L 5 KR 35/20

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 10 JR 15/18
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 35/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der im Pflegegeld enthaltene Erziehungsbeitrag ist als beitragspflichtiges Einkommen in voller Höhe bei der Beitragsbemessung zur freiwilligen Krankenversicherung zu berücksichtigen.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22.08.2019 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Erziehungsgeld, das die Klägerin für drei Pflegekinder bezieht, bei der Berechnung der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen ist.

Die 1969 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 14. April 2009 freiwillig kranken- und pflegeversichert. Seit dem 14. April 2009 betreut sie die Pflegekinder D (geboren 2004) und F (geboren 2008) und seit dem 1. Juni 2014 zudem das Pflegekind M (geboren 2013). Die Klägerin erhielt neben den Leistungen für materielle Aufwendungen der Pflegekinder für ihre Tätigkeit als Pflegemutter Leistungen der Jugendhilfe nach den §§ 39, 27 und 33 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) im Zeitraum Januar bis März 2016 in Höhe von 1.892,00 EUR monatlich. Die Beklagte zog dieses Erziehungsgeld bei der Beitragsberechnung zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung heran. Für den Zeitraum Januar bis März 2016 ergab sich unter Einbeziehung des erhaltenen Erziehungsgeldes ein monatlicher Gesamtbetrag für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 335,83 EUR.

Mit Schreiben vom 14. August 2016 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Beitragshöhe rückwirkend ab März 2016. Zur Begründung verwies sie auf die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 11. März 2016 (L 1 KR 140/14), woraus sich ergebe, dass der Erziehungsbeitrag von den Krankenversicherungen nicht als Einkommen bestimmt werden dürfe.

Mit Bescheid vom 22. September 2016 stufte die Beklagte den Beitrag der Klägerin im Zeitraum vom 1. September 2016 bis zum 31. März 2017 in Höhe des gesetzlichen Mindestbeitrags in Höhe von 171,89 EUR, bzw. ab dem 1. Januar 2017 in Höhe von 178,00 EUR ein.

Nach erneuter Überprüfung ging die Beklagte wiederum davon aus, dass das Erziehungsgeld für die Ermittlung der Beitragshöhe zu berücksichtigen sei und teilte der Klägerin mit Bescheid vom 29. März 2017 mit, dass noch kein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) über die Verbeitragung der Einnahmen in Form des Erziehungsgeldes vorliege und daher ab dem 1. April 2017 die Beiträge wiederum auf der Grundlage von nunmehr 1.896,00 EUR Erziehungsgeld berechnet würden. Der Beitrag betrage 340,33 EUR. Ab dem 1. September 2017 erhob die Beklagte aufgrund eines höheren Erziehungsgeldes in Höhe von monatlich 2.046,00 EUR Beiträge in Höhe von 344,14 EUR.

Die Klägerin legte am 6. April 2017 Widerspruch ein, den sie dahingehend begründete, dass eine Entscheidung des BSG nicht abgewartet werden müsse. Immerhin handele es sich bei dem LSG Berlin-Brandenburg ebenfalls um ein Obergericht. Auch sei ihr Antrag, rückwirkend die zu viel gezahlten Beiträge erstattet zu erhalten, nicht beantwortet worden. Das Erziehungsgeld diene nicht der Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs oder einer Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Pflegepersonen, sondern der Finanzierung der Erziehungskosten. Die Höhe der Leistungen nach § 39 SGB VIII richte sich daher auch nach den Kosten der Erziehung und nicht etwa nach den Kosten des Lebensbedarfs der Pflegepersonen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2017 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass anders als die pauschalierten Leistungen für den Unterhalt des jeweiligen Pflegekindes das nach dem SGB VIII gewährte Erziehungsgeld als beitragspflichtige Einnahme der Pflegeperson zu berücksichtigen sei. Daher sei die Beitragsfestsetzung bis zum 31. August 2016 und ab dem 1. April 2017 korrekt erfolgt. Im Zeitraum vom 1. September 2016 bis zum 31. März 2017 sei es hingegen fehlerhaft zu einer zu geringen Beitragsfestsetzung gekommen, woraus sich jedoch aufgrund des Vertrauensschutzes keine Forderung gegenüber der Klägerin ergebe.

