S 13 KA 5/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 KA 5/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 1/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
  1. Zwar ist bei der Prüfung im Rahmen der Auswahlentscheidung nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL, inwieweit der Versorgungsbedarf räumlich bereits gedeckt ist, die durch Filialpraxen erfolgende Versorgung mitzuberücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 08.12.2010, B 6 KA 36/09 R; Bayer. LSG, Beschluss vom 28.01.2015, L 12 KA 135/14 B ER; SG München, Urteil vom 07.11.2018, S 38 KA 634/17). Geht es jedoch nicht um die Frage, ob eine bereits bestehende Filialpraxis eines Dritten einer Auswahlentscheidung zugunsten eines Standorts entgegenstehen könnte, weil durch diese Filialpraxis faktisch der Bedarf bereits gedeckt ist, sondern vielmehr um die eigene, bereits bestehende Filiale eines Bewerbers, die in einen Vertragsarztsitz „umgewandelt“ werden soll, kann bei der Prüfung des Versorgungsbedarfs nicht die Filialpraxis neben dem streitigen (neuen) Vertragsarztsitz betrachtet werden, weil – anders als in den der zit. Rspr. zugrunde liegenden Fällen – der begehrte Vertragsarztsitz nicht zusätzlich zur Filiale bestehen würde, sondern (nur) stattdessen.

 

  1. Liefe die Dreimonatsfrist des § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V auch im Falle der Drittanfechtung ab Zustellung des Zulassungsbeschlusses, so wäre die Frist regelmäßig abgelaufen, bevor der Arzt wegen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch bzw. Klage die Tätigkeit aufnehmen kann. Deshalb ist § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG so auszulegen, dass dann, wenn Widerspruch bzw. Klage gegen die Zulassung erhoben wird, die Dreimonatsfrist (erst) ab Bestands- bzw. Rechtskraft der Zulassung zu laufen beginnt.

 

  I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 8).

 


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Konkurrentenklage um die Vergabe eines hälftigen Vertragsarztsitzes für die Arztgruppe der Kinder- und Jugendärzte im Planungsbereich Landkreis F. nach Teilentsperrung.

Mit Beschluss vom 13.12.2019 stellte der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in B. fest, dass im Planungsbereich Landkreis F. für die Arztgruppe der Kinderärzte keine Überversorgung mehr besteht und neue Zulassungen bzw. entsprechend Anstellungsgenehmigungen im Umfang von 0,5 Versorgungsaufträgen erteilt werden dürfen.

Innerhalb der vom Landesausschuss gesetzten Frist (28.02.2020) gingen mehrere Bewerbungen beim Zulassungsausschuss für Ärzte O. (ZA) ein, u.a.
1. der kinderärztlichen BAG Dr. S., Dr. G. (Beigeladener zu 8)), Dr. H. und Dr. Z. auf Genehmigung der Anstellung von Frau Dr. P., Fachärztin für Kinder und Jugendmedizin, im Umfang von 20 Wochenstunden zur vertragsärztlichen Tätigkeit in XXXXX G-Stadt, G-Straße,
2. der BAG Dr. S., Dr. G. (Beigeladener zu 8)), Dr. H. und Dr. Z. auf Genehmigung der Anstellung von Frau K., Fachärztin für Kinder und Jugendmedizin, im Umfang von 20 Wochenstunden zur vertragsärztlichen Tätigkeit in XXXXX G-Stadt, G-Straße,
3. des Dr. G. (Beigeladener zu 8)) auf Teilzulassung als in XXXXX G-Stadt, G-Straße, sowie
4. des Klägers, Kinder- und Jugendarzt/Pneumologie, auf Teilzulassung am Vertragsarztsitz XXXXX N. (Erhöhung der bereits bestehenden Zulassung mit hälftigen Versorgungsauftrag auf einen vollen Versorgungsauftrag).
Zur Erläuterung der Anträge 1.-3. führte Dr. S. mit Schreiben vom 25.02.2020, eingegangen beim ZA am selben Tag, aus, dass Frau Dr. P. (Antrag 1.) die Wunschkandidatin sei. Als 2. Antrag stelle die BAG denjenigen mit dem Ziel, Frau K. anzustellen. Im 3. Antrag bewerbe sich Herr Dr. G., der Beigeladene zu 8), der die besten Voraussetzungen mitbringe und bereit sei, auf seine Zulassung im Rahmen eines Sonderbedarfs in H. hälftig zu verzichten; allerdings könne man so nicht die Budgetgrenzen der BAG erweitern. Der einzige, aber wesentliche Vorteil wäre, dass Dr. G. dann auch hausärztlich arbeiten könnte. Mit einem weiteren, ebenfalls auf den 25.02.2022 datierten, aber erst am 09.03.2020 beim ZA eingegangenen Schreiben ergänzte Dr. S., dass die Anträge 1.-3. in einem Rangverhältnis stünden. Je nach Situation werde man einen oder zwei Anträge zurückziehen. Sollte ein Mitbewerber eine höhere Qualifikation als Frau Dr. P. aufweisen, so komme der 2. Antrag (Frau K.) zum Tragen. Nur im Falle, dass ein Mitbewerber (anders als Frau K.) eine Zusatzbezeichnung trage, komme der Antrag des Beigeladenen zu 8), der über die Schwerpunktbezeichnung Neuropädiatrie verfüge, zum Tragen.

Mit Beschluss des ZA vom 27.05.2020 wurde der Beigeladene zu 8) als in G-Stadt zur vertragsärztlichen Tätigkeit mit hälftigem Versorgungsauftrag zugelassen; die Anträge der übrigen Bewerber wurden abgelehnt.

