1 BA 3/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
1 BA 3721
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

l.  Die grenzüberschreitende Beschäftigung von Saisonarbeitskräften aus osteuropäischenNiedriglohnländern erfüllt
    im Regelfall das Merkmal der Berufsmäßigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV.

ll. Bei der Prüfung der Berufsmäßigkeit kommt es entscheidend auf den Anteil an, den die Vergütung aus der zeitgeringfügigen Tätigkeit an dem Jahreseinkommen
   der betreffenden Person hat. In das Jahresgesamteinkommen sind alle Einkünfte aus selbständigen und unselbständigen Beschäftigungen sowie Kapitalerträge
   und sonstige finanzielle Zuflüsse (einschl. Unterhaltsleistungen) einzustellen.

Ill. Ein bloßes Ankreuzen des Feldes Hausmann im Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit rumänischer Saisonarbeitnehmer
    führt nicht per se zur unwiderleglichen Vermutung des Status als Hausmann und damit zum versicherungsfreien und beitragsfreien Beschäftigten. Ansonsten
    wäre einer massenweisen Umgehung der Sozialversicherungssysteme in vielen Branchen Tür und Tor geöffnet.

 

I.    Der Bescheid der Beklagten vom 03.02.2020 in der Gestalt des Wider- 
       spruchsbescheides vom 26.01.2021 in der Fassung des Änderungsbe-
       scheides vom 16.12.2022 wird bezüglich des Beigeladenen zu 9) T. für
       den Monat April 2015 und für den Beigeladenen zu 5) H. für den Monat Juni 2017 aufgehoben.
       Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.   Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außer-
       gerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
III. Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 15.12.2022 auf 14.701,80 Euro
       und für die Zeit ab 16.12.2022 auf 10.873,64 Euro festgesetzt


T a t b e s t a n d :

Der Kläger wendet sich gegen eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für rumänische Saisonarbeitskräfte.
Der Kläger betreibt in C-Stadt einen landwirtschaftlichen Betrieb. Im Zeitraum vom 10.04.2015 bis 21.06.2018 beschäftigte der Kläger neben verschiedenen fest angestellten Arbeitnehmern u. a. auch mehrere rumänische Saisonarbeitskräfte (vgl. Beigeladene zu 3) bis 9)). Sämtliche rumänische Arbeitnehmer haben nach den vorliegenden Arbeitsverträgen ihren Wohnsitz in Rumänien. A-1-Bescheinigungen des zuständigen rumänischen Sozialversicherungsträgers liegen für die betroffenen Saisonarbeitskräfte bezüglich des streitgegenständlichen Zeitraums nicht vor. Die Beigeladenen zu 4) und zu 9) waren bereits in den Jahren 2012, 2013 und 2014 jeweils vom 15.04. bis 22.06 für den Kläger tätig. Der Beigeladene zu 7) war im Jahr 2019 vom 15.04. bis 22.06 für den Kläger tätig.
In allen Fällen war die Beschäftigung der rumänischen Saisonkräfte nach den schriftlichen Arbeitsverträgen auf maximal 70 Arbeitstage begrenzt. Das monatliche Arbeitsentgelt dieser Beschäftigten betrug grundsätzlich mehr als 450 € (Ausnahmen: Beigeladener zu 9) T. Monat April 2015 329,30 Euro und Beigeladener zu 5) H. Monat Juni 2017 180,60 Euro).
Vor Abschluss eines Arbeitsvertrages unterschrieben die Saisonarbeitnehmer den in deutscher und rumänischer Sprache abgefassten "Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit rumänischer Saisonarbeitnehmer". Die Fragen "Stehen Sie in einem Beschäftigungsverhältnis?" (Frage 1), "Üben Sie in Rumänien eine selbständige Tätigkeit aus?" (Frage 2), "Sind Sie in Rumänien arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet?" (Frage 3), "Besuchen Sie zur Zeit eine Schule, Hochschule, Universität oder eine andere Bildungseinrichtung?" (Frage 4) und "Beziehen Sie eine Rente in Rumänien?" (Frage 5) verneinten die Beschäftigten auf dem maschinell vorausgefüllten Fragebogen. Die unter Nr. 6 aufgeführte Frage "Sind Sie Hausfrau/Hausmann?" bejahten sämtliche Saisonkräfte auf dem maschinell vorausgefüllten Fragebogen. Es wurden jedoch jeweils keine Angaben gemacht - trotz ausdrücklicher Fragestellung -, seit wann bei den Beigeladenen die Hausmanneigenschaft vorliegt. Unter Nr. 7 des Fragebogens heißt es: "Wenn sämtliche vorstehenden Fragen mit nein beantwortet wurden: Wovon bestreiten Sie in Rumänien Ihren Lebensunterhalt?" Hierzu machten die Arbeitskräfte keine Angaben mehr.
Der Kläger ging davon aus, dass es sich in allen Fällen um kurzfristige und damit sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse handelte und entrichtete für die Saisonarbeitnehmer lediglich Umlagen an die Minijob-Zentrale.
