 2015 nicht habe befördert werden können.

 

Mit Bescheid vom 25. November 2016, gerichtet an den Kläger (über seine Mutter als gesetzliche Vertreterin), lehnte der Beklagte die Anträge aus Oktober 2014 und Mai 2015 auf Leistungen für Schülerbeförderung ab. Er führte aus, dass die Prüfung vorrangiger Leistungsträger aufgrund fehlender Unterlagen nicht erfolgen könne und die Übernahme von Schülerbeförderungskosten daher abgelehnt werden müsse.

 

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er machte geltend, dass das Bezirksamt entgegen dem Vorbringen des Beklagten nicht vorrangiger Leistungsträger sei. Er habe im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB II bezogen; demzufolge sei auch der Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten im Anwendungsbereich des SGB II begründet. 

 

Daraufhin hob der Beklagte den Bescheid vom 25. November 2016 mit Bescheid vom 20. Februar 2017 wieder auf. Weiter verfügte er: „Fahrtkosten für [den Kläger] werden als Mehrbedarf im Sinne des § 28 SGB II für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.07.2015 bewilligt. Die weiteren Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem Ihnen gesondert zugehenden Bescheid.“

 

Sodann gewährte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 1. März 2017 unter Hinweis auf §§ 28, 29 SGB II Leistungen der Schülerbeförderung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2015 in Höhe von insgesamt 399,60 €. Seiner Berechnung legte er 74 Fahrten, eine einfache Wegstrecke von 27 km (kürzeste Route: 26,3 km, aufgerundet auf 27 km) sowie eine Pauschale von 0,20 € pro Entfernungskilometer zugrunde (74 Fahrten x 27 km x 0,20 € = 399,60 €). Er führte aus, dass dem Widerspruch des Klägers mit dieser Entscheidung in vollem Umfang abgeholfen sei.

 

Der Kläger verfolgte seinen Widerspruch indes anschließend weiter. Er machte geltend, dass die vom Beklagten durchgeführte Berechnung fehlerhaft und eine vollumfängliche Abhilfe des Widerspruchs somit gar nicht erfolgt sei. Richtig sei zwar, dass die Wegstrecke zur Schule 27 km betrage. Seine Mutter habe jedoch hinzukommend jeweils auch den Rückweg antreten müssen. Insofern seien 3.996 Kilometer (statt: 1.998 Kilometer) zurückgelegt worden und belaufe sich der Erstattungsbetrag auf 799,20 € (statt: 399,60 €). Der Beklagte habe also erst die Hälfte der angefallenen Kosten erstattet.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte aus, dass die Höhe der zu übernehmenden Fahrtkosten analog dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) zu berechnen sei. Danach sei von der kürzesten Straßenverbindung – einfache Wegstrecke – und einer Pauschale von 0,20 € pro Kilometer auszugehen. Auf dieser Grundlage sei zutreffend ein Betrag von 399,60 € ermittelt worden.

 