Hiergegen richteten sich die Widersprüche des Klägers sowie der BAG Dres. S., G., H., Z. betreffend die Ablehnung der Anträge auf Anstellung von Frau K. und Frau Dr. P.. Die übrigen Bewerber erhoben keinen Widerspruch. Der Widerspruch gegen die Ablehnung der Genehmigung zur Anstellung von Frau Dr. P. wurde sodann wieder zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 12.11.2020, ausgefertigt am 13.01.2021, wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers sowie der BAG Dres. S., G., H., Z. (wegen Genehmigung der Anstellung von Frau K.) zurück und ließ den Beigeladenen zu 8) als Kinder- und Jugendarzt/Schwerpunkt Neuropädiatrie für den Vertragsarztsitz XXXXX G-Stadt, G-Straße, im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags (Bedarfsplanungsanrechnungsfaktor 0,5) zur vertragsärztlichen Tätigkeit zu - unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Beigeladene zu 8) vor Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in G-Stadt auf die bestehende Zulassung im Rahmen eines Sonderbedarfs in H. hälftig verzichte und einen Nachweis darüber vorlege. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Zulassung des Beigeladenen zu 8) gemäß § 95 Ab. 7 SGB V ende, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheids aufgenommen werde.

Der Beklagte sei zu diesem Ergebnis nach pflichtgemäßer Ermessensausübung und unter Berücksichtigung der Kriterien des § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL gelangt.

Hinsichtlich der Kriterien "Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit" und "Approbationsalter" seien die drei Bewerber (Dr. G. (Beigeladener zu 8)), Frau K. und Dr. J. (Kläger)) als gleichrangig anzusehen, weil alle drei seit Approbation und Erwerb des Facharzttitels mehr als fünf Jahre ärztlich tätig seien.

Bezüglich des Kriteriums der "Eintragung in die Warteliste" sei festzustellen, dass der Beigeladene zu 8) seit 27.09.2019, der Kläger seit 02.06.2014 und Frau K. überhaupt nicht in die Warteliste eingetragen seien. Die Dauer der Eintragung in die Warteliste sage jedoch über die Qualifikation der Bewerber nichts aus, weshalb diesem Kriterium nur dann eine wesentliche Bedeutung zukommen, wenn sich aus den übrigen Kriterien kein Vorrang zugunsten eines Erwerbes ergebe.

Hinsichtlich des Kriteriums der "bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes" sei G-Stadt der Vorzug zu geben gegenüber N., wo der Kläger tätig werden wolle und wo er bereits im Rahmen einer Zulassung mit einem hälftigen Versorgungsauftrag tätig sei. In G-Stadt sei bislang kein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin niedergelassen, es befinde sich dort lediglich eine Filiale der BAG Dres. S., G., H., Z., die bislang lediglich untergeordnet allgemeinkinderärztlich mitversorgt werde, neuropädiatrische Leistungen würden dort nicht erbracht. Im N. gebe es derzeit zwei mit jeweils hälftiger Zulassung tätige Fachärzte für Kinder-und Jugendmedizin mit den Schwerpunktbereichen Pneumologie und Neuropädiatrie (darunter der Kläger selbst, Pneumologie). G-Stadt befinde sich fast mittig im Nordosten des Planungsbereichs, während N. im Süden des Planungsbereichs zu verorten sei. G-Stadt sei demnach von Patienten im Norden, Osten und sogar teilweise Südosten besser erreichbar als N..

Das Kriterium der "Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten" entscheide der Beigeladene zu 8) für sich. Sowohl er als auch der Kläger verfügten über eine Schwerpunktbezeichnung (Neuropädiatrie bzw. Pneumologie). Frau K. verfüge über keine zusätzlichen Qualifikationen und stehe demnach den beiden anderen Bewerbern insoweit nach. Nach Auswertung des Patientenstroms werde deutlich, dass zahlreiche neuropädiatrische Patienten aus dem Norden und Osten des Planungsbereichs bis nach H. oder N. führen. Für die Patienten im Norden, Osten und teilweise Südosten wäre eine neuropädiatrische Versorgung in G-Stadt eine enorme Entlastung. Wenn der Beigeladene zu 8) zusätzlich zu H. auch in G-Stadt tätig würde, brächte dies für viele Patienten eine Verbesserung. Die Patienten, die bisher die Praxis in H. aufgesucht hätten, könnten dies weiterhin tun. Der Beigeladene zu 8) sei dort ja weiterhin auch noch tätig, zusätzlich könne auch Dr. H. neuropädiatrisch tätig werden. Die Versorgung am Vertragsarztsitz H. sei somit weiterhin gesichert. Der Beigeladene zu 8) nehme, wenn er neben einer hälftigen Sonderbedarfszulassung (in H.) eine weitere Zulassung im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags (in G-Stadt) innehabe, weiterhin an der vertragsärztlichen Versorgung mit einem Versorgungsauftrag von 1,0 teil. Die Praxen H. und G-Stadt seien lediglich 18,5 km voneinander entfernt. Eine "normale" Zulassung bringe außerdem gegenüber einer Sonderbedarfszulassung Vorteile im Hinblick auf die Nachbesetzung oder die Verlegung des Vertragsarztsitzes mit sich. Diese Vorteile dürften dem Beigeladenen zu 8), dem geeignetsten Bewerber, nicht verwehrt werden, nur weil er bereits eine Sonderbedarfszulassung innehabe. Wenngleich der Beigeladene zu 8) über den Schwerpunkt Neuropädiatrie verfüge, könne er selbstverständlich auch allgemeinkinderärztlich in G-Stadt tätig sein. Das Innehaben eines Schwerpunktes sei stets als positiv und die Patientenversorgung verbessernd zu werten. Die kinderpneumologische Versorgung im Planungsbereich erscheine anhand von Fallzahlstatistiken und Abrechnungsanalysen der Praxis des Klägers in N. als gesichert. Es ließen sich freie Kapazitäten vermuten. Neben der ebenfalls in dieser Praxis tätigen Frau Dr. K., die auch den Schwerpunkt Pneumologie innehabe, befänden sich zwei weitere Pneumologen mit jeweils vollem Versorgungsauftrag in E., 7,4 km entfernt.

Insgesamt hebe sich damit der Beigeladene zu 8) durch die beiden essenziellen, für ihn sprechenden Kriterien der "bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes" und der "Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten" von seinen Mitbewerbern ab, weshalb ihm der Vorzug zu geben sei.

