L 5 SF 164/20 B E

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 17 SF 3/18 E
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 SF 164/20 B E
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. In Verfahren, in den Betragsrahmengebühren entstehen, sind für die Höhe der im Rahmen der PKH-Vergütung zu zahlenden Verfahrensgebühr nur die Tätigkeiten maßgebend, die der Rechtsanwalt von der Vorbereitung des PKH-Antrags an bis zur Verfahrensbeendigung ausgeübt hat.

2. Entstehen in solchen Verfahren fiktive Termins- oder Einigungsgebühren nach PKH-Antragstellung im Rahmen der Beiordnung, ist als Grundlage für deren Bemessung eine Verfahrensgebühr zugrunde zu legen, die die gesamte anwaltliche Tätigkeit vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit berücksichtigt.

Auf die Beschwerde des Erinnerungsführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 20. März 2020 geändert. Die Vergütung des Erinnerungsführers für seine Tätigkeit im Berufungsverfahren zum Az. L 3 AS 14/15 wird auf 693,18 EUR festgesetzt.

 

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung des nach spät im Verfahren beantragter und bewilligter Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts.

Der Erinnerungsführer hatte den Kläger in einer grundsicherungsrechtlichen Streitigkeit, die Sanktionsentscheidungen – teilweise im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens – zum Gegenstand hatte, bereits im Klageverfahren vertreten. Gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts legte er im Auftrag des Klägers am 16. Februar 2015 Berufung ein. Diese begründete er mit einem zweiseitigen Schriftsatz vom 21. August 2015, mit dem er im Wesentlichen Gründe für seine Abwesenheit im erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung geltend machte, die gleichwohl ergangene klagabweisende Entscheidung als verfahrensfehlerhaft rügte und eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragte. Auf eine entsprechende Anfrage des Berichterstatters hin stimmten der Beklagte mit Schriftsatz vom 7. April 2017 und der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 11. April 2017 einer Entscheidung durch den Berichterstatter zu. Daraufhin beraumte der Berichterstatter mit Verfügung vom 15. Juni 2017 einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 4. August 2017 an. Am 30. Juli 2017 beantragte der Erinnerungsführer für seinen Mandanten schriftsätzlich Prozesskostenhilfe. Einen mit Beschluss vom 31. Juli 2017 unterbreiteten Vergleichsvorschlag des Berichterstatters nahmen die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 31. Juli bzw. 3. August 2017 an. Der Verhandlungstermin wurde daraufhin aufgehoben. Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 29. August 2017 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers ab Antragstellung gewährt.

Am 20. September 2017 beantragte der Erinnerungsführer beim Sozialgericht Lübeck die Festsetzung seiner Vergütung für das Berufungsverfahren in Höhe von 1.547,00 EUR. Er machte eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3204 Vergütungsverzeichnis (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Höhe von 500,00 EUR, eine Terminsgebühr nach Nr. 3205 VV RVG in Höhe von 250,00 EUR, eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1005, 1006 VV RVG in Höhe von 500,00 EUR sowie die Post- und Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer geltend.

Mit Festsetzungsbeschluss vom 28. September 2017 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Vergütung des Erinnerungsführers auf 210,63 EUR fest. Dabei berücksichtigte sie eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mindestgebühr von 60,00 EUR sowie dazu akzessorisch eine Einigungsgebühr in Höhe von 60,00 EUR und die fiktive Terminsgebühr in Höhe von 45,00 EUR. Zur Begründung führte sie aus, dass die anwaltliche Tätigkeit nach PKH-Antragstellung auf das Mindeste beschränkt gewesen sei.

Gegen den ihm am 18. Oktober 2017 zugestellten Beschluss hat der Erinnerungsführer am Montag, dem 20. November 2017, Erinnerung eingelegt und geltend gemacht, dass er mehrere Tage an dem Berufungsverfahren gearbeitet habe. Dem werde die Vergütung nicht gerecht.