In dem Zeitraum vom 12.08.2019 bis 03.02.2020 führte die Deutsche Rentenversicherung Bund (Beklagte) bei dem Kläger eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch. Der Prüfzeitraum erstreckte sich dabei auf die Zeit vom 10.04.2015 bis 21.06.2018. Mit einem nach Anhörung an den Kläger gerichteten Bescheid vom 03.02.2020 stellte die Beklagte fest, dass die sich aus Prüfung ergebende Nachforderung insgesamt 14.701,80 € betrage. Sie forderte den Kläger auf, die sich im Einzelnen aus der dem Bescheid beigefügten Anlage ergebenen Beträge an die zuständigen Einzugsstellen zu entrichten. In der "Anlage Berechnung der Beiträge nach § 28p Abs 1 SGB IV" werden die Saisonarbeitskräfte namentlich aufgeführt und ihnen werden für genau bezeichnete Zeiträume konkrete Entgelte und die sich daraus ergebenden Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung, die soziale Pflegeversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit sowie die Umlagen für Krankheitsaufwendungen (U1), Mutterschaftsaufwendungen (U2) zugeordnet. Zur Begründung wurde nach Darlegung der Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, dass bei Hausfrauen eine Berufsmäßigkeit grundsätzlich nicht vorliege. Für den Personenkreis der Hausfrauen/Hausmänner sei jedoch ein Nachweis über den Familienstand zu den Unterlagen zu nehmen, da der Status grundsätzlich ohne weitere Nachweise nur anerkannt werden könne, wenn dieser Personenkreis verheiratet sei. Ledigen Hausfrauen/Hausmännern könne der Status nur in Ausnahmefällen zuerkannt werden. Hierfür seien jedoch detaillierte Angaben sowie die Vorlage von nachvollziehbaren Unterlagen zum Erwerbsverhalten des Partners erforderlich. Für verheiratete Hausmänner sei durch geeignete Nachweise zu belegen, wovon der Lebensunterhalt der Familie bestritten werde. Dies könne zum Beispiel durch eine aktuelle Verdienstbescheinigung des Partners oder eine entsprechende Steuerbescheinigung erfolgen. Sind beide Ehepartner als Saisonarbeitnehmer beschäftigt, könne der Status nicht beiden zuerkannt werden. Es sei dann detailliert festzustellen, wer für den Unterhalt der Familie im Heimatland gesorgt habe. Zu den einzelnen Arbeitnehmern wurden im Bescheid u. a. folgende Feststellungen getroffen:
1. B., (geb: 16.12.1977):
Ein für die Versicherungsfreiheit erforderlicher Verdienstnachweis des Ehepartners während der Beschäftigung in 2015, 2016 und 2017 sei nicht vorgelegt worden.
2. A. (geb: 01.06.1990):
Bescheinigungen zum Nachweis des Status als Hausmann seien nicht vorgelegt worden.
3. T., (geb: 02.10.1979)
Zur Führung des Lebensunterhalts sei vom Kläger erklärt worden, dass dieser über die Schwester finanziell unterstützt werde. Aus den eingereichten Verdienstbescheinigungen der Schwester ergebe sich jedoch, dass diese eine Beschäftigung gegen Entgelt erst mit dem 01.11.2017 und damit außerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums aufgenommen habe.
4. M. (geb: 15.08.1965)
Aus dem nachgereichten Verdienstnachweis bzw. der Bestätigung des rumänischen Arbeitgebers für die Ehegattin sei zu entnehmen, dass diese erst ab dem 23.03.2016 eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt habe. Streitgegenständlichen sei vorliegend jedoch die Zeit vom 10.04.2015 bis 23.06.2015.
5. H., (geb: 10.09.1979)
Aus den nachgereichten Unterlagen für den Arbeitnehmer sei zu entnehmen, dass der Lebensunterhalt im Heimatland aus einem Rentenbezug des Schwiegervaters bestritten werde. Nach dem Dafürhalten der Beklagten sei diese Aussage nicht plausibel und widerspreche jeglicher Lebenswirklichkeit.
6. C., (geb: 11.06.1973)
Aus den nachgereichten Unterlagen werde erklärt, dass die Finanzierung des Lebensunterhaltes in Rumänien aus dem Rentenbezug der Mutter und aus dem Bezug von Kindergeld bestritten werde. Nach dem Dafürhalten der Beklagten sei diese Aussage nicht plausibel und widerspreche jeglicher Lebenswirklichkeit.
7. L., (geb: 07.04.1981)
Vgl. Ziffer 6.