Dagegen hat der Kläger am 15.02.2021 (Montag) Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und diese mit Schriftsätzen vom 03.05.2021, 02.06.2021 und 19.04.2022 wie folgt begründet:

Zu Unrecht habe der Beklagte das Kriterium der räumlichen Wahl des Vertragsarztsitzes zugunsten von G-Stadt und damit zugunsten des Beigeladenen zu 8) gewertet. Denn die notwendige Auseinandersetzung mit der Verkehrsinfrastruktur im Planungsbereich Landkreis F. sei unterblieben. Versicherte aus dem Norden und Osten des Planungsbereichs könnten die Distanz von 13 km von G-Stadt nach F. in ca. 17 Minuten zurücklegen, wo die allgemeine kinderärztliche und auch die neuropädiatrische Versorgung umfassend angeboten würden. Auch grenze der Norden des Planungsbereichs Landkreis F. an den mit über 140 % überversorgten Planungsbereich Landkreis B.. Der Süden des Planungsbereichs Landkreis F. grenze dagegen an einen mit unter 140 % versorgten Planungsbereich. Patienten aus dem Süden/Südosten des Planungsbereichs hätten im Vergleich zu Patienten im Norden und Osten des Planungsbereichs eine wesentlich schlechtere Anbindung an F. und die dort angebotene kinderärztliche Versorgung. Der Beklagte habe auch nicht berücksichtigt, dass Patienten aus dem äußersten Nordosten des Planungsbereichs in kurzer Fahrzeit eine kassenärztliche Kinderarztpraxis in P. erreichen könnten. Außerdem lasse der Beklagte außer Acht, dass die allgemeine und insbesondere neuropädiatrische Versorgung der Patienten im Norden des Planungsbereichs bereits jetzt in erheblichem Maße durch die von G-Stadt nur 18,5 km entfernte Praxis der BAG Dres. S., G., H., Z. in H. mit abgedeckt werde.

Für die Feststellung des Bedarfs seien auch die Versorgungsangebote einer Filialpraxis zu berücksichtigen. Es komme auf die tatsächliche Versorgungssituation an (vgl. SG A-Stadt, Urteil vom 07.11.2018, S 38 KA 634/17). In der von der Gemeinschaftspraxis der BAG Dres. S., G., H., Z. in G-Stadt betriebenen Filiale würden aktuell bereits mindestens 900 Kassenpatienten behandelt. Für deren Versorgung sei es ohne jeden Belang, ob die Behandlung am Stammsitz oder in einer von einer Kassenarztpraxis betriebenen Filiale erfolge. Durch die Vergabe der hälftigen Zulassung an den bislang mit voller Sonderbedarfszulassung in der Gemeinschaftspraxis in H. tätigen Beigeladenen zu 8), damit dieser am Standort der Filiale in G-Stadt im Planungsbereich Landkreis F. nunmehr mit hälftiger Zulassung kassenärztlich tätig werden dürfe, verbessere sich die Versorgungssituation der Versicherten in räumlicher Hinsicht entgegen der Ansicht des Beklagten jedenfalls nicht.

Der Beklagte begründe schließlich nicht nachvollziehbar, warum unter Versorgungsgesichtspunkten (Schwerpunkte) einer etwaigen neuropädiatrischen Versorgung in G-Stadt gegenüber einem Ausbau der pneumologischen Versorgung in N. der Vorzug zu geben sei.

Insofern bleibe unklar, wie der Beklagte zu dem Ergebnis gelangt sei, dass aufgrund von Fallzahlenstatistiken und Abrechnungsanalysen der Praxis des Klägers in N. die pneumologische Versorgung im Planungsbereich als gesichert erscheine. Ohnehin lasse sich nicht nachvollziehen, wie sich aus den Zahlen der Praxis des Klägers Rückschlüsse auf die gesamte pneumologische Versorgung im Planungsbereich ziehen lassen sollten. Auch seien die Anschaffung einer neuen speziellen apparativen Ausstattung und die Möglichkeit der Diagnostik und Behandlung komplexer Krankheitsverläufe (Allergien) in der klägerischen Praxis vom Beklagten außer Acht gelassen worden.

Eine genaue Begründung, warum der Beklagte hingegen eine enorme Entlastung durch den Standort G-Stadt für neuropädiatrische Patienten sehe, sei nicht erfolgt. Die bereits bestehende neuropädiatrische Versorgung in F. bleibe unberücksichtigt. Außerdem fehle es an einer ausreichenden Ausstattung für die Untersuchung und Behandlung neuropädiatrischer Patienten in G-Stadt, sodass diese weiterhin an den Standort H. der BAG Dres. S., G., H., Z. zu überweisen sein würden.

Schließlich habe der Beklagte unzulässigerweise nicht berücksichtigt, dass durch die Kombination zwischen dem Kläger und seiner Kollegin in der kinderärztlichen BAG am Standort N. mehrere Schwerpunktbezeichnungen, nämlich Kinderpneumologie und Neuropädiatrie, zum Vorteil der Patienten an einem Ort und unter einem Dach gebündelt würden.

Indem der Beigeladene zu 8) als Mitglied der BAG Dres. S., G., H., Z. Widerspruch gegen die Ablehnung des "zweitrangigen" Anstellungsgenehmigungsantrages für Frau K. eingelegt habe (und damit quasi gegen seine eigene - nur nachrangig von ihm gewollte - Zulassung vorgegangen sei), habe der Beigeladene zu 8) rechtlich betrachtet auf die ihm erteilte Zulassung verzichtet. Letztlich wolle der Beigeladene zu 8) in G-Stadt nicht tätig werden, sondern es gehe nur um die Sicherung des streitigen hälftigen Vertragsarztsitzes für die BAG. Dies hätte der Beklagte hinterfragen und in seine Ermessenserwägungen mit einfließen lassen müssen.

