L 9 AS 2370/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 AS 1991/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2370/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Höhe der den Klägerinnen zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die Erstattung überzahlter Leistungen nach endgültiger Festsetzung im Zeitraum 01.01.2017 bis 30.06.2017 sowie in diesem Zusammenhang die Höhe des anzurechnenden Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit.

Die 1955 und 1962 geborenen Eheleute U.V. und R.V. lebten im streitgegenständlichen Zeitraum (01.01. bis 30.06.2017) mit ihrer 2004 geborenen Tochter A.V. gemeinsam in einer Wohnung, für die 300,00 € Miete monatlich (inkl. Nebenkosten) anfiel. R.V. war in dieser Zeit mit einem Geschäft für Vermietung und Verkauf von Geschenk- und Dekoartikeln selbstständig gewerblich tätig, erwartete jedoch laut den Angaben im Rahmen der vorläufigen Erklärung zum Einkommen (EKS) noch keinen Gewinn.

Mit Bescheid vom 02.01.2017 gewährte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft auf deren Weiterbewilligungsantrag vom 06.12.2017 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Januar bis Juni 2017 in Höhe von monatlich 82,89 €. Die auf § 41a Abs. 1 SGB II beruhende Vorläufigkeit der Bewilligung begründete er mit noch nicht feststehender Höhe der Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. Als Einnahmen berücksichtigte der Beklagte Einkünfte des U.V. aus Arbeitslosengeld I in Höhe von monatlich 1.082,10 €, Kindergeld in Höhe von 192,00 € sowie aus Erwerbstätigkeit der R.V. in Höhe von 0,01 €. Nach der Gewährung von Altersrente an U.V. in Höhe von monatlich 1.045,45 € gewährte der Beklagte den Klägerinnen R.V. und A.V. mit Änderungsbescheid vom 21.03.2017 vorläufig Leistungen für April bis Juni 2017 in Höhe von monatlich 119,55 €. Anstelle der Einkünfte aus Arbeitslosengeld I berücksichtigte er insoweit ab April 2017 die (den Bedarf des U.V. übersteigenden) Einkünfte aus der Altersrente in Höhe von 547,45 €.

Der R.V. wurde mit Bescheid vom 10.01.2017 vom Jobcenter ein Darlehen über 4.000 € als Förderung nach § 16c SGB II gewährt. Im Bewilligungsbescheid ist ausgeführt: „Ihrem Antrag vom 21.11.2016 auf Darlehen für die Beschaffung von Sachgütern, die für die Ausübung ihrer beruflichen selbstständigen Tätigkeit notwendig sind, wird in vollem Umfang stattgegeben.“ Als Förderzweck ist im weiteren Text des Bewilligungsbescheides die Beschaffung von Blumengestecken angegeben. Der Betrag wurde dem Geschäftskonto der R.V. am 12.01.2017 gutgeschrieben und war ab dem 01.03.2017 in monatlichen Raten in Höhe von 182,00 € zurückzuzahlen.

Ab März 2017 nahm U.V. eine Beschäftigung im Rahmen eines Minijobs auf, aus der ihm im März 2017 159,75 €, ab April 2017 monatlich 450,00 € zuflossen.

In der abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (EKS) vom 27.10.2017 gab R.V. für den Zeitraum Januar bis Juni 2017 Betriebseinnahmen in Höhe von insgesamt 5.052,08 € und Betriebsausgaben in Höhe von insgesamt 6.709,35 €, damit einen Verlust von insgesamt 1.657,24 € an. Für Wareneinkäufe entstanden ihr nach ihren Angaben Betriebsausgaben in Höhe von brutto 4.229,25 €, netto 3.722,06 €.

Mit zwei Bescheiden vom 04.12.2017, überschrieben mit „Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs“, gerichtet an U.V., auch in Vertretung für A.V., sowie an R.V. forderte der Beklagte von U.V. einen Betrag von 34,18 €, von A.V. einen Betrag von 201,00 € und von R.V. einen Betrag von 402,16 € zurück, was den gesamten im streitgegenständlichen Zeitraum gewährten Leistungen entspricht. Zur Begründung führte der Beklagte jeweils aus, dass über den Leistungsanspruch endgültig habe entschieden werden können. Dabei sei festgestellt worden, dass kein Anspruch auf Leistungen bestanden habe. Abweichend zu den Angaben in der EKS habe man betriebliche Ausgaben in Höhe des Darlehens von 4.000 € nicht, hingegen die Darlehenstilgung von monatlich 182,00 € als Betriebsausgaben berücksichtigt. Die Berechnung sei den beiliegenden Berechnungsbögen zu entnehmen.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs führten die Kläger aus, dass ein betriebliches Darlehen keine Sozialleistung sei. Es fließe nicht in die Gewinnermittlung ein. Das Darlehen sei ein einkommensneutrales Recht, keine Betriebseinnahme und die damit getätigten Anschaffungen keine gewinnmindernden Ausgaben. Es sei für den Aufbau der Firma und nicht für die Sicherung des jetzigen Lebensunterhalts gewährt worden. Laut Darlehensbewilligung dürfe die Förderung in Höhe von 4.000 € nur für Sachgüter eingesetzt worden. Die Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit seien wieder unmittelbar für Sachgüter (Ware) eingesetzt worden. Man habe sie auch nicht auf die von dem Beklagten vorgenommene Abrechnungsweise hingewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2018 half der Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als weitere Ausgaben in Höhe von 40,06 € (gezahlte Umsatzsteuer im Mai 2017) mit daraus resultierender Minderung der Rückforderungssumme in dieser Höhe berücksichtigt wurden und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Zur Begründung führte er aus, dass der Zufluss des betrieblichen Darlehens in Höhe von 4.000 € kein Einkommen im Sinne des § 3 Abs. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) darstelle. Konsequenz sei denklogisch dann auch, dass die Investitionen, die mit diesem Darlehen getätigt würden, nicht als Betriebsausgaben abgesetzt werden könnten. Daher seien nach § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V darlehensfinanzierte Ausgaben im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit nicht von den Einnahmen abzusetzen. Lediglich die monatlichen Darlehens-Tilgungsraten in Höhe von 182,00 € seien als Betriebsausgaben zu berücksichtigen und auch berücksichtigt worden. Ob die 4.000 € allein für den Wareneinkauf oder sonstige betriebliche Ausgaben verwendet worden seien, spiele keine Rolle. Da die Betriebsausgaben insgesamt weit höher gewesen seien als das gewährte betriebliche Darlehen, seien die Ausgaben um diesen Betrag zu mindern gewesen.