8. P., (geb: 27.04.1979)
Vgl. Ziffer 6.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im streitgegenständlichen Zeitraum habe zum Nachweis der Versicherungsfreiheit als Hausfrau/Hausmann ausgereicht, wenn der bundeseinheitliche Fragebogen zeitnah vor Arbeitsantritt im Bundesgebiet ausgefüllt worden sei, wobei der bundeseinheitliche Fragebogen keine Bestätigung des Statuts Hausfrau/Hausmann vorgesehen habe. Zum damaligen Zeitpunkt habe der bundeseinheitliche Fragebogen keine Möglichkeit eröffnet, die jetzt von der Deutschen Rentenversicherung geltend gemachten Kriterien vorzutragen. Es habe daher keinerlei Notwendigkeit seitens des Klägers bestanden, die in dem angefochtenen Bescheid aufgelisteten Kriterien für die Anerkennung als Hausfrau/Hausmann gegenüber der Deutschen Rentenversicherung vorzutragen. Es bleibe dabei, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund die Feststellungslast für das Tatbestandsmerkmal der Berufsmäßigkeit trage.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2021 als unbegründet zurück. Für die Prüfung des Kriteriums der Berufsmäßigkeit kurzfristig beschäftigter osteuropäischer Arbeitnehmer stehe seit 1998 ein bundeseinheitlicher Fragebogen zur Verfügung. Zu diesem Fragebogen sei jedoch anzumerken, dass sich die persönliche Lebens- und Erwerbssituation von Saisonarbeitskräften nicht allein durch das bloße Ankreuzen des Feldes Hausfrau/Hausmann in einem Vordruck hinreichend belegen lasse, wenn die allgemeine Lebenserfahrung unter Berücksichtigung der bekannten Umstände dagegenspreche. Hausfrauen bzw. Hausmänner, die nicht zum Personenkreis der potentiellen Arbeitnehmer bzw. Arbeitssuchenden gehören, seien Personen, die im Rahmen einer in der privaten Sphäre lebenden Arbeitsteilung einen Haushalt für sich und andere Haushaltsmitglieder führen, die anstehenden Haushaltsarbeiten verrichten und im Gegenzug von einem oder mehreren Haushaltsmitgliedern finanziell unterhalten werden, also im Prinzip zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nicht selbst auf die Aufnahme einer Beschäftigung angewiesen seien. Somit widerspreche es grundsätzlich der allgemeinen Lebenserfahrung, wenn beide Ehepartner beim Arbeitgeber als Saisonarbeitskräfte beschäftigt werden und jeweils den Status der Hausfrau bzw. des Hausmannes angeben. Gleiches müsse für nicht verheiratete Männer und Frauen sowie für verheiratete Männer im erwerbsfähigen Alter gelten. Diese Konstellation seien als atypisch zu bezeichnen und als solche für jedermann hinreichend erkennbar. Damit sei bei allen beanstandeten Arbeitnehmern von keiner untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung ihrer Einnahmen aus der Tätigkeit beim Kläger auszugehen.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Er hat sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren vertieft und insbesondere dargelegt, dass aus seiner Sicht eine Beweiserleichterung bzw. Umkehr der Beweislast bezüglich des Merkmals der Berufsmäßigkeit im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme. Ihm werde zu Unrecht der Vorwurf gemacht, es zu Beginn der Beschäftigung unterlassen zu haben, durch Rückfragen bei den Arbeitnehmern zu klären, wie diese ihren Lebensunterhalt im Herkunftsland bestritten haben. Werfe man einen Blick auf den Fragebogen, der unter Mitwirkung und Mitverantwortung der Beklagten erstellt worden sei, so stelle man fest, dass darin genau jene Frage erst gar nicht gestellt werde. Es fehle auch an einer Rechtsgrundlage, dass ein Status als Hausmann nur anerkannt werden könne, wenn diese Person bereits verheiratet sei. Zu den einzelnen Arbeitnehmern führte der Kläger ergänzend aus:
1. B.,
Nachdem die Ehegattin eine Verdienstbescheinigung eingereicht habe, aus der hervorgeht, dass sie seit dem 15.10.2019 bei einem Arbeitgeber eine Beschäftigung gegen Entgelt ausübe, sei eben nicht belegt, dass vor dem 15.10.2019 durch die Ehefrau keine Einkünfte erzielt worden seien. Damit bleibe es bei der Beweislast der Beklagten.
2. A.,
Es sei bisher nicht belegt, welche Einkünfte vor dem 01.11.2017 durch die Schwester erzielt worden seien. Damit bleibe es bei der Beweislast der Beklagten.
3. M.,
Zwar werde aus dem nachgereichten Verdienstnachweis der Ehefrau Einkünfte erst ab dem 23.03.2016 bestätigt. Ein Verdienstnachweis für den hier streitgegenständlichen Zeitraum sei nicht vorgelegt und auch von der Beklagten nicht angefordert worden. Damit bleibe es bei der Beweislast der Beklagten.
4. H.
Es seien Unterlagen nachgereicht worden, aus denen ersichtlich sei, dass der Arbeitnehmer in Rumänien seinen Lebensunterhalt aus dem Rentenbezug seines Schwiegervaters bestreite. Allein der Vortrag der Beklagten, dass dies jeglicher Lebenswirklichkeit widerspreche, sei keine Begründung für die Unterstellung von Versicherungspflicht
5. bis 7. C., L. und P.,
Nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Vortrag, dass der Lebensunterhalt in Rumänien aus dem Rentenbezug der Mutter und aus dem Kindergeld bestritten werde, jeglicher Lebenswirklichkeit widersprechen solle. Die Feststellung der Versicherungspflicht durch die Beklagte entbehre daher jeder Rechtsgrundlage.
8. A.,
Durch die Gemeindeverwaltung Tamasi sei bestätigt worden, dass Herr A. gemäß der vorgelegten Heiratsurkunde verheiratet sei und Eigentümer oder Mieter einer Wohnung sei.
Entscheidend sei nach Auffassung des Klägers aber vor allem, dass 2015 keine weiteren Angaben für die Tätigkeit als Hausmann erforderlich gewesen seien. Eine behördliche Stelle, die für die Ausstellung einer Bestätigung zuständig gewesen wäre, dass eine Saisonarbeitskraft Hausmann oder Hausfrau sei, habe es nicht gegeben.