Der Beigeladene zu 8) hat demgegenüber mit Schriftsätzen vom 21.02.2022 und 28.05.2022 Folgendes erwidert:

Im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes ergebe sich unter Zugrundelegung der Statistik kommunal 2018 des Bayerischen Landesamtes für Statistik (minderjährige Bevölkerung in N.: 1.390 Personen, in G-Stadt: 1.104 Personen, Stand 31.12.2017) und der allgemeinen Verhältniszahl für den hier maßgeblichen Planungsbereich Landkreis F. (hier: 2.862 minderjährige Einwohner je Arzt), dass in N. lediglich ein Bedarf von 0,49 Versorgungsaufträgen bestehe, wobei dort mit den beiden Teilzulassungen des Klägers und von Frau Dr. K. sogar bereits ein voller Versorgungsauftrag ansässig sei, während in G-Stadt Bedarf für einen hälftigen Versorgungsauftrag bestehe, derzeit dort jedoch keiner existiere.

Die f. S. sei vom Standort G-Stadt aus relativ zentral in seinem Umland zu versorgen. N. liege dagegen am südlichen Ende des Planungsbereichs und grenze an die Planungsbereiche Landkreis J-Stadt-H./Stadt J-Stadt an, wobei der Planungsbereich J-Stadt mit über 140 % überversorgt sei. Von einer gleichmäßigen Verteilung der Vertragsarztsitze im Planungsbereich Landkreis F. könne nicht die Rede sein, wenn dem Kläger an seinem bereits existierenden Vertragsarztsitz in N., an dem er mit Frau Dr. K. eine BAG betreibe, eine weitere hälftige Zulassung zugesprochen werden würde, während G-Stadt und dessen Umland weiterhin ohne Vertragsarztsitz blieben.

Im Hinblick auf Versorgungsgesichtspunkte sei anzumerken, dass die kinderpneumologische Versorgung im Planungsbereich sichergestellt sei. Hinzu komme, dass in lediglich 6 km Entfernung vom Vertragsarztsitz des Klägers und seiner Gemeinschaftspraxispartnerin, in E., zwei weitere Kinderärzte mit der Schwerpunktbezeichnung Kinderpneumologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen seien.

Demgegenüber sei bisher nur ein einziger Arzt mit der Schwerpunktbezeichnung Neuropädiatrie im Planungsbereich niedergelassen, und zwar im zu G-Stadt in über 10 km Entfernung liegenden F..

Wenngleich nach § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 9 SGB V im Nachbesetzungsverfahren und entsprechend im Verfahren nach partieller Entsperrung (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2019, B 6 KA 5/18 R) bei der zu treffenden Auswahlentscheidung auch die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots zu berücksichtigen sei und selbst wenn man die BAG des Klägers als besonderes Versorgungsangebot sehen wolle, so sei vorliegend doch mit der begehrten zusätzlichen hälftigen Zulassung eine Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots beim Kläger nicht ersichtlich. Denn mit der begehrten Zulassung komme keine weitere Leistung am Standort N. hinzu, die nicht bereits jetzt dort erbracht werden dürfte.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 20.09.2022 ergänzend zur bereits vorgelegten Verwaltungsakte noch weitere Unterlagen, die seinem Beschluss vom 12.11.2020 zugrunde lagen, dem Gericht übersandt.

Der Kläger beantragt (Niederschrift vom 05.10.2022),

den Beschluss des Beklagten vom 12.11.2020 insoweit aufzuheben, als der Antrag des Klägers auf Erhöhung seiner hälftigen Zulassung auf einen vollen Versorgungsauftrag abgelehnt und der Beigeladene zu 8) zur vertragsärztlichen Tätigkeit auf einem hälftigen Versorgungsauftrag zugelassen wurde, sowie den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,
            
  die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene zu 8) beantragt (Schriftsatz vom 21.02.2021):

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen des Beigeladenen zu 8), wobei die Beiziehung eines Rechtsanwalts bereits im Vorverfahren für erforderlich erachtet wird.

Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt und sich nicht zum Verfahren geäußert.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenvorgänge.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg (§ 51 Abs. 1 Nr. 5, § 57a Abs. 1, § 10 Abs. 2, 3 SGG iVm Art. 1 Abs. 2 AGSGG) erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage ist als sog. offensive Konkurrentenklage des im Auswahlverfahren unterlegenen Klägers zulässig (§ 54 Abs. 1 SGG) (vgl. BSG, Urteil vom 01.04.2015, B 6 KA 48/13 R).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des Beklagten, den Antrag des Klägers auf Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag als Kinder- und Jugendarzt/Schwerpunkt Pneumologie zur vertragsärztlichen Tätigkeit in N. abzulehnen und stattdessen den Beigeladenen zu 8) zur vertragsärztlichen Versorgung im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags zuzulassen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Ist - wie hier - in einem bislang überversorgten Planungsbereich die Überversorgung später entfallen und sind deshalb zuvor angeordnete Zulassungsbeschränkungen gemäß § 103 Abs. 3 SGB V partiell aufgehoben worden, sind für Entscheidungen der Zulassungsgremien über Anträge auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung § 95 Abs. 2 Satz 1 bis 6 und Satz 9 SGB V, für Entscheidungen über Anträge auf Genehmigung der Anstellung eines Arztes in einem MVZ § 95 Abs. 2 Satz 7 bis 9 SGB V und für Entscheidungen über die Anstellung eines Arztes bei einem Vertragsarzt § 95 Absatz 9 SGB V als gesetzliche Rechtsgrundlagen maßgeblich. Ergänzend zu beachten sind die Vorgaben in § 26 BedarfsplRL sowie die Regelungen der Ärzte-ZV, die persönliche Angaben zu dem Arzt erfordern, der zugelassen oder angestellt werden soll (BSG, Urteil vom 15.05.2019, B 6 KA 5/18 R).  

Dabei sind bei den auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gerichteten Vornahmesachen in der Regel alle Änderungen der Sachlage bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz sowie alle Rechtsänderungen zu berücksichtigen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn dem Vornahmebegehren - wie vorliegend - notwendigerweise eine Abwehrklage in Gestalt einer Drittanfechtung der Begünstigung des ausgewählten Bewerbers vorangehen muss. Falls sich für die Zulassung des begünstigten Dritten die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorteilhafter darstellt, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich (BSG, Urteil vom 22.10.2014, B 6 KA 44/13 R; Urteil vom 11.12.2013, B 6 KA 49/12 R).

Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte den Beigeladenen zu 8) bei der Auswahlentscheidung mitberücksichtigt hat.

Auch wenn man von einer (nur) bedingten Antragstellung des Beigeladenen zu 8) vor dem ZA ausgeht, ist dessen Antrag auf Zulassung mit einem hälftigen Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung nicht als unzulässig und damit unbeachtlich zu behandeln.

Zwar kann ein nur bedingter Antrag unter Umständen ein Verwaltungsverfahren nicht wirksam in Gang setzen, sofern wegen der Bedingung die "Türöffnerfunktion" des Antrags nicht erfüllt werden kann (Hessisches LSG, Beschluss vom 27.03.2013, L 6 AS 400/12 B ER). Vorliegend hing jedoch der bedingte Antrag betreffend die vertragsärztliche Zulassung des Beigeladenen zu 8) - vergleichbar einer grundsätzlich zulässigen innerprozessualen Bedingung, die die Wirksamkeit einer Prozesserklärung vom Prozessablauf selbst abhängig macht (z.B. Hilfsantrag) (vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 10.02.2015, L 15 VK 6/14) - (nur) von einer Bedingung innerhalb des von den Zulassungsgremien durchzuführenden Verwaltungsverfahren ab, über die das Verfahren selbst Gewissheit bringen würde (Ergebnis der Anträge bzgl. Frau Dr. P. und Frau K.). Dementsprechend erachtet das Gericht auch den "Stufenantrag" des Beigeladenen zu 8) bzw. der BAG Dres. S., G., H., Z. als wirksam. Letztlich hat der Beklagte seine Auswahlentscheidung zwischen dem Kläger, dem Beigeladenen zu 8) und Frau K. im Rahmen eines eigenständigen Verwaltungsverfahrens getroffen, ohne einzelne Anträge in ein Stufenverhältnis zu setzen; dem vorausgegangen war ein unbedingter Widerspruch gegen die Ablehnung der Bewerberin K. (und des Klägers). Der Beklagte hat dem Beigeladenen zu 8) den streitigen hälftigen Versorgungsauftrag zugesprochen. Allein über die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung hat das Sozialgericht zu befinden.

Der Beigeladene zu 8) hat auch nicht auf die ihm vom ZA zugesprochene Zulassung konkludent verzichtet, indem er den Widerspruch der BAG dagegen (wohl) mitgetragen hat. Angesichts der Ausführungen des Dr. S. (von dem sich der Beigeladene zu 8) im gesamten Verfahren vertreten ließ) in seinen erläuternden Schreiben vom 25.02.2020 ist gerade nicht davon auszugehen, dass der Beigeladene zu 8) mit Widerspruchseinlegung konkludent auf seine Zulassung verzichtet hat, sondern die BAG und damit auch der Beigeladene zu 8) wollten damit weiter das von ihnen verfolgte primäre Ziel erreichen, eine hälftige Anstellungsgenehmigung für Frau Dr. P. oder Frau K. zu erhalten. Wenngleich der Beigeladene zu 8) damit formal gesehen widersprüchlich oder zumindest zweigleisig gefahren sein mochte, so ist angesichts der dargestellten Interessenlage bzw. Planungen der BAG nach einem objektiven Empfängerhorizont nicht davon auszugehen, dass der Beigeladene zu 8) auf die ihm zugesprochene Zulassung - noch dazu konkludent - verzichten wollte, womit die BAG, bei einem etwaigen Erfolg des Klägers im Widerspruchsverfahren, mit leeren Händen dastünde, anstatt (zumindest) eine Zulassung für den Beigeladenen zu 8) erreicht zu haben, wenngleich dies nur die drittbeste Option aus Sicht der BAG war.

Die Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern in einem Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen hat anhand der Regelung in § 26 Abs. 4 BedarfsplRL zu erfolgen.

Nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL entscheiden die Zulassungsgremien unter mehreren Bewerbern nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung folgender Kriterien: berufliche Eignung, Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit, Approbationsalter, Dauer der Eintragung in die Warteliste gemäß § 103 Abs. 5 Satz 1 SGB V, bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes, Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten (siehe z.B. Fachgebietsschwerpunkt, Feststellungen nach § 35) und Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung. Es gelten damit grundsätzlich die gleichen Kriterien wie bei der Nachfolgezulassung (abgesehen von den besonderen - finanziellen - Interessen des Praxisabgebers), wobei eine ergänzende Harmonisierung durch Auslegung stattfindet (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 226, mwN).

Daraus, dass die Auswahlentscheidung im Ermessen der Prüfgremien liegt, folgt, dass die gerichtliche Überprüfung darauf beschränkt ist, ob das Ermessen gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG fehlerhaft ausgeübt wurde und der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist (BSG, Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 11/19 R). Die Gerichte haben nur zu prüfen, ob die Behörde von einem vollständigen und richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die rechtlichen Grenzen ihres Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei kommt den Zulassungsgremien ein weiter Spielraum bei der Gewichtung der Auswahlkriterien zu; die Kriterien sind nicht zu beachten, sondern lediglich zu berücksichtigen. Damit wird keine strikte Verbindlichkeit vorgegeben; der Begriff "berücksichtigen" beinhaltet vielmehr allein, dass die Zulassungsgremien die gesetzlich vorgegebenen Kriterien nicht gänzlich außer Betracht lassen dürfen, sondern sie in ihre Überlegungen miteinbeziehen - in Erwägung ziehen - müssen; es steht ihnen aber frei, hiervon aus Sachgründen abzuweichen (BSG, Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R).