Dagegen hat die Klägerin am 12. Januar 2018 Klage vor dem Sozialgericht Schleswig erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 3. Juli 2013 – B 12 KR 27/12 R) Sozialleistungen beitragsfrei seien, die nicht in erster Linie auf die Befriedigung des allgemeinen Lebensunterhaltes ausgerichtet seien, sondern denen eine besondere Zweckbestimmung innewohne und bei denen die Gefahr bestünde, dass die Erfüllung des mit ihnen verfolgten Zwecks nicht mehr gewährleistet wäre, wenn dem Betroffenen die Leistung nicht ungekürzt zur Verfügung stünde.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 29. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2017 zu verurteilen, die von ihr, der Klägerin, im Rahmen ihrer freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten zu entrichtenden Krankenkassenbeiträge nach Maßgabe der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 11. März 2016 (Az L 1 KR 140/14) ab März 2016 neu zu berechnen und ggf. zu viel geleistete Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ihre Ausführungen im Vorverfahren wiederholt und vertieft.

Das Sozialgericht Schleswig hat die Klage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Urteil vom 22. August 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage bezogen auf den Zeitraum vom 1. September 2016 bis zum 31. März 2017 unzulässig sei, da für diesen Zeitraum das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehle. Hinsichtlich des Zeitraums vom 1. März bis zum 31. August 2016 und ab dem 1. April 2017 sei die Klage zulässig, jedoch unbegründet. Für die Beitragsbemessung seien gemäß § 3 Abs. 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht würden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Zur Beitragsbemessung seien Leistungen dann nicht heranzuziehen, wenn sie nicht zumindest auch dem allgemeinen Lebensbedarf zu dienen bestimmt seien. Der Erziehungsbeitrag werde der Pflegeperson als Anerkennung und Abgeltung der von ihr erbrachten Erziehungsleistung ausgezahlt. Er beeinflusse damit deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Anders als die Pauschalleistungen für den Unterhalt des Kindes, die keine beitragsrelevante Leistung darstellten, da sie für die materiellen Aufwendungen des Pflegekindes gezahlt würden, stellten die Beiträge, die zur Anerkennung bzw. Abgeltung der Erziehungskosten der Pflegeperson geleistet würden, beitragspflichtige Leistungen dar. Hierbei solle der ideell geleistete Erziehungsaufwand der Pflegeeltern entschädigt werden. Die Pflegeeltern hätten die freie Verfügungsmöglichkeit über das Erziehungsgeld. Die dem entgegenstehende Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 11. März 2016 (L1 KR 41/14) überzeuge demgegenüber nicht. Es liege aber auch bereits keine Vergleichbarkeit des vorliegenden Sachverhalts mit dem in vom LSG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall vor, da im vorliegenden Fall von der Klägerin drei Pflegekinder betreut würden, während es im dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg zugrundeliegenden Sachverhalt nur um die Betreuung eines Pflegekindes gegangen sei. Auch das LSG Berlin-Brandenburg sei davon ausgegangen, dass die als eigentlicher Zweck der Leistung angenommene Anreizfunktion für die Pflegeeltern zumindest dann vorherrschend sei, wenn nicht mehr als zwei Pflegekinder betreut würden.

Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 27. Januar 2020 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 12. Februar 2020 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist.

Zur Begründung macht sie geltend, anders als das Sozialgericht dies annehme, habe das LSG Berlin-Brandenburg die dortige Rechtsprechung nicht auf Fälle beschränkt, in denen maximal zwei Pflegekinder betreut würden. Vielmehr habe es als weitere Überlegung zur Stützung seiner Entscheidung darauf verwiesen, dass das Erziehungsgeld auch im Rahmen der Sozialgesetzbücher Zweites Buch (SGB II) und Zwölftes Buch (SGB XII) von der Berücksichtigung als Einnahmen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie in der dortigen Entscheidung – nicht mehr als zwei Personen betreut würden. Das Sozialgericht habe sich nicht mit der weiteren Würdigung des LSG Berlin-Brandenburg auseinandergesetzt, dass es dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck widersprechen würde, wenn der Anreiz gerade für freiwillig Versicherte dadurch gemindert werde, dass eine Berücksichtigung als Einnahme bei der Beitragsbemessung erfolge und zudem der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung dafür spreche, von einer Anrechnung auch im Rahmen der beitragspflichtigen Einnahmen abzusehen. Bei der gesetzgeberischen Wertung sei auch zu berücksichtigen, dass für die Betreuung im Rahmen des Pflegeverhältnisses für stärker beeinträchtigte Kinder ein erhöhter Erziehungsbeitrag gewährt werde, da diese Kinder einen größeren Aufwand an Erziehung, Beaufsichtigung, Zuwendung, Pflege und Fachwissen benötigten. Die mit dieser Zahlung verfolgte Anreizfunktion, würde ins Leere laufen, wenn diese für die Verbeitragung herangezogen würde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. August 2019 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die im Zeitraum 1. April 2017 bis 31. August 2017 im Rahmen der freiwilligen Mitgliedschaft der Klägerin zu entrichtenden Krankenkassenbeiträge ohne Berücksichtigung des für die Betreuung ihrer Pflegekinder erhaltenen Erziehungsgeldes festzusetzen sowie ggf. zu viel geleistete Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