U.V. und R.V. haben anwaltlich vertreten am 18.09.2018 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und im Laufe des Gerichtsverfahrens (Schriftsatz vom 14.01.2020) „vorsorglich“ klargestellt, dass Klägerin auch ihre Tochter A.V. als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei. Zur Begründung der Klage haben sie ausgeführt, das Darlehen sei zweckgebunden erteilt worden und dürfe nur insoweit berücksichtigt werden, als es tatsächlich für den Wareneinkauf Verwendung gefunden habe. Waren seien im maßgeblichen Zeitraum insgesamt nur in Höhe von 3.722,06 € eingekauft worden. Hiervon sei ausweislich einer als Anlage beigefügten Aufstellung lediglich ein Teil aus dem Darlehen (und zwar in Höhe von 2.474,79 €), das übrige aus den laufenden Betriebseinnahmen bestritten worden. Am Ende des Leistungszeitraums seien von dem Darlehen noch 1.525,21 € übriggeblieben. Privatentnahmen seien nicht erfolgt. Die unternehmerische Entscheidung der R.V., mit den Betriebseinnahmen zunächst die Betriebsausgaben, die nicht Wareneinkäufe seien, zu bestreiten und nachrangig, wenn ein Rest der Betriebseinnahmen verbleibe, die Wareneinkäufe zu bezahlen, und nur wenn der Rest der Betriebseinnahmen hierzu nicht ausreiche, auf das Darlehen zurückzugreifen, sei vernünftig und nachvollziehbar. So habe sie in Monaten, in denen die Betriebseinnahmen nicht ausreichten, um zu bestreitende Betriebsausgaben zu bezahlen, noch über Darlehensmittel zur Bezahlung der Wareneinkäufe verfügen können. Ihr sei im Darlehens-Bewilligungsbescheid auch nicht auferlegt worden, die Beschaffung von Sachgütern nur mit dem Darlehen zu bestreiten. Die Summe der Betriebsausgaben von 2.806,16 erhöhe sich damit um den zu Unrecht von den Betriebsausgaben abgezogenen Teilbetrag des Darlehens von 1.525,21 € auf 4.331,37€. Geteilt durch sechs Monate ergäben sich monatliche Betriebsausgaben in Höhe von 721,90 €. Bei Betriebseinnahmen in Höhe von monatlich 852,90 € ergebe sich abzüglich dieser Betriebsausgaben und abzüglich des Freibetrages nach § 11b Abs. 2 SGB II (131,00 €) ein monatlich anzurechnendes Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit in Höhe von lediglich 24,80 €.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Wenn ein Darlehen nicht oder nicht vollständig für Investitionen oder Ausgaben eingesetzt werde, würden die Betriebsausgaben um einen Betrag bis zur Höhe des aufgenommenen Darlehens vermindert. Dabei spiele es keine Rolle, ob das Darlehen vollständig ausgeschöpft werde oder nicht.

Nach gerichtlichem Hinweis auf Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Rückforderungen nach der Reduzierung der Gesamtforderung im Widerspruchsbescheid um 40,06 € hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben. Danach kommt der Reduzierungsbetrag nunmehr jedem einzelnen Kläger zugute. Im Fall des U.V. ist der bisherige Rückforderungsbetrag vollständig entfallen. Bei R.V. ist er auf 362,10 € und bei A.V. auf 160,95 € reduziert worden. Die Kläger haben das Teilanerkenntnis angenommen.