Am 18. Mai 2017 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Er hat zunächst einen Anspruch auf weitere Leistungen für Schülerbeförderung in Höhe von 778,48 € geltend gemacht, ausgehend von einer insgesamt gefahrenen Strecke von 3.892,40 km (2 x 74 Fahrten x 26,3 km) und einer Pauschale von 0,20 € pro Kilometer. Nach richterlichem Hinweis, dass Leistungen in Höhe von 399,60 € bereits bewilligt worden seien, hat der Kläger die geltend gemachte Klageforderung auf einen Betrag in Höhe von 378,88 € (778,48 € - 399,60 €) beschränkt.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Juli 2018 abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass dem Kläger über die bereits bewilligten 399,60 € hinaus kein Anspruch auf Übernahme weiterer Schülerbeförderungskosten nach § 28 Abs. 4 SGB II zustehe. Der Kläger habe nicht im Einzelnen nachgewiesen, in welcher Höhe tatsächlich Kosten für die Beförderung angefallen seien. Ob eine Pauschalierung der Aufwendungen grundsätzlich in Betracht komme, könne dahinstehen, da selbst dann, wenn dies der Fall wäre, eine Pauschale von mehr als 0,10 € pro gefahrenem Kilometer nicht zu berücksichtigen wäre. Die Kammer erachte die Bezugnahme des Beklagten auf das BRKG als unzutreffend. Vielmehr würden die in der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld (ALG II-V) angegebenen Werte eine Richtschnur für die mögliche Höhe von Fahrtkostenpauschalen im System des SGB II darstellen. Die Berücksichtigung von 0,10 € ergebe sich aus dem Grundgedanken des § 3 Abs. 7 ALG II-V. Soweit § 6 Abs. 1 Nr. 5 ALG II-V die Absetzung eines Pauschbetrags von 0,20 € vorsehe, beziehe sich dieser Betrag auf die einfache Wegstrecke, also nicht die Hin- und Rückfahrt; eine höhere Pauschale als 0,10 € pro gefahrenem Kilometer lasse sich somit im Ergebnis auch aus dieser Vorschrift nicht herleiten. Aufgrund der Tatsache, dass der Beklagte bereits 0,20 € pro Streckenkilometer berücksichtigt und dem Kläger 399,60 € bewilligt habe, könne dahinstehen, ob die Pauschale nur für die Strecken zu gewähren sei, in denen sich der zu befördernde Schüler ebenfalls im Pkw befinde, oder ob auch die von den befördernden Eltern alleine gefahrenen Strecken zu berücksichtigen seien. Selbst wenn Hin- und Rückweg zu berücksichtigen wären, käme aufgrund der Pauschale von 0,10 € pro Kilometer allenfalls ein Anspruch des Klägers in Höhe von 389,24 € (3.892,40 km x 0,10 €) und damit in geringerer Höhe als vom Beklagten bereits bewilligt in Betracht. Ob die Kosten, die der Mutter des Klägers für die Hin- und Rückfahrten ohne den Kläger entstanden seien, unter Umständen einen Mehrbedarf der Mutter selbst (z. B. nach § 21 Abs. 6 SGB II) darstellten, sei im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden gewesen, da nur der Kläger Beteiligter des Verfahrens sei.

 

Im Tenor des Urteils hat das Sozialgericht lediglich Aussprüche zur Hauptsache („Die Klage wird abgewiesen.“) und zu den Kosten („Kosten sind nicht zu erstatten“) getätigt. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es am Ende: „Die Berufung gegen das Urteil ist statthaft, da sie nach Auffassung der Kammer zuzulassen war.“ Dem schließen sich Ausführungen zur Frage der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtgesetz (SGG) an.

 

Gegen das ihm am 31. Juli 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. August 2018 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter und trägt vor: Nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 4 SGB II seien die notwendigen tatsächlichen Kosten zu übernehmen, was die Kosten für die gefahrenen Kilometer sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg umfasse. Seine Mutter habe unabhängig davon, ob sie ihn lediglich gebracht oder abgeholt habe, auch den Rückweg antreten müssen. Er habe durch den Transport durch die Mutter die kostengünstigste Alternative in Anspruch genommen, um seine Beförderung sicherzustellen. Bereits in Anbetracht dessen, dass bei der Beauftragung eines Beförderungsunternehmens in die Kostenkalkulation auch die Anfahrt, der eigentliche Transport und die Abfahrt mit einbezogen werden müssten und diese Kosten durch den Beklagten auch übernommen worden wären, sei es nicht nachvollziehbar, warum bei einem privaten Transport Kosten, welche für die An- und Abfahrt seiner Mutter, insofern der Transportperson, angefallen seien, nicht durch den Beklagten zu tragen seien. Die vom Sozialgericht befürwortete indirekte Anwendbarkeit des § 3 Abs. 7 ALG II-V und des § 6 Abs. 1 Nr. 5 ALG II-V im Rahmen der Gewährung von Schülerbeförderungskosten sei fraglich. Es handle sich um eine Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld. Streitgegenständlich sei jedoch nicht sein Einkommen, vielmehr gehe es um seine Aufwendungen. Das Bundessozialgericht habe im Rahmen eines Mehrbedarfs für die Ausübung des Umgangsrechts die Anwendbarkeit des BRKG bereits ausdrücklich bestätigt (Hinweis auf BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R). Weshalb in der vorliegenden Konstellation, in welcher es rein technisch ebenso um einen Mehrbedarf gehe, die ALG II-V Anwendung finden sollte, erschließe sich nicht. Soweit das Sozialgericht darauf abstelle, dass ein tatsächlicher Nachweis der angefallenen Kosten nie erbracht worden sei, sei dies irrelevant. Bereits aus Praktikabilitäts- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten könne ein solcher Nachweis vom Leistungsempfänger nicht verlangt werden.