Das Gericht hat mit Schreiben vom 25.05.2021 zunächst einen Hinweis zur Definition und der Bestimmung von Berufsmäßigkeit zeitgeringfügiger Beschäftigung gegeben und gleichzeitig von der Klägerseite verschiedene detaillierte Auskünfte und Unterlagen angefordert. Ebenso wurde die Beklagte mit Schreiben vom gleichen Tag gebeten, Auskunft zu erteilen, welche Konsequenzen/Nachfragen in der Vergangenheit bei der Angabe Hausfrau/Hausmann im Fragebogen für ausländische Saisonarbeitskräfte gezogen wurden.
Mit Schreiben vom 17.06.2021 teilte die Beklagte mit, dass der Kläger bereits mit Betriebsprüfungsbescheid vom 21.12.2015 (Prüfzeitraum 01.01.2011 bis 30.12.2014) darauf hingewiesen worden sei, dass eine kurzfristige und damit versicherungsfreie Beschäftigung für zwei osteuropäische Saisonarbeitskräfte nicht begründet werden könne, da der Fragebogen zur Beurteilung der Versicherungsfreiheit/Versicherungspflicht maschinell ausgefüllt worden sei und weder vom Arbeitnehmer unterschrieben noch einer rumänische Behörde vorgelegt worden sei.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor dem Sozialgericht Landshut am 29.09.2021 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse der beanstandeten Saisonarbeitskräfte über die in den Akten befindlichen Unterlagen hinaus, keine weiteren Dokumente mehr beigebracht werden können. Im Hinblick auf zwei beim LSG Baden-Württemberg anhängige vergleichbare Rechtsstreitigkeiten, haben die Beteiligten übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens beantragt. Mit Beschluss vom 29.09.2021 hat die Kammer daraufhin das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 07.11.2022 hat der Kläger unter Vorlage des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 11.10.2022 - L 11 BA 3083/20 - beantragt, das Verfahren fortzuführen.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24.11.2022 ausgeführt, dass vorliegend zu berücksichtigen sei, dass zum einen lediglich maschinell vorausgefüllte Fragebögen, nicht jedoch handschriftlich durch die betroffenen Arbeitnehmer ausgefüllte Fragebögen, vorliegen. Auch habe die Beklagte versucht, den vorliegenden Sachverhalt im Rahmen der Betriebsprüfung aufzuklären. Es seien für diverse Arbeitnehmer Unterlagen angefordert worden und zum Teil auch vorgelegt worden. Insofern könne vorliegend nicht, wie in den vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg behandelten Fällen, von einer Verletzung der Sorgfaltspflicht der Beklagten ausgegangen werden. Daher könne die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 11.10.2022 nicht auf das vorliegende Verfahren übertragen werden.
Bezüglich des Arbeitnehmers B. wurde von der Klägerseite eine Bescheinigung des Ministeriums für Arbeit und Soziales vorgelegt, aus der sich ergibt, dass die Ehefrau im Zeitraum 24.04.2017 bis 24.01.2018 Arbeitslosengeld bezogen habe. Eine weitere Bescheinigung belegt, dass die Ehefrau in der Zeit vom 01.04.2012 bis 13.04.2017 in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat. Zudem hat sie in der Zeit Januar 2015 bis Dezember 2019 Leistungen aufgrund von Kindererziehung erhalten. Daraufhin änderte die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2022 die streitgegenständlichen Bescheide hinsichtlich der Feststellungen für B., insoweit ab, als für diesen Arbeitnehmer zeitgeringfügige Beschäftigung anerkannt wurde und deshalb keine Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. Die sich aus der Betriebsprüfung ergebende Nachforderung beträgt nunmehr insgesamt 10.873,64 €.
Der Kläger beantragt,
       den Bescheid vom 03.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
       vom 26.01.2021 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.12.2022
       aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
       die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine eigenen Anträge.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, als auch für den Beigeladenen zu 9) T. für den Monat April 2015 (Verdienst 329,30 Euro) und für den Beigeladenen zu 5) H. Monat für den Juni 2017 (Verdienst 180,60 Euro) Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden, obwohl in diesen Monaten die Geringfügigkeitsgrenze unterschritten wird. Im Übrigen war die Klage abzuweisen, da die Beigeladenen zu 3) bis 9) ihre Tätigkeit für den Kläger berufsmäßig und damit nicht zeitgeringfügig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ausgeübt haben.
I. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 03.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2021 sowie der im Klageverfahren ergangene Änderungsbescheid vom 16.12.2022. Letzterer ist nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Mit ihm wurden für den Arbeitnehmer B. keine Sozialversicherungsbeiträge nacherhoben, weil für ihn nach weiteren Ermittlungen zu den Einkommensverhältnissen der Status als Hausmann anerkannt wurde. Aufgrund dieses Änderungsbescheides ist damit nur noch über die Beiträge für die Beigeladenen zu 3) bis 9) zur Gesamtsozialversicherung in Höhe von insgesamt 10.873,64 Euro zu befinden. Gegen diese Bescheide wendet sich der Kläger zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 und 2 SGG).