Mit Urteil vom 18.06.2020 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Das Gericht könne offenlassen, ob die Klage hinsichtlich der A.V. schon deswegen keinen Erfolg haben könne, weil die angefochtenen Bescheide ihr gegenüber bereits bestandskräftig (§ 77 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) geworden seien, weil sie erst mit dem Schreiben vom 14.01.2020, damit nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist des § 87 Abs. Satz 1 SGG der Klage ihrer Eltern beigetreten sei. Denn die Klage sei nicht begründet. Die Bescheide vom 04.12.2017 seien als abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch anzusehen, auch wenn einige Formulierungen („entschieden werden konnte“, „wurde festgestellt“) darauf hindeuten könnten, es gebe eine hiervon getrennte Entscheidung über die Leistungshöhe und in den Bescheiden werde lediglich die Erstattung geregelt. Dem sei aber nicht so. Zugleich sei in den genannten Bescheiden ausgeführt, dass die Kläger im maßgeblichen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätten. Weiterhin sei auf beiliegende Berechnungsbögen verwiesen worden, welche das in den einzelnen Monaten jeweils den Bedarf übersteigende Einkommen ausweise. Für die Kläger sei aus der Gesamtheit der Bescheide klar erkennbar, dass die Leistungen für Januar bis Juni 2017 auf null festgesetzt worden seien. Diese Festsetzung sei auch zutreffend. Der Beklagte habe seiner Berechnung die von den Klägern angegebenen betrieblichen Ausgaben vollständig zugrunde gelegt. Streitig sei lediglich die Berücksichtigung der Darlehensleistung. § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V stelle nicht darauf ab, ob die Ausgaben „aus dem Darlehen“ getätigt worden seien, sondern ob das Darlehen „für sie“ (also für die Ausgaben) gewährt worden sei. Das Darlehen sei zum Aufbau einer gewerblichen Tätigkeit der R.V. gewährt worden. Hierfür sei es auch einzusetzen, und zwar in dem Umfang und zu dem Zeitpunkt, in dem die durch das Darlehen gewährte Geldleistung benötigt werde. Dies ergebe sich aus dem Zweck des Darlehens, so dass es keiner gesonderten Regelung durch das Jobcenter bedürfe, zu welchem Zeitpunkt es einzusetzen sei. Dies ergebe sich vielmehr aus der betrieblichen Notwendigkeit. Hier ende auch die Freiheit der unternehmerischen Entscheidung, auf die die Kläger abstellten. Sie berechtige nicht dazu, zielgerichtet gewährte Leistungen für eine spätere Verwendung („für schlechtere Zeiten“) zurückzuhalten und so Ansprüche auf Arbeitslosengeld II entstehen zu lassen. Ob die Bestimmung im Bescheid vom 10.01.2017 „für die Beschaffung von Sachgütern, die für die Ausübung ihrer beruflichen selbstständigen Tätigkeit notwendig sind“ als Zweckbestimmung zu sehen sei, mit der Bindung, dass hieraus nur Wareneinkäufe bestritten werden dürften und dies entsprechend im Rahmen des § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V („für sie“) Berücksichtigung finden müsse, brauche das Gericht nicht zu entscheiden. Folge einer solchen Betrachtung wäre, dass lediglich die Betriebsausgaben für den Wareneinkauf um die Darlehenshöhe zu vermindern wären. Damit würden sich die gewerblichen Einnahmen im Zeitraum Januar bis Juni 2017 gegenüber den den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Berechnungen des Beklagten lediglich um 277,94 € (4.000 € - 3.722,06 €) verringern. Auch in diesem Fall würde sich kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II ergeben.
Den nach § 41a Abs. 5 SGB II vorgegebenen Zeitraum für die endgültige Entscheidung von einem Jahr nach Ablauf des Bewilligungszeitraums habe der Beklagte ebenfalls eingehalten. Die sich ergebenden Erstattungen nach Anrechnung auf die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen (§ 41a Abs. 6 Satz 1 und 3 SGB II) habe der Beklagte in den Bescheiden vom 04.12.2017 im Verhältnis der gewährten Leistungen auf die Kläger verteilt. Die einzelnen Erstattungsbeträge seien bei Hinzunahme der Teilabhilfe im Widerspruchsbescheid und des im Laufe des Klageverfahrens erklärten Teilanerkenntnisses hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Gegen das am 30.06.2020 zugestellte Urteil des SG haben die Kläger am 24.07.2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Auch wenn in der Klageschrift vom 13.09.2018 nicht auch die A.V. als Klägerin ausdrücklich genannt worden sei, sei die Klage nach dem Meistbegünstigungsprinzip so auszulegen, dass von U.V. und R.V. auch in Vertretung für A.V. Klage erhoben worden sei. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, dass U.V. und R.V. nicht auch für ihre minderjährige Tochter in deren Vertretung hätten Klage erheben wollen, da die Einkommensberechnung des Beklagten zu einem Erstattungsbetrag auch gegen A.V. in Höhe von 201,00 € geführt habe. Dieses Auslegungsergebnis ergebe sich auch aus den Formulierungen in der Klagebegründung, in der u.a. beanstandet worden sei, dass der Beklagte gegenüber dem U.V. von einem Erstattungsanspruch in Höhe von 235,18 € ausgegangen sei. Dieser Betrag habe sich aber aus einem Erstattungsanspruch gegenüber U.V. in Höhe von 34,18 € und einem solchen in Höhe von 201,00 € gegenüber A.V. zusammengesetzt. Die A.V. sei auch deshalb versehentlich nicht in die Klageschrift mit aufgenommen worden, weil im Rubrum des Widerspruchsbescheides ausdrücklich nur U.V. und R.V., nicht jedoch die A.V. aufgeführt gewesen sei.

In der Sache seien im Gegensatz zu der vom SG im angegriffenen Urteil vertretenen Rechtsauffassung nach § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V die Betriebsausgaben nur in dem Umfang nicht abzusetzen, in dem die A.V. das Darlehen im Bewilligungszeitraum zur Anschaffung von Sachgütern (Blumengestecken) verwendet habe. Tatsächlich habe R.V. das Darlehen bestimmungsgemäß nur für den Einkauf von Blumengestecken eingesetzt. In dem Bewilligungsbescheid über Leistungen zur Eingliederung von Selbstständigen gemäß § 16c Abs. 1 SGB II sei nicht bestimmt worden, dass die A.V. nicht berechtigt gewesen sei, im Bewilligungszeitraum Betriebsausgaben in Form der Beschaffung von Blumengestecken vorrangig durch die Betriebseinnahmen zu bestreiten und nur nachrangig aus dem gewährten Darlehen, soweit die Betriebseinnahmen nicht ausreichten. Es sei in dem Bescheid auch nicht bestimmt worden, innerhalb welchen Zeitraums das gewährte Darlehen habe verbraucht werden müssen. Im Interesse einer wirtschaftlich tragfähigen Entwicklung ihres Geschäfts habe R.V. die unternehmerische Entscheidung getroffen, keine Privatentnahmen zu tätigen und mit den Betriebseinnahmen zunächst die Betriebsausgaben, die nicht Wareneinkäufe seien, zu bestreiten, und nachrangig, wenn der Rest der Betriebseinnahmen hierzu nicht ausreiche, auf das Darlehen zurückzugreifen, um in Monaten, in denen die Betriebseinnahmen nicht ausreichten, um zu bestreitende Betriebsausgaben zu bezahlen, noch über Darlehensmittel zur Bezahlung von Blumengestecken verfügen zu können. In welcher Höhe R.V. den Kauf der Sachgüter über die Betriebseinnahmen bezahlt habe, und nur soweit sich hierbei ein Fehlbetrag ergeben habe aus dem gewährten Darlehen, ergebe sich aus dem Kassenbuch. Mit Blick auf das Ziel der Entwicklung einer wirtschaftlich tragfähigen selbstständigen Tätigkeit sei es betriebswirtschaftlich sinnvoll, für den Geschäftsbetrieb existenziell wichtige Sachgüter vorrangig aus den Betriebseinnahmen zu bezahlen, und nur nachrangig aus dem gewährten Darlehen, um in Monaten mit zu geringen Betriebseinnahmen noch ausreichende Mittel aus dem Darlehen zur Anschaffung von Sachgütern zur Verfügung zu haben. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V. Dessen Auslegung ergebe vielmehr, dass nur die mit dem Darlehen tatsächlich getätigten Betriebsausgaben für die Anschaffung von Sachgütern bis zur Höhe des gewährten Darlehens nicht als Betriebsausgabe anzuerkennen seien. In diesem Sinne erfolge die Auslegung selbst durch die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Fachlichen Weisungen, wonach die mit dem Darlehen getätigten allgemeinen Betriebsausgaben oder Investitionen bis zur Höhe des gewährten Darlehens nicht als Betriebsausgabe anzuerkennen seien (11.32 der Fachlichen Weisungen). Dass sich der Leistungsbezug über den Bewilligungszeitraum hinaus verlängern könne, wenn der Leistungsempfänger den Kauf von Sachgütern vorrangig aus den Betriebseinnahmen und nur nachrangig aus dem Darlehen mit der Folge entsprechend höherer Betriebsausgaben finanziere, sei im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 16c Abs. 1 SGB II und im Hinblick auf den nicht eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V hinzunehmen.