 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2018 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 31. Juli 2015 weitere Leistungen der Schülerbeförderung in Höhe von 378,88 € zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

 

Er macht geltend, dass die Berufung unzulässig sei. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteige nicht 750,- € und das Sozialgericht habe die Berufung im angefochtenen Urteil auch nicht ausdrücklich zugelassen. Es fehle an einer eindeutigen Erklärung hierzu im Tenor. Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen seien nicht eindeutig formuliert. In der Sache stehe dem Kläger auch kein weitergehender Anspruch auf Leistungen nach § 28 Abs. 4 SGB II zu. Bei Schülern, die aufgrund von Behinderungen auf besondere Beförderungsmittel angewiesen seien, seien nach den seinerzeit gültigen Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung die tatsächlich entstehenden Beförderungskosten als Bedarf zu berücksichtigen, wobei bei Nutzung des eigenen Pkw nur die Fahrten mit dem Kind zur Schule und mit dem Kind von der Schule zurück übernahmefähig seien. Streitgegenständlich seien eigene Ansprüche des Klägers. Soweit die Mutter des Klägers einen Rückweg zu bewältigen gehabt habe, gehe es nicht um Ansprüche des Klägers, dessen Rückweg ja durch den Vater bzw. den bezirklichen Fahrdienst gesichert und gezahlt worden sei. Ein Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II scheide aus, soweit die Kosten für die Schülerbeförderung vorrangig z. B. durch Leistungen der Eingliederungshilfe oder durch Leistungen nach § 36 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung (Sonderpädagogikverordnung – SopädVO) gedeckt würden. Hinsichtlich der Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen seien keine Nachweise erbracht worden.

 

Die Beteiligten haben unter dem 9. bzw. 16. August 2022 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte über die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben. Die Berufung hat ganz überwiegend Erfolg. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch Zahlung weiterer Leistungen der Schülerbeförderung in Höhe von 343,88 €.   

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung der Bescheid des Beklagten vom 1. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2017. Der Kläger begehrt höhere Leistungen für Schülerbeförderung für die in der Zeit von Januar bis Juli 2015 zurückgelegten Fahrten. Bei den hier im Streit stehenden Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand; der Anspruch kann isoliert gerichtlich durchgesetzt werden (BSG, Urteil vom 17. März 2016 – B 4 AS 39/15 R –, SozR 4-4200 § 28 Nr. 9, juris Rn. 13). Es handelt sich um einen Individualanspruch desjenigen Kindes, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, der den entsprechenden Bedarf geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 12/13 R –, SozR 4-4200 § 28 Nr. 8, juris Rn. 13).

 

II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie nach §§ 143, 144 SGG statthaft. Die Berufung bedurfte – wie das Sozialgericht richtig erkannt hat – der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750,- € nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das Sozialgericht hat die Zulassung der Berufung auch ausgesprochen. Unschädlich ist, dass dieser Ausspruch nicht im Tenor erfolgt ist. Die Zulassung eines Rechtsmittels ist auch dann wirksam, wenn sie – statt wie an sich geboten im Urteilstenor – in den Entscheidungsgründen mitgeteilt wird, sofern nur der Ausspruch eindeutig ist (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2021 – B 14 AS 73/20 R –, SozR 4-4200 § 41a Nr. 3, juris Rn. 11). Dies aber ist hier der Fall. Das Sozialgericht hat zum Ende der Entscheidungsgründe unmissverständlich kundgetan, dass die Berufung nach Auffassung der Kammer zuzulassen war und hat sodann noch kurz begründet, weshalb die Rechtssache aus Sicht der Kammer grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Der Senat ist gemäß § 144 Abs. 3 SGG an die Zulassung der Berufung gebunden.