          die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und verweist zur Begründung auf den erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondre ist sie fristgerecht innerhalb der Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beitragsberechnung der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 29. März 2017 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Berücksichtigung der im der Klägerin gewährten Erziehungsgeld enthaltenen Erziehungsbeiträge ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber der Klägerin sind § 252 Abs. 1 Satz 1 und § 250 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)  hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung sowie § 60 Abs. 1 Satz 1 und § 59 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) hinsichtlich der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung. Danach sind diese Beiträge von demjenigen zu zahlen, der sie zu tragen hat. Dies sind die freiwilligen Mitglieder bzw. die Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert sind, denn sie tragen diese Beiträge allein.

Die Beiträge der Krankenversicherung werden nach § 223 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB V nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze bemessen. Die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung werden nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGB XI nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) von den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 55 SGB XI) erhoben.

Bei freiwilligen Mitgliedern der Krankenversicherung wird die Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) geregelt. Der Spitzenverband hat mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 einheitliche Grundsätze erlassen (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler), die eine wirksame und hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage für die Beitragsbemessung darstellen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2012 B 12 KR 20/11 R juris). Gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI gelten diese Grundsätze auch für die Bemessung der Beiträge zur Pflegeversicherung. Gemäß § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Gemäß § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB V ist das an eine Pflegeperson weitergereichte Pflegegeld bis zur Höhe des Pflegegeldes nach § 37 Abs. 1 SGB XI nicht zu berücksichtigen.

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit setzt sich grundsätzlich aus den Einnahmen und Geldmitteln zusammen, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2006 B 12 KR 8/05 R juris Rn. 19). Hierbei muss es sich um Einnahmen und Geldmittel handeln, die dem Mitglied bei wirtschaftlicher Betrachtung zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (BSG, Urteil vom 23. September 1999 B 12 KR 12/98 R juris Rn. 16 f. m.w.N.).

Nach § 3 Abs. 1 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung für die Beitragsbemessung heranzuziehen. Eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen findet nicht statt. Danach kommt es für die Beitragspflicht nicht darauf an, ob die in Frage stehende Leistung mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen vergleichbar ist und auch nicht darauf, ob mit ihr weitere Zwecke verfolgt werden. Voraussetzung für die Beitragspflicht ist aber, dass die Mittel für die Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen. Dafür reicht nicht aus, dass eine Geldleistung tatsächlich auch zur Finanzierung des Lebensunterhaltes verwendet werden kann. Das ist nämlich bei allen Geldleistungen der Fall. Zu unterscheiden ist zwischen Leistungen, die zumindest auch dem allgemeinen Lebensbedarf zu dienen bestimmt sind und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Letztere sind für die Beitragsbemessung nicht heranzuziehen.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundlagen handelt es sich bei den im Pflegegeld der Klägerin enthaltenen Erziehungsbeiträgen um anrechenbares Einkommen.

Nach dem vom GKV-Spitzenverband herausgegebenen „Katalog von Einnahmen und deren beitragsrechtliche Bewertung nach § 240 SGB V“ (Seite 15) sind Beiträge zur Anerkennung bzw. Abgeltung der Erziehungskosten der Pflegeperson nach § 39 SGB VIII als beitragspflichtig mit „ja“ gekennzeichnet. Gemäß § 39 Abs. 1 SGB VIII umfasst der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung. Der Pauschalbetrag für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 39 Abs. 5 i.V.m Abs. 1 SGB VIII setzt sich gemäß § 1 Abs. 1 der Landesverordnung über die Leistungen zum Lebensunterhalt in der Jugendhilfe des Landes Schleswig-Holstein  vom 18. November 2010 (Lebensunterhalt-Verordnung – LUVO) zusammen aus 1. einem nach Altersstufen gestaffelten Betrag für die Kosten des Sachaufwandes und 2. einem einheitlichen Betrag für die Kosten für Pflege und Erziehung. Die unter 1. genannten Leistungen, die für die materiellen Aufwendungen der Pflegekinder gezahlt werden, hat die Beklagte zu Recht nicht in die Beitragsberechnung eingestellt. Die unter 2. genannten Erziehungsbeiträge dienen hingegen nicht dem Ausgleich des anfallenden Sachaufwandes zur Erziehung des Pflegekindes, sondern sollen den Pflegeeltern die von ihnen geleistete Erziehung entgelten. Auch wenn die Erziehungsbeiträge keinen Lohn im üblichen Sinne darstellen, können die Pflegeeltern doch frei hierüber verfügen. Maßgeblich ist insoweit allein die freie Verfügungsmöglichkeit (ebenso bereits Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. Dezember 2011 – L 5 KR 101/10 – juris Rn. 33). Sie stehen somit bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch der Klägerin zum Bestreiten des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Ob sie das Geld, jedenfalls zum Teil, für Sachaufwendungen verbraucht, ist ohne Belang, denn der Pflegeperson steht es frei, selbst darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie von diesem Betrag zusätzliche für der Erziehung dienende Gegenstände anschaffen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder aber ausschließlich ihre eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse bei der Pflege und Erziehung einsetzen will. Sie hat insoweit einen umfassenden Gestaltungsspielraum, weil die Kosten des Sachaufwandes für den Unterhaltsbedarf der Pflegeperson bereits durch das Pflegegeld im engeren Sinne abgegolten werden (Schleswig-Holsteinisches LSG, a.a.O., juris Rn. 34).