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass sich auch der die R.V. beim Aufbau der Selbstständigkeit begleitende Sachbearbeiter O erstaunt über die Berechnungsweise der Leistungsabteilung geäußert habe. Er habe bisher noch nicht erlebt, dass das gewährte Darlehen voll auf die Betriebsausgaben angerechnet werde, auch soweit Sachgüter aus Betriebseinnahmen bezahlt worden seien.

Die Klägerinnen beantragen (wörtlich),

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Juni 2020 aufzuheben, die Bescheide vom 4. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2018 sowie des Teilanerkenntnisses vom 13. März 2020 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren und hierbei ein monatliches Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit von 24,80 € statt 228,16 € zugrundezulegen;

hilfsweise die Vernehmung des Zeugen U.V. zum Beweis dafür, dass die Kläger den Darlehensbewilligungsbescheid so verstanden haben, dass das Darlehen nur für die Anschaffung von Blumengestecken bestimmt war und dass die Klägerin Ziff. 2 berechtigt war, mit den Betriebseinnahmen vorrangig Betriebsausgaben zu tätigen, die keine Wareneinkäufe in Form von Blumengestecken sind und nachrangig Warenankäufe und das Darlehen nur soweit als die Betriebseinnahmen nicht ausreichend waren und dass die Klägerin Ziff. 2 das tatsächlich so praktiziert hat;

hilfsweise die Vernehmung des Zeugen A.O. zum Beweis dafür, dass dieser von den Klägern nicht verlangt hat, dass der Kauf von Blumengestecken ausschließlich aus dem Darlehen bezahlt werden muss, also nicht vorrangig aus den Betriebseinnahmen bezahlt werden darf.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Forderung gegenüber A.V. sei der angefochtene Bescheid bestandskräftig geworden. Das Darlehen über 4.000 € sei für die „Beschaffung von Sachgütern“ bewilligt worden. Betriebsausgaben seien in Höhe dieses Darlehens nicht berücksichtigt worden, hingegen wohl die damit verbundene Tilgung in Höhe von monatlich 182 €. Es sei hierbei unerheblich, für welche spezielle Ausgabe das Darlehen verwendet worden sei. Zweck des Darlehens sei der Aufbau und die Unterstützung der gewerblichen Tätigkeit gewesen. Der R.V. habe ermöglicht werden sollen, Waren anzuschaffen und in den Betrieb zu investieren, um ihren Handel aufzubauen. Hierfür sei das Darlehen auch eingesetzt worden. Es seien u.a. Wareneinkäufe getätigt, Büromaterial angeschafft und Werbemaßnahmen eingeleitet worden. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass selbst wenn man die Berechnung des Einkommens aus Selbstständigkeit diesbezüglich abändern würde und nur Betriebsausgaben unberücksichtigt ließe, die explizit mit dem Aufbau der Selbstständigkeit in Verbindung stünden, kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestanden habe, da auch diese Betriebsausgaben den Darlehensbetrag von 4.000 € überstiegen hätten. Die ungenaue Darstellung und die pauschale Nichtberücksichtigung in Höhe von 4.000 € würde demnach auch bei einer detaillieren Darstellung nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Im Übrigen seien die erhaltenen Darlehensmittel ausweislich der Kontobewegungen auf dem Geschäftskonto tatsächlich nicht ausschließlich für die Anschaffung von Blumengestecken verwendet worden. Es sei eindeutig erkennbar, dass die Darlehensmittel gerade zu Beginn der Selbstständigkeit für deren Aufbau verwendet worden seien und dass keine Darlehensmittel „zurückgehalten“ worden seien.

U.V. hat die Berufung mit Schriftsatz vom 10.11.2021 zurückgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die frist- und formgerecht erhobene und nach – für den Senat bindender (§ 144 Abs. 3 SGG) – Zulassung durch das SG statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist aber unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Gegenstand des Verfahrens sind neben dem Urteil des SG die Bescheide vom 04.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018, abgeändert durch das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 13.03.2020. Mit den genannten Bescheiden erfolgte, wie bereits vom SG zutreffend ausgeführt wurde, zum einen eine abschließende Leistungsfestsetzung auf Null und zum anderen die Festsetzung einer Erstattungsforderung in Höhe von zuletzt noch 362,10 € gegenüber R.V. und 160,95 € gegenüber A.V. (jeweils nach Abzug von 40,06 € nach dem angenommenen Teilanerkenntnis). Nicht mehr Streitgegenstand ist der Bescheid vom 04.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2020 sowie des Teilanerkenntnisses vom 13.03.2020, soweit er Regelungen hinsichtlich des Leistungsanspruchs des U.V. trifft, denn dieser hat seine Berufung zurückgenommen.