 

III. Die Berufung ist ganz überwiegend begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf weitere Leistungen für Schülerbeförderung in Höhe von 343,88 € für die im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2015 zurückgelegten Fahrten. Ein darüber hinaus gehender Anspruch steht dem Kläger allerdings nicht zu.

 

1. Rechtliche Grundlage für Leistungen der Schülerbeförderung sind die §§ 19 Abs. 2, 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II i. V. m. §§ 7 ff. SGB II, jeweils in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung (Geltungszeitraumprinzip; vgl. etwa BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R –, SozR 4-4200 § 11 Nr. 78, juris Rn. 14 f.).

 

a) Der Kläger erfüllte im streitigen Zeitraum die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht, war hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Seine Erwerbsfähigkeit war, da noch kein Feststellungsverfahren (vgl. § 44a SGB II) eingeleitet worden war, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 25/20 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 59, juris Rn. 13; BSG, Urteil vom 21. Juli 2021 – B 14 AS 31/20 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 118, juris Rn. 21).

 

b) Nach § 28 Abs. 4 SGB II in der hier maßgeblichen und auch im Folgenden allein zitierten Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 7. Mai 2013 (BGBl. I, S. 1167) werden bei Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten (Satz 1). Als zumutbare Eigenleistung gilt in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,- € monatlich (Satz 2).

 

§ 19 Abs. 2 SGB II regelt ergänzend hierzu zwei Vorrangtatbestände. Danach ist unter den Voraussetzungen des § 28 SGB II ein Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe nur gegeben, soweit die betreffende Person keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII hat (Satz 1). Soweit für Kinder Leistungen zur Deckung von Bedarfen für Bildung und Teilhabe nach § 6b Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gewährt werden, haben sie keinen Anspruch auf entsprechende Leistungen zur Deckung von Bedarfen nach § 28 SGB II (Satz 2).

 

2. Der Senat hat die einzelnen Voraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen für Schülerbeförderung nach §§ 28 Abs. 4 und 19 Abs. 2 SGB II hier nicht zu prüfen. Vielmehr hat er lediglich zu beurteilen, ob der Beklagte die Höhe der Leistungen zutreffend festgesetzt hat. Aufgrund des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 20. Februar 2017 steht nämlich bereits bindend fest, dass der Kläger vom Beklagten für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2015 dem Grunde nach Leistungen der Schülerbeförderung verlangen kann (dazu unter a). Unter Berücksichtigung der bereits gewährten Leistungen der Schülerbeförderung in Höhe von 399,60 € hat der Beklagte einen Betrag in Höhe von weiteren 343,88 € an den Kläger zu zahlen (dazu unter b).

 

a) Der Bescheid vom 20. Februar 2017 regelt, dass „Fahrtkosten … als Mehrbedarf im Sinne des § 28 SGB II für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.07.2015 bewilligt“ werden, und dass lediglich die „weiteren Einzelheiten“ dem „gesondert zugehenden Bescheid“ zu entnehmen sind. Der Kläger hat den Verwaltungsakt vom 20. Februar 2017 nicht angefochten, sodass dieser gemäß § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden ist.