Nach diesen Maßgaben ist die Auswahlentscheidung des Beklagten ermessensfehlerfrei ergangen.

a)  Da sowohl der Kläger als auch der Beigeladene zu 8) seit Abschluss der Weiterbildung (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R) mehr als fünf Jahre ärztlich tätig waren, hat der Beklagte zutreffend beide Bewerber bzgl. der Kriterien Dauer der ärztlichen Tätigkeit und Approbationsalter als gleichrangig erachtet. Das Gleiche gilt für das Kriterium der Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung, da alle Bewerber angegeben haben, über barrierefreie Praxisräume zu verfügen. Zu Recht hat der Kläger diese Aspekte der Auswahlentscheidung des Beklagten auch nicht angegriffen.

b)  Bezüglich des Kriteriums der Eintragung in die Warteliste hat der Beklagte festgestellt, dass der Beigeladene zu 8) seit dem 27.09.2019 und der Kläger seit dem 02.06.2014 in die Warteliste eingetragen ist, ohne dieses Kriterium zugunsten eines Bewerbers gewichten. Die Wartezeit ist unter Versorgungsaspekten ohne Bedeutung. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte der Wartezeit eine nur untergeordnete bzw. nachrangige Bedeutung im Rahmen der Ermessensabwägung einräumte und diese hinter anderen Gesichtspunkten zurücktreten ließ (vgl. auch Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 274, mwN auf die Rspr.).

d)  Soweit der Beklagte im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes dem Praxisstandort G-Stadt (Beigeladener zu 8)) gegenüber dem Praxisstandort N. (Kläger) den Vorzug gegeben hat, ist dies im Hinblick auf den dem Beklagten eingeräumten Ermessensspielraum rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern ist u.a. nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 Spiegelstrich 5 BedarfsplRL die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes und ihre Beurteilung im Hinblick auf die bestmögliche Versorgung der Versicherten zu berücksichtigen. Zu bevorzugen ist regelmäßig ein Bewerber, der in seinem Antrag als Vertragsarztsitz einen Ort mit lokaler Unterversorgung angegeben hat, gegenüber einem Bewerber, der die Zulassung für einen schon gut versorgten Teil des Planungsbereichs beantragt hat. Das Kriterium bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes nimmt gerade das Konzept der wohnortnahen Versorgung auch hinsichtlich der fachärztlichen Versorgung auf. Dabei genügt eine allgemeine, jedoch nachvollziehbare Einschätzung des Bedarfs verbunden mit einer Gegenüberstellung des Bedarfs an den einzelnen anvisierten Standorten (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 04.10.2022), Rn. 88, mwN auf Rspr. und Lit.). Diesen Anforderungen genügen die Ermittlungen bzw. Erwägungen des Beklagten.

Der Beklagte hat unter räumlichen Gesichtspunkten den Standort G-Stadt als vorzugswürdig erachtet, weil sich dort noch kein kinderärztlicher Vertragsarztsitz befindet und damit der Norden, Nordosten und teilweise der Südosten des Planungsbereichs eine Versorgungsverbesserung erfahren würde, während in N. bereits zwei hälftige Vertragsarztsitze der Patientenversorgung zur Verfügung stehen.

Der Klägerbevollmächtigte hält dagegen G-Stadt als Vertragsarztstandort für weniger geeignet als N., da die Versorgung der Versicherten im Norden des Planungsbereichs aufgrund der Nähe zu den bestehenden Versorgungsangeboten in F., P. und im angrenzenden - mit über 140 % überversorgten - Planungsbereich Landkreis B. (insb. durch die Praxis der BAG in H.) bereits hinreichend sichergestellt sei, während der Süden des Planungsbereichs an einen mit unter 140 % unterversorgten Planungsbereich grenze (damit könnte der Landkreis J-Stadt-H. (111,99 %) oder auch N. L. (109,89 %) gemeint sein) und Patienten aus dem Süden/Südosten eine wesentlich schlechtere Anbindung an die kinderärztliche Versorgung in F. hätten (als aus G-Stadt). Dies habe der Beklagte nicht hinreichend in seine Ermittlungen bzw. Entscheidung einfließen lassen.

Die Fahrzeit laut "Google Maps" von G-Stadt nach F. beträgt 16 Minuten (Auto) bzw. 19 Minuten (ÖPNV), von N. nach F. mit dem Auto 19 Minuten und mit dem ÖPNV über eine Stunde. Allerdings steht den Patienten im Süden des Planungsbereichs - anders als in dessen Norden - ja bereits ein voller Vertragsarztsitz (0,5: Kläger; 0,5: Frau Dr. K.) zur Verfügung, sodass hier der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise der Anbindung an F. weniger Bedeutung zugemessen hat.

Wenn der Klägerbevollmächtigte gegen den Standort G-Stadt vorträgt, dass Patienten aus dem Norden des Landkreises F. bereits jetzt durch die Kinderarztpraxen in H. (21 Autominuten von G-Stadt) und P. (37 Autominuten von G-Stadt - P. dürfte eher von Patienten aus dem (nord)östlichen Landkreis F. aufgesucht werden) versorgt werden (können), so ist dem entgegenzuhalten, dass Patienten aus dem Süden ebenfalls Kinderarztpraxen in angrenzenden Planungsbereichen aufsuchen können, namentlich in E. (10 Autominuten von N.) und vor allem J-Stadt (15 Autominuten von N.). Eher irreführend erscheint in diesem Zusammenhang auch der klägerseitige Hinweis, dass der Norden des Planungsbereichs Landkreis F. an einen mit über 140 % überversorgten Planungsbereich (Landkreis B.) angrenze, ohne auf der anderen Seite zu erwähnen, dass vom Süden des Landkreises aus die Stadt J-Stadt in wenigen Autominuten erreichbar ist und dort die Überversorgung bei über 170 % liegt.

Berücksichtigt man zusätzlich, dass im Süden des Planungsbereichs Landkreis F. bereits zwei hälftige kinderärztliche Vertragsarztsitze (nämlich des Klägers und von Frau Dr. K. in N.) vorhanden sind, ist es aus Sicht des Gerichts keineswegs zu beanstanden, wenn der Beklagte dem Norden des Landkreises, in dem es bislang keinen Vertragsarztsitz gibt, nun einen hälftigen Vertragsarztsitz zuteilt, was unter dem Aspekt einer ausgewogenen Versorgung des Planungsbereichs näher liegt, als einen weiteren halben Vertragsarztsitz zu den bereits bestehenden Vertragsarztsitzen in N. hinzuzufügen (vgl. dazu auch SG A-Stadt, Urteil vom 07.11.2018, S 38 KA 634/17), zumal laut der vom Beklagten herangezogenen Fallzahlenübersicht (vgl. letztes Blatt der Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 20.09.2022) diese beiden Kinderärzte in N. - im Gegensatz zur Filiale in G-Stadt - (zumindest vor der Entscheidung des Beklagten) deutlich unterdurchschnittliche Fallzahlen aufwiesen.