Die Klage der A.V. ist bereits unzulässig. Die Klage wurde ausweislich der Klageschrift vom 13.09.2018 durch die rechtskundig vertretenen Kläger U.V. und R.V. lediglich in deren Namen, nicht auch im Namen der Tochter A.V. erhoben. Dies ergibt sich sowohl aus dem Rubrum der fristwahrend eingereichten Klageschrift vom 13.09.2018 („Klageschrift in Sachen U.V. und R.V. gegen Jobcenter Landkreis Konstanz“) als auch aus dem weiteren Vorbringen im Rahmen des Klagebegründungsschriftsatzes vom 27.11.2018, in dem jeweils von dem „Kläger zu 1 und von der Klägerin zu 2“, nicht jedoch von mehreren Klägerinnen oder einer Klägerin zu 3 die Rede ist. Insoweit kommt eine meistbegünstigende Auslegung unter Einbeziehung auch der Tochter A.V. in das Klageverfahren nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteile vom 30.01.2019 - B 14 AS 12/18 R - juris, Rn. 12, vom 08.05.2019 - B 14 AS 15/18 R und B 14 AS 20/18 R -, juris Rn. 11 bzw. Rn. 9 und vom 30.10.2019 - B 14 AS 2/19 R -, juris Rn. 11). Der Einwand, es sei kein Grund dafür ersichtlich, dass die Kläger U.V. und R.V. nicht auch für die damals minderjährige Tochter A.V. hätten Klage erheben wollen, und dies ergebe sich auch aus den Formulierungen im Rahmen der Klagebegründung (es sei beanstandet worden, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger zu 1 von einem Erstattungsanspruch in Höhe von 235,18 € ausgehe, was die Forderung sowohl ihm gegenüber als auch seiner Tochter beinhalte), überzeugt den Senat nicht. Denn es erfolgt durch diesen anwaltlichen Vortrag gerade keine Differenzierung zwischen einer Forderung gegenüber dem U.V. und der Tochter A.V. Dadurch, dass (unzutreffenderweise) im Rahmen der Klagebegründung der gesamte Erstattungsanspruch dem Kläger U.V. zugeordnet wird, wird A.V. nicht zur Klägerin. Der Hinweis im klägerischen Schriftsatz vom 14.01.2020, es sei auch die Tochter A.V. als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Klägerin, ist auch nach der Überzeugung des Senats damit keine rein vorsorgliche Klarstellung, sondern als Eintritt einer neuen Klägerin in das Klageverfahren zu bewerten. Zu diesem Zeitpunkt waren die angefochtenen Bescheide der A.V. gegenüber bereits bestandskräftig geworden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der (teilweisen) Versäumung der Klagefrist sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Den gestellten Berufungsantrag, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 04.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2018 zu verurteilen, R.V. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren und hierbei ein monatliches Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit von 24,80 € statt 228,16 € zu Grunde zu legen, legt der Senat sachdienlich dahingehend aus, dass R.V. neben der Verpflichtung des Beklagten, abschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines geringeren monatlichen Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit festzusetzen, auch die jedenfalls teilweise Aufhebung der Erstattungsforderung begehrt. Dieses Begehren verfolgt R.V. zu Recht im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. BSG, Urteile vom 01.12.2016 - B 14 AS 34/15 R -, juris Rn. 9, vom 14.06.2018 - B 14 AS 28/17 R -, juris Rn. 10 und vom 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R -, juris Rn. 11).

Das SG hat die für die Gewährung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung und insbesondere hinsichtlich der Berechnung und Berücksichtigung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit geltenden Rechtsgrundlagen zutreffend in der angefochtenen Entscheidung dargestellt und unter zutreffender Heranziehung dieser Grundlagen und Maßstäbe umfassend und ausführlich dargelegt, dass und warum R.V. im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Leistungsanspruch und die überzahlten Leistungen zu erstatten hat. Dem schließt sich der Senat an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

R.V. war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig, hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 SGB II), hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II nicht überschritten. Sie war aber nicht hilfebedürftig, sondern konnte ihren Bedarf durch anrechenbares Einkommen gem. §§ 11 ff. SGB II i.V.m. § 3 Alg II-V decken. Hinsichtlich der Berechnungen im Einzelnen, die im Ergebnis zu einer Leistungsfestsetzung auf Null geführt haben, wird gemäß § 136 Abs. 3 SGG, § 153 Abs. 1 SGG auf die Ausführungen des SG sowie des Beklagten im angefochtenen Bescheid, insbesondere die Feststellungen in den dem Bescheid beigefügten Berechnungsbögen und im Widerspruchsbescheid Bezug genommen, denen sich der Senat nach eigener Überprüfung vollumfänglich anschließt und von deren Wiederholung er absieht (§§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 3 SGG).