 

Die Reichweite der Bindungswirkung eines Bescheids ist durch Auslegung zu ermitteln (Becker, in: BeckOGK, SGG, § 77 Rn. 20), wobei Maßstab für die Auslegung von Verwaltungsakten der objektive Empfängerhorizont ist (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – B 14 AS 9/17 R –, SozR 4-1300 § 45 Nr. 19, juris Rn. 21-22 m. w. N.). Die Auslegung des Bescheids vom 20. Februar 2017 ergibt, dass der Beklagte damit dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Schülerbeförderung für den streitbefangenen Zeitraum anerkannt hat. Hierfür spricht zum einen der Wortlaut des Bescheids, nach dem ohne weitere Vorbehalte „Fahrtkosten … bewilligt“ wurden; nur hinsichtlich der „weiteren Einzelheiten“ wurde auf einen noch zu ergehenden gesonderten Bescheid verwiesen. Ferner spricht für diese Auslegung, dass der Beklagte seine Entscheidung über die Anträge auf Leistungen der Schülerbeförderung mehrstufig ausgestaltet hat. Ein verständiger Empfänger konnte und musste dieses Vorgehen dahin verstehen, dass mit dem zunächst ergangenen Bescheid (vom 20. Februar 2017) nicht nur der vorangegangene Ablehnungsbescheid (vom 25. November 2016) aufgehoben, sondern zugleich alle Voraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen der Schülerbeförderung vorab bindend bejaht werden sollten, während mit dem sodann ergangenen Bescheid – dem hier angefochtenen Bescheid vom 1. März 2017 – nur noch über die Höhe der Leistungen befunden werden sollte. Anders wäre nicht sinnvoll zu erklären, weshalb der Beklagte separate Bescheide erlassen hat. 

 

b) Was die sonach vom Senat allein zu beurteilende Höhe der Leistungen angeht, so bestimmt § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II, dass die „tatsächlichen Aufwendungen“ berücksichtigt werden, allerdings nur, soweit sie „erforderlich“ sind.

 

aa) Der Beklagte geht zunächst zu Recht davon aus, dass im vorliegenden Fall die Aufwendungen für die Nutzung eines Pkw zu berücksichtigen waren. Zwar ist der Leistungsberechtigte im Hinblick auf das die Höhe des Anspruchs begrenzende Kriterium der Erforderlichkeit grundsätzlich gehalten, die kostengünstigste Variante der Bedarfsdeckung zu wählen bzw. hat nur Anspruch auf Leistungen in dieser Höhe. In der Regel sind dies die Aufwendungen für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in Form einer Schülermonats- oder Jahreskarte (Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 28 Rn. 70). Der Anspruch ist hierauf aber nicht zwingend beschränkt. Sofern die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich oder unzumutbar ist, sind vielmehr auch die Aufwendungen für Pkw-Fahrten zu übernehmen (vgl. Leopold/Buchwald, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 28 Rn. 136). So liegt der Fall hier. Der Kläger leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung sowie an Epilepsie. Der vom Versorgungsamt festgestellte GdB beträgt 80; außerdem sind die Merkzeichen B, G und H zuerkannt. Die eigenständige Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem Kläger ausweislich des Gutachtens der Bundesagentur für Arbeit vom 18. Juni 2015 nicht möglich. Darüber hinaus ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger Fahrten mit Bus / Bahn auch nicht in Begleitung seiner Mutter zumutbar hätte bewerkstelligen können, denn Beschwerden entwickeln sich bei ihm gerade im Zusammenhang mit Licht- und Geräuscheindrücken sowie der Ansammlung von Menschen. Dies ergibt sich nicht nur aus den glaubhaften Schilderungen seiner Mutter, sondern wurde auch durch den persönlichen Eindruck, den der Kläger im Erörterungstermin vermittelt hat, untermauert.