Die Zweckbestimmung als Kosten für Pflege und Erziehung steht der Berücksichtig als beitragspflichtige Einnahme nicht entgegen. Damit das Pflegegeld auch als finanzieller Anreiz dazu dienen kann, Pflegeltern zu finden, die die Erziehungsaufgaben übernehmen, müssen die Pflegeeltern in der Lage sein, das Geld auch für ihren eigenen Lebensunterhalt zu verwenden (ebenso Hessisches LSG, Urteil vom 22. August 2013 – L 1 KR 390/12 – juris Rn. 37).

Bei der Einbeziehung des Erziehungsbeitrages in die Bemessungsgrundlage der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wird der finanzielle Anreiz der Zuwendung auch nicht durch eine anrechnungsbedingte Anspruchsminderung aufgehoben. Denn oberhalb des Beitrags aus dem rechnerischen Mindesteinkommen nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V werden Einnahmen zum Lebensunterhalt nur anteilig entsprechend dem aktuellen Beitragssatz zur Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen, so dass aus dem verbleibenden Betrag noch ein ausreichender Anreiz zur Honorierung des immateriellen Erziehungsaufwandes der Pflegeeltern verbleibt (ebenso Sozialgericht Dresden, Urteil vom 6. April 2006 – S 18 KR 1304/04 – juris Rn. 33).

Die demgegenüber vom LSG Berlin-Brandenburg (Urteile vom 11. März 2016 – L 1 KR 140/14 – und vom 24. August 2022 – L 1 KR 448/19 – juris) vertretene Auffassung überzeugt den Senat nicht. Das LSG Berlin-Brandenburg stellt für seine Auffassung maßgeblich darauf ab, dass der Erziehungsbeitrag von den Jugendämtern nicht an die Pflegeeltern, sondern an die personensorgeberechtigte Person oder das Kind selbst geleistet werde. Es handele sich schon deshalb nicht um Einnahmen „des Mitglieds“ i.S.d. §§ 223 Abs. 2 Satz 1, 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. § 54 Abs. 2 SGB XI. Vielmehr sei eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung zwischen Pflegeperson und Sorgeberechtigtem über eine Abtretung oder Bevollmächtigung zur Geltendmachung im eigenen Namen Voraussetzung für die direkte Auszahlung der Gelder an die Pflegeperson (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. August 2022 a.a.O., juris Rn. 41). Dieser Umstand rechtfertigt jedoch aus Sicht des Senats nicht den Schluss, der an die Pflegeeltern gezahlte Erziehungsbeitrag sei ebenso wie das Pflegegeld im engeren Sinne lediglich ein durchlaufender Posten in deren Haushaltskasse, weil damit sämtliche Ausgaben, die der Erziehung des Pflegekindes dienten, finanziert werden müssten. Die rechtliche Zuordnung des Erziehungsbeitrages zum Personensorgeberechtigten bzw. Pflegekind als Anspruchsinhaber bringt lediglich zum Ausdruck, dass auch diese Geldleistung ebenso wie die Gewährung des Pflegegeldes letztlich den notwendigen Unterhalt des Pflegekindes abdecken soll und sich somit an dessen Pflege- und Erziehungsbedarf auszurichten hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, a.a.O., Rn. 34, juris).