II. Auf den vorliegenden Sachverhalt findet deutsches Sozialversicherungsrecht Anwendung. Für Arbeitnehmer, die in ihrem Heimatstaat gewöhnlich keine Erwerbstätigkeit ausüben (z.B. Hausfrauen/Hausmänner) und die in Deutschland als Saisonarbeitskraft beschäftigt sind, gelten nach dem Territorialitätsprinzip allein die deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit. Wird eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit - wie vorliegend - in nur einem Mitgliedstaat (und nicht gleichzeitig oder abwechselnd auch in anderen Staaten) ausgeübt, gelten nach dem Grundprinzip des Art. 11 Abs.3a VO (EG) Nr. 883/2003 (sog. Territorialitätsprinzip) die Rechtsvorschriften dieses Staats (hier: Bundesrepublik Deutschland). Dabei kommt es auf den Wohnort der erwerbstätigen Person oder den Sitz ihres Arbeitgebers nicht an. Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip bestehen vorliegend nicht (ausführlich zur Versicherungspflicht von - ausländischen - Saisonarbeitskräften Klimpel DStR 2016, 175 ff.).
III. Rechtsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragsforderung ist § 28p Abs. 1 Satz 1 und 5 SGB IV in der Fassung (idF) der Bekanntmachung vom 12.11.2009 (BGBl I 3710). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (BSG Urteil vom 10.12.2019 - B 12 R 9/18 R - BSGE 129, 247 = SozR 4-2500 § 223 Nr. 3, RdNr.12).
1.) Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI und § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI, § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III setzt die Versicherungs- und Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung jeweils ein Beschäftigungsverhältnis voraus. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Die Beigeladenen zu 3) bis 9) übten unstreitig als Saisonarbeitskräfte in einem landwirtschaftlichen Unternehmen eine Tätigkeit nach Weisung für den Kläger aus und waren bei ihren jeweiligen Arbeitseinsätzen vollständig in eine fremde Betriebsorganisation eingebunden.
2.) Diese Beschäftigungen waren überwiegend nicht versicherungsfrei gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 7 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 SGB V und § 20 Abs. 1 S 1 SGB XI, § 27 Abs. 2 SGB III, weil die gesetzlichen Voraussetzungen einer zeitgeringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV nicht vorgelegen haben. Die erzielten Arbeitsentgelte gem. § 14 SGB IV sind daher damit beitragspflichtig.
a) Eine geringfügige Beschäftigung gem. § 8 Abs. 1 SGB IV (vorliegend maßgebenden Fassung d. Art. 1 Nr. 2 G v. 5.12.2012 I 2474 mWv 1.1.2013) liegt vor, wenn
1.das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450 Euro nicht übersteigt,
2.die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450 Euro im Monat übersteigt.
Zu beachten gilt es vorliegend, dass in der Zeit vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 gemäß § 115 SGB IV (in der durch Art. 9 Nr. 3 Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 11.08.2014 <BGBl I 1348> bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung) abweichende Zeitgrenzen von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen für eine zeitgeringfügige Tätigkeit galten.
Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, § 115 SGB IV sind erfüllt, wenn die Beschäftigungen von den Beigeladenen zu 3) bis 9) nicht regelmäßig ausgeübt werden, sie im Voraus auf drei Monate bzw. 70 Arbeitstage im Jahr begrenzt sind und nicht als berufsmäßig zu qualifizieren sind. Die einschlägigen gesetzlichen Zeitgrenzen wurden eingehalten. Sie wurden auch von der Beklagten nicht beanstandet.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist es geboten, bei (geringfügigen) Beschäftigungen eine Zuordnung zu einer der beiden Fallgruppen des § 8 SGB IV vorzunehmen (vgl. BSG Urteil vom 11.5.1993 - 12 RK 23/91 - SozR 3-2400 § 8 Nr. 3 und Urteil vom 23.5.1995 - 12 RK 60/93 - SozR 3-2400 § 8 Nr. 4). Danach unterscheidet sich die Geringfügigkeit nach Nr. 1 des § 8 Abs. 1 SGB IV von derjenigen nach Nr. 2 dieser Vorschrift dadurch, dass die Beschäftigung bei Nr. 1 regelmäßig und bei Nr. 2 nur gelegentlich ausgeübt wird (BSG Urteil vom 7.5.2014 - B 12 R 5/12 R - SozR 4-2400 § 8 Nr. 6 RdNr. 19). Die Bestimmung, ob die Variante der Entgeltgeringfügigkeit vorliegt, setzt eine Prognose voraus; es findet keine rückschauende Betrachtung statt. Wird nur gelegentlich gearbeitet, kommt Entgeltgeringfügigkeit nicht in Betracht. Regelmäßig ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Beschäftigung, die bei vorausschauender Betrachtung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuchs <SGB> - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - BT-Drucks 7/4122 S 43 zu 1.) von vornherein auf ständige Wiederholung gerichtet ist (vgl. z.B. BSG Urteil vom 11.5.1993
- 12 RK 23/91 - SozR 3-2400 § 8 Nr. 3 S 11 f; Urteil vom 28.4.1982 - 12 RK 1/80 - SozR 2200 § 168 Nr. 6 S 10 f mwN); nicht erforderlich ist, dass sie über mehrere Jahre hinweg ausgeübt werden soll.