Darüber hinaus hat der Beklagte zu Recht die Filiale der BAG Dres. S., G., H., Z. in G-Stadt nicht als einem Vertragsarztsitz gleichwertig in seine Erwägungen einbezogen.

Zwar ist im Rahmen der Prüfung, ob bzw. in welchem Umfang der Versorgungsbedarf bereits gedeckt ist, die durch Filialpraxen erfolgende Versorgung mitzuberücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 08.12.2010, B 6 KA 36/09 R; Bayer. LSG, Beschluss vom 28.01.2015, L 12 KA 135/14 B ER; SG A-Stadt, Urteil vom 07.11.2018, S 38 KA 634/17), was im Hinblick auf die Gewährung einer - faktisch - möglichst wohnortnahen und flächendeckenden Versorgung auch angezeigt ist. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Frage, ob eine bereits bestehende Filialpraxis eines Dritten einer Auswahlentscheidung zugunsten des Standorts G-Stadt entgegenstehen könnte, weil durch diese Filialpraxis faktisch der Bedarf bereits gedeckt ist. Es geht vielmehr um die eigene Filiale der BAG Dres. S., G., H., Z., der der Beigel zu 8) (Dr. G.) selbst zugehört. Erhält der Standort G-Stadt das Recht, vom Filialstandort zum (hälftigen) Vertragsarztsitz (des Beigeladenen zu 8)) zu erstarken, so wird der bisherige Filialstandort G-Stadt Vertragsarztsitz der BAG, die dann zur üBAG wird (so auch Dr. S. in der mündlichen Verhandlung am 05.10.2022). Bei der Frage, ob ein Versorgungsbedarf in G-Stadt besteht, kann also nicht die Filialpraxis neben einem etwaigen hälftigen Vertragsarztsitz betrachtet werden, weil - anders als in den der o.g. Rspr. zugrunde liegenden Fällen und anders als beim Kläger, der seine bisherige vertragsärztliche Tätigkeit im Umfang eines weiteren halben Sitzes ausdehnen möchte - der begehrte hälftige Vertragsarztsitz in G-Stadt nicht zusätzlich zur dortigen Filiale bestehen würde bzw. wird, sondern (nur) stattdessen.

Im Lichte von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG wäre es zweifelhaft, einen Bewerber, der die Kriterien nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL insgesamt besser als seine Mitbewerber erfüllt, allein deshalb nicht zu berücksichtigen, weil er an einem Ort, an dem ein Versorgungsbedarf besteht (was vorliegend die hohen Fallzahlen der Filiale in G-Stadt belegen), bereits eine Filiale betreibt. In der vorliegenden Konstellation hat deshalb der Beklagte zu Recht die eigene Filiale der BAG bzw. des Beigeladenen zu 8) im Rahmen seiner Bewerbung für einen Vertragsarztsitz am (bisherigen) Filialstandort (G-Stadt) nicht unter dem Aspekt der räumlichen Wahl des Vertragsarztsitzes zu Lasten des Beigeladenen zu 8) gewertet. Im Hinblick auf eine kontinuierliche Patientenversorgung hätte man auch nur schwerlich verlangen können, die BAG hätte eben die Filiale in G-Stadt vorab bzw. vorübergehend schließen müssen, um ohne diese "Vorbelastung" im Hinblick auf die räumliche Wahl des zu vergebenden hälftigen Vertragsarztsitzes ins Auswahlverfahren gehen zu können.  

Auch die Bedenken, durch die Entscheidung zugunsten des Beigeladenen zu 8) im aktuellen Auswahlverfahren könnte sich das Versorgungsangebot in H. verringern oder durch die "Umwandlung" der Filiale in G-Stadt in einen (hälftigen) Vertragsarztsitz komme es faktisch gar nicht zu einer Versorgungsverbesserung, hat der Beklagte zutreffend nicht zu Lasten des Beigeladenen zu 8) gewertet. Sollte dadurch ein weiterer bzw. neuer Versorgungsbedarf entstehen, ist für dessen Deckung zu sorgen Aufgabe der zuständigen Gremien, nicht aber des Beigeladenen zu 8) persönlich, indem ihm berufliche Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten werden.

e)  Der Beklagte war auch berechtigt, den Beigeladenen zu 8) im Hinblick auf das Kriterium Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten als besser zu bewerten. Während der Kläger über den Schwerpunkt Pneumologie verfügt, hat der Beigeladene zu 8) den Schwerpunkt Neuropädiatrie inne. Der Beklagte durfte die kinderpneumologische Versorgung im Planungsbereich anhand der vorgelegten Fallzahlenstatistiken und Abrechnungsanalysen als gesichert erachten, zumal sich hieraus auch freie Kapazitäten beim Kläger und bei Frau Dr. K., die ebenfalls über den Schwerpunkt Pneumologie verfügt, ableiten lassen und zudem im rund 7 km entfernten E. zwei weitere Kinderpneumologen tätig sind. Dass hingegen ein zusätzlicher neuropädiatrischer Standort in G-Stadt insbesondere für Patienten im Osten und Norden des Planungsbereichs eine Verbesserung darstellt, ergibt sich nachvollziehbar aus der ebenfalls vom Beklagten herangezogenen Karte Patientenströme betreffend neuropädiatrische GOPs im Abrechnungsquartal 2020/2 (Blatt 1 der Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 20.09.2022). Deshalb ist die Entscheidung des Beklagten, dem Beigeladenen zu 8) unter Versorgungsgesichtspunkten den Vorzug zu geben, nicht zu beanstanden.