Auch im Hinblick auf die Regelung in § 11a Abs. 3 Satz 2, Nr. 1 SGB II, wonach abweichend von § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II der Erziehungsbeitrag für das erste und zweite Pflegekind nicht, für das dritte Pflegekind zu 75 v.H. und für das vierte und jedes weitere Pflegekind in voller Höhe als Einkommen angerechnet wird, ergibt sich nichts anderes. Die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit bei der Bewilligung von Sozialleistungen folgt anderen Grundsätzen als die Beitragsbemessung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, a.a.O., juris Rn. 36; Hessisches LSG, a.a.O., juris Rn. 40). Zweck der Regelung in § 11a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II ist, dass die Anreizfunktion des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch bei Personen greift, die im SGB-II-Leistungsbezug stehen. Erst bei der Aufnahme von mehr als zwei Kindern in Vollzeitpflege wird nach der Wertung des SGB II unterstellt, dass es sich wegen der Professionalität der Pflegeleistungen um eine gewerbliche Einkommenserzielung handelt, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Pflegepersonen maßgeblich beeinflusst und die Hilfebedürftigkeit verringert. Eine Übertragbarkeit dieser gesetzgeberischen Wertung aus dem Grundsicherungsrecht auf die Beitragsfestsetzung für die freiwillige Krankenversicherung ist schon deshalb nicht geboten, da es durch die Berücksichtigung des Erziehungsbeitrags als Einkommen lediglich zu einer teilweisen Minderung (entsprechend dem jeweiligen Beitragssatz) des frei zur Verfügung stehenden Betrages durch die Beitragserhebung kommt. Bei einer Anrechnung der Erziehungsbeiträge als Einkommen im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II käme es hingegen zu einer fast vollständigen Anrechnung (abgesehen von den Absetzbeträgen nach § 11b SGB II) und somit zu einem gänzlichen Wegfall der Anreizfunktion.

Eine Nichtanrechnung des Erziehungsbeitrags zumindest für die ersten zwei Pflegekinder ist entgegen der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11. März 2016, a.a.O., juris Rn. 21) unter Rückgriff auf die Regelungen im SGB II auch nicht im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten, da es hinsichtlich der Berücksichtigung des Pflegegeldes ohnehin keine einheitlichen Regelungen in der Rechtsordnung gibt. So wird der Erziehungsbeitrag steuerrechtlich als steuerfreie Beihilfe im Sinne des § 3 Nr. 11 Einkommenssteuergesetz (EStG) behandelt und eine Besteuerung erst ab dem siebten Pflegekind vorgenommen (vgl. Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. August 2021, IV C 3 - S 2342/20/10001 :003, recherchiert unter: www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Einkommensteuer/2021-08-31-einkommensteuerrechtliche-behandlung-der-geldleistungen-fuer-kinder-in-vollzeitpflege-und-anderen-betreuungsverhaeltnissen.pdf?__blob=publicationFile&v=1). Im Wohngeldrecht wird hingegen gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 24 und 25 WoGG für das relevante Jahreseinkommen die Hälfte der Pauschale für den notwendigen Unterhalt als Einkommen des Kindes und die Hälfte der Pauschale für die Kosten der Erziehung als Einkommen der Pflegeperson berücksichtigt.

Soweit das LSG Berlin-Brandenburg gerade aus dieser nicht einheitlichen Behandlung des Erziehungsbeitrags in der Rechtsordnung ableiten will, dass die Generalklausel des § 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler für eine Berücksichtigung der Erziehungsbeiträge als Einkommen als Rechtsgrundlage nicht ausreiche, da die Regelung zu unbestimmt sei und eine eindeutige Auslegung der hier zu klärenden Frage nicht erfolgen könne und es insofern entweder einer speziellen Regelung in § 240 SGB V selbst oder aber jedenfalls einer ausdrücklichen speziellen und genügend bestimmten Regelung in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler bedürfe (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. August 2022, a.a.O., Rn. 42 ff., juris), folgt der Senat dieser Auffassung ebenfalls nicht. Der Gesetzgeber hat dem durch § 240 Abs. 1 SGB V zur näheren Bestimmung der Beitragsbemessung ermächtigten GKV-Spitzenverband mit der Vorgabe der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einen großen Spielraum zur weiteren Ausgestaltung eröffnet. Diesen hat der GKV-Spitzenverband einerseits mit der Vorgabe in § 3, wonach neben dem Arbeitsentgelt, dem Arbeitseinkommen, dem Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, dem Zahlbetrag der Versorgungsbezüge auch alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung als beitragspflichtige Einnahmen zu behandeln sind, ausgefüllt. Weiterhin hat er über den „Katalog von Einnahmen und deren beitragsrechtliche Bewertung nach § 240 SGB V“ eine konkrete Vorgabe für die hier streitigen Erziehungsbeiträge nach § 39 SGB VIII getätigt. Damit ist nach Auffassung des Senats die weite gesetzgeberische Generalklausel bestimmbar gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SSG zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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