Der Beklagte hat seiner Berechnung die Angaben der R.V. in der abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit unverändert und vollständig zugrunde gelegt. Fehler werden insoweit weder im Rahmen des klägerischen Vortrags gerügt noch sind sie sonst ersichtlich. Hinsichtlich der letztlich allein streitigen Art und Weise der Berücksichtigung des im Januar 2017 ausbezahlten Darlehens über 4.000 € ist in Bezug auf das Berufungsvorbringen auf Folgendes hinzuweisen:

Die Betriebseinnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit der R.V. betrugen im streitigen Zeitraum ausweislich der in den Verwaltungsakten enthaltenen Berechnungen auf der Basis der vorgelegten EKS, die auch von den Klägern im Rahmen von Klage- und Berufungsbegründung zugrunde gelegt wurden und an deren Richtigkeit daher kein Anlass zu zweifeln besteht, 5.117,37 €, somit monatlich 852,90 €. Die hiervon abzusetzenden Betriebsausgaben sind – nachdem der Beklagte auch insoweit im Wesentlichen die plausiblen Angaben aus der abschließenden EKS übernommen hat und klägerischerseits keine konkreten Rügen erfolgt sind – der Höhe nach weitgehend unstreitig. Die (möglicherweise aus einem Übertragungsfehler resultierende) Differenz in den Ausgaben für Wareneinkäufe im März 2017 (Angabe R.V. As. 548 VA: 452,78 €, Berechnung Beklagter As. 626 VA: 468,68 €), braucht nicht weiter aufgeklärt zu werden. Die Berücksichtigung einer Gesamtsumme für Wareneinkäufe durch den Beklagten in Höhe von 4.445,15 € (anstelle von eigentlich nur 4.429,25 nach den Angaben in der abschließenden EKS) ist günstig für R.V.

Nicht zu beanstanden ist, dass der Beklagte Betriebsausgaben in Höhe des im Januar 2017 zugeflossenen Darlehens über 4.000 € von den Betriebseinnahmen abgesetzt hat. Die Berücksichtigung lediglich eines Betrages von 2.474,79 €, weil R.V. die beschafften Waren vorrangig aus den Betriebseinnahmen bezahlt, das Darlehen im streitgegenständlichen Zeitraum nur in dieser Höhe auch tatsächlich für den Einkauf von Waren eingesetzt und demzufolge noch 1.525,21 € übrig gehabt habe, kommt nach der Überzeugung des Senats – ebenso wie der des SG – nicht in Betracht.

Soweit im letzten Schriftsatz vom 28.03.2022 vorgetragen wird, die Darlehensmittel seien ausschließlich für die Anschaffung von Blumengestecken (und nicht für sonstige Waren) gewährt und verwendet worden, trifft dies offensichtlich nicht zu. Denn sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Klage- und bisherigen Berufungsverfahren ist eine entsprechende Differenzierung weder schriftsätzlich erfolgt, noch ergibt sie sich in irgendeiner Weise aus den vorgelegten Rechnungen und Buchführungsunterlagen. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass das Darlehen entsprechend seinem Verfügungsteil im Bewilligungsbescheid gewährt wurde „für die Beschaffung von Sachgütern, die für die Ausübung der beruflichen selbstständigen Tätigkeit notwendig sind“ und dass R.V. es auch tatsächlich hierfür verwendet hat. Die im weiteren Text des Bewilligungsbescheides auch enthaltene Formulierung „Beschaffung von Blumengestecken“ sieht der Senat insoweit als Beispiel für die Art und Weise des Darlehenseinsatzes, nicht jedoch als Beschränkung seiner Verwendung an. Dies wurde im Übrigen auch von R.V. nicht so verstanden. Nach ihren Angaben im gesamten Verfahren hat sie das Darlehen als für den Erwerb von Waren bestimmt angesehen und sich auch entsprechend verhalten: Auch in ihrer eigenen „Aufzeichnung des Darlehensverbrauchs für die Nutzung des Wareneinkaufs von Januar 2017 bis Juni 2017“ (As. 28 SG-Akte) erfolgt keine Differenzierung nach dem Erwerb von Blumengestecken und sonstigen Waren, sondern es gibt nur jeweils die einheitliche Rubrik „Wareneinkauf“. Diese Auflistung steht auch im Einklang mit den in den Verwaltungsakten befindlichen Kontoauszügen, Rechnungen und Kassenbuchauszügen. Der Senat hat keinen Anlass, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Allerdings sind anders als in der genannten Auflistung nicht 3.722,06 €, sondern insgesamt tatsächlich 4.429,25 € für den Wareneinkauf angefallen. Es sind nämlich bei der Berechnung nach den Vorschriften der Alg II-V (anders als möglicherweise im Steuerrecht) nicht „Netto-Preise“, sondern die Preise anzusetzen, die R.V. tatsächlich für die in den streitigen Monaten erworbenen Waren bezahlt hat. Das sind die auch in den Aufstellungen der R.V. zum Wareneinkauf so genannten „Ausgaben“ inklusive 19 Prozent Umsatzsteuer, insgesamt also 4.429,25 € (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 1/13 R -, Rn. 24 ff. zu vereinnahmter Umsatzsteuer).

Soweit im Rahmen von Klage- und Berufungsbegründung wiederholt vorgetragen wurde, es seien nicht die gesamten 4.000 € von den Betriebsausgaben abzuziehen, sondern nur ein Betrag von 2.474,79 €, weil R.V. die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, keine Privatentnahmen zu tätigen und mit den Betriebseinnahmen zunächst die Betriebsausgaben, die nicht Wareneinkäufe sind, zu bestreiten und nachrangig, wenn ein Rest der Betriebseinnahmen verbleibt, die Wareneinkäufe zu bezahlen, und nur wenn der Rest der Betriebseinnahmen hierzu nicht ausreiche, auf das Darlehen zurückzugreifen, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis.

Grundsätzlich gilt, dass Darlehen nicht als Betriebseinnahmen zu berücksichtigen sind. Einnahmen, die mit einer Rückzahlungsverpflichtung verbunden sind, sind im Bereich des SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 46/09 R -, Rn. 14 ff). Somit bleibt der Zufluss des Darlehens unberücksichtigt, während die Ausgaben für die Tilgung von betrieblich veranlassten Darlehen Betriebsausgaben sind (vgl. ausführlich LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2015 - L 25 AS 3370/13 -, juris Rn. 42 ff.; Bayerisches LSG, Urteil vom 30.11.2018 - L 16 AS 205/16 -, juris Rn. 33). Diesen Grundsätzen entsprechend hat der Beklagte den Eingang der 4.000 € auf dem Geschäftskonto der R.V. im Januar 2017, der aus der Auszahlung des Darlehens resultierte, zutreffend nicht als Betriebseinnahme berücksichtigt, wohl aber die ab März 2017 angefallenen Tilgungsleistungen in Höhe von monatlich 182 € als Betriebsausgaben.