 

bb) Der Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen im Rahmen des § 28 Abs. 4 SGB II steht nicht entgegen, dass der Kläger selbst nicht Eigentümer des Pkw war, in dem er befördert wurde. Denn die Aufwendungen, die durch die Fahrten von der Wohnung seiner Mutter zur Schule und von der Schule zurück entstanden sind, sind unabhängig von den zivilrechtlichen Verhältnissen am Fahrzeug grundsicherungsrechtlich seinem Bedarf zuzuordnen (vgl. zur Übernahme von Fahrtkosten für den Schulbesuch im Rahmen der Eingliederungshilfe LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 5382/14 –, juris Rn. 28 und 29; vgl. ferner Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 28 Rn. 70: „Es kommen … auch Aufwendungen für die Benutzung des … elterlichen Kfz in Betracht.“). Darauf, ob der Kläger seiner Mutter bzw. seinem Großvater entsprechende Auslagen zu erstatten hatte, kommt es ebenfalls nicht an (vgl. erneut LSG Baden-Württemberg, a. a. O., Rn. 29). Dem Kläger darf kein Nachteil daraus erwachsen, dass er auf die Inanspruchnahme kostenintensiver Transportmöglichkeiten (z. B. Taxi) verzichtet und stattdessen auf familiäre Hilfe zurückgegriffen hat.

 

cc) Der Beklagte geht weiter zutreffend davon aus, dass die Fahrtkosten bei Nutzung eines Kraftfahrzeugs durch Rückgriff auf Kilometerpauschalen zu bestimmen und dass insoweit 0,20 € pro Kilometer zugrunde zu legen sind.

 

Bei Nutzung des eigenen bzw. – wie hier – des aus dem Kreis der Familie zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs bestehen besondere Schwierigkeiten, die konkret angefallenen Kosten nachzuweisen. Gründe der Verwaltungspraktikabilität sprechen dafür, den tatsächlich zu deckenden Bedarf durch Berücksichtigung von Kilometerpauschalen zu bestimmen. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 4. Juni 2014 (B 14 AS 30/13 R – SozR 4-4200 § 21 Nr. 18) ausgeführt, dass eine Kilometerpauschale von 0,20 € in Anlehnung an § 5 Abs. 1 BRKG „unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedenfalls nicht zu hoch gegriffen“ sei (Rn. 28). Zugleich hat es dargelegt, dass sich eine Anknüpfung an die Pauschbeträge der Alg II-V verbiete (Rn. 29). Die Alg II-V habe schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung; sie sei nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regle als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden.

 

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 4. Juni 2014 ist zwar nicht zu Schülerbeförderungskosten nach § 28 Abs. 4 SGB II ergangen; vielmehr stand dort ein Mehrbedarf wegen Ausübung des Umgangsrechts (§ 21 Abs. 6 SGB II) im Streit. Die Ausführungen des Bundessozialgerichts zur Bemessung der Fahrtkosten lassen sich aber ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen, da keine Gründe vorliegen, den Bedarf bei Nutzung eines Pkw im Rahmen des § 28 Abs. 4 SGB II abweichend zu ermitteln. Insofern hat der Senat keine Bedenken, für die Bestimmung der Fahrtkosten eine Kilometerpauschale von 0,20 € zugrunde zu legen.

 

Mit seinem Urteil vom 26. Januar 2022 (B 4 AS 81/20 R – juris) ist das Bundessozialgericht nicht von der oben zitierten Entscheidung vom 4. Juni 2014 abgewichen. Es hat in dieser neueren Entscheidung zwar betont, dass beim Härtefallmehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II grundsätzlich der tatsächliche Mehrbedarf zu ermitteln und gerade nicht von Pauschalen auszugehen sei (Rn. 19 ff.). Bei Nutzung des eigenen Kraftfahrzeugs hat das Bundessozialgericht den Rückgriff auf Pauschalen jedoch mit Blick auf die besonderen Schwierigkeiten, die beim Nachweis der konkret angefallenen Kosten bestehen, weiterhin als zulässig erachtet (Rn. 19 und 21). Nichts anderes kann aus Sicht des Senats gelten, wenn der Pkw, in dem der Schüler befördert wird – wie hier – aus dem Kreis der Familie gestellt wird, weil sich hier dieselben Schwierigkeiten in Bezug auf den Nachweis konkreter Kosten ergeben. Nur so kann den Erfordernissen einer Massenverwaltung in der gebotenen Weise Rechnung getragen werden.