Der Erinnerungsgegner ist der Erinnerung entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 20. März 2020 hat das Sozialgericht die Festsetzungsentscheidung geändert und die Vergütung des Erinnerungsführers für das Berufungsverfahren auf 432,86 EUR festgesetzt. Im Übrigen hat es die Erinnerung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar eine Kürzung der Verfahrensgebühr auf die Mindestgebühr nicht in Betracht komme, eine Gebühr in Höhe von einem Drittel der Mittelgebühr (125,00 EUR) jedoch angemessen sei. Dabei sei von einem deutlich unterdurchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit nach PKH-Antragstellung auszugehen. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei wie die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber durchschnittlich gewesen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers seien unterdurchschnittlich. Die Einigungsgebühr sei in Höhe der Verfahrensgebühr (125,00 EUR), die fiktive Terminsgebühr in Höhe von 75 Prozent der Verfahrensgebühr (93,75 EUR) festzusetzen.

Gegen den ihm am 30. März 2020 zugestellten Beschluss hat der Erinnerungsführer am 13. April 2020 Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht erhoben.

Zur Begründung macht er geltend, das Sozialgericht habe den Hintergrund des Auftraggebers und seine – des Erinnerungsführers – tatsächliche Leistung nicht hinreichend gewürdigt. Der Auftraggeber habe in prekären finanziellen und Familienverhältnissen gelebt. Die Bedeutung der Angelegenheit sei für ihn sehr bedeutsam gewesen. Die anwaltliche Tätigkeit habe sich nicht nur auf Schriftsätze beschränkt. Sie sei sehr aufwändig gewesen, zumal sich die Kommunikation mit dem Auftraggeber auch wegen dessen Alkoholkrankheit als schwierig gestaltet habe.

Er beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 20. März 2020 zu ändern und seine Vergütung für das Berufungsverfahren zum Az. L 3 AS 14/15 auf 1.547,00 EUR festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

          die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.

 

II.

 

Der Senat entscheidet über die Beschwerde in voller Besetzung anstelle des Einzelrichters, weil ihm die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung mit Beschluss vom 10. Februar 2023 übertragen worden ist (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG]).

Die Beschwerde hat zum Teil Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist fristgemäß erhoben worden (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG). Sie ist statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands für den Erinnerungsführer die Wertgrenze von 200,00 EUR übersteigt (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).

Die Beschwerde ist teilweise begründet, soweit das Sozialgericht die fiktive Terminsgebühr nach Nrn. 3205 Anm. Satz 1 und 2, 3106 Anm. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VV RVG auf weniger aus 187,50 EUR und die Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 1005, 1006 VV RVG auf weniger als 250,00 EUR festgesetzt hat. Im Übrigen, soweit der Erinnerungsführer eine höhere Verfahrens- und noch höhere Termins- und Einigungsgebühren verlangt, ist die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Zu Recht hat das Sozialgericht zunächst die vom Vergütungsanspruch gegenüber der Landeskasse erfasste Verfahrensgebühr auf 125,00 EUR (ca. ein Drittel der Mittelgebühr) festgesetzt. Diese Gebühr entsteht nach Nr. 3204 VV RVG in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung (a.F.) in Höhe von zwischen 60,00 EUR und 680,00 EUR. Dies entspricht einer Mittelgebühr von 370,00 EUR. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass der Ansatz der Mittelgebühr – bzw. umso mehr der geltend gemachten, deutlich höher liegenden Gebühr von 500,00 EUR – nicht der Billigkeit entspricht.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Beiordnung in Angelegenheiten, in denen – wie im vorliegenden Fall – nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe erstreckt, wenn vom Gericht nichts anderes bestimmt ist (§ 48 Abs. 4 Satz 1 RVG). Die Beiordnung erstreckt sich ferner auf die gesamte Tätigkeit im PKH-Verfahren einschließlich der vorbereitenden Tätigkeit (§ 48 Abs. 4 Satz 2 RVG). Daraus folgt, dass für die Ausfüllung des Betragsrahmens der Verfahrensgebühr, die im Rahmen des gegen die Landeskasse bestehenden Vergütungsanspruchs geltend gemacht werden kann, nur die anwaltliche Tätigkeit zu bewerten ist, die von der Vorbereitung des PKH-Antrags an bis zur Verfahrensbeendigung ausgeübt worden ist (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. September 2019 – L 7 SO 4/19 B – juris Rn. 20; Sächsisches LSG, Beschluss vom 25. Juli 2017 – L 8 AL 69/16 B KO – juris Rn. 20; Hessisches LSG, Beschluss vom 17. Juni 2019 – L 2 AS 241/18 B – juris Rn. 30; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 26. Oktober 2017 – L 3 U 165/16 B – juris Rn. 7; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. März 2017 – L 4 AS 141/16 B – juris Rn. 40; a.A. jedoch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Januar 2018 – L 20 AL 224/17 B – juris Rn. 33 m.w.N., das auch Tätigkeiten mit einbeziehen will, die der Rechtsanwalt vor dem Wirksamwerden seiner Beiordnung erbracht hat).