Verpflichtet ein Arbeitgeber etwa für die Spargelernte jedes Jahr wiederkehrend gleiche Beschäftigte, handelt es sich gerade nicht um kurzfristige Beschäftigungen, sondern vielmehr um regelmäßig wiederkehrende zeitlich befristete Beschäftigungen. Eine regelmäßig ausgeübte Beschäftigung kann aber nicht der zeitlichen Geringfügigkeit zugeordnet werden. So hat das BSG (Urteil v. 5. 12. 2017 - 12 KR 16/15 R, NZS 2018, 591) das ungeschriebene negative Tatbestandsmerkmal der Regelmäßigkeit bei Aushilfsfahrern so definiert: "Neben der Ausrichtung auf ständige Wiederholung, ist lediglich die Bereitschaft zu regelmäßiger Zusammenarbeit beim ersten Arbeitseinsatz erforderlich". Er hat diese Auslegung teleologisch abgestützt: nur diejenigen Beschäftigten seien von der Sozialversicherung ausgenommen, bei denen das Versicherungsverhältnis keinen entsprechenden Nutzen habe. Nach der vorliegenden Stellungnahme des Klägers vom 03.02.2023 waren zumindest die Beigeladenen zu 4) und 9) bereits in den Jahre 2012, 2013 und 2014 für den Kläger tätig, so dass bezüglich diesen Personen bereits der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IV nicht eröffnet ist, weil von einer wiederholenden Einsatztätigkeit auszugehen ist.
c) Die Beigeladenen zu 3) bis 9) haben ihre Tätigkeit für den Kläger jedenfalls überwiegend berufsmäßig ausgeübt (Ausnahme vgl. unten cc)). Damit liegen die Voraussetzungen für eine zeitgeringfügige Beschäftigung nicht vor.
Eine Beschäftigung oder Tätigkeit wird dann berufsmäßig ausgeübt i.S. von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, wenn sie für den Beschäftigten nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und er damit seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in einem solchen Umfang bestreitet, dass seine wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung beruht (st Rspr, vgl. u. a. BSG 14.03.2018, B 12 KR 17/16 R, SozR 4-2600 § 163 Nr. 2, Rn 12). Dies kann nur auf Grund einer Beurteilung der gesamten Umstände des Einzelfalles und der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Person beurteilt werden.
aa) Damit kommt es entscheidend auf den Anteil an, den die Vergütung der zeitgeringfügigen Tätigkeit an dem Jahreseinkommen der betreffenden Person hat. In das Jahresgesamteinkommen sind alle Einkünfte aus selbständigen und unselbständigen Beschäftigungen sowie Kapitalerträge und sonstige finanzielle Zuflüsse (einschl. Unterhaltsleistungen) einzustellen (Latzel NZS 2022, 281, 284). Bei der Prüfung der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse ist dabei grundsätzlich u.a. das Gesamteinkommen in Relation zu setzen zu den Entgelten, die aus der zeitlich geringfügigen Tätigkeit erzielt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG soll daher Berufsmäßigkeit trotz privilegierenden Personenstatus in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer mit Einkünften aus selbständiger Arbeit (65.182 EUR) und aus nichtselbständiger Arbeit (26.488 EUR) aus einer zeitgeringfügigen Beschäftigung Einnahmen von 9.090 EUR erzielt. Diese Einnahmen seien geeignet, wesentlich zu seinem Lebensunterhalt beizutragen. Damit hat das BSG ein aus der gelegentlichen Tätigkeit erzieltes Arbeitsentgelt bereits dann als geeignet betrachtet, wesentlich zu dem Lebensunterhalt beizutragen, wenn es im Verhältnis zu den übrigen Einnahmen (aus Haupttätigkeit) etwas mehr als 10 % beträgt. Daran anlehnend hat z.B. das LSG Bln-Bbg 11.3.2020 - L 9 KR 302/16, BeckRS 2020, 7313 bei einer Pflegekraft die Berufsmäßigkeit bejaht, da diese aus ihrer zeitlich geringfügigen Tätigkeit im Verhältnis zu dem Arbeitsentgelt aus der Tätigkeit als abhängig beschäftigte Pflegekraft (2.500 EUR/Monat) stets monatlich mehr als 10 % hinzuverdiente.
Vorliegend hat deshalb das Gericht die Klägerseite mit Schreiben vom 25.05.2021 u.a. aufgefordert, zu den Einkommensverhältnissen der beigeladenen Saisonarbeitskräfte umfassend Auskunft zu erteilen. Detaillierte Auskünfte konnten nicht mitgeteilt werden. Festzustellen ist jedoch, dass die aus der zeitgeringfügigen Tätigkeit erzielte Vergütung für den Beschäftigten jedenfalls dann mehr als eine untergeordnete wirtschaftliche Bedeutung hat, wenn er auf die Vergütung angewiesen ist, um zumindest teilweise seinen existenziellen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Status des zeitgeringfügigen Beschäftigten als Arbeitsloser zu bewerten ist (mwH BSG 28.10.1960 - 3 RK 31/56, BeckRS 1960, 30700902 - noch zu § RVO § 168 RVO; Latzel NZS 2022, 281, 288).
