S 48 SO 563/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 SO 563/16
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

1. Eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde gem. § 85 Abs. 2 SGG setzt ein noch unerledigtes Vorverfahren voraus. Dagegen ist der Widerspruchsbehörde nicht die Befugnis eingeräumt, auch darüber verbindlich zu entscheiden, ob ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen ist. Der Widerspruchsbehörde ist nämlich nach Erledigung des Widerspruchs in der Hauptsache eine mit § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG vergleichbare Befugnis zur Fortsetzungsfeststellung nicht übertragen.

2. Wird nach Erledigung des angegriffenen Bescheides (hier: Überleitungsbescheid) der Widerspruch gleichwohl zurückgewiesen, ist der Widerspruchsbescheid isoliert aufzuheben, verbunden mit der Feststellung, dass der Widerspruch erledigt ist.


I. Der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 01.08.2016 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Klägers gegen den Überleitungsbescheid des Beklagten vom 19.03.2015 erledigt ist.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

V. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Anspruchsüberleitung.

Der Kläger ist der Sohn der am 1920 geborenen Frau D.. Diese erhielt ab dem 02.11.2012 Leistungen der Hilfe zur Pflege durch den Beklagten. Mit Bescheid vom 19.03.2015 leitete der Beklagte für die Zeit ab dem 02.11.2012 einen (möglichen) Anspruch der Leistungsempfängerin gegen den Kläger auf Zahlung einer Leibrente, Wart und Pflege sowie Verköstigung in Höhe von 204,05 EUR monatlich auf sich über. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.04.2015 Widerspruch. Mit Schreiben vom 25.08.2015 legte der Beklagte die Sache der Regierung von Oberbayern als der zuständigen Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor.

Ausweislich des Protokolls der öffentlichen Sitzung des Landgerichts München I, 12. Zivilkammer, vom 11.02.2016 (Az.: XYX) schlossen die Beteiligten im dortigen zivilgerichtlichen Verfahren einen gerichtlichen Vergleich, dessen Ziffer IV lautet: "Mit dem vorliegenden Vergleich sind die streitgegenständlichen Ansprüche des Beklagten aus dem Überleitungsbescheid vom 19.03.2015 abgegolten." Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 21ff der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 01.08.2016 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2015 zurück.

Dagegen richtet sich die am 05.08.2016 beim Sozialgericht (SG) Augsburg eingegangene Klage, die von diesem mit Beschluss vom 02.11.2016 an das SG München verwiesen wurde. Zur Begründung der Klage hat sich der Kläger auf den am 11.02.2016 geschlossenen gerichtlichen Vergleich bezogen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 01.08.2016 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass sich die Überleitungsanzeige durch den gerichtlichen Vergleich vom 11.02.2016 erledigt hat.


Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Seit dem 01.01.2020 ist für das vorliegende Klageverfahren die Zuständigkeit der 48. Kammer gegeben. Mit Beschluss vom 04.02.2020 hat das Gericht den Freistaat Bayern als Träger der Widerspruchsbehörde zu dem Rechtsstreit beigeladen.

Dem Gericht lagen die Behördenakten des Beklagten bei seiner Entscheidung vor.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Gericht hat den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache weder in tatsächlicher, noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist. Die Beteiligten wurden dazu gehört.

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Die Überleitungsanzeige gem. § 93 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist ein Verwaltungsakt (siehe Armbruster in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 93 SGB XII, Rn. 127). Gem. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Vorliegend hat sich der Überleitungsbescheid vom 19.03.2015 durch den gerichtlichen Vergleich vom 11.02.2016 gem. § 39 Abs. 2 (Alt. 5) SGB X erledigt. Aus dem Wortlaut dieses Vergleichs ergibt sich, dass nach dem Willen der Vergleichsparteien das dort Vereinbarte an die Stelle der im Bescheid vom 19.03.2015 getroffenen Regelung treten sollte.

Damit war jedoch auch der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.03.2015 in der Hauptsache erledigt und das Widerspruchsverfahren beendet. Verhielt es sich so, war jedoch die vom Beigeladenen vorgenommene Zurückweisung des Widerspruchs des Klägers gegen diesen Bescheid rechtswidrig. Vielmehr hätte das Widerspruchsverfahren aufgrund der Erledigung des Widerspruchs eingestellt werden müssen. Denn eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde gem. § 85 Abs. 2 SGG setzt, wie aus § 83 SGG hervorgeht, ein noch unerledigtes Vorverfahren (siehe B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 83 Rn. 5, a. E.) aufgrund eines wirksamen Widerspruchs voraus. Dagegen ist der Widerspruchsbehörde aufgrund der §§ 83ff SGG nicht die Befugnis eingeräumt, auch darüber verbindlich zu entscheiden, ob ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen ist. Der Widerspruchsbehörde ist nämlich nach Erledigung des Widerspruchs in der Hauptsache eine mit § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG vergleichbare Befugnis zur Fortsetzungsfeststellung nicht übertragen (siehe Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.09.2018, L 16 R 576/17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine Auferlegung der Kosten auf den Beigeladenen (vgl. § 155 Abs. 4 VwGO) erscheint nicht sachgerecht, weil es der Beklagte nach der Aktenlage versäumt hat, den Beigeladenen über die Umstände, die zur Erledigung des Widerspruchs geführt haben, zu informieren.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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