 

 dd) Anders als der Beklagte meint, sind im Rahmen des Anspruchs auf Leistungen für Schülerbeförderung jedoch nicht lediglich die Aufwendungen für solche Fahrten zu berücksichtigen, in denen sich der zu befördernde Schüler (hier: der Kläger) in dem von dem Elternteil (hier: der Mutter) geführten Pkw befindet. Vielmehr umfasst der Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II auch solche weiteren Fahrten, die zwingend oder zumindest vernünftigerweise mit der Beförderung zur Schule und / oder von der Schule zurück einhergehen; dies sind namentlich Fahrten, welche der befördernde Elternteil alleine zurücklegen muss, um nach dem Absetzen des Schülers an der Schule wieder nach Hause zu gelangen oder um den Schüler nach Beendigung des Unterrichts dort abzuholen (ebenso in Bezug auf die Übernahme von Fahrtkosten für den Schulbesuch im Rahmen der Eingliederungshilfe LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 5382/14 –, juris Rn. 28). Nur auf diese Weise kann letztlich der Bedarf nach § 28 Abs. 4 SGB II gedeckt werden, denn Schülern wird es bei lebensnaher Betrachtung in aller Regel nicht gelingen, ihre Eltern dazu anzuhalten, mehrere Stunden mit dem Auto vor dem Schulgebäude zu warten, um nach Beendigung des Unterrichts wieder die gemeinsame Rückfahrt antreten zu können.

 

Im vorliegenden Fall hat die Mutter im streitbefangenen Zeitraum 74 Fahrten mit dem Kläger „an Bord“ zurückgelegt, um diesen zur Schule zu fahren oder von dort abzuholen. Dies ergibt sich aus der von ihr gefertigten, im Juni 2016 eingereichten Aufstellung. Es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der darin enthaltenen Dokumentation zu zweifeln. Hinzu kommen weitere 74 Fahrten, welche die Mutter des Klägers alleine zurücklegen musste, um nach dem Absetzen des Klägers an der Schule wieder nach Hause zu kommen oder um für den Abholvorgang zur Schule zu gelangen. Insgesamt sind somit im streitigen Zeitraum Aufwendungen in Höhe von 778,48 € (148 Fahrten mit einer Fahrstrecke von jeweils 26,3 km und einer Kilometerpauschale von 0,20 €) entstanden. Eine Aufrundung (auf 27 km) ist entgegen der Auffassung des Beklagten allerdings nicht vorzunehmen; hierfür fehlt es an einer rechtlichen Grundlage.

 

Der Senat reduziert die Kosten um einen zumutbaren Eigenanteil im Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 2 SGB II (in der im streitbefangenen Zeitraum noch geltenden Fassung) in Höhe von 5,- € monatlich, insgesamt also um 35,- €, auf 743,48 €. 

 

Was die Form der Leistung angeht, bestimmt § 29 Abs. 1 Satz 3 SGB II, dass die Bedarfe nach § 28 Abs. 4 SGB II durch Geldleistungen gedeckt werden. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten bereits gewährten Leistungen der Schülerbeförderung in Höhe von 399,60 € steht dem Kläger nach allem ein Geldbetrag in Höhe von weiteren 343,88 € (743,48 - 399,60 €) zu.

 

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Rechtsstreits. Sie ist hier für jede Instanz gesondert zu treffen, um andernfalls entstehende Ungenauigkeiten zu vermeiden. Das Gebot der einheitlichen Kostenentscheidung steht einer nach Rechtszügen differenzierten Kostenentscheidung nicht entgegen (BSG, Urteil vom 24. März 2022 – B 10 ÜG 2/20 R –, juris Rn. 54 m. w. N.). Obwohl die Berufung des Klägers nicht in vollem Umfang Erfolg hatte, entspricht es sachgemäßem Ermessen, den Beklagten im zweiten Rechtszug in vollem Umfang mit den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten, denn die vom Kläger verfolgte Zuvielforderung war verhältnismäßig geringfügig (Rechtsgedanke des § 92 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).

 

V. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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