Diese Auslegung entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 48 Abs. 4 RVG, sondern auch seiner Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. So ist § 48 Abs. 4 RVG mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586) eingefügt worden, um damit eine ständige Rechtsanwendungspraxis einzelner Obergerichte einerseits zu legitimieren und andererseits – mithilfe des § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG – in ihren teilweise unerwünschten Auswirkungen zu begrenzen. Die Gesetzesbegründung nimmt insoweit ausdrücklich auf den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 17. Juli 2008 – L 1 B 127/08 SK, dem zufolge auch auf Grundlage des bis dahin geltenden Rechts bei der Ausfüllung des Rahmens der Verfahrensgebühr nur die ab Bewilligung von Prozesskostenhilfe entfaltete anwaltliche Tätigkeit berücksichtigt werden sollte (BT-Drucks. 17/11471 [neu], S. 270). An dieser Rechtspraxis hat der Gesetzgeber nur insoweit etwas ändern wollen, als er – entgegen der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG – auch die im Rahmen der PKH-Antragstellung entfaltete (vorbereitende) Tätigkeit des Rechtsanwalts aus der Landeskasse vergütet wissen wollte. Der Zweck der Vorschrift kommt auch klar darin zum Ausdruck, dass § 48 Abs. 4 RVG explizit auf Angelegenheiten beschränkt ist, in denen Betragsrahmengebühren entstehen. Nur bei diesen Streitigkeiten kann sich die konkrete Höhe einer entstandenen Gebühr überhaupt nach dem Zeitpunkt der Beiordnung richten, während die Gebühren in gerichtskostenpflichtigen gerichtlichen Verfahren allein vom Streitwert (und nicht vom Umfang der anwaltlichen Tätigkeit) abhängen und sich der Zeitpunkt der Beiordnungsentscheidung lediglich darauf auszuwirken vermag, ob eine Gebühr als solche vollständig außerhalb oder zumindest teilweise innerhalb des Beiordnungszeitraums verwirklicht worden ist. Wäre es dem Gesetzgeber bei § 48 Abs. 4 RVG allerdings allein um diese Ausdifferenzierung gegangen, wäre eine gegenständliche Beschränkung auf Verfahren nach § 3 Abs. 1 RVG weder erforderlich noch sachdienlich gewesen.

Soweit sich die Gegenauffassung, die auch die vor dem Wirksamwerden der Beiordnungsentscheidung entfaltete anwaltliche Tätigkeit in derselben Angelegenheit bei der Vergütung der Verfahrensgebühr durch die Landeskasse berücksichtigen will, auf die Forderungssperre nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) und dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung beruft, vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem älteren Beschluss entschieden, dass die Forderungssperre gegenüber dem Mandanten für alle nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände gilt, auch wenn diese bereits vor der Beiordnung erfüllt waren (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2008 – I ZR 142/06 – juris Rn. 5). Allerdings betraf diese Entscheidung einerseits eine gerichtskostenpflichtige Streitigkeit mit streitwertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren und war andererseits vor Inkrafttreten des § 48 Abs. 4 RVG ergangen. Zur seit dem 1. August 2013 geltenden Rechtslage hat der BGH im Hinblick auf die im Beschluss vom 21. Februar 2008 aufgeworfenen Rechtssätze hingegen nicht mehr Stellung genommen.