In diesem Zusammenhang begegnet es auch keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte der in der kinderärztlichen BAG am Standort N. zur Verfügung stehenden Kombination der Schwerpunktbezeichnungen Pneumologie und Neuropädiatrie "unter einem Dach" nicht die von der Klägerseite gewünschte Bedeutung im Rahmen seiner Auswahlentscheidung beigemessen hat. Sofern man dies als besonderes Versorgungsangebot (vgl. § 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 9 SGB V iRd Nachbesetzungsverfahrens) erachten möchte, besteht ein solches in N. bereits; durch die bloße Aufstockung des bisherigen hälftigen Vertragsarztsitzes des Klägers käme es deshalb insoweit nicht zu einer (weiteren) Ergänzung des Versorgungsangebots.

Schließlich verfängt auch nicht die Mutmaßung des Klägerbevollmächtigten, der Beigeladene zu 8) wolle in G-Stadt gar nicht tätig werden, sondern es gehe nur um die Sicherung des streitigen hälftigen Vertragsarztsitzes für die BAG. Dies hätte der Beklagte hinterfragen und in seine Ermessenserwägungen mit einfließen lassen müssen. Die Klägerseite spricht hier das ungeschriebene, aber dennoch berücksichtigungsfähige Kriterium der Versorgungskontinuität an (vgl. zur Zulässigkeit dieses Kriteriums BSG, Urteil vom 20.03.2013, B 6 KA 19/12 R) und suggeriert, dass der Beigeladene zu 8) insofern der weniger geeignete Bewerber sei. Weitere Angaben der Klägerseite oder konkrete Anhaltspunkte sonstiger Art dazu, ob und aus welchen Gründen der Beigeladene zu 8) weniger langfristig an der Versorgung der Versicherten teilnehmen will oder kann als der Kläger, sind nicht ersichtlich, sodass der Beklagte sich nicht veranlasst sehen musste, dieser Behauptung nachzugehen. Dem Vorhalt der Klägerseite, der Beigeladene zu 8) könne bzw. werde in G-Stadt nicht neuropädiatrische tätig werden mangels entsprechender Praxisausstattung, ist Dr. S. in der mündlichen Verhandlung am 05.10.2022 im Übrigen entschieden entgegengetreten.

Letztlich konnte damit der Beigeladene zu 8) die beiden maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 103 SGB V (Stand: 21.11.2022), Rn. 84) der bestmöglichen Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes und der Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten für sich entscheiden. Daher begegnet auch das Ergebnis der Auswahlentscheidung des Beklagten dahingehend, dem Beigeladenen zu 8) die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit mit hälftigem Versorgungsauftrag zu erteilen und den Antrag des Klägers abzulehnen, keinen rechtlichen Bedenken. Der Kläger ist dadurch nicht in seinen Rechten verletzt. Die Klage war deshalb als unbegründet abzuweisen.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Klage auch nicht unter dem Aspekt Erfolg haben kann, dass der Beigeladene zu 8) die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen hat, wie § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich verlangt. Zum einen könnte dies weder zur Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Beklagten vom 12.11.2020 führen noch eine Rechtsverletzung des Klägers bewirken. Zum anderen ist nach Auffassung des Gerichts trotz der (wie regelmäßig) mehr als dreimonatigen Dauer von Widerspruchs- und Klageverfahren das Ende der - noch nicht einmal bestandskräftigen - Zulassung des Beigeladenen zu 8) nicht nach § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V eingetreten. Denn zur Vermeidung von nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbaren Ergebnissen ist eine einschränkende Auslegung der Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V geboten, wenn sich die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit aus einem wichtigen, zum Zeitpunkt der Beantragung der Zulassung noch nicht absehbaren Grund ohne eigenes Verschulden des Begünstigten, wie vorliegend durch die Anfechtung der Zulassung durch einen Konkurrenten, verzögert (zu § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2015, B 6 KA 25/14 R). Liefe auch im Falle der Drittanfechtung die Dreimonatsfrist ab Zustellung des Zulassungsbeschlusses, so wäre die Frist regelmäßig abgelaufen, bevor der Arzt wegen der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch bzw. Klage die Tätigkeit aufnehmen kann. Nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V würde das Ende der zugesprochenen Zulassung eintreten, noch bevor diese überhaupt im Bestands- bzw. Rechtskraft erwachsen konnte. Wegen dieses widersinnigen, grundsätzlich auch durch mutwillige Drittanfechtung (wenn nicht sofortige Vollziehung angeordnet wird) herbeiführbaren Ergebnisses ist § 95 Abs. 7 Satz 1 SGB V im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG so auszulegen, dass dann, wenn Widerspruch bzw. Klage gegen die Zulassung erhoben wird, die Dreimonatsfrist (erst) ab Bestands- bzw. Rechtskraft der Zulassung zu laufen beginnt (zur Vorgängerregelung des § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV vgl. Schiller in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl. 2006, § 5 D I. 1. b) Rn. 13; Schnallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl. 2012, § 19 Rn. 21 ff. Zum Teil wird hier zur Vermeidung des Zulassungsverlustes durch Zeitablauf ein Beschluss über das vorübergehende Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs. 5 Satz 1 SGB V verlangt, so wohl BeckOGK/Rademacker, Stand 01.08.2019, SGB V § 95 Rn. 269. Dies ist jedoch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG abzulehnen, weil sonst der von den Zulassungsgremien Begünstigte - trotz seines erfolgreichen Zulassungsantrags - sich bei Konkurrentenanfechtung stets gegen einen von Gesetzes wegen durch Zeitablauf drohenden "automatischen" Rechtsverlust wenden und einen - rechtzeitigen - Ruhensbeschluss nach § 95 Abs. 5 Satz 1 SGB V erwirken müsste.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Danach trägt der unterliegende Kläger die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 8), der sich mit eigenen Argumenten und eigener Antragstellung am Rechtsstreit und damit auch Kostenrisiko beteiligt hat. Etwaige außergerichtlichen Kosten weiterer Beteiligter sind nicht zu erstatten.

 

 

Rechtskraft
Aus
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