Darüber hinaus bestimmt § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V hinsichtlich der Berücksichtigung von Betriebsausgaben, dass Ausgaben nicht abzusetzen sind, soweit für sie Darlehen oder Zuschüsse nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erbracht oder betriebliche Darlehen aufgenommen worden sind. Die Fremdfinanzierung einer nach § 3 Abs. 2 und 3 Alg II-V anzuerkennenden Betriebsausgabe verschiebt den Zeitpunkt der Absetzung der Betriebsausgabe damit von der Anschaffung auf den Zeitpunkt der Tilgung des Darlehens. Ausgaben, die durch betriebliche oder andere Darlehen finanziert werden, sind keine absetzbaren Betriebsausgaben, weil diese die Einkommenssituation nicht beeinflussen, sie werden "durchgereicht" und wirken sich erst mit der Tilgung des Darlehens aus. Der Formulierung in § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V „soweit für sie erbracht wurden“ entnimmt der Senat, dass maßgeblich auf die Zweckbestimmung des gewährten Darlehens abzustellen ist (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.12.2014 - L 12 AS 1858/13 -, juris Rn. 28). Für die Frage, ob Betriebsausgaben mit Blick auf ein gewährtes Darlehen nicht abzusetzen sind, kommt es somit schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, dass Ausgaben tatsächlich aus einem Darlehen getätigt wurden, sondern ob gerade für diese Ausgaben Mittel aus einem Darlehen erbracht wurden bzw. aufgenommen wurden. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 12. Senats des LSG Baden-Württemberg an, der im genannten Urteil entschieden hat, dass Ausgaben, die von der Zweckbestimmung eines aufgenommenen Darlehens umfasst sind, auch aus diesem Darlehen zu bestreiten sind und nicht von den Einnahmen in Abzug gebracht werden können (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., juris Rn. 29; vgl. auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz SGB II, § 13, Rn. 415 mit Hinweis auf das Ziel der Förderung).

Das Darlehen wurde R.V. „für die Beschaffung von Sachgütern“ gewährt, nicht etwa eingeschränkt nur zur Finanzierung derjenigen Ausgaben für Sachgüter, die durch die Betriebseinnahmen nicht gedeckt sind. Es sind daher nur solche Betriebsausgaben, die nicht von der Zweckbestimmung „Beschaffung von Sachgütern“ umfasst sind, von den Betriebseinnahmen abzusetzen. Alle Ausgaben, die entsprechend den Angaben in der EKS nebst Anlagen für den Wareneinkauf angefallen sind, fallen unter die Zweckbestimmung des Darlehens und können daher bis zur Höhe von 4.000 € nicht in Abzug gebracht werden. Die von R.V. zuletzt betonte Auslegung des Darlehensbescheides, wonach von den Darlehensmitteln ausschließlich Seidenblumengestecke zu finanzieren gewesen sein sollen, vermag der Senat wie bereits dargelegt nicht nachzuvollziehen. Es wurde auch weder konkret vorgetragen noch ist den vorliegenden Unterlagen zu entnehmen, in welcher Höhe R.V. Ausgaben nur für Seidenblumengestecke (in Abgrenzung zum sonstigen Warenerwerb) hatte.

Zwar erscheint es betriebswirtschaftlich durchaus nachvollziehbar, wenn der Selbstständige danach strebt, Darlehensmittel möglichst sparsam einzusetzen, um entsprechende Mittel auch in späteren Monaten noch zur Verfügung zu haben. Allerdings wird die entsprechende unternehmerische Freiheit eines SGB II-Leistungsempfängers nach der Überzeugung des Senats durch die Regelung des § 3 Abs. 3 Satz 4 SGB II und vor dem Hintergrund des im SGB II geltenden Nachranggrundsatzes (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB II) dahingehend eingeschränkt, dass Darlehensmittel auch zweckentsprechend einzusetzen sind, solange sie vorhanden sind und die Leistungsberechtigten hierdurch in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten. Die Vorschrift steht im Zusammenhang mit weiteren Regelungen, die verdeutlichen, dass ein Selbstständiger, der (aufstockend) Leistungen nach dem SGB II bezieht, gerade nicht völlig frei in seinen unternehmerischen Entscheidungen ist, sondern durchaus einer steuernden „Überwachung“ durch die Jobcenter unterliegen soll. So sollen tatsächliche Ausgaben nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V). Ausgaben können ferner bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht (§ 3 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V). Alle diese Regelungen tragen dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB II Rechnung: Einkommen soll vorrangig zur Deckung des Lebensunterhalts eingesetzt werden. Aus dem Nachranggrundsatz folgt auch, dass Verluste aus Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht auf die öffentliche Hand abgewälzt werden dürfen (BSG, Urteil vom 17.02.2016 - B 4 AS 17/15 R -, juris Rn. 32). Die hiermit verbundene „Einmischung“ in die Geschäftspolitik des Leistungsberechtigten entspricht der Intention des Verordnungsgebers (Mecke in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 13 Rn. 58 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 19.03.2020 - B 4 AS 1/20 R -). Die unternehmerische Freiheit des Leistungsberechtigten hat insoweit zurückzutreten.

In diesem Sinne ist auch § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V auszulegen: Werden Ausgaben getätigt, „für die“ ein Darlehen gewährt wurde, sind diese bis zur Höhe der Darlehenssumme nicht von den Betriebseinnahmen abzusetzen – und zwar unabhängig davon, ob der Leistungsberechtigte diese Ausgaben tatsächlich aus Darlehensmitteln oder aus sonstigen Betriebseinnahmen getätigt hat. Diese Auslegung entspricht im Übrigen auch der allgemeinen Zielsetzung des Verordnungsgebers der Alg II-V, das im Bewilligungszeitraum tatsächlich für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen zu ermitteln (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 46/09 R -, juris Rn. 17) und gleichzeitig die wirtschaftliche Grundlage für hilfebedürftige Selbstständige sicherzustellen.