Wenn Saisonarbeitskräfte - wie vorliegend - aus Niedriglohnländern den Zeitraum einer zeitgeringfügigen Beschäftigung in großem Umfang ausschöpfen, wird die wirtschaftliche Relevanz für ihren Lebensunterhalt kaum verneint werden können. So ist für Erntehelfer aus Rumänien die Annahme einer Absicherung des Lebensunterhalts durch eine Hausfrauenehe oder Unterhaltsleistungen des Schwiegervaters fernliegend. Dies jedenfalls solange, wie nicht konkrete Einnahmen nachgewiesen werden. Wenn Erntehelfer über Wochen oder Monate ihren Haushalt für eine Arbeit in Deutschland verlassen, wird damit dokumentiert, dass hier ein Beruf zur Existenzsicherung ausgeübt werden soll, der notwendigerweise auf sozialrechtlichen Schutz angewiesen ist. Nur dies entspricht auch der Normsystematik, denn § 8 SGB IV ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift (mwH Kothe/Rabe-Rosendahl ZESAR 2021, 371 ff.). Somit ist die Berufsmäßigkeit bei grenzüberschreitenden Saisonkräften bei einem großen Entgeltgefälle zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Herkunftsland in der Regel gegeben. Der Mindestlohn in Rumänien liegt laut Daten des Europäischen Statistikamtes Eurostat auf dem drittniedrigsten Niveau unter den 21 EU-Ländern, die ein gesetzliches Mindestgehalt haben (Stand Januar 2022; vgl. auch https://adz.ro/artikel/artikel/eurostat-rumaenien-mit-drittniedrigstem-bruttomindestlohn). In der Regel wird in Rumänien weniger als 30 Prozent des deutschen Mindestlohns verdient. Wer in Rumänien tätig ist, verdient somit in drei Monaten in Deutschland deutlich mehr als manche Arbeitnehmer in der restlichen Jahreszeit in Rumänien. Daher hat z.B. das LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 26. 4. 2007 - L 1 KR 36/05) für polnische Arbeitskräfte, die während eines Sonderurlaubs in Polen in Deutschland in der Landwirtschaft tätig waren, Berufsmäßigkeit angenommen. Da für die betroffenen Arbeitnehmer für den streitgegenständlichen Zeitraum nahezu keine weiteren Einnahmen nachgewiesen wurden, steht für die Kammer fest, dass die Einnahmen aus der Beschäftigung für den Kläger wirtschaftliche Relevanz für ihren Lebensunterhalt haben.
bb) Vorliegend sind die Beigeladenen zu 3) bis 9) auch nicht wegen ihres angegebenen Status als Hausmänner von der Berufsmäßigkeit ausgenommen.
Nicht berufsmäßig tätig wird auch, wer eine kurzfristige Beschäftigung ausübt, ohne zum Kreis der Erwerbstätigen zu gehören (BSG 30.11.1978 - 12 RK 32/77). Auf die Höhe des erzielten Verdienstes soll es dann grundsätzlich nicht mehr ankommen. Als Personengruppen, die nicht berufsmäßig tätig werden, kommen danach u.a. solche in Betracht, die nach ihrer Lebensstellung i.d.R. keine versicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben pflegen, wie z.B. Schüler, Studenten oder Rentner. Nach den Verwaltungshinweisen der DRV (vgl. Summa summarum 2/2020, 12. Ziffer 2.3.3 ff. Geringfügigkeits-RL 2022) wird auch für Hausfrauen/Hausmänner die Berufsmäßigkeit verneint. Diese Personengruppen leben in der Regel von anderen Einnahmen wie Rente, Unterhaltsleistungen, BAföG usw. (Schlegel NZS 2020, 335). Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Personen, die entweder noch nicht in das Erwerbsleben eingetreten sind bzw. um solche, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Umgekehrt gehört zum Kreis der Erwerbstätigen jedenfalls, wer im Allgemeinen einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit nachgeht oder bereit ist, einer solchen dauerhaft nachzugehen.
Sozialversicherungsträger und Gerichte sind im Rahmen der Amtsermittlung berechtigt und verpflichtet, den Personenstatus aufzuklären. Eine pauschalierende Betrachtungsweise kann nur funktionieren, wenn der jeweilige Personenstatus rechtssicher feststeht. Der Status "Hausfrau" oder "Hausmann" setzt gerade voraus, dass diese (Saison-)Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht - mehr - zur Verfügung stehen (z.B. bei Pflege von Familienangehörigen) und auch nicht als "Arbeitslose" beurteilt werden können. Arbeits- bzw. Beschäftigungslose, die Arbeit gefunden haben, werden eben in der Regel berufsmäßig tätig. Man wird eben nicht durch ein bloßes Ankreuzen des Feldes Hausmann im "Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit rumänischer Saisonarbeitnehmer" zum Hausmann und damit zum versicherungsfreien und beitragsfreien Beschäftigten. Ansonsten wäre einer massenweisen Umgehung der Sozialversicherungssysteme in vielen Branchen Tür und Tor geöffnet. Eine solche Umgehungsmöglichkeit kann die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme erheblich beeinträchtigen. Der Status als Hausmann setzt voraus, dass diese Person dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt anderweitig gesichert ist. Hierfür fehlt es vorliegend an einem entsprechenden Nachweis. Dieser kann jedoch nur von den Beigeladenen zu 3) bis 9) geführt werden, da es sich hierbei um Tatsachen handelt, die ihrer Sphäre zugerechnet werden müssen. Im Erörterungstermin vom 29.09.2021 vor dem Sozialgericht Landshut haben der Kläger und die Beklagte übereinstimmend erklärt, dass bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beigeladenen zu 3) bis 9) keine weiteren Dokumente mehr beigebracht werden können.