Kommt es damit für die Höhe der dem Erinnerungsführer aus der Landeskasse zu vergütenden Verfahrensgebühr nur auf die Beiordnungszeit an, kann er keine höhere als die ihm bereits mit dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts zuerkannte Verfahrensgebühr nach Nr. 3204 VV RVG a.F. in Höhe von 125,00 EUR (= ca. ein Drittel der Mittelgebühr) beanspruchen. Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit in dem sehr kurzen Beiordnungszeitraum waren deutlich unterdurchschnittlich, ebenso die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Allein die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber ist wegen des existenzsichernden Charakters der begehrten Leistungen als überdurchschnittlich anzusehen.

Im Ergebnis zu Recht rügt der Erinnerungsführer allerdings die Festsetzung der Einigungsgebühr (Nrn. 1000, 1005, 1006 VV RVG) in Höhe 125,00 EUR und der fiktiven Terminsgebühr nach Nrn. 3205 Anm. Satz 1 und 2, 3106 Anm. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VV RVG in Höhe von 93,50 EUR. Beide Gebühren entstehen akzessorisch zur Verfahrensgebühr, wobei die Einigungsgebühr „in Höhe der Verfahrensgebühr“ entsteht, während die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3205 VV RVG „75% der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr“ beträgt. Als dem Rechtsanwalt zustehende Verfahrensgebühr hat hier jedoch diejenige Gebühr zu gelten, die der Anwalt aufgrund seiner gesamten Tätigkeit in der Angelegenheit verlangen kann (§ 15 Abs. 1 RVG), ohne dass insoweit die Begrenzung auf die aus der Landeskasse vergütete Verfahrensgebühr greift. Sowohl die Einigungs- als auch die fiktive Erledigungsgebühr sind vorliegend erst nach Wirksamwerden der Beiordnungsentscheidung entstanden und deshalb in jedem Falle von der Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfasst. Wäre der Rechtsanwalt hier auf eine Einigungs- und fiktive Terminsgebühr in Höhe bzw. ausgehend von der aus der Landeskasse vergüteten Verfahrensgebühr beschränkt, verlöre er wegen der PKH-Bewilligungsentscheidung einen Teil der ihm vergütungsrechtlich zustehenden Vergütung, weil er den Differenzbetrag insoweit auch von seinem Mandanten nicht mehr verlangen könnte. Dies entspricht nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht dem Zweck des § 48 Abs. 4 RVG, der lediglich auf eine tätigkeitsbezogene Ausdifferenzierung bei denjenigen Gebührentatbestanden abzielt, die sowohl vor als auch nach Wirksamwerden der Beiordnungsentscheidung verwirklicht sind.

Soweit in der Rechtsprechung zum Teil vertreten wird, dass im PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren auch für die Festsetzung der Einigungsgebühr notwendig auf die dort anzusetzende Verfahrensgebühr und nicht auf die Verfahrensgebühr abzustellen sei, die in einem Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 SGG anzusetzen wäre (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. September 2019 – L 7 SO 4/19 B – juris Rn. 21), überzeugen die Gründe dafür den Senat nicht. Der Wortlaut ist insoweit nicht eindeutig und lässt beide Auslegungen zu. Die Auffassung, beim Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG einerseits und beim Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 Sozialgerichtsgesetz (SGG) andererseits handele es sich „um zwei voneinander vollständig getrennte Festsetzungsverfahren“, die sich nach jeweils eigenen Regelungen richten (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., Rn. 22), greift schon deshalb zu kurz, weil beide Systeme durch den Forderungsübergang (§ 59 RVG) sehr wohl miteinander verbunden sind. Das entscheidende Argument der Forderungssperre (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) will das LSG Niedersachsen-Bremen hingegen allein damit entkräften, dass es die Verantwortung für eine späte PKH-Antragstellung und eine damit verbundene geringere Vergütung einer Einigung dem Rechtsanwalt oder seinem Mandanten zuweist (a.a.O. Rn. 23). Damit aber werden die Verantwortungssphären von Rechtsanwalt und Mandant vermischt, obwohl die beiden vergütungsrechtlich nicht im gleichen Lager stehen. Der Umstand, dass ein PKH-Antrag erst spät im Verfahren gestellt wird, kann auf anwaltlichen Verschulden, aber eben auch auf Nachlässigkeit des Mandanten beruhen. Letzterer jedoch würde bei eigenem Fehlverhalten zum Nachteil seines Rechtsanwalts von der PKH-Bewilligung profitieren, weil der Anwalt auf die durch die aus der Landeskasse vergütete Verfahrensgebühr begrenzten weiteren Gebühren beschränkt wäre, ohne den Differenzbetrag vom Mandanten verlangen zu können, während dieser im Rahmen seiner Verpflichtungen gegenüber der Landeskasse (§§ 120, 124 ZPO) auf die Erstattung der so verminderten anwaltlichen Vergütung beschränkt wäre.