Dieser Auslegung stehen – anders als von Klägerseite vertreten – auch nicht die zu §§ 11-11b SGB II ergangenen Fachlichen Weisungen der Agentur für Arbeit entgegen. Dort ist zwar hinsichtlich betrieblicher Darlehen ausgeführt, dass „die mit dem Darlehen getätigten allgemeinen Betriebsausgaben oder Investitionen“ bis zur Höhe des gewährten Darlehens nicht als Betriebsausgabe anzuerkennen sind (Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu §§ 11-11b SGB II Rn. 11.32). Aus der Wendung „mit dem Darlehen getätigt“ vermag der Senat schon nicht zu entnehmen, dass hiervon nur diejenigen Ausgaben erfasst sind, die der Darlehensempfänger selbst dem Darlehen zurechnet. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Weisungsgeber insoweit von den Vorgaben der Alg II-V abweichen wollte, im Gegenteil: Es erfolgt im Klammerzusatz die unmittelbare Bezugnahme auf § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V. Damit ist auch die Fachliche Weisung dahingehend zu verstehen, dass dem Darlehenszweck entsprechende Ausgaben bis zur Höhe des gewährten Darlehens nicht als Betriebsausgaben abzusetzen sind. Darüber hinaus hat schon das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass sich auch bei Zugrundelegung der Interpretation der R.V. nichts Anderes ergäbe, weil die Fachlichen Weisungen als Verwaltungsvorschriften für die Gerichte nicht bindend sind. Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften zur Durchführung gesetzlicher Vorschriften, in denen – wie vorliegend durch die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur – das Recht nach Meinung der Verwaltung ausgelegt wird, sind nicht geeignet, die gesetzlichen Regelungen außer Kraft zu setzen; sie binden die Gerichte nicht (vgl. nur BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 9 VS 3/09 R -, juris Rn. 34 m.w.N.).

Über die (vom Beklagten wohl verneinte) Frage, ob anderes gelten würde, wenn A.V. im streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt geringere Betriebsausgaben als 4.000 € gehabt hätte oder wenn die Summe von 4.000 € nicht allein durch den Einkauf von Waren, sondern lediglich unter Hinzuziehung auch der sonstigen Betriebsausgaben überschritten wäre, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Denn wie bereits dargelegt, sind im streitgegenständlichen Zeitraum allein schon 4.429,25 €, mithin mehr als 4.000 €, für den Wareneinkauf angefallen.

Bei bestimmungsgemäßem Einsatz des erhaltenen Darlehens für den Einkauf von Waren hat R.V. nach alledem mit ihrer selbstständigen Tätigkeit Einnahmen erzielt, die (in Addition mit den weiteren Einnahmen der Bedarfsgemeinschaft) den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft im streitgegenständlichen Zeitraum decken und gleichzeitig ihre wirtschaftliche Grundlage sicherstellen konnten.


Nachdem die Leistungen zuvor vorläufig bewilligt worden waren, erfolgte nunmehr mit dem angefochtenen Bescheid die endgültige Festsetzung auf Null, die wiederum die Erstattungspflicht nach sich zieht (§ 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II). Auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG verwiesen. Die Höhe der Erstattung beträgt - nach Reduzierung aufgrund des angenommenen Teilanerkenntnisses des Beklagten - für R.V. noch 362,10 €.

Soweit R.V. beantragt hat, von ihr benannte Zeugen dazu zu vernehmen, dass sie berechtigt war, die Darlehensmittel nur insoweit für den Warenerwerb einzusetzen, als die Betriebseinnahmen hierfür nicht ausreichend waren,
liegt schon kein ordnungsgemäß substantiierter Beweisantrag vor, da es sich hierbei nicht um Tatsachen, sondern um eine rechtliche Bewertung tatsächlicher Vorgänge handelt. Die Bewertung von Rechtsfragen hat durch den Senat zu erfolgen und kann als solche nicht Gegenstand eines Beweisantrags sein. Soweit man davon ausgeht, dass R.V. mit dem Beweisthema Umfang und tatsächliche Praxis im Zusammenhang mit dem Erwerb von Waren bzw. deren Bezahlung in zulässiger Weise (zumindest auch) Tatsachen unter Beweis gestellt hat, sind diese nicht weiter beweisbedürftig bzw. als wahr zu unterstellen. Diese wiederholt dargelegte Praxis ergibt sich klar aus den abschließenden Angaben der R.V. in der EKS und den hierzu auch im Rahmen des Klageverfahrens vorgelegten Dokumenten (Aufzeichnungen zum Darlehensverbrauch, Einnahmen-/Ausgabenaufstellungen, Kassenbücher), wurde vom Beklagten nicht bestritten und auch vom Senat seiner Würdigung zugrunde gelegt. Auch die Einholung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens, wie von Klägerseite schriftsätzlich angeregt, bedurfte es hierzu nicht.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 1, 2 SGG) liegen nicht vor. Insbesondere fehlt es an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch die Revisionsgerichte bedürftig und fähig ist. Die Frage, wie erhaltene Darlehen im Zusammenhang mit Betriebsausgaben im Rahmen selbstständiger Tätigkeit zu berücksichtigen sind, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren (vgl. zum Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nur BSG, Beschlüsse vom 28.03.2017 – B 1 KR 66/17 B -, juris Rn. 2 ff. und vom 16.04.2012 – B 1 KR 25/11 B -, juris Rn. 7). Denn ihre Beantwortung ist nach der Überzeugung des Senats nicht ernsthaft zweifelhaft. Sie ergibt sich vielmehr nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen im dargelegten Sinne unmittelbar und zweifelsfrei aus Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Sinn und Zweck der Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-V.

Rechtskraft
Aus
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