Bestehen im Hinblick auf die Angaben der betroffenen Arbeitnehmer bzw. im Hinblick auf den vom Arbeitgeber vorausgefüllten Fragebögen Zweifel, muss nachermittelt werden. Sind - wie vorliegend - die Angaben in dem zweisprachigen "Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit polnischer/rumänischer/bulgarischer Saisonarbeitnehmer" maschinell vorausgefüllt und alle eingesetzten Saisonarbeitskräfte junge Männer mit dem Status Hausmann, sind Zweifel mehr als angebracht. Die eingeschränkte Verwertbarkeit der Fragebögen zeigt sich vorliegend auch darin, dass von keinem der Beschäftigten eine Angabe erfolgte, seit wann sie Hausmänner sind. Dies wurde jedoch explizit von dem Fragebogen abgefragt.
Im Übrigen vertritt die Kammer die Auffassung, dass die pauschalierende Betrachtungsweise anknüpfend an den Personenstatus (hier: Hausmann) allenfalls eine erste Weichenstellung bei der Prüfung der Berufsmäßigkeit darstellen kann. Kommt man hier zum Ergebnis, dass der Personenstatus (z.B. Hausfrau/Hausmann) dem Grunde nach gegen eine berufsmäßige Tätigkeit spricht, muss noch eine Ergebniskontrolle anhand der individuellen Einkommensverhältnisse vorgenommen werden. Nur aufgrund einer Beurteilung der gesamten Umstände des Einzelfalls und der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der Person kann die Berufsmäßigkeit abschließend beurteilt werden. Die Betrachtung darf dabei auch nicht auf den jeweiligen Zeitraum der tatsächlichen Arbeitsverrichtung begrenzt werden; andernfalls müsste bei Ausübung einer zeitlich begrenzten Vollzeitbeschäftigung stets auch vom gleichzeitigen Eintritt von Versicherungspflicht ausgegangen werden. Dies bedeutet, dass selbst bei unterstellten Personenstatus als Hausmann eine Berufsmäßigkeit in Betracht kommt. Es ist eben in der Allgemeinheit nicht richtig, dass Hausfrauen und Hausmänner generell nicht berufsmäßig tätig werden können. Wenn die Einnahmen aus der zeitgeringfügigen Beschäftigung der Existenzsicherung und damit dem Lebensunterhalt dienen, liegt Berufsmäßigkeit auf der Hand.
Damit hat das Gericht keine Zweifel, dass die Beigeladenen zu 3) bis 9) ihre Tätigkeit für den Kläger berufsmäßig erbracht haben. Eine Beweislastentscheidung ist daher nicht möglich. Nur wenn nicht mehr abschließend aufklärbar ist, es also nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen ist, ob Saisonarbeitskräfte ihre Tätigkeit für einen landwirtschaftlichen Betrieb berufsmäßig ausgeübt haben, geht dies zu Lasten des Rentenversicherungsträgers (so der amtliche Leitsatz LSG Baden-Württemberg (11. Senat), Urteil vom 11.10.2022 - L 11 BA 3083/20). Steht jedoch die Berufsmäßigkeit fest, ist kein Spielraum für eine Beweislastentscheidung.
cc) Da der Beigeladene zu 9) T. im Monat April 2015 (Verdienst 329,30 Euro) und der Beigeladene zu 5) H. Monat im Juni 2017 (Verdienst 180,60 Euro) jeweils unter 450 Euro/Monat verdient haben, ist für diese zwei Monate jedoch Versicherungs- und Beitragsfreiheit festzustellen, da die Geringfügigkeitsgrenze von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV nicht überschritten wird. Insoweit waren die streitgegenständlichen Bescheide aufzuheben.
d) Abschließend ist anzumerken, dass ein etwaiger Fachkräftemangel in der Landwirtschaft nichts am gefundenen Ergebnis ändert. Für Unternehmer bestehende Schwierigkeiten, qualifizierte Beschäftigte zu gewinnen, und Erfordernisse einer Kostenoptimierung sind für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung einer Tätigkeit nicht relevant (BSG, Urt. v. 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R, DStR 2019, 2429 zum Fachkräftemangel im Gesundheitswesen). Finden Landwirte nicht genügend Personal, das bereit ist, ein Arbeitsverhältnis im Niedriglohnsektor einzugehen, weil die Arbeitsbedingungen als nicht attraktiv angesehen werden, können landwirtschaftliche Unternehmer die insoweit bestehenden Probleme de lege lata nicht dadurch lösen, dass sie mit ausländischen Saisonarbeitskräften über das Vehikel "Hausmann" die Voraussetzungen der zeitlichen Geringfügigkeit umgehen. Zwingende Regelungen des Sozialversicherungsrechts können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass ausländische Arbeitskräfte flächendeckend als Hausmänner deklariert werden.
Die Klage war daher überwiegend abzuweisen.
IV. Die Kostentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG iVm §154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 S. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dabei sah es das Gericht als angemessen an, dem Kläger die Kosten des Verfahrens - ohne außergerichtliche Kosten der Beigeladenen - ganz aufzuerlegen, da die Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
V. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 SGG iVm §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 47 Abs. 1 und 2, 52 Abs. 3 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers - wie vorliegend - eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG). Die Kammer hat auf Grund des im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ergangen Änderungsbescheides vom 16.12.2022 (Beitragsreduzierung) den Streitwert entsprechend zeitlich gestaffelt.

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Rechtsmittelbelehrung


Ziffern I. und II. dieses Urteils können mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, A-Stadt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
 
Gegen Ziffer III. dieses Urteils ist gemäß § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 68 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder weil sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen hat.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt hat oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, A-Stadt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Beschwerde als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.

 

 

 

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