Die danach (allein) als Berechnungsgrundlage für die Höhe der aus der Landeskasse zu vergütenden Termins- und Einigungsgebühren relevante Verfahrensgebühr für das gesamte Berufungsverfahren (Nr. 3204 VV RVG a.F.) setzt der Senat in Höhe von 250,00 EUR (= ca. zwei Drittel der Mittelgebühr an). Die Gebührenbestimmung des Erinnerungsführers in Höhe von 500,00 EUR entspricht auch insoweit nicht der Billigkeit.

Die Tätigkeit des Erinnerungsführers im Berufungsverfahren gegenüber dem Gericht beschränkte sich nach außen erkennbar im Wesentlichen auf eine gut 1,5-seitige Berufungsschrift, die Erklärung der Zustimmung zur Entscheidung durch den Berichterstatter (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG), die Entgegennahme der Terminsladung und des gerichtlichen Vergleichsvorschlags, dessen Erörterung und Annahme und die Stellung eines Prozesskostenhilfeantrags. In der Berufungsschrift beschränkte sich der Erinnerungsführer – ohne auf den eigentlichen Streitgegenstand und sich insoweit stellende tatsächliche und rechtliche Fragen einzugehen – auf die Erläuterung der Gründe seines – des Erinnerungsführers – Ausbleibens zum Termin zur mündlichen Verhandlung und die Erörterung der Frage, ob das Sozialgericht in dieser Situation hätte in der Sache entscheiden dürfen. Diese Tätigkeit ist gemessen an dem, was in einem Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht typischerweise erwartet wird, sowohl vom Umfang als auch von der Schwierigkeit her als unterdurchschnittlich zu bewerten, weil weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Bemühungen unternommen wurden, die mit einem nennungswerten Zeitaufwand oder für einen im Sozialrecht tätigen Rechtsanwalt mit substanziellen Schwierigkeiten verbunden gewesen wären. Der Erinnerungsführer beschränkte sich letztlich darauf, aus eigenem Erleben die Gründe für sein Ausbleiben zum Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht zu schildern und als gewichtig darzustellen. Eine (erneute) Korrespondenz mit dem Kläger war dafür nicht erforderlich. Soweit der Erinnerungsführer den Mandantenkontakt mit dem alkoholkranken Kläger als besonders problematisch bezeichnet, wird dies nicht näher substantiiert. Plausibel ist für den Senat das Erfordernis eines Hinwirkens und ggf. auch mehrfachen Erinnerns an die Übersendung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Dies vermag Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit allerdings nicht auf ein insgesamt durchschnittliches, geschweige denn überdurchschnittliches Niveau zu heben.

Bei unterdurchschnittlichem Umfang und unterdurchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers und überdurchschnittlicher Bedeutung ist insgesamt lediglich eine Gebühr in Höhe von zwei Dritteln der Mittelgebühr gerechtfertigt. Insgesamt ergibt sich folgende Vergütung:

Nr. 3204 VV RVG a.F.

Verfahrensgebühr

125,00 EUR

Nr. 3205 VV RVG

Terminsgebühr (fiktiv)

187,50 EUR

Nr. 1000, 1006 VV RVG

Einigungsgebühr

250,00 EUR

Nr. 7002 VV RVG

Post- und Telekommunikationspauschale

20,00 EUR

Nr. 7008 VV RVG

Umsatzsteuer

110,68 EUR

 

 

 

Gesamt:

 

693,18 EUR

 

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG, § 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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